Zufallsstudium: Vielleicht doch lieber was Naturwissenschaftliches?

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Trotz
Vor-Abitursprüfungs-„Ferien“ hat es unsere Zufallsstudentin geschafft, früh
morgens in einer chemischen Vorlesung zu sitzen, wo sie nicht nur komische
Blicke erntet, sondern auch interessante Eindrücke gewinnt.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie der Typ neben mir immer wieder auf das Blatt vor mir schielt. Groß steht ganz oben
„Zufallsstudium“ drauf und darunter ein paar kurze Notizen. Ich lächle ein bisschen
in mich hinein. Eigentlich nicht erstaunlich, dass er sich wundert. Ich finde
es ja sogar selbst verwunderlich, dass ich hier sitze. Dass ich mich
tatsächlich in meinen Vor-Abiprüfungs-„Ferien“ aufgerafft habe, um um 9 Uhr im großen
Buchner-Hörsaal von Großhadern zu sein. Ich bin an der medizinisch-chemischen Fakultät,
das weiß ich, aber in was für eine Vorlesung ich hier hinein geraten bin, weiß
ich noch nicht wirklich. Ich schiele zu meinem Nachbarn zurück und versuche
irgendwie den kleingedruckten Text in der unteren Ecke seines Skripts zu lesen,
wo vermutlich auch der Name dieser Veranstaltung steht. Aber keine Chance. Also
gebe ich bald auf und höre weiter zu. Es geht um Antibiotika. Der Professor
malt viele chemische Formeln an die Tafel, also tippe ich auf irgendwas in
Richtung Pharmazie.

Erstaunlicherweise finde ich mich ziemlich schnell in das
Thema ein und verfolge gespannt die Erklärungen des Professors, der mit
lebhafter Stimme und viel Gestik erklärt, wie man Antibiotika verändert, um sie
säurefest zu machen, also ein Keton in ein Acetal umwandeln. Oder was die Unterschiede zwischen fermentativ gewonnenen und synthetischen Antibiotika sind.
Gut, dass ich Chemie in der Oberstufe hatte, so dass ich mit den Begrifflichkeiten
gut klar komme, wirklich viel verstehe und es sogar ziemlich interessant finde.
Ich denke, dass der Typ von vorhin tatsächlich Recht hatte und mich gut beraten
hat.

Denn eigentlich hatte ich mich, als ich um 9 Uhr immer noch
planlos auf dem komischerweise fast leeren Campus stand, einem großen Kerl an
die Versen geheftet, der in einer Gruppe von mehreren Leuten auf ein kleines
Nebengebäude zu lief. Das kam mir eigentlich ganz gelegen, denn ich war fest
entschlossen, mich nicht einfach in einen der großen Hörsäle zu setzen, sondern
vielleicht eine kleinere, spannende Veranstaltung zu finden. Die Gruppe
Menschen verschwand dann durch eine Tür und als ich mit etwas Abstand hinterher
kam, standen alle vor einem kleinen Raum versammelt, sich in Kleingruppen
unterhaltend und offensichtlich auf den Professor wartend. Etwas ratlos stand
ich an der Seite, da überfiel mich plötzlich der Gedanke, dass es doch auch
geschlossene Veranstaltungen gibt an der Uni, mit Anwesenheitsliste und so.
Plötzlich verunsichert trat ich auf den großen Kerl zu, dem ich hierher gefolgt war: „Tschuldigung, kann ich mich in die Veranstaltung, auf die ihr wartet, auch
einfach so dazu setzen?“. Leicht amüsiert und irritiert meinte er, dass das eigentlich schon ginge. Schnell erklärte ich meine Situation, um das Gespräch etwas
weniger komisch zu machen, und der Typ erklärte mir sehr freundlich, dass sie
gerade auf ein total langweiliges Seminar warten und dass es aber gerade eine
sehr interessante Vorlesung in einem der Hörsaal gebe. Also nichts wie hin.

Nach einer sehr kurzen Zeit kündigt der Professor eine 15-Minuten-Pause an. Ich bin kurz irritiert, weil ich tatsächlich nicht mit einer
Pause gerechnet habe, und frage meinen Banknachbarn nochmal, ob das jetzt so stimmt, wie der das gesagt hat. Gratulation,
eine grandios dumme Frage in Anbetracht dessen, dass der Professor genau das vor drei Sekunden gesagt hat. Aber der Student ist sehr freundlich und ich
frage ihn auch noch, in was für einer Vorlesung ich hier eigentlich sitze und
gratuliere mir innerlich zu zweiten sehr dumm wirkenden Frage. „Medizinische
Chemie“, erfahre ich daraufhin, und, dass sie tatsächlich für
Pharmaziestudenten ist. Ich erkläre dann auch, was
es mit dem merkwürdigen Begriff „Zufallsstudium“ auf meinem Blatt auf sich hat
und wir unterhalten uns kurz nett über Zukunftspläne, wobei ich auch erfahre,
dass es eine Vorlesung für das fünfte bis achte Semester ist. Das macht mich schon ein
bisschen stolz, weil ich dafür echt erstaunlich viel verstehe.

Am Ende bin ich sogar so weit, dass ich anfange darüber
nachzudenken, entgegen meinen ursprünglichen Plänen nicht vielleicht doch
irgendetwas Naturwissenschaftliches zu studieren. So gehe ich, nach einer kurzen
netten Verabschiedung von meinem Banknachbarn, mit dem Gefühl, tatsächlich
etwas gelernt zu haben, aus dem Hörsaal.

Text: Mariam Chollet

Foto: Lukas Haas