Collage: Zsuzsanna Schemberg
Collage: Zsuzsanna Schemberg

Rauchige Stimmen und Beats, die von Bäumen kommen

Welche Musiker fallen in München auf? Jeden Montag stellen wir auf der Junge-Leute-Seite die „Band der Woche” vor. Zehn, die in den vergangenen Monaten von sich reden machten, stehen nun zur Wahl für die „Band des Jahres” – ein Überblick

Von Marietta Jestl und Max Fluder

Für Pop aus München sind wir regelmäßig unterwegs: Wir schauen bei den Konzertbühnen dieser Stadt vorbei, wir besuchen Proberäume und durchkämmen das Internet. Von daher wissen wir meist, welche Bands in München auffallen und von welchen Bands man in Zukunft hören wird – nachzulesen jeden Montag in unserer Rubrik „Band der Woche“. Ende des Jahres gehen wir einen Schritt weiter. Wir haben zehn Bands, die uns in diesem Jahr aufgefallen sind, ausgesucht für die Wahl zur „Band des Jahres“.

Unsere Abstimmung erfolgt in drei Schritten. Zunächst kann man seinen bevorzugten Bands oder Solokünstlern bei unsere Facebook-Bildergalerie eine Like geben. Die vier Bands mit den meisten Stimmen spielen dann – sofern sie Zeit haben – bei unserer Live-Show am 8. Februar im Bahnwärter Thiel. Dort stimmt das Publikum sowie eine Fach-Jury ab. Die Facebook-Abstimmung läuft bis 17. Januar, 18 Uhr.

Hier unsere zehn Bands beziehungsweise Singer-Songwriter im Überblick:

Jakob Muehleisen
Singer-Songwriter

Es braucht Mut, auf der Straße Musik zu machen, wenn das Publikum unmittelbar auf den Künstler reagieren kann. Diesen Mut hat Jakob Muehleisen (Foto: Loris Gleixner) bewiesen, als er sich 2012 in London als Straßenmusiker ein paar Britische Pfund hinzuverdiente. Er war damals elf. Mittlerweile spielt der junge Mann aus Herrsching Konzerte in und um München und widmet sein Leben der Musik. Selbst mag er melancholische Lyrics, versucht jedoch in den eigenen Songs eine gewisse Abwechslung beizubehalten. Seine blonden Locken, die Auftritte mit seiner Gitarre und die direkte Art, mit dem Publikum zu interagieren, passen in das Bild vom Singer-Songwriter. Er spielt nun eher auf Konzerten als auf der Straße, der Zeit in England widmete er aber einen Song: „London“.

Where We Linger
Folk Noir

Musik kann ein Weg sein, sich auszudrücken, wenn man nicht weiß, wie man es anders machen soll. Wenn man Angst davor hat, einfach draufloszureden. Sarah Fischer, Sängerin von Where we linger, beschreibt Musik als eine ganz persönliche Art der „Therapie“. Zusammen mit Céline Fournier bildet Sarah nun schon seit
September 2018 das Duo aus Piano und Gesang (Foto: Joel Heyd), Musikminimalismus quasi. 2019 haben die beiden einige Support-Gigs gespielt und traten vereinzelt auch bei Konzertreihen auf. Céline, die Musikwissenschaften studiert hat, mag die freie, kreative Arbeit an den Songs. Mit Sarahs sehr sinnbildlichen Texten entsteht beim Zuhören eine ruhige und melancholische Atmosphäre. In Zukunft könnte sich Céline vorstellen, mit Synthesizern zu experimentieren.

Hier könnt ihr Where We Linger hören.

Aroza Crew
Hip-Hop

Straight out of … na ja, Berg am Laim halt. Das ist zumindest der Münchner Stadtteil, in dem Josh Hagedorns, Timmy Lechners und Mike Nwabuisi Ezealas Studio liegt. Hier produzieren sie ihre Rap-Songs (Foto: privat). Zusammen bilden sie seit 2017 die Aroza Crew. Musikalisch orientieren sie sich – im Unterschied zu modernen Deutsch-Rap – eher an dem „klassischen“ englischsprachigen Hip-Hop der Neunzigerjahre. In ihren Texten setzen sie sich mit dem Musikgeschäft und dem Erfolg auseinander, thematisieren aber auch immer wieder Alltagsrassismus. „Unsere Stärken liegen in der Performance“, sagt Timmy. Sie sind bereits öfter vor Freunden aufgetreten, im November auch beim Festival „Sound of Munich Now“, veranstaltet von der Süddeutschen Zeitung und vom Feierwerk.

Sofia Lainovic
Indie-Pop

Es brauchte eine Weile, bis die Singer-Songwriterin Sofia Lainovic sich traute, ihre Musik zu veröffentlichen. Schon 2013 fing sie an, Songs zu schreiben, behielt das aber für sich. Komisch eigentlich, denn Sofia steht auch als Schauspielerin auf der Bühne. Als Musikerin (Foto: Natasa Cikiricsich) fühle sie sich aber immer noch unsicher, sagte sie im vergangenen Mai. „Ich habe keine Rolle, hinter der ich mich verstecken kann.“ Seitdem hat sich einiges getan: Sie absolvierte einige Auftritte und veröffentlichte weitere Musikvideos. Oft steht sie alleine auf der Bühne, manchmal begleitet sie ihr Freund mit der Gitarre. Aber ganz gleich, ob sie allein oder mit Begleitung auftritt: Ihre dunkle, rauchige Stimme bleibt in Erinnerung. Sie scheint ihre Rolle gefunden zu haben.

