Zufallsstudium: Schreiben

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Als sich unsere Autorin in die Vorlesung “Schreiben” setzt, freut sie sich bereits darauf, ihre journalisitischen Fähigkeiten ausbauen zu können. Jedoch erweist sich der Stundeninhalt als enttäuschend uninteressant.

Laute Musik dringt durch die weit geöffneten Fenster des
Hörsaals und verbreitet an diesem heißen Tag Sommerlaune. Ich lausche von
meinem Platz in der hintersten Reihe, die Worte der Dozentin rücken zunehmend
in den Hintergrund. Als meine Gedanken träge werden, schließt eine Kommilitonin
die Fenster mit einem Knall. Er erinnert mich daran, dass es bei dieser
Vorlesung nicht um Musik geht, sondern um eine andere Kunst: Die Veranstaltung
an der literaturwissenschaftlichen Fakultät heißt „Schreiben“. Ein Titel, der mich
zunächst ratlos zurücklässt. Ist damit Kreatives Schreiben gemeint?
Journalistisches Schreiben? Inzwischen weiß ich: Nichts davon. Denn die
Dozentin der Vorlesung „Schreiben“ erklärt, dass es das Schreiben so nicht
gibt. Die Erkenntnis trifft mich hart. Immerhin bin ich als Journalistin
gekommen, um über die Veranstaltung zu schreiben.

Aber von vorne. Es war meine Aufgabe, spontan einem
Studenten in seine Vorlesung folgen. 15 Minuten vor Vorlesungsbeginn positioniere
ich mich vor dem Audimax, ein wenig nervös, wohin der Zufall mich bringen wird.
Entwicklungspsychologie? Astrophysik? Das fände ich spannend. In meinen
Gedanken versunken, sehe ich einen jungen Mann an mir vorbeischlurfen. Dunkle
Locken, Ringelpullover, Kopfhörer in den Ohren: Alles ganz entspannt, strahlt
er aus. Der geht bestimmt nicht in ein Master-Seminar über höhere Mathematik,
in dem ich an die Tafel gebeten werden könnte. In gemächlichem Tempo folge ich
dem Lockenkopf, links, die Treppe hoch, wieder rechts. Dann verschwindet er in
einem Vorlesungssaal. Ich bleibe ein wenig unschlüssig vor der Tür stehen und
versuche, mit einem Blick auf den Belegungsplan das Mathe-Horrorszenario
auszuschließen. Vergeblich. Dann taucht in meinem Augenwinkel eine Studentin
auf. Sie trägt eine türkisene Tasche, ein türkisenes T-Shirt und türkisene
Schuhe. Diese Farbenpracht irritiert mich kurz. Doch ich ergreife meine Chance
und fragte die junge Frau: „Entschuldigung, was ist das denn für eine
Vorlesung?“. Sie antwortet ganz knapp: „Schreiben.“ Dann schlüpft sie ebenfalls
in den Raum.

Schreiben. Glückstreffer. Vielleicht kann ich da als
Journalistin noch was lernen. Ich folge meiner türkisenen Zufallskommilitonin
und setze mich in die letzte Reihe, direkt hinter den Lockenkopf. Sicher ist
sicher, lieber ein bisschen mehr Abstand von der Dozentin. Auch wenn die mit
ihren dunkeln kurzen Haaren, Brille und Blazer eigentlich ganz freundlich
aussieht. Schnell merke ich, dass ich hier nur zuhören muss. Ob ich dabei etwas
Nützliches fürs Schreiben lerne? Eher nicht. Die Professorin spricht nicht von
journalistischem oder kreativem Schreiben, sondern von der Ökonomie des
Schreibens. Fragen wie „Welche Grenzen sind dem Schreiben gesetzt?“ und „Was
bringt Schrift hervor?“ werden behandelt. Ich versuche, die Antworten zu
mitzubekommen. Aber unzählige Fachbegriffe fallen, die ich nicht verstehe:
Intertexualität, Paratexte, Supplement. Mein Kopf wird immer schwerer, brummt
dumpf. Anscheinend fühle ich nicht alleine so, denn mein Zufallskommilitone mit
dem Ringelpullover hat seinen Lockenkopf inzwischen auf der rechten Schulter
abgelegt. Ein Blick auf die Uhr. Noch eine Stunde. Mit aller Kraft versuche
ich, meine Konzentration wieder auf die Vorlesung zu richten. Und die Dozentin
erklärt: „Schreiben“ ohne Präfix gäbe es nicht. Stattdessen müsse man zum
Beispiel von „Umschreiben“, „Fortschreiben“ oder „Gegenschreiben“ sprechen. Ein
Text stehe immer in Beziehung zu anderen Texten. Zum Beispiel zu denen, die
vorher und nachher geschrieben werden.

Mein Gehirn versucht, das alles zu verarbeiten. Doch in der
Hitze werden meine Gedanken träge. Dann nehme ich die fröhliche Musik wahr. Sie
entspannt mich ein bisschen, ich beginne über den Text, den ich schreiben
werde, nachzudenken. Welche Texte mich beim Schreiben wohl prägen? Und werde ich
andere Schreiber beeinflussen? Liebe Zufallskommilitonen, ihr könntet das
untersuchen.


Text: Sophia Baumann

Foto: Lukas Haas

Zufallsstudium: Graue, nette Männer

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Eigentlich dachte
unsere Autorin, dass sie in einer Gesundheitsökonomie-Vorlesung sitzt. Aber warum fängt die Vorlesung viel zu spät an? Und wieso kommen plötzlich Männer in
grauen Anzügen in den Vorlesungsraum?

„Sind Sie schon so weit?“, fragt die Professorin mit Stick in der
Hand in meine Reihe hinein. Schnell schaue ich weg, frage mich aber, was genau
diese Frau von mir möchte und wünsche mir einfach nur, dass die
Vorlesung jetzt dann anfängt.

Es ist mittlerweile schon halb drei und immer noch reden die
Studenten bunt durcheinander. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, als ich
zwanzig Minuten vorher durch das Treppenhaus der LMU lief und mich an die
Fersen einer jungen braunhaarigen Frau heftete. Tatsächlich gab es nicht
besonders viel Auswahl, da die Studentin der einzige Mensch in diesem
Treppenhaus zu sein schien, was mich verunsicherte – gibt es überhaupt
Vorlesungen, die um 2 Uhr anfangen? Als ich meine Überlegung der Frau gegenüber in
Worte fasste, erklärte sie mir, dass es die schon gäbe. Den Namen der Vorlesung, in die sie
gehen wollte, verstand ich tatsächlich auch nach zweiter Wiederholung nicht,
irgendwas mit Wirtschaft. Ein Stockwerk höher, meinte sie noch, sei eine
Vorlesung zu Gesundheitsökonomie. Und da das irgendwie ausgefallen und
interessant klang, beschloss ich, ein Stockwerk höher zu schauen.

Gesundheitsökonomie. Ich habe tatsächlich keinerlei
Vorstellungen, was man in diesem Fach bespricht, aber das, was auf dem Beamer
zu lesen ist, habe ich definitiv nicht erwartet. Da steht irgendetwas über
Vernetzung der unterschiedlichen Bereiche der SWM. Und langsam verstehe ich
auch, wieso sich der Vorlesungsbeginn so herauszögert. Offensichtlich sollten
die Studenten sich selbst Konzepte zu diesem Thema überlegen. Die Frau ganz vorne scheint die fertigen Powerpoint-Präsentationen dann auf den Stick zu
ziehen und vermutlich müssen die Studenten ihre Konzepte daraufhin vorstellen. Als
dann auch noch Männer mit Anzug in den Raum kommen, vermute ich, dass sie von
der SWM sind und sich die Konzepte anhören wollen. Meine Vermutungen
bewahrheiten sich nach weiteren fünf Minuten, in denen die Frau die letzten
Präsentationen einsammelt.

