Joscha Baltha, 21, zeigt einen Film in der Ludwigskirche.
Von Anastasia Trenkler
Den Münchner Studenten fällt sie gar nicht mehr auf. Routiniert laufen sie an der Sankt-Ludwig-Kirche vorbei, wenn sie sich morgens in Vorlesungssäle schleppen. Nur wenige haben das Gebäude jemals von innen gesehen. Dabei ist dort eine wahre Sensation versteckt. Das Chorfresko der Ludwigskirche ist das zweitgrößte weltweit. „Es werden vornehmlich Heilige dargestellt. Diese Bildform war der Ausgangspunkt für meine Arbeit“, erklärt Joscha Baltha. Der 21-Jährige arbeitet seit März an einer Filmproduktion für Sankt Ludwig. Dort soll bei der Langen Nacht der Münchner Museen am 20. Oktober sein Film gezeigt werden.
Thematisiert werden Ikonen. „Es gibt unterschiedliche Verwendungen für diesen Begriff“, sagt Joscha. „Einerseits ist eine Ikone meist eine Darstellung eines Heiligen, wie man sie vielleicht aus der orthodoxen Kirche kennt. Andererseits sind Ikonen Menschen, die einen bestimmten Prominenzstatus haben.“ In seiner Arbeit beschäftigt er sich mit solchen Persönlichkeiten. Mit Kirche oder Glauben hat das nichts zu tun. Joscha interessiert sich für Eigenschaften solcher „popkulturellen“ Ikonen. „Ich habe mich gefragt, warum ich manche Menschen auf ein hohes Podest stelle. Komisch, da dies eigentlich einem aufgeklärten Weltbild widerspricht“, sagt er. „Man assoziiert diese Leute mit bestimmten Ideen oder Vorstellungen, obwohl man sie gar nicht persönlich kennt. Dabei handelt es sich oft nur um reine Projektion.“
Anders als andere Menschen in seinem Alter faszinieren ihn weder Instagram-Berühmtheiten noch Fußballprofis. Joscha interessiert sich mehr für Kunstgeschichte und den Zeitgeist des späten 20. Jahrhunderts. Für die Besetzung des Ikonen-Films konnte er die 68er-Idole Rainer Langhans und Gisela Getty gewinnen. Auch der ehemalige Oberstaatsanwalt Dietrich Kuhlbrodt spielt eine wichtige Rolle in Joschas Arbeit.
Zusätzlich zum Film
wird in den Seitenschiffen
eine Installation gezeigt
Er hört gerne zu, wenn solche Menschen aus dem Leben der Sechziger-, Siebziger- und Achtziger-Jahre erzählen. Damals sei München noch ganz anders gewesen. Schwabing und auch das Gärtnerplatzviertel sollen sich seitdem stark verändert haben. „Ich fühle eine Nostalgie für eine Zeit, die ich selbst gar nicht miterlebt habe“, sagt der 21-Jährige. So wie er sich kleidet, könnte man meinen, Joscha sei ein echter Avantgardist. Hemd statt Print-Shirt, langer Mantel anstelle der sportlichen Kapuzenjacke. „Meiner eigenen Generation fehlt ein gemeinsamer Zeitgeist“, sagt Joscha. „Wir haben so was nicht mehr wirklich. Manchmal denke ich, dass ich im falschen Jahrzehnt lebe“, sagt der junge Mann und muss lachen.
Zusätzlich zur Filmvorführung soll eine Installation gezeigt werden. Der Braunschweiger Malereistudent Tim Schmid plant, an beiden Seitenschiffen der Kirche bemalte Stretchfolien anzubringen. „Meine Arbeit ist ähnlich wie die von Joscha von der Idee einer Projektion inspiriert“, erklärt der 22-Jährige. „Dabei spielt allein schon das transparente Material, mit dem ich arbeite, eine wichtige Rolle.“ Er und Joscha haben sich beide von den Bildern im Inneren der Kirche inspirieren lassen. „Der Raum hat eine gewisse Schwere, im besten Sinne“, erklärt Joscha. „Wir mussten erst eine Distanz herstellen, um dann mit unseren Ideen eingreifen zu können.“
Er freut sich darüber, neben der
Schauspielerei auch die Freiheit
für andere Projekte zu haben
Die beiden Studenten kennen sich seit der Schulzeit in Regensburg. Schon damals träumte Joscha davon, Schauspieler zu werden. Nach dem Abitur kam er für ein Vorsprechen an der Otto-Falckenberg-Schule nach München. Mittlerweile studiert er im dritten Jahr an der renommierten Schauspielschule. Die Sache mit der Filmproduktion mache er nebenbei, so lange er die Möglichkeit habe, sagt Joscha. Das Projekt für Sankt Ludwig ist sein zweiter Experimentalfilm. 2016 erschien „Temporär Esprit“, eine Produktion, die er noch als Schüler umsetzte. „Viele Leute, die bei meiner aktuellen Arbeit mitwirken, kenne ich noch von ‚Temporär Esprit’“, erzählt er. „Tim hat mitgewirkt. Auch Dietrich Kuhlbrodt war bei dem Film dabei. Seitdem sind wir befreundet, der Altersunterschied spielt dabei keine große Rolle.“
Wenn Joscha Menschen interessant findet, dann geht er auf sie zu und versucht, sie kennen zu lernen. Manche finden, das zeuge von enormem Selbstbewusstsein. Joscha findet sein Vorgehen logisch. „Ich will ja wissen, ob das Bild, das ich von einer Person habe, mit der Realität übereinstimmt“, sagt der Student. So sei die Zusammenarbeit mit Rainer Langhans, Gisela Getty und Dietrich Kuhlbrodt entstanden. In dem Ikonen-Film gehe es aber nicht primär um deren Persönlichkeit. „Es gibt eine kleine Narration, die mit Facetten und Bildern der Ikonen-Thematik gefüttert ist“, erklärt Joscha. „Der Film ist aber weder eine reine Erzählung, noch handelt es sich um eine Dokumentation – vielmehr ist es eine assoziative Szenenfolge, ein Experimentalfilm.“ Die Spiellänge beträgt in etwa eine halbe Stunde.
Für das Konzept, die Texte und den Schnitt war der Student selbst zuständig. Als Regisseur möchte er sich allerdings nicht bezeichnen. Seine Arbeit sei weniger anweisend, sondern vielmehr wie die eines Kurators. Es mache ihm Spaß, neben der Schauspielerei die Freiheit zu haben, auch andere Projekte umzusetzen, sagt der 21-Jährige. Dabei lerne man auch tolle Menschen kennen. Trotz seiner Begeisterung für Ikonen sieht er in ihnen weder Vorbilder noch himmelt er sie an. „Es sind nicht die Menschen selbst, die sich diesen Statusstempel aufdrücken“, sagt Joscha Baltha. „Der Zeitgeist, das Umfeld und die mediale Darstellung machen sie zu dem, was sie sind.“
Foto: Catherina Hess