Foto: Metin K.

Der junge Rhythmus der Stadt

Die Sonntage sind für „Munich Got Sauce“ da. So nennt sich eine Crew, die München zu ihrer Tanzfläche macht. Sie bewegen sich zu Hip-Hop-Beats und drehen Videos davon – zunehmend mit Erfolg.

Von Aylin Dogan

Es ist der Beat. Zunächst ist es nur ein Wippen, aus den Knien heraus. Der Rhythmus erfasst den ganzen Körper. Die Arme, die Schultern, den Oberkörper, die Füße. Sonntagabend vor einem Dirndl-Laden zwischen Viktualienmarkt und Rindermarkt. Hip-Hop ist zu hören. Eine Musikbox steht auf dem Gehsteig. Junge Männer stehen nebeneinander. Im Halbkreis. Bis einer von ihnen nach vorne tanzt, leicht in den Knien. Die Füße trippeln, sein Oberkörper bewegt sich im Takt.

Er dreht sich um die eigene Achse, stellt sich wieder aufrecht hin, nur um dann zum nächsten Takt die Arme zu überkreuzen. Das rechte Bein ist angewinkelt, ebenso der linke Arm – so tanzt er weiter. Um plötzlich den Arm nach unten zu schlagen, als würde er mit dieser schnellen Bewegung gleichzeitig den Beat zerschlagen wollen. Die nächsten Sekunden gehören ganz alleine ihm und seiner Performance, bevor dann der Nächste in die Mitte darf und für die Kamera tanzt. Denn jedes Mal, wenn die Crew tanzt, ist ein Kameramann dabei und filmt das Spektakel.

Die Gruppe nennt sich „Munich Got Sauce“. 16 junge Tänzer und ein Kameramann zwischen 17 und 22 Jahren bilden diese Tanzgruppe. Es ist aber keine Tanzgruppe im klassischen Sinne, keine Crew, die sich in abgeschlossen Räumen mit wandhohen Spiegeln trifft, um Choreografien einzustudieren und Tänze einzuüben, die dann am Ende vermutlich niemand sehen wird. Der Proberaum von „Munich Got Sauce“ ist die Straße, die ganze Stadt. Ihr Publikum sind die Passanten. Und ihre Abonnenten in den sozialen Medien.

Von festen Choreografien keine Spur. „Freestyle ist die Zukunft“, sagt Ahmed Tintini-Assafou, 21. Er ist schon seit der Gründung vergangenes Jahr Teil der Truppe, ihr Sprecher, wenn man so will. „Unser Tanzstil nennt sich ,Hit dem Folks‘. Der ist bisher eigentlich nur in Amerika so richtig bekannt“, sagt er. Bei „Hit dem Folks“ geht es darum, die Musik und die Texte durch spontane Bewegungen zu vermitteln. Trotz Freestyle gibt es aber auch immer wiederkehrende, beliebte Bewegungen, wie den Nae Nae, bei dem beide Beine breit aufgestellt werden, der Körper leicht in die Knie geht und eine Hand nach oben gehoben und hin- und hergewippt wird. Am besten lässt es sich dabei zu Trap-Musik tanzen, einer Stilrichtung des Hip-Hops.

„Ich höre immer wieder von anderen Menschen, dass München so whack, so lahm sei und man ja in Berlin so viel besser feiern und tanzen gehen kann. Und dann dachten wir uns: Hey, Munich got sauce!“, erklärt Ahmed. Got Sauce also in dem Sinne, dass München im Vergleich zu künstlerischen Anlaufstellen wie Hamburg und Berlin ebenfalls das gewisse Etwas hat: „Es ist halt geil, wenn wir irgendwo anders als in München unterwegs sind und dann auf der Tanzfläche dominieren und die meiste Stimmung machen. Wir dominieren das ,Hit dem Folks‘ in den Clubs und das alles aus München heraus.“ Sie wollen es ihren amerikanischen Vorbildern wie ShelovesMeechi und Ayo & Teo nachmachen, die mit einfachen Tanzaufnahmen auf der Straße angefangen und damit die kreative Szene revolutioniert haben. „Das wollen wir auch.“

Ahmed spricht immer von einem Wir. Bei den Anfängen von Munich Got Sauce waren es nur Ahmed und eine Handvoll Freunde, die ihre Leidenschaft fürs Tanzen auf ein höheres Level heben wollten. Auf der Suche nach weiteren Mitgliedern kamen sie auf interessante Ideen. Marvin Appiah Korang, 18, erinnert sich: „Bei einem Fußballturnier von mir sind die einfach aufgetaucht“, sagt er. „Wir haben einfach Trap-Musik angemacht und das Fußballspiel gecrasht. Die Fußballer haben uns dann beim Tanzen zugeschaut“, sagt Ahmed. Marvin grinst. „Und dann habe ich einfach das Tanzen angefangen. Und Ahmed hat das dann gesehen und mich angesprochen und gefragt, ob ich nicht dabei sein will.“

Erst vergangene Woche ist das neueste Mitglied dazugekommen, und trotz ihrer Größe gibt es keinen Grund für einen Aufnahmestopp. Aber es gilt: Qualität über Quantität. Wer ein Teil von „Munich Got Sauce“ werden will, muss den anderen Tänzern Tanzvideos von sich schicken und sich so beweisen. Eine Art inoffizielles Casting also. Dass aktuell keine Mädchen dabei sind, ist nicht beabsichtigt. Es hat sich nur noch nicht ergeben, sagt zumindest Ahmed.