Nur verwirrt mich noch ein wenig, was das alles mit Gesundheitsökonomie zu tun haben soll.
Doch auch dieses Rätsel lüftet sich, als ich am Ende der Vorlesung meinen
Banknachbarn anspreche und erfrage, in was für einer Vorlesung ich eigentlich
sitze. „BWL“, erklärt der mir entgegen meiner Erwartung, und dass heute der Schwerpunkt Marketing ist und
sie im Moment praxisbezogene Vorlesungen haben, „nächste Woche ist dann
BMW dran“. Ziemlich cool und spannend, denke ich mir.

Und so sind auch die Vorträge der Studenten ziemlich
interessant: Das erste Konzept wird von den SWM-Menschen auch gleich mit dem
Satz: „So machen wir’s, danke für die Anregung“ sehr positiv angenommen. Die Gruppe will ein Punktekonto für alle Dienstleistungen der SWM, also MVG, Strom,
Bäder etc. einrichten, auf dem der Kunde bei Nutzung der Leistungen Punkte
sammeln und dafür Prämien oder die Möglichkeit zu spenden erhalten soll. Die Gruppe hat sogar schon einen Finanzplan und ein
sehr durchdachtes Werbekonzept entwickelt.

Vorschläge anderer
Gruppen werden dagegen kritischer aufgenommen, nicht jedes Konzept ist schon so
gut ausgearbeitet. Andere Ideen sind zum Beispiel Kombitickets für
MVG und Bädereintritt, SmartHome-Software, eine ganzheitliche Abrechnung aller
Leistungen am Ende des Monats oder eine SWM-Kundenkarte, über die man monatliche
Gesamtpakete buchen kann.

Am Ende fragt mich mein Banknachbar, ob ich jetzt gerne BWL
studieren möchte. Eine Zeitlang denke ich über diese Frage nach und komme
zu dem Schluss, dass BWL wohl tatsächlich auch ganz spannend und weniger
trocken sein könnte, als ich dachte.


Text: Mariam Chollet

Foto: Lukas Haas

Zufallsstudium: Recht und Unrecht

Mit der Frage, wie man ein Haus gerecht auf zwei Zwillinge aufteilt, beschäftigt sich unsere Autorin in ihrer Zufallsvorlesung Rechtswissenschaften. Was anfangs ganz einfach klingt, zerbricht ihr am Ende doch den Kopf – zu Recht?

Die Studentin L. begibt sich am Montag, den 22. Mai 2017 gegen 12:00 Uhr in das Hauptgebäude der LMU. L. entschied dies aus freiem Willen und trug die volle Verantwortung für ihr Verhalten. Schnellen Schrittes folgt L. einer Gruppe männlicher Studenten in den Vorlesungssaal A140 im 1. Stock. Die Türen stehen offen. Bevor sich L. in den Raum begibt, wirft sie einen Blick auf das Kleingedruckte der Informationstafel. Ohne neuere Erkenntnis sucht sie sich schließlich einen Platz im bereits gut gefüllten Saal und beginnt an einer ihr nicht bekannten Vorlesung teilzunehmen. Zwei Stunden später verlässt sie die Veranstaltung schweren Kopfes und mit vielen offenen Fragen. Zu Recht?

So oder so ähnlich hätte man meine Teilnahme an meiner Zufallsvorlesung in einen juristischen Fall betten können. Ich bin keine Studentin der Rechtswissenschaft und kann an einem Versuch, einen Fall aufzustellen oder gar zu lösen nur kläglich scheitern. Dass es meinen Zufallskommilitonen in Hinblick auf eine Falllösung besser geht, dürfte auf der Hand liegen. Doch wie machen das die Studenten, die freiwillig im BGB schmökern und sich unzählige Paragraphen um die Ohren hauen?

Die Vorlesung beginnt um Punkt 12:15 Uhr mit den freundlichen Worten des Professors: „Herzlichen Glückwunsch liebe Studentinnen und Studenten der Rechtswissenschaft! 80 % haben die Hausarbeit bestanden. Ein gutes Ergebnis. Besser als das einer Klausur. Wesentlich besser als das Ergebnis des ersten Staatsexamens. Aber das können wir damit eh nicht vergleichen. Und bis dahin liegt noch ein sehr langer und mühsamer Weg vor Ihnen.“

Ein kurzes Raunen geht durch die Menge. Aufgeregte und betrübte Gesichter zugleich, die mich vermuten lassen, dass sie einerseits gespannt auf ihr eigenes Ergebnis sind, andererseits aber an den vom Professor als mühsam beschriebenen Weg denken. Und ich sitze da. Ohne BGB, aber dafür mit einem Grinsen im Gesicht. Ich versuche in die Rolle einer Jurastudentin zu schlüpfen und möglichst selbstbewusst und ruhig zu wirken. Das erste Staatsexamen ganz locker zu sehen. Die Paragraphen nur so aus dem Ärmel zu schütteln. Deshalb freue ich mich über die vermeintlichen Glückwünsche zur vermeintlich bestandenen Hausarbeit. Einer Etappe von vermutlich vielen Etappen in diesem Studium.

Der Professor kündigt an, die Hausarbeit erst am Ende der Sitzung herauszugeben, nachdem er den dafür zu bearbeitenden Fall noch einmal zusammen durchgekaut. Das macht der Professor gerade mit Absicht, um Unruhe zu vermeiden und noch einmal allen die Möglichkeit zu geben, bei vollster Konzentration mitdenken zu können. Oder aber um den Nervenkitzel zu erhöhen, die Spannung zu steigern und die Aufmerksamkeit der Studenten überwiegend zu verlieren. Mitschreiben tut keiner außer mir. Ich nenne es das „Verhandlungsprotokoll im Rechtsstreit um die gerichtlich bestimmten Leistungserhebungen“ und freue mich wirklich auf den Fall und die möglichen Lösungswege.

Es geht los. Der Professor liest die Fallbeschreibung vor: Eine vermögende Witwe, Mutter von Zwillingen, die ihren Kindern zum Geburtstag ein Grundstück vererben möchte, um ihnen eine Freude zu machen. Hört sich leicht an, denke ich mir: Einfach teilen. Doch es kommen Gegebenheiten hinzu, die diese vermeintlich einfache Aufteilung zu einem komplexen Verfahren werden lassen. Neben mir werden währenddessen H&M-Bestellungen aufgegeben, Krawatten zurechtgerückt, Wurstsemmeln verdrückt und Haare neu gegelt. So langsam verliere ich den Überblick. Der Fall wird immer verschachtelter und von meinem anfänglichen Optimismus bleibt wenig übrig. Das Staatsexamen verschwindet langsam aber sicher vor meinem inneren Auge. Der Professor diskutiert mit wenigen Eifrigen aus der ersten Reihe über Willenserklärungen, Mietveträge, Verfügungsrechte und vieles mehr. Ich fühle mich fehl am Platz und die Unwissenheit macht es mir schwer, mich länger wohlzufühlen und konzentrieren zu können. Also beiße auch ich beherzt in mein Käsevollkornbrötchen. Und dann beginne ich über die Witwe und ihre Kinder nachzudenken. Ob sie ihnen mit den Grundstücken wirklich eine so große Freude gemacht hätte? Hört sich ehrlich gesagt alles mehr nach Stress und Ärger an. Alleine mit zwei Kindern zu sein ist sicherlich auch nicht immer einfach.

