Mein München: Studiobühne, Ludwigsstraße

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Die Studiobühne in der Ludwigsstraße, war lange zweite Heimat für Jean-Marc Turmes, 24. Die kleine Bühne der Theaterwissenschaftler ist ein sehr persönlicher Ort für ihn und viele andere. Nun muss sie einer Bibliothek weichen. Deswegen hat das Bild abseits technischer Aspekte einen ganz persönlichen Wert für Jean-Marc.

Jahrelang war die Studiobühne in der Ludwigstraße 25 die zweite Heimat von Jean-Marc Turmes. Wochen und Monate verbrachte der Student auf und hinter der kleinen Bühne der Theaterwissenschaftler. Jetzt muss die Studiobühne einer Bibliothek weichen. „Während den Proben zu einem Stück im vergangenen Sommer wurde mir auf einmal bewusst, dass die Studiobühne nicht für immer bestehen wird“, erzählt Jean-Marc, 24, etwas wehmütig. Während einer Pause stand er am Ende des Korridors und hielt die Erinnerung fest. „Mit diesem Ort verbinde ich einfach so viel: Freundschaften, Exzesse, Kunst, egal ob gut oder schlecht“, sagt der junge Fotograf.

Der Korridor ist auf ersten Blick sehr unscheinbar. Aber: „Das Foto ist sehr persönlich, aus einem einfachen Grund: Dieser Blickwinkel ist nicht der eines Besuchers, eines Fremden auf die Studiobühne – es ist die Sicht der Menschen, die die Studiobühne kennen“, erklärt Jean-Marc. „Die Tür links, halb offen, halb zu, steht für alle Aufführungen, alle Proben, alle Freundschaften, die ich an diesem Ort erlebt habe.“

Normalerweise sind Jean-Marc die technischen Aspekte hinter einem Foto sehr wichtig. „In diesem Fall nicht“, verdeutlicht der 24-Jährige, „dieses Foto ist sehr emotional und aus dem Affekt geschossen. Wenn man es sich anschaut und nie auf der Studiobühne gespielt hat, kann man nicht das gleiche Gefühl dabei empfinden.“

Von Matthias Kirsch

Von Freitag bis Freitag München: Unterwegs mit Matthias

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Eigentlich ist Matthias gestresst, weil: Klausurenzeit. Das schöne Wetter und seine Operation “Morgenstund’ hat Gold im Mund” lassen ihn allerdings trotzdem immer wieder Lernpausen einlegen. Vom Tollwood und dem

Stadt-Land-Rock-Festival

treibt es ihn ins

Attentat zum Griechischen Samstag. Er schreckt auch nicht vor etwas härterer Kost zurück, denn auf der Studiobühne wird eine Inszenierung von Ernst Jüngers “Stahlgewittern” gezeigt. Seine Woche endet an der Isar, nach einem Besuch der Vernissage der Fakultät für Design der Hochschule in München.

Eigentlich sollte ich mich nicht aufregen. Es ist ja nun wirklich normal,
dass das Wetter schön wird, das Sommertollwood startet und die Sommerfeste
steigen sobald ich mitten in der Klausurphase bin. Soweit also nichts Neues.
Für diesen Sommer habe ich mir aber etwas überlegt – morgens lernen, mittags so
tun als ob, und die warmen Sommerabende ohne Lernstress genießen. Operation
„Morgenstund hat Gold im Mund“ ist positiv gestartet. Deshalb kann ich mir
am Freitag erlauben, in den Olympiapark zum zweiten Abend vom
Stadt-Land-Rock-Festival
zu fahren. Vier junge Bands treten heute auf, ich freu
mich besonders auf die Birdwatchers – ein gemütlicher Abend mit
Indie-Folk-Klängen.

Am Samstag wird es wieder richtig warm und sonnig – ein Grund mehr, ab 15
Uhr die Bibliothek zu verlassen. Hätte ich aber sowieso getan, ich muss nämlich
heute an zwei Orten vorbeischauen. Die Radltour zum MMA – und zum Flohmarkt,
der diesmal auch Streetfoodmarkt ist – bezahle ich teuer mit einem Sonnenbrand
im Nacken. Macht aber nichts – vielleicht find ich einen schicken Schal für
meine sensible Haut, oder ein bisschen Sonnencrème… Nach Sonnenuntergang
flitzen mein Studentenferrari und ich den Giesinger Berg hoch und machen einen
Abstecher beim Sommerfest im Attentat Griechischer Salat. Dort wurde mir nämlich
neben gutem Wein und leckerem Essen auch eine Zaubershow versprochen – und so
was lass ich mir nicht entgehen.

