Foto: Nadja Ellinger

„Ein bisschen wie Flüsterpost“

Nadja Ellinger, 27, studiert Fotografie im Master am Royal College of Art in London – eine weltweit renommierte Kunsthochschule. Ob und wie die Abschlussausstellung des RCA im Sommer stattfinden wird, ist unklar. Die Studierenden wollen keine virtuelle Ausstellung. Kurz vor dem Lockdown in London ist Nadja zurück nach München geflogen und ist nun in freiwilliger Quarantäne bei ihren Eltern. In dieser Zeit hat sie ein Foto-Projekt mit einem ehemaligen Kommilitonen gestartet. Am Telefon erzählt sie, dass sie Fotografie als Sprache versteht, die Türen zu weiteren, wenn auch nur imaginären, Räumen eröffnen kann. Weiterlesen „„Ein bisschen wie Flüsterpost““

Den Neuanfang wagen

Geflüchtete Studenten finden durch spezielle Sprachkurse an die Universitäten zurück. Weil das Geld für etwa Fahrkosten fehlt, droht die Integration oft zu scheitern. 

Was ist typisch deutsch? Samh Yousef, 23, aus Syrien ist sich da recht sicher: „Die Deutschen lieben ihre Autos“ sagt er, „und viele Leute sparen lange darauf hin, sich ein schönes Auto zu kaufen.“ Samh ist einer von zehn jungen Menschen verschiedener Herkunft, die an diesem Dienstagabend in einem Stuhlkreis in einem Seminarraum der LMU sitzen. Gemeinsam mit Trainerin Julia Halm erlernen sie das „Wie“ und vor allem auch das „Warum“ der deutschen Kultur.

Dieses interkulturelle Training, wie die Leiterin es nennt, ist Teil des erweiterten Konzepts der Organisation Students4Refugees, die Deutschkurse für geflüchtete Akademiker und Abiturienten anbietet. Und dabei soll es nicht nur um das Erlernen der deutschen Sprache gehen. „Wir gehen mit ihnen zum Beispiel auch an die Uni und zeigen ihnen alles; wie man sich einschreibt etwa“, erklärt Sinksar Ghebremedhin, der die Organisation im November 2014 gemeinsam mit seinem ehemaligen Mitbewohner Phi Tran initiiert hat. Den vielen Menschen, die in ihrer Heimat bereits einen Schul- oder Studienabschluss erworben haben, wollen sie einen kostenfreien Deutschkurs anbieten, der ihnen gleichfalls das Universitätsleben und die deutsche Lebensart im Allgemeinen näherbringt. Als Lehrkräfte engagieren sich ehrenamtliche Lehramts- oder Deutsch-als-Fremdsprache-Studenten. 

Neben den Sprachkursen und dem Mentorenprogramm bietet die Organisation auch Ausflüge an, etwa in das Deutsche Museum oder in den Gasteig. In letzter Zeit wurden die allerdings immer seltener, auch weil die Organisation fast komplett ohne Geld auskommen muss. „Zum Glück unterstützt uns die Universität mit Büro- und Übungsräumen“, sagt Sinksar. Doch schon wenn es um das Beschaffen von Lehrbüchern geht, bleiben die Studenten oft auf dem Geld sitzen. „Das Sozialreferat unterstützt nur diejenigen, die im Stadtgebiet leben“, erklärt er. Auch die Fahrtkosten können nur für Geflüchtete übernommen werden, die innerhalb der Stadtgrenzen leben. Serli, 18, und Arina, 20, aus Syrien aber leben seit sechs Monaten bei ihrer Tante in Starnberg und zahlen die Fahrt an die Uni aus der eigenen Tasche – dreimal die Woche, eine wirkliche Alternative gibt es in Starnberg nicht.

Wie den beiden Mädchen ergeht es etwa jedem Vierten der knapp 60 Geflüchteten, die derzeit beim Programm angemeldet sind. Außerdem wollte Sinksar eine Weihnachtsfeier organisieren, die nun wohl flachfällt. „Vielleicht bekommen wir ja ein kleines Winterfest zum Semesterschluss hin“, sagt Sinksar. Auch dadurch will er den Studenten aus ihrem Alltag heraushelfen – aber bislang fehlt das Geld dafür. 