Fleur en Fleur
R & B, Hip-Hop, Neo-Soul

Nicht nur an Schlaghosen und Glitzerstoffen wird seit Längerem deutlich, dass die Neunzigerjahre zurück sind – auch in der Musik feiern die verschiedenen Genres von damals ein Revival. Die Verknüpfung von Soul-Gesang mit Hip-Hop-Beats wurde damals zum Inbegriff des R & B – an
diesen Sound erinnert die Musik der beiden Schwestern Amelie Fleur und
Isabelle Julie Geiss (Foto: Nevyan Lenkov). Auf ihrer 2019 erschienenen Single „Homie“ stechen insbesondere ihr herausragender Gesang und ausdrucksstarke Lyrics, wie etwa in „Female Empowerment“ hervor. Das Münchner Publikum konnten sie unter anderem beim „Sound-of-Munich-Now“-Festival für sich gewinnen.

Whoiswelanski
Indie, Synth-Pop, Alternative


Wer ist eigentlich Welanski? Diese Frage mag ungeklärt bleiben – die Band whoiswelanski ist schließlich erst im Sommer 2019 auf der Bildfläche erschienen. Dennoch haben seitdem nicht nur der Release ihrer Debut-Single „16 Hertz“, sondern auch zahlreiche Auftritte als Support verschiedener Münchner Bands bewiesen, dass die beiden Musiker Josef Pötzinger und Tobias Weber (Foto: Anil Coskun) mit ihrem neuen Projekt ein klares Ziel verfolgen: die deutsche Indie-Musik aufzumischen. Mit einem Sound, den es laut Aussage der Band auf Deutsch noch nicht gibt. Stets an der Grenze zur Eingängigkeit, unkonkret und offen zur Interpretation.

Youth Okay
Alternative Brass


Neuer Name, neuer Sound – 2019 war für Youth Okay (Foto: Jakob Stumpf), ehemals Naked Superhero, ein Jahr des Umbruchs. Die Umorientierung erforderte Mut, schließlich hatte sich die Band bereits eine beachtliche Fan-Base erspielt. Ihrer Entscheidung waren sich die Musiker aber sicher – und der Wandel bescherte den erhofften Aufschwung an Kreativität. Sie gewannen an musikalischer Experimentierfreudigkeit und verarbeiteten ernsthafte Themen in ihren Songs wie die gesellschaftliche Enttabuisierung psychischer Erkrankungen. Die Party-Attitüde ließen sie hinter sich, dennoch blieb der tanzbare und emotional mitreißende Charakter der Konzerte von Youth Okay erhalten.

Her Tree
Organic Electro

Dass die Natur melodisch sein kann, wird aufgrund der dauerhaften Beschallung durch die Geräuschkulisse von Stadt und Maschinen häufig vergessen. Die Sängerin Alexandra Cumfe (Foto: Lena Semmelroggen) hat 2019 mit ihrem neuen Projekt Her Tree Natur-Sounds zu einem perfekten Klangteppich für ihre elfengleiche Stimme verarbeitet. Zwei Jahre lang nahm sie verschiedenste Geräusche aus der Natur auf und bastelte sie am Computer zu Percussions, Melodien oder Basslines zusammen. Bereits fünf Singles sind erschienen – und das Hintergrundwissen zum Entstehungsprozess lässt wohl jeden Hörer erstaunen.

Kannheiser
Deutsch-Pop, Indie


Es würde nicht verwundern, wenn Kannheiser (Foto: Sophie Wanninger) in Zukunft einen Song schrieben, in dem ihr Bandname vorkommt. Die Musik der Band zeichnet sich neben ihrer neuartigen Indie-Pop-Rhythmen durch eingängige und leicht – in einem guten Sinn – absurde Texte aus. Kannheiser, das sind der Gitarrist Maximilian Spindler, Bassist Felix Renner, Drummer Jojo Vogt und Bandleader Juri Kannheiser. Anfang 2019 traten sie die ersten Male auf, im Sommer erschien die erste Single „Lila“, und im November die gleichnamige EP. Alle Bandmitglieder sind schon früher mit Musik in Berührung gekommen, Juri hat beispielsweise Cello studiert. Wieso jetzt eine neue Band? Vielleicht verrät es eine Zeile aus ihrem Song „Der Turm“: Darin besingen sie die „Bereitschaft zur Neuheit“.

Elena Rud
Indie, Soft-Grunge

Kaum eine Musikerin Münchens zeigte sich 2019 so aktiv und wandelbar wie Elena Rud (Foto: Ewelina Bialoszewska). Die Singer-Songwriterin mit der rauchigen Stimme mit Grunge-Charakter stand zunächst alleine, aber stets strotzend vor Selbstbewusstsein auf der Bühne. Mitte des Jahres entschied sie sich, von nun an mit Band auftreten. Erste Auftritte an der Seite neuer Bandkollegen mit neu überarbeiteten Songs ließen erahnen, dass der Zusammenschluss ihr einen deutlichen produktiven Schub verpassen würde. Es gibt bereits Teaser für neues Material. Sicher ist eins – von der neuen Konstellation ist Großes zu erwarten.

https://www.youtube.com/watch?v=Vom1hQJeM1U