Schließlich werden die Hausarbeiten ausgegeben. 208 freudige Gesichter. 52 Studenten, die sich Besseres erhofft hätten. Und ich, die den Fall nicht umfassend nach allen in Betracht kommenden Rechtslagen und Einwendungen unter Angabe von Paragraphen geprüft hat. Ich, die die Hoffnung hegt, dass die fiktive Familie das große Geburtstagsgeschenk, ein Grundstück, einfach wie eine Torte friedlich in gerechte Stücke teilt. So leicht kann wohl nur ich es mir machen. Aber ich darf es ja auch bei einem Zufallsstudium belassen und das ist mir auch ganz recht so!


Text: Laura Schurer

Foto:

Lukas Haas

Zufallsstudium: Vielleicht doch lieber was Naturwissenschaftliches?

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Trotz
Vor-Abitursprüfungs-„Ferien“ hat es unsere Zufallsstudentin geschafft, früh
morgens in einer chemischen Vorlesung zu sitzen, wo sie nicht nur komische
Blicke erntet, sondern auch interessante Eindrücke gewinnt.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie der Typ neben mir immer wieder auf das Blatt vor mir schielt. Groß steht ganz oben
„Zufallsstudium“ drauf und darunter ein paar kurze Notizen. Ich lächle ein bisschen
in mich hinein. Eigentlich nicht erstaunlich, dass er sich wundert. Ich finde
es ja sogar selbst verwunderlich, dass ich hier sitze. Dass ich mich
tatsächlich in meinen Vor-Abiprüfungs-„Ferien“ aufgerafft habe, um um 9 Uhr im großen
Buchner-Hörsaal von Großhadern zu sein. Ich bin an der medizinisch-chemischen Fakultät,
das weiß ich, aber in was für eine Vorlesung ich hier hinein geraten bin, weiß
ich noch nicht wirklich. Ich schiele zu meinem Nachbarn zurück und versuche
irgendwie den kleingedruckten Text in der unteren Ecke seines Skripts zu lesen,
wo vermutlich auch der Name dieser Veranstaltung steht. Aber keine Chance. Also
gebe ich bald auf und höre weiter zu. Es geht um Antibiotika. Der Professor
malt viele chemische Formeln an die Tafel, also tippe ich auf irgendwas in
Richtung Pharmazie.

Erstaunlicherweise finde ich mich ziemlich schnell in das
Thema ein und verfolge gespannt die Erklärungen des Professors, der mit
lebhafter Stimme und viel Gestik erklärt, wie man Antibiotika verändert, um sie
säurefest zu machen, also ein Keton in ein Acetal umwandeln. Oder was die Unterschiede zwischen fermentativ gewonnenen und synthetischen Antibiotika sind.
Gut, dass ich Chemie in der Oberstufe hatte, so dass ich mit den Begrifflichkeiten
gut klar komme, wirklich viel verstehe und es sogar ziemlich interessant finde.
Ich denke, dass der Typ von vorhin tatsächlich Recht hatte und mich gut beraten
hat.

Denn eigentlich hatte ich mich, als ich um 9 Uhr immer noch
planlos auf dem komischerweise fast leeren Campus stand, einem großen Kerl an
die Versen geheftet, der in einer Gruppe von mehreren Leuten auf ein kleines
Nebengebäude zu lief. Das kam mir eigentlich ganz gelegen, denn ich war fest
entschlossen, mich nicht einfach in einen der großen Hörsäle zu setzen, sondern
vielleicht eine kleinere, spannende Veranstaltung zu finden. Die Gruppe
Menschen verschwand dann durch eine Tür und als ich mit etwas Abstand hinterher
kam, standen alle vor einem kleinen Raum versammelt, sich in Kleingruppen
unterhaltend und offensichtlich auf den Professor wartend. Etwas ratlos stand
ich an der Seite, da überfiel mich plötzlich der Gedanke, dass es doch auch
geschlossene Veranstaltungen gibt an der Uni, mit Anwesenheitsliste und so.
Plötzlich verunsichert trat ich auf den großen Kerl zu, dem ich hierher gefolgt war: „Tschuldigung, kann ich mich in die Veranstaltung, auf die ihr wartet, auch
einfach so dazu setzen?“. Leicht amüsiert und irritiert meinte er, dass das eigentlich schon ginge. Schnell erklärte ich meine Situation, um das Gespräch etwas
weniger komisch zu machen, und der Typ erklärte mir sehr freundlich, dass sie
gerade auf ein total langweiliges Seminar warten und dass es aber gerade eine
sehr interessante Vorlesung in einem der Hörsaal gebe. Also nichts wie hin.

Nach einer sehr kurzen Zeit kündigt der Professor eine 15-Minuten-Pause an. Ich bin kurz irritiert, weil ich tatsächlich nicht mit einer
Pause gerechnet habe, und frage meinen Banknachbarn nochmal, ob das jetzt so stimmt, wie der das gesagt hat. Gratulation,
eine grandios dumme Frage in Anbetracht dessen, dass der Professor genau das vor drei Sekunden gesagt hat. Aber der Student ist sehr freundlich und ich
frage ihn auch noch, in was für einer Vorlesung ich hier eigentlich sitze und
gratuliere mir innerlich zu zweiten sehr dumm wirkenden Frage. „Medizinische
Chemie“, erfahre ich daraufhin, und, dass sie tatsächlich für
Pharmaziestudenten ist. Ich erkläre dann auch, was
es mit dem merkwürdigen Begriff „Zufallsstudium“ auf meinem Blatt auf sich hat
und wir unterhalten uns kurz nett über Zukunftspläne, wobei ich auch erfahre,
dass es eine Vorlesung für das fünfte bis achte Semester ist. Das macht mich schon ein
bisschen stolz, weil ich dafür echt erstaunlich viel verstehe.

Am Ende bin ich sogar so weit, dass ich anfange darüber
nachzudenken, entgegen meinen ursprünglichen Plänen nicht vielleicht doch
irgendetwas Naturwissenschaftliches zu studieren. So gehe ich, nach einer kurzen
netten Verabschiedung von meinem Banknachbarn, mit dem Gefühl, tatsächlich
etwas gelernt zu haben, aus dem Hörsaal.

Text: Mariam Chollet

Foto: Lukas Haas

Zufallsstudium: Unter der Erde

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Alt sind nicht nur die Zeiten, um die es in dieser Vorlesung gehen soll. Mitten unter Senioren mit weißen Haaren und dicken Hornbrillen nimmt unsere Autorin im Hörsaal Platz.

