Am 19. Oktober lädt die Stadt München ins Rathaus zur „18.jetzt“ Party für alle, die in diesem Jahr volljährig wurden. Anlass genug, einen Blick zurück zu werfen: Wie blicken unsere Autorinnen und Autoren heute auf ihr 18-jähriges Ich?
Von Max Fluder
Ich bin wieder da, stehe direkt vor ihm. Früher habe ich meine Flasche gegen ihn geworfen, im Winter Schneebälle. Das wohl Naheliegendste habe ich nie gemacht: den Kletterfelsen auf meinem früheren Pausenhof bestiegen. Ich wollte nicht. Ich hatte Angst. Vor der Höhe. Davor, dass ich falle. Vor noch Schlimmeren. Meine Freunde sind alle oben gewesen. Die meisten von ihnen gingen auch auf Partys, manche kotzten in Pools.
Feiern ist nicht meins. Das dachte ich auch noch, als ich in der Nacht vor meinem Geburtstag auf den Spielplatz ging. Es war eine warme Nacht, obwohl der Herbst schon begonnen hatte. Ich hatte nichts bei mir außer zwei Wunderkerzen und einem Feuerzeug. Ein Licht für die Vergangenheit wollte ich hier verstreichen lassen. Und ein weiteres Licht, das mir Hoffnung macht für die Zukunft.
Am 1. Oktober, zwei Tage nach meinem 18. Geburtstag – es regnete in Hamburg – zog ich um. Nach München, ohne Hilfe, aber dafür mit Rad im Gepäck. Zwei Erinnerungen hatte ich damals an die Stadt an der Isar: Ein Trockeneis-Experiment im Deutschen Museum. Ich war 10. Und eine flüchtige Bekanntschaft, die ich beim Einschreiben an der Uni machte. Meine Kindheit – Zeichnungen, Stofftiere, Spielzeug – hatte ich schon in der Woche vor meinem Geburtstag weggeheftet, verstaut und wahlweise auch weggeschmissen. Ich dachte nach. Über verpasste Chancen. Über meinen Terrier. Über Freunde, die ich zurücklasse. Über den Kletterfelsen an meinem ehemaligen Gymnasium. Bis es mir alles zu viel war und ich abschaltete.
Hier ist vielleicht der Punkt erreicht, um kurz zu pausieren: Ich hatte durch Ersparnisse einen guten Start in München. Ich hätte mich meines Lebens freuen sollen. Ich konnte es damals nur nicht. Ich war lange in Therapie, ich war stabil. Zuversicht zu fassen fiel mir immer noch schwer. Mut – den haben mir immer andere gemacht. Den hatte ich nicht.
Die ersten Tage in München. Uni, Meldeamt, Stadt, Einsamkeit. Ein Wort: einschüchternd. Es sollte besser werden. Nach einer trockenen Erstsemesterveranstaltung: Auf zwei Kommilitoninnen zuzugehen, sie anzusprechen – das war der erste neue Kontakt. Eine Online-Annonce: Beim Studierenden-Magazin suchen sie Leute. Ich dachte, ich bräuchte Glück, um in Frage zu kommen. Dass ich das beides gemacht habe, lässt mich immer noch aufschrecken. Die ersten Hürden sind die schwersten.
Mein Abi hatte ich mit 17, an meinem 18. Geburtstag trauerte ich meiner Schulzeit hinterher. Ich dachte, dass Studium könnte nie so schön werden. Es wurde besser. Die Bekanntschaft, die ich beim Einschreiben machte – wir waren letztens zusammen Essen und am Tag darauf bei Ikea. Wir sind Freunde. Ich nehme U-Bahnen um sechs Uhr in der Früh – vom Feiern nach Hause. Und im September, einen Tag vor meinem Geburtstag, meinem 19., bin ich Freunde in Hamburg besuchen. Wir kommen an meiner alten Schule vorbei. Den Kletterfelsen erklimme ich.