Jeden Sonntag trifft sich die Gruppe in der Stadt. Die Tage zuvor werden die neuesten und angesagtesten Lieder in eine gemeinsame Whatsapp-Gruppe geschickt. So kann sich bereits jeder vorab auf die Musik einstimmen, zu der dann getanzt werden soll. Die Aktualität der Lieder ist wichtig, denn dann können die Tänzer von „Munich Got Sauce“ mit auf der Erfolgswelle des Liedes schwimmen. Dann werden ihre Tanzeinlagen auch mehrere tausend Mal geklickt. Ihr erfolgreichstes Video zu „Old Town Road“ von Lil Nas X hat etwa mittlerweile 650 000 Aufrufe. Hinter den jungen Tänzern stecken Marketing-Genies, die wissen, dass soziale Kanäle regelmäßig mit neuen Inhalten gefüllt werden müssen. Deswegen drehen sie pro Treffen drei bis vier Videos an immer unterschiedlichen Stellen, wie an diesem Sonntag vor dem Dirndl-Laden. So wirkt es online, als seien sie jederzeit überall. Den genauen Drehort suchen sie spontan aus, Hauptsache, sie sind draußen. Und Hauptsache, sie können dann in regelmäßigen Abständen Videos hochladen.

Vom Aufbau her ähneln sich die Aufnahmen. Es tanzt in der Regel immer nur einer vorne in der Mitte, während die anderen außen herum Stimmung machen, klatschen und abgehen, wenn die Tanzeinlage des Vordermannes imponiert. Manchmal wird vorweg die Reihenfolge der Tänzer ausgemacht, damit die Übergänge angenehmer sind.

In einer Stadt wie München fällt die große Gruppe sofort auf. Passanten wirken sichtlich irritiert von der lauten Musik, andere blicken bewundernd auf die Tänzer, bleiben sogar ein wenig stehen und schauen zu. „Wir hatten uns davor nie getraut, einfach so in der Stadt zu tanzen. Heute haben wir keine Hemmungen mehr“, sagt Ahmed. „Weil wir uns immer gegenseitig motivieren und anfeuern, hat das mein Selbstvertrauen sehr gestärkt. Wenn die anderen einen unterstützen und abfeiern, dann bekommt man richtig viel Energie. Manchmal bin ich platt nach so viel Energie an einem Tag“, sagt auch Jean-Daniel Monty Mendama, ein weiteres Mitglied, der statt an diesem Sonntag seinen 20. Geburtstag zu feiern, lieber mit seiner Crew unterwegs ist.

Aber kann man mit solchen Videos überhaupt erfolgreich werden? „Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass wir damit berühmt werden. Das ist nur eine Frage der Zeit, bis es passiert. Wir werden für Partys geholt, weil die Leute wissen, dass wir gut abgehen. Wir sind mittlerweile schon eine Marke“, sagt Ahmed. Die Gruppe wurde nach eigenen Angaben schon von Promotern oder DJs angeschrieben, in Clubs wie dem Crux und P1 für Gästelistenplätze, Freigetränke oder ein wenig Geld vorbeizukommen und die Party mit der guten Laune und Energie in Gang zu bringen. „Uns haben schon mehrere Rapper aus München angesprochen, dass sie uns in Zukunft in ihren Videos haben möchten. Der Münchner Rapper Diamant hatte auch mal angefragt und wir haben dann in seinem Musikvideo ,Full‘ mitgespielt“, erzählt Ahmed. Auf der Straße werde er mittlerweile, ähnlich wie die anderen Mitglieder, schon erkannt. Und Nachahmer von „Munich Got Sauce“ gibt es auch schon: „Ein Junge hat durch uns seine eigene Crew ‚Darmstadt Got Sauce‘ gegründet.“

Für die Münchner Tänzer ist das erst der Anfang. Zum einjährigen Bestehen soll es am 11. Oktober im Container Collective die erste „Munich Got Sauce“-Party geben. Und eigene Fanartikel sind bereits in Planung. Ein reines Do-it-yourself-Projekt also. Die Mitglieder tanzen, können Videos drehen und schneiden, designen Klamotten und sind ihr eigenes Social-Media-Team. Werktags leben sie ihr normales Alltags- und Schulleben. Ahmed befindet sich zum Beispiel gerade in seiner Ausbildung zum Fachinformatiker, Jean-Daniel bereitet sich auf sein anstehendes Sportmanagementstudium vor und Marvin arbeitet in einem Sportgeschäft. Und die Sonntage – die sind dann für „Munich Got Sauce“. Und für den Beat der Stadt.