Im Vorübergehen lese ich eine große und plakative
Überschrift an der Wand: Die Alpen. Sofort tauchen vor meinem inneren Auge
Gebirgsketten auf. Sie sind gehüllt in Puderzuckerschnee. Playmobilgroße
Hütten, Fackeln beim Nachtrodeln und der Geschmack von Bombardino. Doch das
hier ist die Universität, hier heißt es: ungemütliche Stühle, künstliche LEDs
und Matsche-Pampe aus der Mensa. Ich trete in den Hörsaal ein und frage mich zu
welcher Disziplin das Themenfeld gehören könnte. Vielleicht geht es hier um die
vormenschliche Zeit, als sich bestimmte Erdplatten aufeinander schoben und
Berge entstehen ließen. Vielleicht aber auch um biologische Entwicklungen und
welche Pflanzenarten nur dort zu finden sind. Die Antwort kommt auch schon eine
Minute später als die Powerpoint-Folie umschwenkt und der Name des Instituts zu
lesen ist: Vor- und frühgeschichtliche Archäologie und Provinzialrömische
Archäologie. Okay, klingt wahrscheinlich komplizierter als es eigentlich ist.
Ich schnappe das Wort Siedlungsräume auf und Daten wie das 4. und 6.
Jahrhundert nach Christus, danach versinkt der Dozent auch schon in
Wiederholungen der letzten Stunde und ich habe Zeit mich umzuschauen.

 Erst jetzt fällt mir auf, dass über die Hälfte der Zuhörer
graue Haare und dicke Brillen haben – ich bin wohl in ein sehr beliebtes Fach
des Seniorenstudiums gerutscht. Doch wieso interessiert sich diese Generation
so sehr für Archäologie? Ausgrabungen und längst vergangene Siedlungen wenn man
selbst nur noch einige Jahre hat, bevor man unter die Erde wandert? Grotesk.

Ein Mann, ebenfalls ergraut und mit großer Pilotenbrille aus
den achtziger Jahren, reißt mich aus meinen Gedanken, als er zur Tür hereinkommt.
Im Alter wird man vielleicht weiser, aber nicht unbedingt pünktlich.

An der Wand erscheinen Luftbilder von Ausgrabungen und
Umrisse von Kirchen und Grabstätten. Das Institut war in den siebziger Jahren
an einer der Ausgrabungen in Oberitalien beteiligt. Ob der Dozent, ebenfalls
ergraut, persönlich dabei war, erfahre ich leider nicht. Doch jetzt wird es
spannend. Es geht um germanische Militärpräsenz und römischen Wohlstand, der
mit den Jahrhunderten immer weniger wurde. Bilder zeigen einen Kirchenumriss,
sogar den Platz des Altars und des Taufbeckens konnte man ausfindig machen. Es
gab dabei wohl einige Schwierigkeiten wegen des Mörtels und der Bindemittel,
aber ich verstehe nicht viel davon und frage mich kurzzeitig, ob
Archäologie-Studenten nebenbei eine Ausbildung zum Maurer absolvieren müssen. In
einem Siedlungsraum wurden außerdem Mosaike gefunden, die den zuvor genannten
Wohlstand zeigen. Sie sind einige Quadratmeter groß, kaum zerbrochen und
erinnern mich stark an Instagram-Bilder aus Marokko. Wie sie unter einer Erd-
und Grasschicht verschwinden konnten, bleibt mir ein Rätsel. Und überhaupt – wieso
verschwinden ganze Kirchen und ihre Friedhöfe unter der Erde?

Bevor allerdings weitere Fragen aufkommen, verkündet der
Dozent eine dreiminütige Pause. Mitten in der Vorlesung. Die Archäologen haben
wohl Zeit. Verständlich – denn was unter der Erde liegt, bleibt dort auch erst
einmal.

Text: Sandra Will

Foto: Lukas Haas

Zufallsstudium: Begraben unter Gesetzestexten

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Weil unser Autor einem Studenten erst in die Freistunde folgt, muss er sich beeilen, um nicht ergebnislos in der Haupthalle zurückzubleiben. Und prompt platzt er in eine Juravorlesung.

Als ich den
weiten Raum betrete, sehe ich sie schon. Es graust mich. Auf jeder Reihe des
Hörsaals liegen die seit der Mittelstufe gefürchteten dicken weißen Bücher aus,
mit großen farbigen Buchstaben bedruckt. „ÖffR“ steht dort geschrieben. Und
darunter: „Basistexte Öffentliches Recht“. Ich bin tatsächlich in einer
Juravorlesung gelandet.

„Bloß nicht
Jura oder BWL!“ denke ich mir, als ich zehn Minuten zuvor durch die hohen Türen
in die Uni-Haupthalle laufe. Vor Wirtschaft und Recht grauste ich mich schon zu
Schulzeiten, viel eher träume ich bereits von einem Ethnologie- oder
Philosophievortrag. Der Tag sollte sowieso noch einiges an Überraschungen
bereithalten, weil ich mich erst ein einziges Mal zuvor durch diese großen
Türen hindurch getraut hatte. Das war auch nicht wirklich während dem regulären
Universitätsbetrieb. Sondern nachts um 10 bei der großen Erstsemester-Party der
LMU. Zeit also, nun endlich einmal in diese große, spannende Welt der
Wissenschaft einzutauchen.

Als Neuling
wollte ich in diesem unbekannten Milieu keinesfalls auffallen und so erscheine
ich gerade noch so pünktlich -zehn nach zehn- auf dem Geschwister-Scholl-Platz.
Aus allen Richtungen eilen junge Leute in die große Halle, stürmen fast schon
durch mich hindurch. Da erblicke ich auch schon mein Opfer: langsam schlürfend
bewegt er sich die Treppen empor, in der einen Hand eine Brotzeittüte. Sein
Kopf bewegt sich im Takt zu einem Beat aus den schwarzen Kopfhörern vor und
zurück. Diese Ruhe, die dieser Student ausstrahlt inmitten all der Hektik, sie
macht ihn mir auf Anhieb sympathisch. Schnell merke ich allerdings, dass er
einen bestimmten Grund hat, sich so viel Zeit zu lassen: er muss in keine
Vorlesung eilen. Als er die Mitte der Eingangshalle erreicht, kramt er einen
Tabakbeutel hervor und beginnt, sich eine zu drehen. Sackgasse.
Mit dieser Person lässt es sich wohl wunderbar über Entschleunigung
philosophieren, ich selbst muss jetzt aber weiter.

Schon sehe
ich zwei jüngere Studentinnen mit prall gefüllten Hugendubel-Jutebeuteln die
Treppen hochlaufen und folge ihnen. Literaturwissenschaft vielleicht oder
Romanistik, denke ich mir freudig. Bis die beiden die Tür zum halb gefüllten Hörsaal
öffnen. Ich folge ihnen und plötzlich bin ich ganz umringt von diesen
Gesetzestexten, von denen ich seit der Oberstufe größtmöglichen Abstand zu
halten pflegte.

Ich setze
mich in eine der hinteren Reihen und krame Block und Stift hervor. Jetzt bin
ich wohl doch zu spät gekommen. Vorne spricht bereits der Dozent. Der rollt jedes
seiner Rs rollt und wirkt erstaunlich jung für einen Professor. Auf der Tafel
stehen bereits jene Abkürzungen und Zahlen, die mir schon immer unheimlich
waren: „Art. 24 GG“, soviel verstehe ich auch noch. „Die Bundesrepublik und die
europäische Union“ ist der Titel der Powerpoint-Präsentation, was mich aufatmen
lässt. Meine Angst, innerhalb der nächsten eineinhalb Stunden unter einem Berg
von Paragraphen, Verordnungen und Vertragserfüllungsbürgschaften zu  versinken, sinkt gewaltig.

