Zwischen Poesie und Aggression

Battlerap – das ist, wenn zwei Menschen versuchen, sich im Sprechgesang mit Beleidigungen zu übertrumpfen. Der 23-jährige Henri Sarafov will sich in der Szene behaupten. Sein Markenzeichen: harmlos wirken.

Von Viktor Schacherl

Ein Battlerapper ist ein tätowierter Muskelprotz, der seine Hosen in den Kniekehlen trägt, sich mit schweren Ketten schmückt und verrückte Muster in seinen Militärschnitt rasiert hat. Jemand, der schreiend die Familienmitglieder – bevorzugt die Mutter – seines Gegners beleidigt, homophob und frauenfeindlich ist. So zumindest lautet das Klischee.

Dass dieses Klischee aber nicht immer der Wahrheit entspricht, beweist Henri Sarafov. Optisch entspricht er dem absoluten Gegenteil: schlichte Kurzhaarfrisur, die Hose auf Hüfthöhe. Keine Tattoos, keine Klunker. Dafür meistens ein sympathisches Lächeln um den Mund, dem wohl niemand auf den ersten Blick zutrauen würde, dass ihm zu irgendeinem Zeitpunkt Beleidigungen entgleiten könnten. Vom Typ her also eher der nette Junge von nebenan.

„Ich verstehe schon, woher dieses Klischee kommt“, sagt der 23-Jährige und stellt klar, dass es durchaus Leute in der Szene gibt, die genau diesem Bild entsprechen. Optisch wie inhaltlich. Aber nicht die Optik, sondern die Texte sind entscheidend. Für Henri hat Kreativität oberste Priorität. Er will Themen ansprechen, die davor noch nie angesprochen wurden. Das Gleiche erwartet er auch von seinen Gegnern. „Die, die nur die Mutter des Gegenübers beleidigen, kommen in der Regel auch nicht sonderlich weit.“

Seit drei Jahren rappt Henri unter dem Künstlernamen Henrey für die Plattform „Don’t Let The Label Label You“. Im Gegensatz zu anderen Ligen wird hier immer ohne musikalische Unterstützung gerappt. Zwei Rapper haben in einem Match jeweils drei Runden die Chance, ihr Gegenüber ins Lächerliche zu ziehen. Dass dadurch die Texte im Vordergrund stehen, ergibt einen klaren Widerspruch zu dem fast anti-intellektuellen Image der Szene. Dabei die Balance zwischen Poesie und Aggression zu halten, ist schwer. Henri scheint das allerdings mit Leichtigkeit zu gelingen.

Monatelang wird recherchiert,
welche Angriffsflächen
der Kontrahent bietet

Die Arbeit, die in die Vorbereitung eines solchen verbalen Kampfes fließt, wird oft unterschätzt. Circa zwei bis drei Monate haben die Rapper Zeit, sich auf ein Battle vorzubereiten. In dieser Zeit wird in akribischer Recherchearbeit versucht, alles über seinen Kontrahenten herauszufinden, um diese Informationen anschließend in möglichst geschickte Reime zu verpacken. Während dieses Prozesses schreibt Henri gut 700 Zeilen, von denen er knapp 220 für das Duell auswendig lernt und verwendet. Und dann geht es noch um die Inszenierung beim Vortragen der Zeilen – oder wie es in der Szene genannt wird: die „Delivery“.

Eine gewisse Aggressivität wird von allen erwartet. Henri kommt dabei sein für die Szene untypisches Erscheinungsbild auch zugute. Denn: Er wird oft unterschätzt und hat einen Überraschungseffekt auf seiner Seite. Und der Inhalt?

Zu Beginn seiner Laufbahn hat Henri gerne Nerd-Themen wie Harry Potter oder Star Wars in seinen Texten untergebracht, was schon fast sein Markenzeichen wurde. Trotz aller Vorbereitung kommt nicht jeder Einfall beim Publikum an. So verfasste Henri zum Beispiel einmal ein über mehrere Zeilen gehendes Wortspielkomplex – auch „Scheme“ genannt – zu griechischer Mythologie, und das Publikum schien davon eher weniger begeistert zu sein. Aus solchen Situationen lernt Henri aber auch: „Das ‚Scheme‘ muss zum Gegner passen und das war damals nicht der Fall.“

Einmal hatte er einen Gegner, der sich „Syziphos“ nannte. Da schleuderte ihm Henri entgegen: „Mit Allem, was du machst, scheiterst du, aber damit hast du ja deinem Namen Ehre gemacht! Denn bringt Syziphos mal was ins Rollen, dann geht’s am Ende bergab!“

