Foto: Murilo Macena

Wie ich der Mensch wurde, der ich nie sein wollte: Heute mit Max

Als Hamburger konnte sich unser Autor Max nie vorstellen, nach München, dem HSV-Feindesland zu ziehen. Es ist doch so gekommen.

Ein Kopfschütteln, vielleicht auch ein genervtes Stöhnen: Das wären wohl die Reaktionen meines früheren Ichs, wenn es mich jetzt sehen würde. Schreibend, in einem Ohrensessel (er ist grün und flauschig) sitzend, Kaffee trinkend und aus dem Fenster starrend. Dabei würde es sich gar nicht so sehr an dem Schreiben stören, auch nicht an dem zugebenermaßen biederen Sessel, dem aus dem Fenster schauen und schon gar nicht am Kaffee. Mein früheres Ich würde toben, wüsste es, wo ich diese Zeilen jetzt schreibe: bei mir zu Hause, in München.

Ich bin gebürtiger Hamburger, in x-ter Generation jetzt schon, und dann betrachtet man den Freistaat Bayern, besonders aber dessen Hauptstadt, von vornherein mit einem gewissen Argwohn. Die da unten mit ihren Bergen, Lederhosen und den Zwiebelturmkirchen, die sind ein uriges Völkchen. Und München, das ist Feindesland, wenn man mit einem HSV-Fan als Vater aufwächst. Da gibt es nichts zu beschönigen, das war halt so. Natürlich sind das alles derbe Vorurteile gemischt mit norddeutschem Lokalpatriotismus.

Aber rütteln tat man daran auch nicht: Alle dachten ja so und sogar der Geografielehrer scherzte, dass Bayern doch eigentlich bereits südlich der Elbe anfinge. Diese Bayern-Antipathie, sie war einfach da, ohne Begründung. Deswegen nahm ich mir auch fest vor, nie nach Bayern, auf keinen Fall nach München zu ziehen. Ich war stur, gefangen in einer einfältigen Form pubertärer Radikalität und zurückblickend muss ich sagen: Vermutlich war da auch eine gehörige Portion Neid mit dabei. Auf das Wetter. Auf die schönen Städte. Und bei meinem Vater bestimmt auch auf den FC Bayern.

Prinzipientreu. Das war eines der Wörter, die ich gerne benutzte, um mich zu schmücken – zumindest bevor ich an die Isar gezogen bin. Aber wäre ich meinen Prinzipien treu geblieben, würde ich jetzt nicht diesen Text schreiben. Würde nicht in einer Stadt leben, die ich lieben gelernt habe. Und würde wohl auch nicht so glücklich sein. Letztendlich war es der Zufall, der mich nach München führte, kein Münzwurf zwar, aber etwas Ähnliches: Das Immatrikulationsschreiben der LMU kam einfach früher als das der FU Berlin. Damit war eigentlich alles gesetzt. Spontan entscheiden – das kann ich. Andere nennen es unüberlegt.

Wieso ich dann nach Bayern gezogen bin, wenn ich es doch nie wollte? Der Wunsch, aus Hamburg rauszukommen, hat andere Bedenken schlicht überlagert. Dass es mir München, insbesondere die Münchner, dann auch noch so einfach gemacht hat, mich hier wohlzufühlen, trug das Übrige dazu bei: meine Güte, ja, ich mag diese Statdt sehr. Über solche Worte hätte ich vermutlich vor drei, vier Jahren noch geschäumt. Heute lache ich über die Vorstellung. Lache darüber, dass ich derjenige geworden bin, der ich nie sein wollte, und sogar ganz froh damit bin, wie es ist – zumindest mit meinem Lebensort, nicht mit der gesellschaftlichen Großwetterlage. Was ich mir zum Geburtstag wünschte, weiß ich übrigens auch schon: eine Lederhose.