Und tatsächlich
schafft es der Dozent, auch in mir Interesse zu wecken. Es soll in dieser
Vorlesung vor allem um die Verträge gehen, die die Bundesrepublik mit der EU
abgeschlossen hat. Zu Beginn bekommen wir einen kurzen historischen Abriss über
die Entwicklung in Europa hin zu einer gemeinschaftlichen Organisation
präsentiert. Ich lerne, dass der europäische Integrationsauftrag bereits im
Grundgesetz festgesetzt wurde. Dabei ist der Dozent bemüht, dieses doch recht
trockene Thema durch kurze Diskussionen aufzulockern. Einmal bemerkt eine
Studentin aus den vorderen Reihen etwa, dass die EU mehr zu einer Wirtschafts-
als zu einer Friedensgemeinschaft angewachsen ist.

Recht
schnell fallen allerdings Begriffe wie Subsidiarität oder relativer Anwendungsvorrang,
andere Abkürzungen wie EUZBLG und IntVG müssen eigentlich gar nicht mehr
erklärt werden. Ich habe das Gefühl, ein Buch erst von der Mitte an zu lesen
und schließe kurz die Augen. Mein Kopf brummt. Im zweiten Anlauf kann ich dann
doch ganz gut mithalten. Im Grunde wird uns erklärt, über welche Kompetenzen
und Entscheidungen die EU verfügt und wo die einzelnen Staaten noch das Sagen
haben. Der Kern der Staatsidentität muss bewahrt werden, so steht es auch im
Grundgesetz.

Die meisten
meiner Zufalls-Kommilitonen scheinen allerdings genauso wenig zu erahnen,
worüber genau der Professor gerade spricht. Die Köpfe werden schwer. Selbst
das permanente Gemurmel aus der Reihe hinter mir vergeht in müdes Gähnen. Klüger
fühle ich mich inzwischen auf jeden Fall: ich habe gelernt, bis zu welchem Grad
die Europäische Union in nationale Gesetze eingreifen darf und warum ein
„nationaler Identitätsschutz“- zumindest aus juristischer Sicht- durchaus
wichtig ist.

Ich hätte es
schön gefunden, wenn der Kurs die angebliche Notwendigkeit dieser nationalen
Identitäten stärker hinterfragt hätte, das ist aber wohl eher was für Politik-
oder Kulturwissenschaftler. Gleichzeitig betont der Dozent immer wieder, wie
wichtig uns allen die EU trotz all der Kritik und gerade auch wegen dieser
unsicheren Zeiten sein sollte. Wie ich finde, etwas das nicht oft genug
ausgesprochen werden kann.

Bald beendet
er auch die Vorlesung mit Verweis auf weiterführende Veranstaltungen im
Sommersemester. Ich packe mein Zeug zusammen und stürze durch die Menschenmasse
hindurch in Richtung Ausgang. Vielleicht, denke ich mir beim Hinauslaufen in
die Herbstsonne, vielleicht sollte ich diese weiterführenden Veranstaltungen
ebenfalls besuchen.

Text: Louis Seibert

Foto: Lukas Haas

Planlos in der Konjunkturtheorie

Bevor ich mir noch so richtig überlegen kann, ob
ich das jetzt gut finde, in einer Wirtschaftsvorlesung zu sitzen,
fängt der Dozent schon zu reden an. Ich verstehe ziemlich wenig. Eine neue Folge unseres Zufallsstudiums.

Von Mariam Chollet

An der Wand erscheint eine Powerpoint-Präsentation: „Einführung in die Konjunkturtheorie“ unter
dem Überbegriff Makroökonomik. Was tue ich hier? Warum bin ich an der Uni und nicht in der Schule? Und warum um Himmels Willen Makroökonomik?

Rückblick. 50 Minuten zuvor. Ich laufe auf das große Uni-Gebäude zu. Es ist ein
schöner Tag draußen, zu schön eigentlich, um sich rein zu setzen, denke ich. Vorsichtig
drücke ich die Tür auf. Drinnen staune
ich über die hohe Halle, die mich empfängt. Natürlich war ich hier schon, so
mit der Schule. Aber heute ist es anders, heute bin ich keine Schülerin in
einer Gruppe von Schülern, nein, heute bin ich Zufallsstudentin.

Zögerlich gehe ich die Treppe hoch, etwas unsicher, wohin ich
jetzt überhaupt gehen soll. Zehn nach drei. Ich meine mal gehört zu haben, dass
Vorlesungen immer erst um Viertel nach anfangen. Aber hier sind keine Menschen
zu sehen. Etwas ratlos laufe ich ein paar Mal Treppen rauf und wieder runter, um
die große Halle herum, immer auf der Suche nach einer Person, der ich folgen
könnte. Und finde niemanden. Schließlich schaue ich auf den Raumplan neben
einem Vorlesungssaal. Für 16 Uhr steht da die nächste Veranstaltung. Ich schaue
auf die Uhr: 15.20 Uhr.

Nach ein wenig weiterem ziellos Rumstehen und Rumlaufen und
Nicht-wissen-wohin, frage ich dann doch drei Studenten, die auf der Treppe sitzen
und lernen, was los ist. Sie schauen mich verwirrt an. Schnell erkläre ich,
wieso ich hier bin und dass ich noch gar nicht studiere und daher keine Ahnung
habe und so. Ich werde etwas rot. So dass sie mir dann doch erklären, dass es
hier immer nur blockweise alle zwei Stunden anfängt. Sie schauen mich immer noch sehr irritiert
an. Und ich kann es auch verstehen: Vermutlich läuft nicht alle Tage mal eine
Schülerin in der Uni rum und will sich gerne in irgendeine willkürlich
ausgewählte Vorlesung setzen. Zugegeben, das klingt schon ein bisschen komisch.

Die nächste Dreiviertelstunde schlage ich mit Essen und der
vergeblichen Suche nach einem Schreibwarenladen tot. Aus irgendeinem Grund habe
ich das Talent, immer das, was ich gerade suche, nicht zu finden.

Dann wieder das Hauptgebäude. Zum dritten Mal vorbei am
selben Unterschriften sammelnden Studenten. Diesmal ist es kurz nach vier. Das
Gebäude ist tatsächlich deutlich voller. Ich schlendere die mir nun schon fast
bekannten Gänge entlang und halte Ausschau nach interessanten Personen, denen
ich folgen könnte. Nach einer Weile, in der ich verschiedene Personen gemustert
habe und für irgendwie nicht spannend genug befunden habe, bekomme ich
plötzlich leichte Panik. Schnell hänge ich mich an die nächstbeste
Person: eine junge Studentin, die jetzt nicht grade wahnsinnig spannend,
sondern eher durchschnittlich, aber doch ganz sympathisch aussieht. Wir laufen
auf eine offene Tür am Ende eines Ganges zu und ich schaue in lauter
Studentengesichter, weil die Tür direkt vorne ist, wo der Dozent steht. Ich
bettle inständig, dass sie nicht da rein geht. Ich habe grade sehr wenig Lust, als
immerhin bestimmt vier Jahre jüngere Schülerin direkt an starrende Augen von
Studenten vorbeizulaufen. Viel lieber hätte ich mich von hinten unauffällig
in einen Raum geschlichen. Aber natürlich läuft die Studentin zielgenau in
diesen Saal hinein und ich wohl oder über hinterher.

Nach doch noch einigem Warten kommt dann endlich ein Dozent
rein. Kurze Zeit später erscheint die Powerpoint-Präsentation an der Wand und
ich lese den Titel der Vorlesung: „Einführung in die Konjunkturtheorie“ unter
dem Überbegriff Makroökonomik. Bevor ich mir noch so richtig überlegen kann, ob
ich das jetzt gut finde, in einer Wirtschaftsvorlesung zu sitzen oder nicht,
fängt der Dozent schon zu reden an.