Mit Sonnenbrand und leichtem Kater beschäftige ich mich am Sonntag seit 9 Uhr mit den
verschiedenen Konzepten von Europäisierung – ich komm nicht wirklich voran. Da
bin ich selber schuld, ist mir bewusst. Also muss ich mir einen Ruck geben –
die Wissenschaft geht heute vor. Ich fühl mich fast intellektuell. Es bleibt
aber heute nicht bei dem einen Ruck – die Wäsche muss gemacht werden, und
staubsaugen sollte ich eh regelmäßiger. Aber welcher Student kennt das nicht?
Steht eine Klausur an, ist die Wohnung plötzlich blitzeblank. Ich bin mit mir
zufrieden. Tatort und Weißbier zum Abschluss? Don’t judge me, ich setz mich
aufs Sofa.

Nach meinem semi-produktiven Ruhetag gestern, bin ich am Montag wieder voll bei Kräften. Die dicke Wolkendecke tut mir auch gut, so verpasse
ich wenigstens nichts. Aber das lala-Wetter passt auch ganz gut, denn mein
Abendprogramm führt mich zum Salon Irkutsk nach Schwabing. Hier spielt heute
der Musiker Tobias Tzschaschel, den man vor allem als Macher der Hauskonzerte
kennt. Jetzt kommt erstmals sein Soloprogramm – „poetische Sprache,
zwischenmenschliche Beziehungen erforschen, Gefühlsausbrüche zulassen und unter
die Elefantenhaut wollen“. Ich bin gespannt.

Operation Morgenstund’ ist nach wie vor ein Riesenerfolg – ich feiere mich
mittlerweile öffentlich als Revoluzzer der modernen Lernphase. Ich befürchte
leider, dass ich am Dienstag außerhalb der Bib mehr lernen werde als drinnen. Nicht
dass ich am Eisbach besondere Geistesblitze hätte, schön wäre es. Nein, heute
steht Kultur auf dem Programm, und zwar harte Kost. Auf der Studiobühne führt
Jan Stuckmeier bei seinem Stück „Vulgär-Heroismus. Denk ich an Jünger in der
Nacht“
Regie – unter dem Motto Theater tut weh! Die jungen Schauspieler
verarbeiten die erste Fassung von Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ als Vorlage
einer heroischen Utopie. Meine bisherigen Abende bei der Studiobühne waren
stets ein Feuerwerk aus viel Genie und sehr viel Wahnsinn – wie gesagt, Theater
tut weh.

Der große Tag ist da. Am Mittwoch muss ich beweisen, dass meine militärische
Lerntaktik Früchte trägt. Mit Jünger im Kopf und Europa im Herzen – dass ich
den Satz mal von mir gebe – schreite ich zur Uni und verteidige die EU vor dem
Demokratiedefizit…oder klage ich sie an? Scheiße! Letzter Blick in den
Ordner, und ab ins rhetorische Stahlgewitter. Ich hab ein gutes Gefühl – ich
hab vorerst meine Freiheit wieder! Die Sonne ist auch wieder da, sodass das
Abendprogramm steht. Badehose und Mitbewohner sind bereit, wir fahren zum
Beachvolleyball. Nach zwei Stunden Klausur und zwei Stunden Sport bin ich
physisch und mental durch – Dusche, Weißbier, Bett, ich bin dann mal weg.

Am Donnerstag entscheide ich mich dafür, meine Nebenfachklausuren unter einer anderen
Operation anzugehen. Der Kommandostab ruft Operation „Hahnenschrei“ ins Leben –
und ich denke die erste Stunde in der Bib darüber nach, wann ich das letzte Mal
einen Hahn habe schreien hören. Hält mich nicht davon ab, in der Mensa das
Hühnchengeschnetzelte zu essen. Die letzten Lernstunden sind hart, weil ich
mich auf den Abend so richtig freue. Lange ist es her, aber um 20 Uhr fahre ich
mal wieder nach Thalkirchen in den Sendlinger Bunker. Zwei lokale Indie-Bands
geben ihr bestes heute Abend. The Tonecooks und Matthew Austin versprühen
Charme im Bunker – und nach den Konzerten geht es solange, bis alle müde sind.