Die Gratwanderung bei der Wortwahl gehört zum Spiel dazu. Selbst ihm sind in der Vergangenheit Wörter wie „Hurensohn“ oder „Homo“ rausgerutscht. „Die Situation, als ich das Wort Homo verwendet habe, war nur aus Reimzwecken. Da bin ich gegen den Rapper Bauder angetreten und habe ,Homo von Bauder’ auf ,Flora nach Fauna’ gereimt. Im Battlerap werden ganz viele Worte nur für den Reim benutzt“, stellt Henri klar. Heute baut er derartige Wörter nicht mehr in seine Texte ein. Bei dieser Entscheidung hat ihm sein Studium geholfen: „Durch mein Soziologiestudium hat sich auch mein Verständnis für den Sprachgebrauch sehr verändert, und ich weiß, dass Begriffe andere Leute, Unbeteiligte, verletzen können, die ich vielleicht gar nicht mit einbeziehen möchte.“ Battlerap ist eine Show, ein Schauspiel. Die Künstler wollen den Zuschauern etwas bieten. Es geht unter anderem auch darum, Leute, die live im Publikum stehen, mit dem späteren Video im Internet ein weiteres Mal unterhalten zu können.

Viele Zeilen machen auf drei verschiedenen Ebenen Sinn. Jede davon beim ersten Hören zu erkennen, ist schwierig. Durch diesen Anspruch ist Henri aber noch mehr gedrillt, bessere Reime und bessere Wortspiele aus dem Hut zu zaubern.

Durch den Wettbewerbscharakter des Battlerap liegt ein Vergleich mit der Poetry Slam-Szene nah. Es gibt auch Überschneidungen, also Künstler, die sich in beiden Formen versuchen. Diese werden beim Battlerap oft belächelt und das intellektuelle Image der Slam-Poeten wird auf den Arm genommen. Dass aber tatsächlich jemand etwas an der anderen Szene auszusetzen hat, bezweifelt Henri. Es gehe lediglich darum, alles, was man über seinen Gegner herausfinden kann, gegen ihn zu verwenden. Ein Poetry-Slammer wird beim Battlerap auch deshalb verbal angegangen, insgeheim wird die andere Disziplin jedoch von allen sehr respektiert.

In Russland wird über Battleraps
in den Nachrichten teilweise
berichtet wie über Boxkämpfe

Bei den herablassenden Begriffen, die in den Duellen gerne fallen, könnte man glauben, dass die Szene intolerant gegenüber Homosexuellen oder Frauen ist. In Wahrheit ist das Henri zufolge aber ganz anders: „Viele engagieren sich für die Rechte von Frauen und Homosexuellen, aber sagen dann in einem Battle etwas Homophobes. Die Wenigsten haben tatsächlich etwas gegen Schwule. Die Szene ist sehr offen.“ Nichtsdestotrotz gibt es nur wenige Frauen, die in der Liga rappen. Auch offen Homosexuelle gibt es aktuell keine. Letztendlich könnte es ähnlich wie im Profifußball sein, wo Toleranz stets betont wird, sich aber dennoch niemand zu seiner aktiven Zeit outen will. Im Battlerap würde das auch – trotz aller Toleranz und gespielter Intoleranz – sicher in den Reimen auf den Gegner verwendet werden, was vielleicht für den ein oder anderen ein guter Grund ist, sich nicht zu bekennen.

Henri hat eine klare Vision, wie es in der Zukunft mit dem Battlerap in Deutschland weitergehen soll. Mit leuchtenden Augen erzählt er von der Szene in den USA oder in Russland, wo die Rapper zum Teil von ihrer Kunst leben können. In Russland werden Battleraps in den Nachrichten teilweise behandelt wie hierzulande ein großer Boxkampf. Etwa der zwischen Floyd Mayweather und Conor McGregor. In Deutschland ist man aber auf einem guten Weg: Die mediale Aufmerksamkeit steigt genauso wie die Gage. Der nächste Schritt wäre für Henri, dass etablierte Mainstream-Rapper sich auch auf der kleineren Bühne des Battleraps beweisen. „Und irgendwann rappen wir alle genderneutral“, scherzt Henri zum Schluss. Aktuell ist der Battlerap in Deutschland durchaus schon eine beachtliche Kunstform.

Nicht jeder Battlerapper ist dieser intolerante Muskelprotz, den einem das Klischee vorgibt. „So sehe ich nicht aus, so bin ich nicht“, sagt der schmale Henri. Es geht eben um knackige Worte, nicht um ein knackiges Workout.

Fotos: Simon Kerber, Jrm.Bln