Und dann verstehe ich ziemlich wenig. Es geht um Fiskalpolitik
und intertemporale Optimierung und das kosianische Modell und er könnte für
mich genauso gut Spanisch reden. Aber irgendwann kommen wir dann kurz auf das
Thema Brexit, durch den ein Konjunkturschock eingetreten sei, weil sich
schlagartig alles verändert habe. Ich wache aus meinem Ich-verstehe-eh-nichts-Halbschlaf
auf. Offensichtlich scheint es auch einigen anderen im Raum so zu gehen, denn
plötzlich verstummt das ganze vorher herrschende Gemurmel. „Hmm, was sagt ein
Ökonom zu Brexit? Schwierige Frage“, philosophiert derweil der Dozent. Als er
die Frage stellt, wer glaubt, dass es besser wird durch Brexit, meldet sich
niemand. Geschickt übergeleitet sind wir dann plötzlich wieder bei Trends und
wie man die ausrechnet und ich frage mich, wofür so ein Trend denn überhaupt gut
ist und es wird mir auch nicht mehr klar. Dann folgen haufenweise Diagramme und
Formeln mit Logarithmen und tausenden Variablen, bei denen sich mir nicht
erschließt, wofür sie stehen. Zwei Dinge verstehe ich immerhin: zum einen sein
Verständnis von Ökonomen, die versuchen „einen Bus zu lenken, indem sie hinten
aus dem Fenster schauen“, da Prognosen rückblickend betrachtet immer falsch
sind und immer manipuliert werden müssen, um mit ihnen arbeiten zu können. Und
dass sich Haushalte und Unternehmen immer möglichst optimal für sich selbst
verhalten, also so, dass sie möglichst viel Geld verdienen und dass ein
Konjunkturschock daher also Konsum und Produktion schlagartig verändert, da es
möglicherweise nur an einem Tag viel billiger ist. Damit schließt sich zumindest
für mich wieder ein bisschen der Kreis zu „Little Britain“. Aber irgendwie ist
mir das echt alles zu theoretisch, weil was genau mir das jetzt bringt, wenn
ich die Auswirkungen von Technologieschocks vorhersehen kann, wenn ich doch das
Verhalten der Haushalte und Unternehmen eh nicht verändern kann, das erschließt
sich mir nicht.

Zufallsstudium: Das Gute und das Böse

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Sein Gang ist sehr wippend, sehr schnell. Doch statt in eine Vorlesung geht der junge Mann auf die Toilette. Eine Ewigkeit später:
Sein charakteristischer Gang ist jetzt ein erleichtertes Schlurfen. Er schlurft ins Audimax – und der Autor dieser Zufallsstudium-Kolumne hinterher. Was er dort erlebte, verblüffte ihn.

Von Matthias Kirsch

Ich stehe auf und verlasse
den Saal. Ich denke nach. Allein der Fakt, dass mich dieser Vortrag
nachdenklich gemacht hat, freut mich. Ich dachte, ich lande in einer
Jura-Vorlesung. Oder einer BWL-Übung. Ich hatte auf ein philosophisches Seminar
gehofft, und habe einen Vortrag gekriegt. Ich wollte eine Frage stellen, aber
ich wurde nicht drangenommen. In manchen Studiengängen ist das auch so. Da
stellt niemand Fragen. Die Lehre ist bei manchen Studiengängen nicht für Fragen
ausgelegt. Oft wissen das die Studenten nicht, wenn sie sich immatrikulieren.
Das ist schade. Und das ist ja auch irgendwie Zufall, in so einem Studium.

Aber der Reihe nach: Ich
bin zu spät – in allen Belangen. Erstens: Ich habe meinem Mitbewohner die Miete
noch nicht überwiesen. Zweitens: Es ist
18.45 Uhr. Ganz schön spät für die Uni. Vor allem, wenn man einem x-beliebigen Studenten in einen Kurs folgen will. Aber Verspätung hat System: Interessante Menschen kommen zu spät zu
einer Vorlesung, weil sie vorher interessante Dinge getan haben. Logisch, oder?
Also kann ich auch 45
Minuten nach dem normalen Beginn einer Veranstaltung noch jemandem in ein
Seminar folgen. Beim Bäcker im Zwischengeschoss entdecke ich eine Bekannte –
ich bleib stehen und sag Hallo. Sie fragt, was ich vorhabe, und ich erzähl es
ihr. Ich frage, was sie vorhat, und sie erzählt: Ich ziehe morgen nach Berlin.
Aber jetzt, jetzt gehe ich erst zu einem Vortrag. Ich finde, am Tag bevor man
nach Berlin zieht, kann man sich ruhig einen Vortrag anhören.

Ich – so überlege
ich es mir vor dem Hauptgebäude der LMU – könnte eigentlich ja auch ihr folgen.
Aber das wäre zu einfach. Ich wünsche ihr viel Spaß und Erfolg, und
sie wünscht mir auch viel Spaß und Erfolg. Ich
setze mich also vor die Uni. Eine Gruppe Hipster kommt vorbei – das langweilt
mich schon. Dann, Hemd-Pulli-schicke-Schuhe, auch darauf habe ich keine Lust.
Aber, schließlich entdecke ich jemanden – am Brunnen vorbei läuft, hüpft fast,
ein mittelgroßer junger Mann. Sein Gang ist sehr wippend, sehr schnell – der
muss Verspätung haben! Aber für welchen Kurs? Meine Fantasie geht schon auf
Reisen – Mathematik, vielleicht? Oder doch Philosophie? Vor lauter Nachdenken
läuft mir der Gute fast weg. Ich spute mich. Im Lichthof verlier ich ihn fast,
aber dann entdecke ich das weiße T-Shirt wieder und hänge mich an ihn. Ich
hoffe nur, er geht nicht ins Audimax. Leider stampft er immer weiter in die
Richtung, jetzt ist er schon auf der Höhe des Eingangs – und läuft vorbei! Ich
freu mich – aber es währt nur kurz. Denn nur einige Meter weiter öffnet mein
wippender Student eine Tür. Und geht aufs Klo.

 Na
gut. Ich warte vor der Toilette, auf dem Gang, wohlgemerkt. Die Zeit vergeht –
ich fange an, mir Sorgen zu machen. Ist er krank? Ins Klo gefallen? Vielleicht
lernt er gerne auf dem Klo? Gerade als ich mich dazu entscheide nachzuschauen,
öffnet sich die Tür und der junge Mann verlässt die Toilette. Er hat
sich verändert. Sein charakteristischer Gang ist jetzt ein erleichtertes Schlurfen.
Seine wachen Augen: auf einmal müde. Alles, was mich auf ersten Blick gefesselt
hat, ist weg! Und, es kommt noch schlimmer: Er geht ins Audimax.

