Bevor ich mir noch so richtig überlegen kann, ob
ich das jetzt gut finde, in einer Wirtschaftsvorlesung zu sitzen,
fängt der Dozent schon zu reden an. Ich verstehe ziemlich wenig. Eine neue Folge unseres Zufallsstudiums.
Von Mariam Chollet
An der Wand erscheint eine Powerpoint-Präsentation: „Einführung in die Konjunkturtheorie“ unter
dem Überbegriff Makroökonomik. Was tue ich hier? Warum bin ich an der Uni und nicht in der Schule? Und warum um Himmels Willen Makroökonomik?
Rückblick. 50 Minuten zuvor. Ich laufe auf das große Uni-Gebäude zu. Es ist ein
schöner Tag draußen, zu schön eigentlich, um sich rein zu setzen, denke ich. Vorsichtig
drücke ich die Tür auf. Drinnen staune
ich über die hohe Halle, die mich empfängt. Natürlich war ich hier schon, so
mit der Schule. Aber heute ist es anders, heute bin ich keine Schülerin in
einer Gruppe von Schülern, nein, heute bin ich Zufallsstudentin.
Zögerlich gehe ich die Treppe hoch, etwas unsicher, wohin ich
jetzt überhaupt gehen soll. Zehn nach drei. Ich meine mal gehört zu haben, dass
Vorlesungen immer erst um Viertel nach anfangen. Aber hier sind keine Menschen
zu sehen. Etwas ratlos laufe ich ein paar Mal Treppen rauf und wieder runter, um
die große Halle herum, immer auf der Suche nach einer Person, der ich folgen
könnte. Und finde niemanden. Schließlich schaue ich auf den Raumplan neben
einem Vorlesungssaal. Für 16 Uhr steht da die nächste Veranstaltung. Ich schaue
auf die Uhr: 15.20 Uhr.
Nach ein wenig weiterem ziellos Rumstehen und Rumlaufen und
Nicht-wissen-wohin, frage ich dann doch drei Studenten, die auf der Treppe sitzen
und lernen, was los ist. Sie schauen mich verwirrt an. Schnell erkläre ich,
wieso ich hier bin und dass ich noch gar nicht studiere und daher keine Ahnung
habe und so. Ich werde etwas rot. So dass sie mir dann doch erklären, dass es
hier immer nur blockweise alle zwei Stunden anfängt. Sie schauen mich immer noch sehr irritiert
an. Und ich kann es auch verstehen: Vermutlich läuft nicht alle Tage mal eine
Schülerin in der Uni rum und will sich gerne in irgendeine willkürlich
ausgewählte Vorlesung setzen. Zugegeben, das klingt schon ein bisschen komisch.
Die nächste Dreiviertelstunde schlage ich mit Essen und der
vergeblichen Suche nach einem Schreibwarenladen tot. Aus irgendeinem Grund habe
ich das Talent, immer das, was ich gerade suche, nicht zu finden.
Dann wieder das Hauptgebäude. Zum dritten Mal vorbei am
selben Unterschriften sammelnden Studenten. Diesmal ist es kurz nach vier. Das
Gebäude ist tatsächlich deutlich voller. Ich schlendere die mir nun schon fast
bekannten Gänge entlang und halte Ausschau nach interessanten Personen, denen
ich folgen könnte. Nach einer Weile, in der ich verschiedene Personen gemustert
habe und für irgendwie nicht spannend genug befunden habe, bekomme ich
plötzlich leichte Panik. Schnell hänge ich mich an die nächstbeste
Person: eine junge Studentin, die jetzt nicht grade wahnsinnig spannend,
sondern eher durchschnittlich, aber doch ganz sympathisch aussieht. Wir laufen
auf eine offene Tür am Ende eines Ganges zu und ich schaue in lauter
Studentengesichter, weil die Tür direkt vorne ist, wo der Dozent steht. Ich
bettle inständig, dass sie nicht da rein geht. Ich habe grade sehr wenig Lust, als
immerhin bestimmt vier Jahre jüngere Schülerin direkt an starrende Augen von
Studenten vorbeizulaufen. Viel lieber hätte ich mich von hinten unauffällig
in einen Raum geschlichen. Aber natürlich läuft die Studentin zielgenau in
diesen Saal hinein und ich wohl oder über hinterher.
Nach doch noch einigem Warten kommt dann endlich ein Dozent
rein. Kurze Zeit später erscheint die Powerpoint-Präsentation an der Wand und
ich lese den Titel der Vorlesung: „Einführung in die Konjunkturtheorie“ unter
dem Überbegriff Makroökonomik. Bevor ich mir noch so richtig überlegen kann, ob
ich das jetzt gut finde, in einer Wirtschaftsvorlesung zu sitzen oder nicht,
fängt der Dozent schon zu reden an.
Und dann verstehe ich ziemlich wenig. Es geht um Fiskalpolitik
und intertemporale Optimierung und das kosianische Modell und er könnte für
mich genauso gut Spanisch reden. Aber irgendwann kommen wir dann kurz auf das
Thema Brexit, durch den ein Konjunkturschock eingetreten sei, weil sich
schlagartig alles verändert habe. Ich wache aus meinem Ich-verstehe-eh-nichts-Halbschlaf
auf. Offensichtlich scheint es auch einigen anderen im Raum so zu gehen, denn
plötzlich verstummt das ganze vorher herrschende Gemurmel. „Hmm, was sagt ein
Ökonom zu Brexit? Schwierige Frage“, philosophiert derweil der Dozent. Als er
die Frage stellt, wer glaubt, dass es besser wird durch Brexit, meldet sich
niemand. Geschickt übergeleitet sind wir dann plötzlich wieder bei Trends und
wie man die ausrechnet und ich frage mich, wofür so ein Trend denn überhaupt gut
ist und es wird mir auch nicht mehr klar. Dann folgen haufenweise Diagramme und
Formeln mit Logarithmen und tausenden Variablen, bei denen sich mir nicht
erschließt, wofür sie stehen. Zwei Dinge verstehe ich immerhin: zum einen sein
Verständnis von Ökonomen, die versuchen „einen Bus zu lenken, indem sie hinten
aus dem Fenster schauen“, da Prognosen rückblickend betrachtet immer falsch
sind und immer manipuliert werden müssen, um mit ihnen arbeiten zu können. Und
dass sich Haushalte und Unternehmen immer möglichst optimal für sich selbst
verhalten, also so, dass sie möglichst viel Geld verdienen und dass ein
Konjunkturschock daher also Konsum und Produktion schlagartig verändert, da es
möglicherweise nur an einem Tag viel billiger ist. Damit schließt sich zumindest
für mich wieder ein bisschen der Kreis zu „Little Britain“. Aber irgendwie ist
mir das echt alles zu theoretisch, weil was genau mir das jetzt bringt, wenn
ich die Auswirkungen von Technologieschocks vorhersehen kann, wenn ich doch das
Verhalten der Haushalte und Unternehmen eh nicht verändern kann, das erschließt
sich mir nicht.