Viele Projekte scheitern schon vor Beginn, weil Menschen mit speziellem Fachwissen im Team fehlten. Nun wollen Lily Pötzsch, 16, und ihr Bruder Niklas, 19, bei der Verwirklichung helfen.
Von Lena Bammert
Schon bald soll ein Oktopus Menschen zusammenbringen. Genauer gesagt soll das ein Oktopus-Emoji auf weißem Hintergrund tun. „Ein Oktopus verbindet, vernetzt mit seinen Greifarmen“, sagt Lily Pötzsch, 16. Neben ihr sitzt ihr Bruder Niklas Pötzsch, 19. Beide haben ihre braunen Haare zu einem lockeren Dutt gebunden. Die beiden Geschwister arbeiten momentan an einer App namens Octo. Sie soll bei der Verwirklichung von zahlreichen Projekten helfen, die bisher vielleicht gescheitert sind, weil vereinzeltes Fachwissen gefehlt hat. Vereinfacht ausgedrückt: Man kannte halt niemanden, der was konnte.
Und genau da soll die App ansetzen. Jeder User muss auf Octo ein Profil anlegen. In diesem Profil werden „Fähigkeiten“, wie Lily und Niklas das nennen, angegeben. Hinzu kommen noch Spezialisierungen sowie die Möglichkeit, verschiedene Anhänge hochzuladen: „Die Anhänge sind dann quasi unsere Qualitätsgarantie“, sagt Niklas. Lily verdeutlicht das an einem Beispiel: „Die Hauptfähigkeit könnte ,Fortgeschritten im Schauspiel‘ heißen, die Spezialisierung ,Film‘ oder ,Theater‘, die Anhänge könnten Videos oder Rezensionen von bisherigen Auftritten sein.“
Auf Octo sollen Fähigkeiten angeboten, aber eben auch gesucht werden können. So soll ein großes Netzwerk an motivierten Menschen entstehen, die sich gegenseitig dabei helfen, ihre Projekte und ja, vielleicht auch ihre Träume zu verwirklichen. Ob die Nutzer für ihre Fähigkeiten Geld verlangen, sollen diese dabei selbst entscheiden dürfen. Die Geschwister haben im Freundeskreis eine Umfrage gemacht, am Ende haben laut Lily und Niklas an die 150 Menschen teilgenommen. Das Ergebnis: 80 Prozent von ihnen würde so eine App benutzen oder haben wollen.
Dass es so eine App braucht, haben die beiden Geschwister vor zwei Jahren selbst gemerkt. Damals haben Niklas und sein Schulkollege Max Kuttkat in ihrem P-Seminar am privaten Lehrinstitut Derksen in Großhadern das Theaterstück „Vielleicht irgendwann“ inszeniert. Von zwölf Schauspielern waren fünf Geflüchtete. Das Stück will „dem Zuschauer die Angst vor dem Unbekannten nehmen“, so ist es auf der Internetseite der Schule zu lesen. Ende März 2018 wurde das Stück auf dem Schultheaterfestival in der Pasinger Fabrik uraufgeführt, die Süddeutsche Zeitung beschrieb das Stück damals als „die authentische Geschichte einer Abschiebung. Das Spiel ist ernst, keine Fiktion,entsprechend berührt war das Publikum.“ Das Theaterstück wurde auf dem Festival dann auch zu einem der besten Stücke der vergangenen zehn Jahre in München gekürt.
