In der Mode ist Upcycling gerade angesagt. Die Studentinnen Leila Herrmann und Hannah Ernst haben es zu einem Geschäftsmodell gemacht: Sie kaufen alte Kleidungsstücke, nähen sie um und verkaufen sie weiter
Leila Herrmann, 22, schlendert an der Fassade der Alten Pinakothek entlang. Sie trägt ein Split-Hemd, also ein Hemd, das aus zwei Hemden zusammengenäht worden ist, und darunter einen hellen Rollkragenpullover. Sie lässt ihre Arme mitschwingen, professionell wie ein Model auf dem Laufsteg. Ein bisschen wie eine Modenschau ist das auch, denn ein paar Meter weiter steht Leilas Geschäftspartnerin und Freundin Hannah Ernst, die Kamera in der Hand. „Noch straighter bitte“, ruft sie ihr zu. Leila wechselt die Pose, Hannah wechselt die Perspektive – und drückt auf den Auslöser. Dann besprechen sich die beiden. Sofort ist klar, was für Bilder noch fehlen. Neue Pose: Leila dreht sich leicht. Arme in die Hüften, Blick über die Schulter. Dann wechseln die beiden. Hannah modelt, Leila fotografiert.
Die beiden sind ein eingespieltes Team, vor ungefähr einem Jahr haben sie ein Upcycling-Label gegründet. Sie nennen es „The Renewery“ und das Konzept funktioniert so: Hannah und Leila kaufen Kleidungsstücke in Second-Hand-Läden und auf Flohmärkten, nähen sie um und verkaufen sie über Instagram weiter. Jedes umgenähte Kleidungsstück ist ein Unikat. „Manchmal ist der Schnitt einfach zu altmodisch“, sagt Leila. Aber oft bedarf es nur weniger Änderungen, um aus einem alten Kleidungsstück, das man so vielleicht nicht mehr angezogen hätte, ein angesagtes zu machen, das sich für 40 bis 60 Euro verkaufen lässt – so die Erfahrung der beiden. Diese Erfahrung deckt sich mit dem aktuellen Trend, der von Fast-Fashion zu Upcycling, Zero Waste und fairer Mode geht.
Beim Upcycling werden bereits produzierte Stoffe weiterverarbeitet. Zum Einsatz kommen beispielsweise Verschnitte aus Produktionsstätten, Großsegel oder Lkw-Planen. „The Renewery“ geht einen etwas anderen Weg – neue Mode wird aus alter Mode gemacht. Darunter auch Teile von Luxus-Labels wie Burberry oder Cerruti 1881, die im Original mehrere Hundert Euro kosten. Bei Leila und Hannah immerhin auch noch 159 Euro.
Die beiden geben sich professionell. Vor allem Hannah, 21, verwendet Wörter wie „Kundenkontakt“, „Designprozess“ und „Trendrecherche“. Sie sucht nicht lange nach Worten bevor sie spricht – jeder Satz sitzt. Fast könnte man meinen, ein Mode-Label zu führen sei für sie das Natürlichste der Welt. Kennengelernt haben sich die zwei jungen Frauen zu Beginn ihres ersten Semesters im Herbst 2017 in München. Sie studieren beide Kommunikationswissenschaft und schon recht bald gingen sie gemeinsam shoppen, stöberten durch Vintage-Läden auf der Suche nach Kleidungsstücken, die anders aussahen als das, was sonst massenweise in den Läden hängt. „Wir dachten uns: Ja gut, da kann man schon noch was daraus machen“, erinnert sich Leila, gerade bei Stücken, die sie im Originalzustand so nicht mehr angezogen hätte. Schon damals nähten Leila und Hannah für sich selbst Kleidungsstücke um.
Für beide hatte Mode schon früh eine Rolle gespielt. Leila schlüpfte als Mädchen oft in die Schuhe ihrer Mutter und sah sich ihre Handtaschen genau an. Hannahs Mutter wiederum arbeitete 25 Jahre lang bei der Modezeitschrift Elle. „Als kleines Kind war ich oft mit ihr in der Redaktion. Aus den Zeitschriften habe ich Bilder ausgeschnitten, Collagen gemacht und die an meinen Schrank geklebt“, sagt Hannah.
Bei einer ihrer Einkaufstouren Ende April 2019 kam ihnen dann die Upcycling-Geschäftsidee, und die ging nicht mehr weg. Gleich am nächsten Tag zogen sie durch Münchens Vintage- und Second-Hand-Läden für ein Projekt, das es zu dem Zeitpunkt erst in ihren Köpfen gab. Und dann ging alles ganz schnell: Gewerbeanmeldung, Eintrag ins Handelsregister und statt einer Homepage natürlich einen Instagram-Account. „Das war schon teilweise überfordernd“, sagt Hannah. „Es kommen so viele Schritte auf einen zu, mit denen man gar nicht rechnet. Und dann kommt noch ständig Post vom Finanzamt und der IHK.“
Doch Leila und Hannah verstehen sich so gut, dass die Überforderung niemals zu Streit führt. Hannah sagt: „Ich habe noch nie eine Person getroffen, mit der ich mir einiger bin. Das ist natürlich für unsere Sache sehr praktisch.“ Nicht nur für die operative Umsetzung, sondern auch die kreative: „Wenn wir ein Kleidungsstück im Laden sehen, haben wir beide sofort eine Idee, was wir mit dem Teil machen werden.“
Beispielsweise das erste Oberteil, das „The Renewery“ verkauft hat: Eine grüne Bluse. „Die sah so seltsam aus. Wahrscheinlich aus den Siebzigerjahren. Sie hatte einen breiten Kragen, ähnlich einem Matrosen-Kragen“, sagt Hannah. Den trennten sie heraus, entfernten außerdem die Schößchen, und so bekam die Bluse einen V-Ausschnitt und eine Knopfleiste. „Das hat so viel ausgemacht, das war heftig“, sagt Hannah. Die Bluse konnten die beiden auch verkaufen, obwohl eine Bluse mit V-Ausschnitt und Knopfleiste nicht sonderlich außergewöhnlich ist. Auch auf dem Instagram-Account entdeckt man Stücke, die nicht unbedingt origineller als die Originale wirken – einen weißen Pulli, der in der Taille abgeschnitten wurde, zum Beispiel. Es kommt also auf gutes Marketing an.
Im Oktober 2019 war das Label bereits auf der „Greenstyle“ vertreten, einer Messe für nachhaltige Mode in München. Mittlerweile stammen die Kunden auch aus Dänemark, Portugal oder der Kanalinsel Jersey.
Für die Fotos der ersten Kollektion fuhren Hannah und Leila in die Toskana. Bis drei Uhr nachts haben sie an einem cremefarbenen Kleid genäht, das eine neue Raffung aus zehn Meter langen Schnüren bekam. „Wir waren kurz vor dem Nervenzusammenbruch“, sagt Hannah. Es war das erste Mal, dass sie ein Kleidungsstück derart veränderten. Als sie es schließlich verkauften, fiel es fast schwer, loszulassen.
Immer wieder kommt es aber vor, dass die Ware die beiden nicht ganz verlässt. In jedes Paket kommt eine handgeschriebene Notiz und getrocknete Blumen. Viele Kunden verlinken und bewerben das Label dann auf ihren Instagram-Fotos. Auch das hilft dem Marketing, denn so viele Follower hat das Label noch nicht, knapp 1000. Auf den verlinkten Fotos stylen die Kunden dann manchmal die umgestylten Kleidungsstücke selbst noch einmal um. Es geht schließlich immer noch ein bisschen hipper.
Katharina Horban