Zwei Brüder zwischen Heimatliebe und Fernweh, bairischem Dialekt und amerikanischer Sprache, Schnelllebigkeit und Entschleunigung: Julian und Thomas Wittmann begeben sich auf eine große Reise. Foto: Kahlstain Fotografie

In der Ledernen nach Las Vegas

Aufbruch, Ausriss und Abenteuer: Julian und Thomas Wittmann fahren mit alten Mopeds quer durch die USA – für einen Film werden sie die Reise dokumentieren.

Von Amelie Völker

Julian und Thomas Wittmann fallen auf. Sie tragen Tracht, von den grauen Jankern bis zu den Hirsch-Lederhosen. Auf zwei alten, babyblauen Zündapps „C50 Super“, Jahrgang 1968 und 1969, kommen sie die kurvige Straße entlang getuckert. Julians Moped zieht eine Holzkiste auf zwei Rädern, die in etwa so aussieht wie eine alte Piraten-Schatzkiste. Vor einem Restaurant machen sie halt. Dort auf der Terrasse tummeln sich Touristen. Augenblicklich kommen zwei Radfahrer in sportlicher Vollmontur auf den Parkplatz gelaufen, um die beiden Gefährte genau unter die Lupe zu nehmen. „So eine Zündapp bin ich früher auch gefahren“, sagt der eine, und der andere schießt eifrig ein paar Fotos mit seinem Smartphone.

Julian, 25, und sein jüngerer Bruder Thomas, 22, befinden sich auf ihrer Probetour von Erding zum Walchensee und über den Sylvensteinspeicher wieder zurück. Ihre beiden Mopeds haben sie auf die Namen „Alma“ und „Berta“ getauft. Die maximale Geschwindigkeit ihrer Oldtimer von 40 Stundenkilometern sehen die Brüder vor allem positiv. „Du hast halt Zeit, dir was anzuschauen. Du kannst zum Beispiel einen Sonnenuntergang komplett sehen. Nicht so wie beim Autofahren mal kurz“, sagt Julian. Und sein Bruder fügt hinzu: „Man nimmt einfach viel mehr wahr. Und man hat noch mehr Zeit, um zu genießen.“

40 Stundenkilometer ist die
Höchstgeschwindigkeit: „Man
nimmt einfach viel mehr wahr.“

Ihre kleine Tour bildet nur die kurze Generalprobe für eine viel längere, viel extremere Reise. Am 25. August starten sie ins 11 000 Kilometer entfernte Las Vegas. Von München über Antwerpen, von dort mit dem Containerschiff 14 Tage nach New York. Und von New York dann quer durch die USA zur Wüstenstadt. Circa drei bis vier Monate werden sie unterwegs sein. In ihrer Holzkiste befindet sich das Notwendigste: ihr Zelt, kleine Benzinkanister und Ersatzteile. „Wir wollen so minimalistisch wie möglich reisen“, sagt Julian. Auf ihre beiden Gitarren konnten die Brüder jedoch nicht verzichten. Der Plan ist, sich mit Straßenmusik in den Vereinigten Staaten etwas hinzuzuverdienen. Um die 6000 Euro Reisekosten, die sie bis jetzt ausgegeben haben, ein Stück weit wieder reinzuholen. Das alles wird in Begleitung von einem Kamerateam geschehen, das ihnen in einem Wohnmobil folgen wird. 2019 soll aus dem Filmmaterial ein Kinofilm entstehen.

Tausende Kilometer auf einem Moped-Sattel durch die Hitze der US-amerikanischen Valleys und Wüsten. Ein mutiges Unterfangen. Und das alles in Tracht? „Die Lederhosen fühlen sich ja eher so an wie Jogginghosen“, sagt Julian und klopft auf seine nagelneue Hirschhaut. Fesch herausgeputzt sitzen die Brüder da in ihrer Tracht, der ältere mit wildem Lockenkopf, der jüngere mit braverer Kurzhaarfrisur. Die Ähnlichkeit ist trotzdem unschwer zu erkennen: das gleiche breite, markante Grinsen. Und vor allem die beinahe identische basslagige Stimme mit sympathischem bairischen Dialekt.