Neben dem Erfolg war das aber eben auch eine sehr harte Zeit. Niklas erinnert sich: „Ich hatte die Woche 30 Stunden Probe zusätzlich zur Schulzeit, dann ist man zusätzlich bei anderen Projekten beteiligt, ich habe über die Dauer von einem halben Jahr nie mehr als sechs Stunden Schlaf bekommen.“ Deswegen also Octo, sagt Lily: „Ich glaube, hätten wir die App schon damals bei dem Theaterstück gehabt, hätten wir die Leute, die wir gebraucht haben, einfacher gefunden, hätten viel weniger Stress gehabt. So mussten wir viel selbst, viel last minute machen.“
Viel machen – das ist so eine Art Grundkonzept, nach dem Lily und Niklas zu leben scheinen. Wenn die beiden mit ihren 16 und 19 Jahren sagen, „wir sind schon viele Jahre aktiv“, dann ist das tatsächlich keine Übertreibung. Neben dem Theaterprojekt waren beide als Bezirksschülersprecher tätig. „Sie ist eine bessere als ich“, sagt Niklas und lacht. Auch im Münchner Schüler-Büro war Niklas aktiv, Lily ist es immer noch. Mit dem Büro zusammen plant sie gerade den Besser-Kongress für dieses Jahr. Ob dieser allerdings stattfinden kann, ist bisher noch unklar. Im November kommen bei dem Kongress wie jedes Jahr 250 Jugendliche zusammen, die dort an Workshops, Podiumsdiskussionen und Tutorings teilnehmen.
Und auch hier könnte Lily den Oktopus wieder gebrauchen: „Das Team steht, aber man braucht immer Referenten und Referentinnen oder Leute, die sich mit Technik auskennen“. Damals, bei ihrem ersten Kongress, war Lily noch keine 14 Jahre alt. Eigentlich zu jung, trotzdem wollte sie unbedingt dort hin.
Neben den Planungen für die App steckt auch Niklas schon wieder im nächsten Projekt, er sammelt per GoFundMe Geld für Flüge, die er mit seinem eigenen Geld schon vorgestreckt hat. Die Flüge sind für fünf Menschen aus Venezuela, die er nach Madrid bringen will. Aus Venezuela fliehen derzeit viele Menschen vor Hunger, Inflation und Gewalt, die meisten gehen in die Nachbarländer, nach Kolumbien und Brasilien, sehr viele zieht es aber auch in die EU, nach Spanien. Trotz der ganzen freiwilligen Projekte bezeichnet sich Niklas als fauler Mensch: „Ich glaube für mich persönlich sogar, dass ich gar nicht so viel arbeite. Nur für die Dinge, die mir Spaß machen, die mir wichtig sind, mache ich viel. Das kann Lily bestimmt genauso unterschreiben. Wir haben eben beide auch Eltern, die außerhalb ihrer Arbeit wahnsinnig viel tun, damit sind wir aufgewachsen.“
Teilweise werden die Eltern dann auch zu Mediatoren am Küchentisch, so ist das eben, wenn man nicht nur zusammen lebt sondern auch zusammen arbeitet: „Ich hatte teilweise auch schon Punkte, an denen ich gesagt habe, ich habe keinen Bock mehr, ich habe das Gefühl, alles alleine zu machen. Der Großteil macht aber wirklich Spaß, die gemeinsamen Projekte verbinden total“, sagt Lily und schaut ihren Bruder an. Der lächelt zurück und sagt: „Wir haben teilweise 18 Stunden am Tag miteinander verbracht. Ich habe zu Lily gesagt: ‚Bitte lass das von Anfang an sagen, Geschwisterprobleme haben nichts mit der Arbeit zu tun‘.“
Die Quarantäne-Zeit wollen die beiden dafür nutzen, so viel wie möglich zu schaffen. Gerade suchen die Geschwister noch nach einem Programmierer für die App, das Geld dafür legen sie erst einmal selbst aus, sie hoffen es im Anschluss durch Sponsoren wieder zurückzubekommen. Ende des Jahres soll Octo dann verfügbar sein.
Unter den ganzen Nebenprojekten hat damals auch die Schule gelitten, Niklas hat sein Abi zwar geschafft, aber mit mehr Glück als Verstand, wie er sagt. Den mit 1000 Euro dotierten sozialen Schulpreis seiner Schule hat er dann trotzdem bekommen. „Das war die am stärksten berührende Erfahrung während der Schulzeit, weil mir die Schule damit das Gefühl gegeben hat, dass Schule allein eben nicht alles ist.“