Weltretter mit Widersprüchen

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Mal Vegetarier, mal nicht: Lukas Jäger ist konsequent flexibel, auch in seinem sozialen Engagement. Der junge Münchner hat die Facebookplattform “Verschenk’s” gegründet, organisiert Weiterbildungen von Leih-Omas und engagiert sich bei “Unternimm dich”. 

Lukas Jäger liebt das Paradoxe. „Ich bin kein Vegetarier, aber ich esse kein Fleisch.“ Das sagt er mit einem milden Lächeln, als hätte er das schon ganz oft erklärt. Wie jetzt? Vegetarier oder nicht? Aus Überzeugung verzichte er auf Fleisch. Aber nicht immer. Lukas ist da moralisch flexibel. Ausnahmen macht er etwa, wenn er zum Essen eingeladen wird und das Steak schon in der Pfanne brutzelt. 

Eine pragmatische Einstellung – und charakteristisch für Lukas, Ende 20. Er engagiert sich oft und gerne, macht das aber nicht bis zur Selbstaufgabe, wie er sagt. In München ist er im Bereich Ehrenamt so etwas wie ein Tausendsassa. Erkennbar schon am Studium: Management Sozialer Innovationen. Dann folgt eine lange Kette von gemeinnützigen Projekten. Gedankenloser Konsum ist Lukas zuwider. Deshalb hat er die Plattform „Verschenk’s“ gegründet, eine Online-Community mit mehr als 30 000 Mitgliedern. Dort kann man die dritte Stehlampe genauso herschenken wie den überflüssigen Schal – jemand anders freut sich darüber. Lukas setzt sich auch für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein: Für ein Sozialunternehmen organisiert er Weiterbildungen für Leih-Omas. Momentan arbeitet er vor allem bei der Organisation „Unternimm dich“. Dort gestaltet er Workshops in Schulen. Die Themen: Konsumverzicht, Entschleunigung, Nachhaltigkeit. Unter seiner Leitung organisieren die Schüler Rock-Konzerte und Adventsläufe. Und überlegen sich schon mal: Was machen wir mit unserem verdreckten Pausenhof? 

Lukas hat vor dem Studium eine Ausbildung zum Erzieher gemacht. Bald fängt er seinen Master in Bildungswissenschaften an. Man kann ihn sich gut in einer Klasse vorstellen. Blauer Pulli, hellblaues Hemd, große Brille. Entspannte Haltung. Ein Kumpeltyp-Lehrer eben. Doch beim Reden sieht er sein Gegenüber wenig an, schaut häufig in die linke Ecke. Als wäre er viel mit sich selbst beschäftigt.

Das ist er sicher auch. Seine Bachelorarbeit hat er einfach mal über sich selbst geschrieben. Andere würden das Arroganz nennen. Lukas nennt es eine Auto-Ethnographie und grinst. „Das war auch in unserem Studiengang ungewöhnlich. Innovativ zu sein ist aber natürlich auch Programm.“ Die Leitfrage: Was hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin? Das Leben als eigener Forschungsgegenstand, zwischen Milieu- und Sozialisationstheorien – das war Lukas irgendwann zu viel. Der Konstanzer machte Pause und ging mit dem Rucksack den Jakobsweg. 

Und doch setzt er sich viel für andere ein. Und für die Natur. Als Kind war er in der grünen Jugend, organisierte Bachreinigungen, molk Kühe am Bauernhof. Sein Held: nicht Batman, sondern der Greenpeace-Aktivist. „Bilder vom Walfang, von der Urwaldrodung haben mich emotional sehr beschäftigt“, sagt er. Mit 15 wurde er ein Hiphop-Nerd. Und fand den grünen Lebensstil der Eltern mit ihren Bioladen-Exkursionen plötzlich furchtbar peinlich. 

„Mein Vater war sehr streng in einigen Dingen“, erzählt Lukas und korrigiert sich nach einer Pause. „Nicht streng, aber konsequent. Ich bin da flexibler.“ Flexibler, oder, anders formuliert, halbherziger. Kurz zieht er das eigene iPhone aus der Tasche. Dass das kein Emblem der Nachhaltigkeit ist, weiß er selbst. Eine Zeit lang hat er massenhaft Markenturnschuhe gesammelt. Wohl genäht von Kindern in Ausbeuterfabriken. Dafür gibt er fast die Hälfte seines Einkommens dafür aus, dass nur Bio-Essen auf den Teller kommt. Und wenn er abends oft ehrenamtlich Überstunden für „Unternimm dich“ macht, ist das nichts Außergewöhnliches. Seine Freundin kennt das. Sie hat einen Verein für Zivilcourage gegründet. Wie geht man um mit diesen Widersprüchen, mit diesem Spektrum zwischen vorbildlich und nachlässig? Lukas zögert – als ob er darauf warte, dass man ihm ins Wort falle. „Ich bin sicher nicht der selbstlose, total konsumverzichtende Mensch“, sagt er langsam. „Mir geht es eher darum, mich bewusst zu hinterfragen. Mein heutiges Leben ist voller Widersprüche, und das darf es sein.“ 

Auf ein gemeinnütziges Projekt festlegen kann sich Lukas nicht. Er will es auch gar nicht. Ein Trend, der nicht nur für ihn gilt. Studien belegen: Das klassische Ehrenamt wandelt sich. Einmal die Woche in den Verein zu gehen, und das über viele Jahre lang, ist für viele Jugendliche zunehmend unattraktiv. Stattdessen engagieren sie sich eher punktuell, kurzfristig. „München ist das beste Beispiel“, sagt Lukas. „Es war beeindruckend, wie viele Schüler und Jugendliche gegen Bagida auf die Straße gegangen sind.“ Wer sich ins Getümmel der Gegendemonstrationen stürzt, engagiert sich auch – nur eben für einen Abend. 

Auch Lukas setzt sich mal für gerechte Bildung ein, mal für Nachhaltigkeit durch Konsumverzicht, in der Zukunft vielleicht für ein Flüchtlingsprojekt. „Im Moment brauche ich diese Vielfältigkeit. Es kann auch sein, dass ich mich irgendwann für eine Sache entscheide. Aber ich bin da sehr offen.“ Ein festes Engagement in einer Organisation hat ihn nie gereizt. Bei Greenpeace ist er Fördermitglied, mehr nicht. Lukas steht auf lose Strukturen.

Und wenn er wieder mal den Job wechselt? „Dann würde ich in die Rüstungsindustrie gehen“, sagt er und lacht. So weit geht die moralische Flexibilität dann doch nicht.  

Elsbeth Föger