Caro Putz, 20, fotografiert, malt und bastelt Collagen. Mit ihrer Kunst zeigt sie ein anderes München: Schmutzig, rebellisch, jung. Eine Frage beschäftigt sie dabei schon lange: Was für eine Farbe hat eigentlich der Moment vor dem ersten Kuss?
Zehn bunte Spraydosen liegen auf dem Boden. Daneben ein Cap von den Chicago-Bulls, Kopfhörer. Ein junger Mann in Boxershorts sprüht ein Graffito auf eine Wand. Auf seinen Rücken hat jemand mit schwarzer Farbe ein lachendes Gesicht gemalt. Ein analoges Foto ist das, eine Momentaufnahme, die so wirkt, als sei sie in den Neunzigerjahren entstanden. Ist sie aber nicht. Im Sommer 2019 schoss Caro Putz, 20, dieses Bild, als sie gerade angefangen hatte, ihre analoge Kamera ab und zu mal mitzunehmen. Einige dieser Sommer-Fotos hat Caro auf ihrem Instagram-Profil „bonnycochino“ veröffentlicht.
„Manchmal schreiben mir Menschen aus dem Ausland, die sagen, dass sie meine Fotos toll finden und mich fragen, ob das in Berlin sei“, sagt Caro. Ist aber München. Caros Fotos zeigen eine Jugendkultur, die nicht so richtig in das Klischee der verwöhnten Münchner Kids passt. Auf ihren Fotos sprühen sie Graffiti an Wände, tragen Sneaker und Tattoos. Sie rauchen auf den Fotos, drehen Joints, essen Fastfood. Dann sieht man wieder eintönige, traurige Plattenbauten. Eher trashige Großstadt als schmucke Münchner Altbauten. „Ich will eine andere Seite von München zeigen“, sagt die 20-Jährige. Eine Seite, die ein Stück Subkultur zeigt. Sie macht das ganz bewusst. Denn München sei eben nicht nur schick, schön und schnöselig.
Für diese Seite von München bewegt Caro sich weg. Weg von den Touristenattraktionen. Und ganz nah ran – an ihre eigene Umgebung. Ihre Freunde. „Ich dokumentiere eine Jugend, die kompromisslos ist“, sagt sie, „die nicht um Erlaubnis fragt, die vielleicht auch mal kleinkriminell ist. Es sind Aufnahmen von einer Zeit, die es genauso irgendwann nicht mehr geben wird, weil sie vorbei geht.“
Dabei geht es vielleicht gar nicht so sehr um das, was die Personen auf Caros Fotografien machen, sondern vielmehr um das Lebensgefühl, das Caro einfängt, und zwar mit dem Blick einer jungen Frau, die dieses Gefühl selbst gerade lebt. „Eigentlich hat man keinen Bock, so richtig erwachsen zu werden. Man will frei sein. Am Ende wird man dann doch erwachsen. Unsere Eltern waren ja in ihrer Jugend auch mal wild und haben rebellische Dinge getan“, sagt sie.
Eine rebellische Jugend – das passt auch zu dem Namen, den sich Caro Putz auf Instagram gibt: bonnycochino. Bonny, in Anlehnung an „Bonnie und Clyde“, das amerikanische Verbrecherduo. „Cochino“ kommt aus dem Spanischen und bedeutet auf Deutsch so viel wie Schwein oder Schmierfink.
Caro ist aber nicht nur rebellisch. Sie ist auch zielstrebig. Denn Caro – hellbraune lange Haare, zierliche Figur, eingehüllt in einen weiten grauen Kapuzenpulli – hat noch eine andere künstlerische Seite: Sie malt. Am liebsten mit Acrylfarben auf Leinwände. Und auch das teilt sie auf Social Media. Zweiter Account: „bonnytheartist“, Bonny, die Künstlerin. Ihr Ziel: Sie möchte sich an der Kunstakademie in München bewerben. Die Gestaltungsfachoberschule abgeschlossen hat sie bereits, und jetzt arbeitet sie an ihrer Bewerbungsmappe.
„Am liebsten male ich nachts“, sagt sie. In ihrem Zimmer steht eine Staffelei, hier tobt sie sich mit Farben aus, probiert Neues. Ihre Malereien zeigen eine weniger rebellische Seite als ihre Fotografien. Dafür aber viel Gefühl. Bonnytheartist ist romantischer als bonnycochino.
Eine ihre Arbeiten trägt den Titel „Der Moment vor dem Kuss“. Zwei Menschen, die sich gleich küssen werden? Nicht ganz. Die Malerei ist abstrakt. „Ich habe versucht, das Gefühl vor dem ersten Kuss mit Farben auszudrücken“, sagt Caro. Sie habe versucht alles, was sie über Formen und Farben weiß, in den Hintergrund zu stellen und nur dieses Gefühl des Moments davor auf sich wirken zu lassen. Ein Gefühl, das sich schon schwer in Worte fassen lässt. Wie übersetzt man es dann in Farben?
Für Caro ist das ein Mix aus sonnenblumengelb, dunkelblau, rot, etwas grün und einem hellen Violett. Acrylfarben und Pastellkreide hat sie dafür verwendet. „Die blauen Punkte sind mein Herzschlag. Das Pochen. Und die zwei blauen Striche, das sind die Ausschläge, das Nachwirken des Herzschlags, wenn der Moment davor schon fast wieder vorbei ist“, sagt sie. Die warmen Farben symbolisieren das aufsteigende, wohlige Gefühl, das den Körper während des Küssens durchströmt. Neben den Malereien fertigt Caro auch Collagen an. Zu sehen sind oft Natur und nackte Frauen. Die nackten Frauen hat Caro aus alten Playboy-Heften ausgeschnitten und dann mit Naturlandschaften kombiniert. Auf Instagram sind die Brustwarzen dieser Frauen verpixelt. „Für Instagram ist weibliche Nacktheit etwas Schlechtes und Verbotenes. Ich möchte den weiblichen Körper aber trotzdem nackt zeigen.“
Caro steht noch am Anfang ihrer Kunstkarriere. Zur Vorbereitung für die Bewerbung an der Kunstakademie nimmt sie bereits Kontakt zu Professoren auf, fragt, ob sie Klassenbesprechungen besuchen kann. Viele Studierende an der Akademie sind weit über 20. „Die Leute dort sind alle so gut, dass ich schon manchmal zweifle. Aber das Schlimmste ist, sich mit anderen zu vergleichen.“ Und eines hat sie für sich erkannt: „Kunst ist etwas, das für jeden zugänglich sein sollte. In München braucht es mehr Raum für öffentliche Kunst.“ Caro zeigt ihre Arbeiten bisher bei kleineren Ausstellungen, wie zum Beispiel Anfang Januar, bei einem Event des Kollektivs Free Mind Monaco. Und natürlich auch im Internet.
Es ist spät am Abend. Caro lädt auf ihrem Profil bonnytheartist ein Video hoch: Aus feinen Strichen entsteht ein Gesicht, Nase, Mund, große Augen. Der Zeitraffer beschleunigt ihre Handbewegungen. Hundertvierzehn Personen sehen das Video an. „Charismatic“, kommentiert jemand.
Ornella Cosenza