Ich
gebe mich geschlagen. Ich setze mich ein paar Reihen hinter meinen neuen
Freund. Mir geht kurz durch den Kopf, dass er Jim Carrey in meiner eigenen
kleinen Truman-Show ist. Dann frage ich meine Nachbarin, eine kleine, sehr
aufrechtsitzende Person, welche Veranstaltung denn jetzt hier veranstaltet
wird. „Keine Veranstaltung“, piepst sie, „ein Vortrag!“ Ich bin neugierig.
„Tomas Sedlacek – the Economy of Good and Evil!“, erklärt sie weiter. Ich habe
keine Zeit nachzufragen, da betritt schon ein älterer Herr das Podium. Er
redet sehr monoton, und mir wird mulmig. Das muss ich mir jetzt antun? Ich habe
Glück: Dieser alte Mann kündigt nur den Speaker an. Denn Herr
Sedlacek ist zwar ein brillanter Wissenschaftler (one of the brightest young
minds in economics, hatte der langweilige alte Mann verkündet, nicht ganz ohne
Stolz), sieht aber nicht so aus. Groß, muskulös gebaut, kurze blonde Locken,
blonder Vollbart. Sakko, hellblaues Hemd, dunkle Leinenhose, Brogues. Und
Sedlacek ist ein guter Redner. Mit lauter Stimme beginnt er seinen Vortrag, er baut
einige Witze ein, das Publikum hängt ihm an den Lippen.

Ich nicht. Ich muss ja
objektiv bleiben. Aber, ich muss zugeben, ich bin ganz froh, hier gelandet zu
sein.
Sedlacek ist nicht nur Wirtschaftswissenschaftler, sondern beschäftigt sich
auch mit Methodologie und Theologie und künstlicher Intelligenz.
Sedlacek glaubt
nicht, dass die Wirtschaft und ihre Lehre frei von Ideologie sind – er
beschuldigt sogar die führenden Wissenschaftler, den Lehrenden ihre Ideologie
aufzudrängen. So langsam merken die meisten im Raum, warum Tomas’ Buch,
treffend natürlich „The Economy of Good and Evil“ genannt, ein Bestseller
wurde. Der Mann kann erzählen. Und
so erzählt er weiter. Er resümiert das Christentum in sieben Sekunden. Er sagt:
„God has to kill himself in order not to kill people“. Einleuchtend. Er
beschreibt die europäische Schuldenkrise nicht als wirtschaftliches, sondern
als ideologisches Problem. Und, schlussendlich, um seinen anfänglichen Punkt zu
unterstreichen, dass nichts frei von Ideologie sein kann, erläutert er: Sogar
im biblischen Paradies, an einem Ort, an dem alles wunderbar ist, ist der
einzige Mensch nicht frei von einer Emotion. Bevor der erste Mensch auch nur
irgendein Wort geredet, einen Schritt gemacht hat, fühlt er sich schon –
alleine. 

Ich stehe auf und verlasse den Saal. Ich denke
nach.

Zufallsstudium: Leichen und Vektoren

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Was studiert der Junge mit den Dreadlocks eigentlich? Welchen Kurs besucht das Mädchen, das in der U-Bahn neben uns saß? Woche für Woche folgen wir fremden Studenten zum „Zufallsstudium“. Dieses Mal: Marina landet zuerst in einem Mathe-Tutorium und dann in einem sehr leeren Jura-Kurs. Da ist die Gefahr natürlich groß aufgerufen zu werden!

An einem Dienstagnachmittag, kurz vor den Klausuren, sollten
Studenten die Zeit nutzen und lernen. Da Prokrastination allerdings eine der
besten Studentendisziplinen ist, verbringe ich meinen Dienstag lieber im Dienste des Schreibens und
erweitere meinen Horizont. Vor dem Hauptgebäude der LMU sieht es um kurz nach
zwei eher leer aus, nur wenige Studenten sind unterwegs, also hänge ich mich an
den nächstbesten Studenten, der an mir vorbei läuft. Ein durchschnittlicher Typ
in brauner Hose und gestreiftem Shirt, der abwechselnd auf sein Handy und über
seine Schulter schaut – ich fühle mich ertappt und gehe etwas langsamer.

Schließlich verfolge ich ihn aber durch die fast leeren
Gänge in einen Hörsaal, der für zehn nach noch sehr leer ist. Die Anwesenden
sitzen einzeln und sind eine bunte Mischung aus Mädchen und Jungen ohne
erkennbare Klischees eines Studienganges. Als dann ein Student vorne den
Overhead-Projektor aufbaut, ahne ich, dass ich in einem Tutorium gelandet bin.
Und so ist es auch. Er beginnt mit der Verbesserung eines Arbeitsblattes über
Vektoren, das klingt für mich doch alles ganz logisch, Oberstufenniveau.
Vielleicht wird es ja noch spannender? Aber nach kurzer Zeit wird mir klar,
dass das hier sicher keiner der gefürchteten Uni-Mathekurse ist, in dem mit
höherer Mathematik und absurden Zahlenkonstrukten gearbeitet wird. Der Rest des
Kurses scheint hier auch keine mathematische Erleuchtung zu erlangen, und als
der Tutor erklärt, dass er nach Korrektur des Arbeitsblattes die Stunde
beendet, beschließe ich, mir ein neues Opfer zu suchen.

Also verlasse ich um halb drei den Saal und laufe kurz durch
die leeren Gänge. Keine Studenten zu sehen, jedenfalls niemand, der so
aussieht, als ob er gleich eine Vorlesung besucht. Das Audimax, mein Plan B,
ist ebenfalls leer. Also gehe ich auf gut Glück ein Stockwerk höher und
entdecke einen Jungen, der gerade in einen Hörsaal schlüpft. Ich folge ihm. Der
Saal ist auch nicht besonders voll, die vielleicht dreißig Studenten verteilen
sich auf den ganzen Raum und ich setze mich unauffällig in die letzte Reihe.
Komisch, noch kein Dozent zu sehen.

Dafür treffe ich einen Kollegen im Geiste: Ein anderer
Zufallsstudent! Er hat genau wie ich keine Ahnung, wo er hier gelandet ist,
eigentlich ist er Lehrer und auf Klassenfahrt, seine Schüler haben Freigang
und er, ganz der Lehrer, besucht in seiner Freizeit eine Vorlesung. Wir zucken
beide zusammen, als der Dozent plötzlich den Raum von hinten betritt und mit
einem Blick auf uns verkündet: Alle nach vorne, mir sitzt hier keiner in der
letzten Reihe. Das ist mir natürlich gar nicht recht, bei so wenigen Studenten
steigt das Risiko, aufgerufen zu werden – und das, obwohl ich noch nicht mal
das Fach kenne. Notgedrungen wandere ich nach vorne und sofort lüftet auch
schon eine Power-Point-Präsentation das Rätsel: Grundkurs im öffentlichen Recht
II. Jura also. Recht war ja in der Schule immer ganz interessant, aber ich
erinnere mich noch vage an das Gefühl, sowieso nie ganz richtig zu liegen und
immer etwas zu übersehen.

Und so ist es dann auch. Es geht los mit der Kunstfreiheit,
und einem Fallbeispiel: Die „Körperwelten“. Darf man diese Ausstellung in
Berufung auf allgemeine ordnungsrechtliche Vorschriften verbieten?
Kunstfreiheit? Berufsfreiheit? Wissenschaftsfreiheit? Zunächst alles abstrakte
Begriffe, die aber mit der Zeit etwas klarer werden. Trotzdem gelingt es keinem
Studenten, eine Frage ganz richtig zu beantworten, letztendlich hat immer der
Professor recht (Genau wie befürchtet). Der hält seine Vorlesung auf einem
rhetorisch sehr hohen Niveau, das wohl einer der angenehmeren Faktoren einer
Jura-Vorlesung ist. Kleine Anekdoten, Exkurse und Witze lassen die Vorlesung
interessant werden, so dass ich bald die drei Kunstbegriffe (formell, materiell
und offen) verstanden habe, und auch, warum das Ausstellen von Leichenteilen
irgendwie unter diesen Kunstbegriff fällt.

