Foto: Florian Kotthoff

Wie ich der Mensch wurde, der ich nie sein wollte: Heute mit Johanna

Optik und Zweck von Wohnungseinrichtung waren unserer Autorin Johanna immer wichtig. Das nimmt mittlerweile ungesunde Züge an, findet sie.

Als ich Anfang des Jahres in der Küche eines Freundes stehe und ernsthaft darüber nachdenke, ein fremdes Geschirrstück absichtlich fallen zu lassen, da beginnt ein neuer Lebensabschnitt für mich. Ich halte die schwarze Salatschüssel mit gespitzten Fingern. Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen, unerwartet steigt eine unbändige Wut in mir auf. Die Schüssel ist so geformt, dass es aussieht als würden fünf große Kastanienblätter das Gefäß bilden. Die Blattstrukturen sind klobig eingekerbt und der schwarze Lack schimmert im Licht. Eine wahrhaftige Beleidigung an alle, die sich Designerin und Designer schimpfen.

Von nun an gehe ich mit anderen Augen durch das Innenleben meiner eigenen vier Wände und dem von anderen Menschen. Der Salatschüsselvorfall hat mein Augenmerk nicht nur auf geschmacklosen Ramsch gelenkt, der meine Laune verschlechtert – auch kann ich mich schwer davon abhalten, alles in meiner WG irgendwie als unharmonisch zueinander und billig zu betrachten.

Ich bewerte unsere bunte Besteckauswahl und die Schönheit und Effizienz des Toilettenlichts. Kreative Klopapierhalterungen bei Freundinnen beachte ich mit einem lobenden Lächeln, unklug gelöst Lagerung von Besen und Wischmobs lösen ein abschätziges innerliches Stöhnen aus. Rasend macht mich auch unser Laminat, das mit seiner gewetzten Holzoptik vorsätzlich schwarze Striche in der Plastikmaserung hat. Wieso? Ich gebe zu: Mir war Optik und Zweck von Einrichtung nie egal. Doch diese Wucht an Zeit und Emotionen, die ich ihnen auf einmal schenke, scheint nicht gesund. Mit jedem ungewollten Gedanken an Hausrat kommt eine Flut an Vorwürfen an mich selbst daher: Ob ich sonst schon alle Probleme meines Lebens und der Welt gelöst hätte, fragt sich die noch nicht von Salatblättern befallene Seite meines Hirns. Was denn mein eigentlicher Wunsch hinter meinem neuen Snobismus sei, wundert sich ein Überbleibsel meines 17-jährigen Hippie-Ichs.

Reflexartig schiebe ich meinem Vater die Schuld für meine neue Manie zu. Er war es schließlich, der meine Unterhosen und Socken bügelte. Rückblickend konnte es nur darin gipfeln, dass ich verwandte Ticks entwickeln würde. Dann ist Corona der Übeltäter: Wer sich fast ausschließlich in seiner eigenen Wohnung aufhält, prokrastinierend herumstreift und Schränke öffnet, der muss vielleicht einfach mehr Wert auf Einrichtung und architektonische Gestaltung legen. Vielleicht ist meine Unzufriedenheit auch einfach dem geschuldet, dass ich gerne in einer größeren Wohnung oder Haus mit Garten und Blick auf Bäume, nicht auf einen Lidlarkplatz residieren würde. Gerne Geld hätte für handgemachtes Keramik oder japanische Messer. Aber wieso?

Gegenstände, die einen umgeben, definieren immer irgendwie mit, wer man sein will – oder wer man ist. Man kann Geschmack schwer begründen. Definitiv ist meiner durch mein gut situiertes Elternhaus geprägt. Meine Freunde aus ähnlich privilegierten Haushalten teilen mit mir nicht nur politische Einstellungen und Hobbies. Unsere Eltern haben einen erschreckend übereinstimmenden Geschmack für Alessi-Salzstreuer und Gartenmöbel. So richtig losgelöst war mein Geschmack wohl nie. Trotzdem hoffe ich weiterhin, mich mal nicht über die Armatur im Badezimmer definieren zu müssen.

Jung sein bedeutet für mich, kreativ und kostengünstig seinen Lebensraum zu gestalten. Ausziehen, sich selbst in einem Zimmer und in der Welt einzurichten geht einher mit manchmal kurzweiligen Einrichtungslösungen. „Zusammengewürfelt und improvisiert“ ist Teil einer jeden WG-DNA. Die Ebay-Kleinanzeigen zu konsultieren, und in „Zu Verschenken“-Kisten auf dem Bürgersteig rumwühlen, hat ja auch seinen Charme. Vielleicht ist bei mir einfach eine Grenze an auszuhaltenden Zwischenlösungen erreicht.

Die schwarze Schüssel übriges ist bis dato noch ganz, als ich kürzlich nochmal in der Küche stand, musste ich feststellen, dass sie gar noch kleine und große Geschwisterschalen hat, in der gleichen Farbe, gleiches Design. Aus meiner alten Wohnung mit dem Laminat bin ich ausgezogen. Leider haben wir in der neuen WG noch keine Salatschüssel.