„In den staatlich geförderten Integrationskursen wird oft kaum differenziert“, sagt Sinksar. „Da kann es passieren, dass Masterabsolventen in einem Raum mit Analphabeten lernen.“ Das hilft nicht wirklich. Deswegen unterstützt Sinksar nur geflüchtete Akademiker. Wenn es sich herumspricht, „dass es Flüchtlinge gibt, die es auf eine deutsche Uni schaffen“, dann sporne das auch die ohne Schulausbildung an, sagt der 25-Jährige Medieninformatikstudent. Sinksar weiß um den Wert von Bildung, seine Eltern flüchteten einst aus Eritrea nach Deutschland, er selbst ist hier geboren. Das Projekt ist sein Stolz, weil er jungen Menschen wie Wadeea Zerkly eine Perspektive schenken kann: Der Syrer, der bereits einen Master in Semitischer Sprachwissenschaft abgeschlossen hatte, wurde nun für eine Doktorandenstelle an der LMU zugelassen.  

Das Projekt wird unterstützt vom SZ Adventskalender. Mehr Infos:

www.facebook.com/szadventskalender

Text: Louis Seibert

Foto: Stephan Rumpf

Abdrücken

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Bombenalarme, Anschläge, Schüsse: Für ein Praktikum verbrachte Fotostudent Fabian Sommer, 23, fünf Monate in Israel. Mit seinem Handy machte er Momentaufnahmen: „Das ist meine Art, das Ganze zu verarbeiten.“ 

in bisschen sieht es aus, als würden sie das Feuer anbeten. Ein brennender Reifen, viel schwarzer Qualm und zwei Menschen kauern davor auf der mit Schutt übersäten Straße. Soldaten mit Helmen kommen auf den Betrachter zu. Ein dritter Mann richtet sich gerade auf, eine Kamera in der Hand. Und blickt direkt in die Kamera. Oder besser: ins Handy von Fabian Sommer, 23, der diesen Augenblick mit seinem alten, zerkratzten Samsung 100 festgehalten hat.
 Der Reifen brannte vor etwa sieben Monaten in den Straßen Tel Avivs, wo Fabian zu dieser Zeit ein fünfmonatiges Praktikum als Kamera-Assistent in der Auslandskorrespondenz der ARD absolvierte. Eine halbe Stunde habe eine ganze Schar Fernsehteams sich um diesen brennenden Reifen versammelt, um ihre Aufnahmen zu machen. „Eigentlich war da nichts, außer dem Reifen. Aber Feuer kommt immer gut in den Nachrichten“, sagt er heute, im Schatten Münchner Bäume, gleich neben dem Friedensengel.

Fabian studiert Fotodesign an der Hochschule München. An sich sind Handyfotos für ihn, wie für jeden ausgebildeten Fotografen, ein Graus. „Ist ja klar, wenn ich als Fotograf mit einer höllisch teuren Kamera plus Equipment rumbastle und dann kommt jemand mit seinem iPhone 6 und macht ein Foto, das eigentlich genauso aussieht“, sagt er und lacht ein bisschen. Aber während seiner Arbeit als Kameraassistent konnte und wollte er sich nicht mit einem richtigen Fotoapparat ablenken. Also begann er, einfach sein Handy zu zücken, wenn er ein passendes Motiv entdeckte. Auf dem Weg zur Arbeit oder auf dem Nachhauseweg, beim Warten, auf der Fahrt zu einem Aufnahmeort oder auch während des Drehs. Am Anfang machte er diese Fotos nur für sich. Mit der Zeit wurde ihm aber klar, dass er gerne ein Projekt daraus entwickeln würde, da jede der Aufnahmen etwas ganz Besonderes für ihn ist. „Das ist meine Art, mit den Dingen umzugehen und das Ganze zu verarbeiten.“