Außerdem weiß ich jetzt in groben Zügen, wie man mit Leichen
umzugehen hat: Sie müssen bestattet werden, und das wohl vor allem anderen aus
gesundheitlichen und hygienischen Gründen. „Stellen sie sich mal vor, da liegen
überall Leichen rum und faulen vor sich hin“, fordert der Professor auf, und
die Studenten verziehen die Gesichter. Aber die Leichen bei Körperwelten faulen
ja nicht, die sind Kunst oder doch Wissenschaft, oder vielleicht auch einfach
nur eine sehr absurde Form der Geldmacherei, mir erschließt sich das nicht so
ganz, jedenfalls nicht auf juristischer Ebene.

Je weiter die Vorlesung fortschreitet und je weiter wir dann
in die Tiefen von Grundrechten wie der Versammlungsfreiheit abtauchen, desto
mehr komme ich nicht mehr hinterher. Das ist mir dann doch alles zu abstrakt. Mein Hirn hat einfach keine Lust mehr und mir brummt der Schädel, genau wie
damals in der Schule, als man immer nicht weit genug gedacht hat und der Lehrer
das am Schluss alles besser wusste. Nur eine kurze Fachsimpelei bleibt im
Verlauf hängen: Der Professor fragt sich, am Rande des Themas Love-Parade, ob
man diese Techno-Musik denn eigentlich mit einem ch oder einem k ausspricht –
Es entsteht eine Diskussion, nicht nur über die Aussprache sondern auch über
musikalische Feinheiten des genannten Genres, und ich habe für einen kurzen
Moment doch wieder den Durchblick.

Von: Marina Sprenger

Foto: Lukas Haas

Zufallsstudium: Der Zucchiniblüten-Fall

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Was studiert der Junge mit den Dreadlocks eigentlich? Welchen Kurs besucht das Mädchen, das in der U-Bahn neben uns saß? Woche für Woche folgen wir fremden Studenten zum „Zufallsstudium“.

Dieses Mal: Pia findet in einer Jura Vorlesung heraus, was
Tante Berta und die Zucchiniblüte mit Zivilrecht zu tun haben.

Die Zucchiniblüte
oder die mörderische Frage, wer wem das Bild verkaufte, beschäftigte mich
Dienstagmittag. Die Hauptverdächtige dieses mit Irrungen und Wirrungen
vollgepackten Falles ist Bona Fide.

Bevor ich aber diese folgenschwere Bekanntschaft mit Bona
Fide machte, streifte ich Dienstag durch die Uni, auf der Suche nach einem
Studenten, der mich in die Welt seines Faches entführen sollte. Dabei kam ich
an einem Hörsaal vorbei, aus dem schon der Beginn einer Vorlesung zu hören war.
Verwundert und neugierig, welcher Professor so überpünktlich anfing, denn es
waren ja noch acht Minuten bis zum offiziellen Vorlesungsbeginn, setzte ich
mich in den nicht ganz so vollen Saal. Mir wurde ein Arbeitsblatt gereicht auf
dem ich lesen konnte, wo ich mich überhaupt befinde: Tutorium Zivilrecht in der
Mittelphase. Fall 12. Bevor ich Zeit hatte mir Gedanken zu machen, ob ich nun
glücklich bin oder nicht für die nächsten 90 Minuten Fall 12 zu lösen, legten
wir auch schon los. Und hier beginnt die Geschichte der Zucchiniblüte und Bona
Fides.

F und M sind zwei verheiratete
Studenten, die sich vertrauen und lieben. Als F in den Urlaub fährt beschließt
ihr Ehemann M ihren Account mit dem Pseudonym „Bona Fide“ auf der
Verkaufsplattform I-Buy zu benutzen, um ein ungeliebtes Geschenk seiner Tante
zu verkaufen. Großtante Berta schenkte ihrem Neffen nämlich die Zucchiniblüte,
ein Gemälde des französischen Malers Séchuan. Die Zugangsdaten für das Portal
verschafft sich M mithilfe eines Zettels aus dem Nachttisch seiner Frau. Er stellt daraufhin das auf 1000€ geschätzte
Gemälde ohne das Wissen seiner Frau unter ihrem Nutzernamen online. So weit, so gut. Das
Drama nimmt allerdings seinen Lauf, als ein Käufer K das Bild für 50€
ersteigert und M den Verkauf teils wegen des niedrigen Erlöses, teils wegen
einem schlechten Gewissen gegenüber Tante Berta plötzlich bereut. Als F aus dem
Urlaub zurückkommt, will sie nichts mit der Sache zu tun haben.

Aus juristischer Sicht stellen Begriffe wie
Anscheinsvollmacht, Übergabe und Übereignung, sowie Offenkundigkeitsproblem in
Kombination mit Paragraph 433 I/1 oder 164 ff. des Rätsels Lösung dar. Doch ich
begann mir ganz andere Fragen zu stellen. Kann F ihrem Ehemann M diesen
Vertrauensbruch verzeihen, einfach ihr Passwort ohne Erlaubnis zu nehmen? Was
wird Tante Berta zu der Sache sagen? Und wie sieht überhaupt die Zucchiniblüte
aus?

Ich wurde jäh aus meinen Gedanken gerissen, als die Dozentin
plötzlich im Zusammenhang des Falls die Frage stellte, was passieren würde,
wenn jemand beim Bäcker unter dem Namen Johann Wolfgang von Goethe Brezn
bestellen würde und der ganze Hörsaal musste schmunzeln. Es ging dabei
natürlich nicht um einen goethelesenden Brezn-Liebhaber, sondern um den Begriff
der Identitätstäuschung und wie diese im juristischen Sinn bestraft werden
kann. Denn es macht einen großen Unterschied, ob jemand Brezn IN fremdem Namen
beim Bäcker bestellt oder ob jemand eine Zucchiniblüte UNTER fremdem Namen im
Internet verkauft. Während weiter an der Antwort, ob nun K Ansprüche gegenüber
F oder M hat gearbeitet wurde, fragte ich mich plötzlich ob es wohl zu Goethes
Zeiten auch so einen Fall gegeben hätte. Denn ein anderes Problem in diesem
Beispiel ist, wie ich erfuhr, der Onlineverkauf und die damit zusammenhängenden
AGBs von I-Buy.

Nach etwa 40 Minuten haben wir endlich alle Irrungen und
Wirrungen, die F, M und K zu einem Fall für das Tutorium Zivilrecht in der
Mittelphase machen enttarnt. Jetzt müssen wir nur noch ein Urteil sprechen.
Zunächst stellt sich heraus, dass der Käufer K nach verschiedenen Paragraphen,
die ich mir nicht alle merken konnte, keinen Anspruch auf Übereignung oder
Schadenssatz gegenüber F hat. Nicht so gut sieht es allerdings für M aus. Es
liegt nach §433 ein rechtmäßiger
Kaufvertrag vor und somit muss die Zucchiniblüte den Besitzer wechseln.

Die mörderische Frage, wer wem das Bild verkaufte, ist somit
(zumindest juristisch) abschließend geklärt. Helfen kann M hier nur noch ein
guter Anwalt, doch was ich so gesehen habe, könnte er in dieser Vorlesung
bestimmt den ein oder anderen finden.

Von: Pia Teresa Weber

Foto: Lukas Haas