Die Idee zu diesem Projekt kam Julian nach seiner Ausbildung zum Drehbuchautor im vergangenen Jahr. Er wollte sich dem Trend der Reisedokumentationen anschließen. Und etwas mit bayerischem Bezug gebe es da noch nicht wirklich, sagt er. Ursprünglich wollte Julian die Strecke mit einem alten Traktor fahren. Doch dann kam Thomas mit seiner Zündapp daher. „Wir haben gleich gesagt: Wenn, dann müssen wir mit irgendwas Langsamem fahren und eine weite Strecke zurücklegen, sonst interessiert es ja keinen“, sagt Julian.
Seit Januar arbeiten die beiden jetzt fast täglich an ihrem Herzensprojekt. Jeder von ihnen bringt unterschiedliches Fachwissen ein, sie ergänzen sich gut. Beide Brüder sind viel im Kreativ- und Filmbereich unterwegs. Julian ist Musikkabarettist und Drehbuchautor und studiert momentan Theaterwissenschaft im Master an der LMU. Thomas hat schon bei einigen Fernsehserien und Kinofilmen mitgespielt, zum Beispiel in den beiden Marcus H. Rosenmüller Filmen „Sommer in Orange“ und „Die Perlmutterfarbe“. Die meisten Probleme in der Vorbereitungsphase hatten sie mit der Sponsoren- und Versicherungssuche. „Da muss man schon auch viele Niederschläge einstecken“, sagt Julian. Aufgeben kam für die beiden trotzdem nie in Frage.

„Wir würden gerne anderen
Leuten zeigen, dass es sich lohnt,
wenn man mal etwas riskiert.“

Der Titel des Projekts „Ausgrissn“ steht für den Ausbruch aus dem kleinen Dorf im Landkreis Erding in die Weltmetropole Las Vegas. Dabei soll, so sagt es zumindest Julian, alles unter dem kritischen Stern der Freiheit stehen: „Amerika nennt sich ja das Land der Freiheit. Aber wie frei fühlt man sich dort wirklich?“ Dadurch ergebe sich eine Reise voller Gegensätze: zwei bayerische Brüder zwischen Heimatliebe und Fernweh, bairischem Dialekt und amerikanischer Sprache, Schnelllebigkeit und Entschleunigung, Bauerndorf und Las Vegas. Wenn man so will, zielen die beiden auf den Kulturschock. Und freuen sich dabei ganz besonders auf Begegnungen mit Menschen und deren Reaktionen. „Das ist ja auch ein wahnsinniges Kommunikationsangebot, das wir zwei in unserem Aufzug hier bilden. Wir sehen ja aus, als kommen wir aus einer anderen Welt“, sagt Julian.

Was die Brüder auch verbindet, ist ihre Leidenschaft fürs Reisen. Beide haben bereits eine Weltreise gemacht. Und dass sie nicht alleine unterwegs sein müssen, sehen sie als großen Gewinn. „Der Vorteil ist, dass wir uns natürlich richtig gut kennen und wissen, wie der andere so tickt. Obwohl das auch nicht immer so war, früher haben wir uns ziemlich oft gestritten“, sagt Thomas und lacht. Julian fügt hinzu: „Wir haben auch ungefähr den gleichen Humor, das ist natürlich für den Film sehr wichtig.“ Diese selbe Humorschiene ist unschwer zu erkennen. Zwei Brüder, die sich gerne mal freundschaftlich auf die Nerven gehen. Und voreinander kein Blatt vor den Mund nehmen.

Ein Stück Fiktion im Dokumentarfilm konnte sich Drehbuchautor Julian nicht verkneifen. Denn der Kinofilm soll einen erfundenen Anfang haben. Dort sieht man die beiden Brüder in ihrer Dorfwirtschaft, kurz bevor sie beschließen, aufzubrechen und loszufahren. Für diese Szene konnten sie die Kabarettistin und Schauspielerin Monika Gruber für eine Gastrolle gewinnen. Die fiktive Vorgeschichte ermögliche es, sagt Julian, im dokumentarischen Charakter des Films dramaturgisch die Spannung zu halten. Die Reise wird jedoch nicht nur filmisch ausgewertet. Da ist der Kinofilm mit fiktiven Elementen. Da ist aber auch der lange Trip selbst, auf dem man den Brüdern auf den sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram folgen kann. Den Brüdern ist klar, dass ihr Reiseprojekt weder Anti-Mainstream noch umweltfreundlich ist. Auch ergibt es keinen tieferen moralischen Sinn. Was macht dann den Reiz dieser Reise-Dokumentation aus? Es sind der Charme und die Situationskomik seiner Hauptdarsteller. Und die aktuell hoch im Trend liegende Mischung aus Aufbruch, Ausriss und Abenteuer.

Apropos Ausriss: Als Gegenpol zu seinen Schauspielengagements hat Thomas eine Ausbildung zum Immobilienkaufmann gemacht und seit vergangenem Jahr in diesem Bereich gearbeitet. Für das Projekt hat er seinen Job gekündigt. Wie es nach der Reise weitergehen soll, ist noch ungewiss. „Wir würden gerne anderen Leuten zeigen, dass es sich lohnt, wenn man mal etwas riskiert“, sagt Thomas. Es sei dieser Ausbruch aus dem Alltag und aus der Komfortzone, den sie verkörpern wollen. „Wir würden mit unserem Film gerne andere Leute dazu motivieren, sich etwas zu trauen, was zunächst total utopisch klingt.“

Fotos: Kahlstain Fotografie