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Wie ich der Mensch wurde, der ich nie sein wollte: Heute mit Laura

Alt und spießig wird man schneller, als man denkt, findet unsere Autorin Laura. Und muss sich eingestehen, dass sie in manchem ihren Eltern schon mehr ähnelt, als ihr lieb ist.

Es klingelt an der Haustür. Nicht nur einmal. An diesem Abend im Sommer 2020 klingelt es Sturm, hört gefühlt minutenlang nicht auf. Solange bis ich meinen Weg zur Tür gemacht habe und sie öffne. Warum ich das so ausführlich erzähle? Weil es mich dazu gebracht hat einen Satz zu sagen, den ich als Kind verabscheut habe und von dem ich nie gedacht hätte, ihn selbst mal auszusprechen: „Einmal klingeln hätte es auch getan!“.

Bestimmt hunderte Male habe ich diesen Satz von meiner Mutter und meiner Oma gehört. Wenn ich von der Schule gekommen bin und es schon vor dem Haus nach leckeren Dampfnudeln oder Kartoffelpuffer gerochen hat, dann habe ich extra schnell und oft geklingelt. Ja. Einmal klingeln hätte es da wahrscheinlich auch getan. Ich wäre wohl genau so schnell vor meinem Teller gesessen. Aber ich wollte dem eben Nachdruck verleihen. Mit nervtötendem Sturmklingeln.

Der Schar von Mädchen, die an diesem Abend vor unserer Tür standen, ging es wohl nicht anders. Nur wollten die nicht schneller zu ihren Kartoffelpuffern, sondern zu Party und Bier-Pong-Tisch. Zu dem, was man mit gerade mal 18 eben kaum erwarten kann. An diesem Abend war ich zu Besuch bei meiner Familie im Allgäu, meine Eltern waren verreist. Grund genug für meinen jüngeren Bruder zu einem „Spieleabend“ einzuladen. Auch ich saß mit ein paar Freunden in der Küche. Wir spielten tatsächlich Brettspiele, an sich schon spießig genug, während lautes Gelächter und Musik aus dem Keller dröhnte. Ich war sozusagen die Anstandsdame. Und die Türsteherin. Kein leichter Job wohl gemerkt, denn ich komme aus einem kleinen Dorf im Allgäu und seit Corona ist hier noch weniger geboten als sonst. Da wird eine kleine Kellerparty schon mal zum Highlight der Dorfjugend. Schnell hatte sich rumgesprochen, dass mein Bruder sturmfrei hat und die Gruppe Mädchen hatte von Freunden erfahren, dass bei uns zu Hause was los sein soll. Und bei Wiedemanns, da kann man ganz problemlos klingeln, so zumindest deren Gedankengang. Also habe ich sie im entspannten Jogginglook nachts um halb zwölf hereingelassen. Ohne ein „Hallo“ sind sie an mir vorbei kichernd in den Keller gerauscht. Ganz schön unverschämt, wie ich fand. Vor mich hin grantelnd bin ich zurück in die Küche und habe erstmal meinen Freunden davon berichtet. Auch meine Schwester saß am Tisch. Sie nahm das Ganze wesentlich entspannter als ich: „Ist doch nicht so schlimm, Laura.“, „Das haben wir doch vor ein paar Jahren auch noch so gemacht, Laura.“, „Ist doch alles noch im Rahmen, Laura.“.

Schon da dämmerte es mir langsam, dass ich wohl näher an der Reaktion meiner Eltern dran war als mir eigentlich lieb ist – und wenn ich ganz ehrlich bin, vielleicht hätten sogar meine Eltern entspannter und weniger grantig reagiert als ich. Aber als dann noch mein Bruder nach oben kam, um kühles Bier aus dem Kühlschrank zu holen, war es aus. Lachend berichtete er davon, wie seine Freundinnen von einer spießigen älteren Schwester erzählt hatten, die ihnen mit unfreundlicher Miene die Tür geöffnet hätte. Damit war ich gemeint. Meine Freunde brachen in Gelächter aus und ich musste mir an diesem Punkt eingestehen, dass ich mit fast Mitte zwanzig keiner 18-Jährigen mehr vor machen kann, genau so „cool“ zu sein wie sie. Sagen die jungen Leute heutzutage überhaupt noch „cool“? Schon wieder so ein Satz, der eigentlich von meinen Eltern kommen würde. Den behalte ich wohl lieber für mich.