„Woche ist um, aufstehen du fauler Hund“, schreit der Hahn. Netter Kerl –
ich überdenke die Entscheidungen des vorigen Tages noch mal. Freitag ist ja
immer ein schwieriger Lerntag, für mich zumindest. Wenn ich bis 12 Uhr
produktiv bin, nenne ich das einen Tagessieg. Danach brauchen Körper und Geist
eine kleine Abkühlung – kopfüber in Isar, München du bist so wunderbar. Gegen
Abend mache ich mich auf den Weg in die Lothstraße 64, wo die Designstudenten
der Hochschule München ihre Abschlussarbeiten präsentieren. Ab 19 Uhr steigt
die Vernissage, aber auch das restliche Wochenende kann man Arbeiten aus Foto-,
Industrie- und Kommunikationsdesign bewundern. Zwischenfachlicher Austausch zum
Start des Wochenendes – nach der Vernissage geht es für mich zurück an die
Isar. München, du bist so wunderbar.

Matthias Kirsch

Foto: Oliver Schank

Jugend ohne Sprengkraft

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Die Jugend besitzt kein politisches Interesse, sondern widmet sich mit Hingabe einem Lifestyle, der von Paradoxien strotzt. Jan Struckmeier, 22, gibt dem Hipster die Schuld. Dem Stereo-Typ hat er jetzt auch ein Theaterstück gewidmet. 

Das Licht erreicht die Uni-Terrasse durch Baumspitzen und wirft lange Schatten. Sonntagabend, zwei Kästen Bier stehen bereit. Auf grünen Bänken sitzen zehn Studenten mit Sonnenbrillen, Miniboxen, Knabberzeugs. Mitwirkende eines Theaterstücks, die nach der Probe nicht gleich nach Hause wollen.

Jan Struckmeier, 22, Theaterwissenschaftsstudent und Regisseur des Stücks, hat sie zusammengetrommelt. Er hat auch das Augustiner spendiert. Jan trägt ein schwarzes Hemd und dreht sich eine Zigarette nach der anderen.

 Über das Theaterstück will er gerade nicht reden, lieber über das Scheitern. Und über Hipster. Struckmeier denkt viel über Zeitgeist und seine Generation nach und gerät daher zwangsläufig immer wieder auf jene Symbolfigur, die wie keine andere die derzeitige Jugendkultur umschreibt und mit der doch niemand etwas zu tun haben will. „Bin ich ein Hipster?“, fragt Struckmeier in die Runde. „Du bist ein Neo-Hipster“, entgegnet einer aus dem Team.

 „Das Hipstertum ist wohl oder übel ein Paradox“, sagt Struckmeier und kratzt sich an seinem roten Bart. „Wenn man sagt, man sei ein Hipster, ist man keiner. So wird der Weg, zu sich zu stehen, blockiert. Diese Generation ist an der Frage ihres Selbst zum Scheitern verurteilt.“ Wenn Struckmeier erzählt, was ihm durch den Kopf geht, möchte man meinen, dass wir gefangen sind, in diesem Hipstertum.

Es ist Anlass für Struckmeiers Theaterstück geworden, das er im Juli auf der Studiobühne der Ludwig-Maximilians-Universität aufführt: „Die Pest2o14“. Was, bitte, hat Albert Camus’ „Die Pest“ mit dem Hipster und unserer Generation zu tun?

Struckmeier findet, dass die Illusionslosigkeit des Stücks auch heute einen Nerv trifft. „Was können wir groß verändern heutzutage. Wir haben doch schon alles“, sagt er. „Jedoch hat der Mensch den Wunsch nach Revolution und Umsturz inne – und somit ist unsere Generation in einer Zwickmühle.“ Das mangelnde Aufbegehren, ja, sogar Desinteresse an Politik würden wir mit dem Exzess kompensieren. „Durch das Fortdauern dieses Lifestyles manövrieren wir uns zunehmend in ein Gefühl der Leere.“

Damit, findet Struckmeier, läuft seine Generation Gefahr, die Augen zu verschließen und einen großen Fehler zu machen. „Diese Angst möchte ich in meinem Stück zeigen“, sagt er. Es sei keine konkrete, sondern eine indirekte Angst, die er habe.

Aber wer ist dieser sagenhaft unbeliebte Hipster, der Struckmeier so fesselt, dass er ihm ein Theaterstück widmet? Man liest und spricht so viel über ihn: Der Hipster sei im Mainstream angekommen; in seinen Entstehungszentren New York und London wurde schon wieder sein Tod erklärt. Dennoch sieht man ihn noch massenhaft herumlaufen.