Irgendwann gewöhnt
man sich daran.
Irgendwann macht man dicht 

Das ist das erste Mal, dass er zugibt, dass es da etwas zu verarbeiten gibt. Zuvor hatte er den Kopf geschüttelt auf die Frage, ob er denn nicht Angst gehabt habe. Angst, wenn er nachts immer wieder erst realisieren musste, dass der Lärm, der ihn aufgeweckt hatte, nicht von Feuerwerkskörpern stammte, sondern von Schüssen. Angst nicht, sagt er, da sei einfach zu viel Adrenalin mit im Spiel. Und dann, irgendwann, gewöhne man sich daran. Irgendwann mache man dicht. Er fährt mit der flachen Hand an seinem Gesicht vorbei. 

 Überraschend und bewundernswert habe er es gefunden, wie offen, wie lebensfroh und freundlich die Menschen in Tel Aviv sind, trotz allem. Trotz der Unruhen, trotz der Bombenalarme, trotz der Gewalt. Es ist quasi unmöglich, mit Fabian über seinen Aufenthalt in Israel zu sprechen, ohne bei der Politik zu landen. Klar, verändert hat sich seine Einschätzung der Lage schon, „viel zu kompliziert“ sei diese, als dass man sie als Außenstehender, als Deutscher noch verstehen könnte.

Genossen hat er die fünf Monate trotzdem. Am liebsten wäre er noch länger geblieben, aber sein Visum lief aus. „Israel ist eigentlich das perfekte Touristen-Land“, sagt Fabian. „Da gibt es einfach alles.“ Innerhalb von drei Stunden könne man von den verschneiten Bergen in die sengende Hitze der Wüste gelangen, oder eben ans Meer. Vor allem, wenn er über Tel Aviv spricht, spürt man seine Begeisterung für das kleine Land. „Es heißt immer, Tel Aviv ist in einer Blase“, sagt er. Obwohl die Stadt in einem Land des Mittleren Ostens liegt, sei sie sehr europäisch. „Eigentlich wie Berlin, nur kleiner.“ Unglaublich viele Kulturen treffen dort aufeinander, weil Juden aus der ganzen Welt Israels Aufruf gefolgt sind, in ihr gelobtes Land zu ziehen.
 „Die Leute feiern das Leben da so richtig“, sagt er. Und das trotz der Tatsache, dass viele Menschen, vor allen Dingen junge Leute, daran gewöhnt sind, nie Geld zu haben. Die Lebenshaltungskosten seien noch viel höher als in München. Verdienen würden die Menschen trotzdem nicht mehr, erzählt Fabian. Vielleicht liege die Lebensfreude eben an dieser Weltoffenheit oder auch an der Geschichte eines Volkes, das immer „die Koffer gepackt im Flur stehen haben musste“. Das habe seine israelische Mitbewohnerin einmal gesagt.

Fabian kann nicht sagen, wie viele Fotos er mit seinem zerkratzten Handy gemacht hat, von Hochhäusern am Meer, von Graffiti auf alten VW-Bussen, von Absperrband, von Simon Perez in seinem Arbeitszimmer und Friedhöfen mit tausenden von Marmorplatten. Lila Wolken über ockerfarbenen Steinwüsten. Ein Lieblingsfoto hat er nicht. All diese Momente sind wertvoll. Aber er hat sich für eine Auswahl von 48 Bildern entschieden und sie in einem Buch zusammengefasst. Eine Projektarbeit im Seminar „Bildjournalismus“ ist es am Ende geworden. Drei Exemplare gibt es. Dickes, graues Papier, ein bisschen Text als Erläuterung zu den Bildern, handgebunden. Klar, es wäre schon schön, das irgendwie herauszugeben, aber da ist Fabian realistisch. Der Markt für solche Fotobücher, noch dazu, wenn sie keine echte „Geschichte erzählen“, sei nicht besonders groß.

Weitere Informationen unter http://fabiansommerfotografie.tumblr.com/

Theresa Parstorfer

Foto: Fabian Sommer, Detlev Sommer

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