Nadja Ellinger, 27, studiert Fotografie im Master am Royal College of Art in London – eine weltweit renommierte Kunsthochschule. Ob und wie die Abschlussausstellung des RCA im Sommer stattfinden wird, ist unklar. Die Studierenden wollen keine virtuelle Ausstellung. Kurz vor dem Lockdown in London ist Nadja zurück nach München geflogen und ist nun in freiwilliger Quarantäne bei ihren Eltern. In dieser Zeit hat sie ein Foto-Projekt mit einem ehemaligen Kommilitonen gestartet. Am Telefon erzählt sie, dass sie Fotografie als Sprache versteht, die Türen zu weiteren, wenn auch nur imaginären, Räumen eröffnen kann.
SZ: Kurz vor dem Lockdown in London bist du zurück nach München geflogen. Wie war die Lage an der Uni?
Nadja Ellinger: An der Uni gab es zwei Corona-Fälle. Anfangs war die Lage in Großbritannien ja noch sehr anders. Die Ausgangssperre kam später als in Deutschland. Nachdem das öffentliche Leben heruntergefahren wurde, habe ich einen der letzten Flüge nach München bekommen.
Warum bist du zurück gekommen?
Auch, weil ich dem englischen Gesundheitssystem nicht so ganz traue. Es ist schon seltsam, weil ich viele Sachen in meinem WG-Zimmer in London habe und nicht genau weiß, wann es wieder möglich sein wird, dorthin zu fliegen, weiterzumachen, meine Mitbewohner wieder zu sehen. Jetzt bin ich in München in freiwilliger Quarantäne bei meinen Eltern.
Auch jetzt fotografierst du. Mit deinem ehemaligen Kommilitonen Nikolai Marcinowski, der in Berlin ist, hast du das Foto-Projekt „Isolation Conversation“ / „The space between“ gestartet. Wie kann man ohne Worte miteinander sprechen?
Wir kommunizieren miteinander, aber eben nur über das Medium der Fotografie. Ich interessiere mich sehr für Semiotik innerhalb der Fotografie.
Das musst du erklären.
Ich sehe die Fotografie als eigene Sprache an und beschäftige mich außerdem viel mit dem Thema Raum. Diese Dinge verbinden sich bei dem Projekt. Nikolai kommt eher aus dem Bereich Dokumentarfotografie, ich arbeite inszenierter. Das ist spannend. Auch, wie sich hier der Raum dann doch irgendwie weitet. Über reale Grenzen hinweg.
Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Während der Quarantäne befindet man sich in einem sehr begrenzten Raum. Dennoch glaube ich, dass man durch die Fotografie andere, imaginäre Räume erschaffen kann. Die Kamera öffnet eine Tür und der Raum wird dadurch vielleicht größer. Nikolai und ich kommunizieren auf unseren Instagram-Accounts miteinander. Ein Foto des einen ist immer die Antwort auf das vorhergehende Foto des anderen.
Wie oft tauscht ihr euch aus?
Jeden Tag. Daraus ergeben sich zwei Erzählstränge. Zwei Geschichten. Wir schreiben uns nichts zu den Fotografien, sondern lassen wirklich nur die Bilder sprechen. Ein bisschen wie Flüsterpost. Und klar, hier interpretiert jeder anders. Das ist aber auch schön. Weil man nicht genau weiß, was sich die andere Person zu dem Bild gedacht hat.
Ist es eine Herausforderung, in der immer gleichen Umgebung fotografieren zu müssen?
Es ist gar nicht so einfach, auf begrenztem Raum zu fotografieren. Ich fotografiere ja sonst sehr viel im Freien. Aber so kann man viele Konzepte mit sehr reduzierten Elementen wiedergeben.
Du hast Fotodesign an der Hochschule in München studiert und hast früher im Bereich Mode fotografiert. Warum wolltest du einen Master in London machen?
Im Bachelor-Studium in München habe ich immer mehr die Kunstfotografie für mich entdeckt. Dann habe ich mir überlegt, mich am Royal College of Art zu bewerben, eine Freundin von mir studierte dort bereits. Also habe ich es einfach probiert. Ich habe mich nur an dieser einen Kunsthochschule beworben.
London und München sind ja schon zwei sehr verschiedene Städte, wie beeinflusst dich London?
Zum einen prägt das College einen natürlich sehr. Die Kunstszene ist anders. Wenn es in München eine Veranstaltung gibt, die für einen relevant und interessant ist, dann geht man dort einfach hin. In London ist es so, dass es gleich mehrere von diesen Veranstaltungen gibt. Die Auswahl ist manchmal fast überwältigend. Außerdem gibt es noch einen Unterschied zu München: Die Teilnahme an Vorträgen oder Lesungen ist teuer. Es kommt durchaus vor, dass der Eintritt mal 35 Pfund, also circa 39 Euro kostet.
Was fällt dir in London in der jungen Kunstszene auf?
Man hat viel mehr „Underground“-Aktionen, kleine Pop-up-Läden und Events, viele kleine Galerien, auch mit junger Kunst. In München ist für junge Kunst leider viel weniger Platz. Klar, es gibt Kunst in München, aber vor allem im eher etablierten Bereich.
Wie überlebt man denn als junge Kunststudentin im teuren London?
Ich habe großes Glück, dass mich meine Eltern nicht nur moralisch, sondern auch finanziell unterstützen. Ich weiß natürlich, dass man sehr privilegiert ist, wenn man Kunst in London studieren darf. Das ist Luxus. Nebenbei mache ich noch Retusche, also Bildbearbeitungen, und kann dadurch zusätzlich Geld verdienen.
Baut das Druck und Erwartungen auf, wenn man an so einer renommierten Universität studiert?
Gerade im ersten Jahr macht man sich sehr viel Druck. Man ist umgeben von wahnsinnig kreativen Menschen. Und man muss diese britische Kunstsprache erst einmal lernen. Das ist wirklich eine ganz eigene Sprache für sich, „International Art English“. Wenn man kein Muttersprachler ist, ist das gar nicht so einfach.
Interview: Ornella Cosenza