Was zeichnet ihn neben Jutebeutel, der gerade vom kleinen Rucksack abgelöst wird, und Röhrenjeans wirklich aus? „Wer von Hipstern spricht, meint damit meistens polemisch eine urbane Stilfigur und unterstellt diesen Leuten, sie seien auf der Suche nach unverwechselbarer Identität, aber vergeblich“, sagt Moritz Ege. Er ist Ethnologe an der LMU München und beschäftigt sich in seiner Forschung mit Jugend- und Subkulturen. Der Begriff Hipster kommt aus den Dreißigerjahren, als „being hip“ noch gleichzusetzen war mit „Bescheid wissen“. Damals war es also noch ein Ehrentitel. Auch Moritz Ege bedauert, dass sich das Hipstertum heute nicht mehr mag und stattdessen voller „Selbsthass“ ist. „Man kann schon sagen, dass klare Statements und charismatische Ideen von subkulturellen Szenen wenig sichtbar sind“, sagt Ege. „Damit fehlt auch gesellschaftliche Sprengkraft.“

Vielleicht ist durch das Vermischen sämtlicher Subkulturen, Musik- sowie Modestile – Hauptsache dem Mainstream drei Schritte voraus – ein roter Faden einer Jugendkultur verloren gegangen. Doch gewinnen wir stattdessen nicht grenzenlosen Individualismus dazu? Für Struckmeier wird das zum Zwang. „Die Hipster-Generation ist scheinbar frei, lebt in einer sogenannten postideologischen Zeit und kann, nein, muss sich verwirklichen“, sagt Struckmeier.

Selbstverwirklichung, sie ist auch für Jan Struckmeier wichtig. Deshalb steigt er gern auf Bühnen, wie etwa im Münchner Farbenladen vor ein paar Wochen. Es war eine Lesung angekündigt. Struckmeier las nicht, er tanzte. Aus den Boxen schallten dazu Sprachaufnahmen. Struckmeier erklärte, er sei in einer Sprachkrise. „Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht“, schallte aus den Lautsprechern zur Musik von Ratatat, Wildcat. „Oje, oje, o weh“. Sein Mund blieb geschlossen, dafür bekam das Publikum umso mehr Körpersprache serviert. Struckmeier bewegte sich zu seinen dadaistischen Kommentaren wie ein Yogameister gemischt mit Gorilla-Moves und Imitationen antiker Statuen.

Struckmeier dreht sich auf der Sonnenterrasse wieder eine Zigarette und erzählt, wie er seine Generationskritik in der Pest zum Ausdruck bringen möchte. Es werden nicht 20 Leute mit Jutebeuteln über die Bühne laufen. Stattdessen soll das Stück lustig werden und sich dem Mittel einer tetrishaften Collage bedienen. Die Schauspieler werden viel improvisieren und cool sein, als Karikaturen auftreten, in zeitlosen, schalen „schwarzen, weißen, grauen und blauen Kostümen“, sagt die Bühnenbildnerin Mengfan Wang. Letztlich, so Struckmeier, ist die Pest 2014 zum Scheitern verurteilt.

Mehr wollen sie nicht verraten. Nur so viel: Es ist Struckmeiers erstes eigenes Stück, eine „Herzensangelegenheit“, für die er seine Bachelorarbeit aufgeschoben hat. Er hat freilich ein wenig Angst zu missfallen. „Es ist immer eine Gratwanderung, die ich hoffe, in meinem Stück zu überstehen“, sagt Struckmeier. „Aber als Teil der Hipster-Generation kann ich mich nicht aus ihr lösen.“ Vielleicht spiegelt das Stück auch einfach nur eine Sehnsucht nach einer neuen Jugendkultur.

Die Kästen Bier sind fast leer, die Sonne nahezu verschwunden. Struckmeier sagt noch, dass es am Ende der Aufführung eine Podiumsdiskussion geben wird. An den ersten beiden Abenden sind allerdings auch die Halbfinalspiele der WM. Ob er in der Zeit jemanden für seine Ansichten begeistern kann, ist für ihn selbst fraglich. „Ich werde es auf jeden Fall anbieten, denn Theater tut weh und muss sein.“

Die Pest wird am 8., 9. und 10. Juli auf der Studiobühne der LMU (Ludwigstraße 25, 80539 München) um jeweils 20 Uhr aufgeführt. Mehr Infos unter www.diepest2o14.wordpress.com

Caroline von Eichhorn

Foto: Ann-Sophie Wanninger