Neuland: Pussycast

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Fünf junge Frauen aus München wollen in ihrem Radio-Magazin Pussycast ihre Hörer mit Witz und Poesie an Themen rund um Geschlechterrollen,
Gleichberechtigung und sexuelle Selbstbestimmung heranführen.

Podcasts im Namen des Feminismus: Das Radio-Magazin Pussycast entstand als Abschlussarbeit der fünf Münchner Autorinnen Ramona Drosner, 24, Elsbeth Föger, 24, Anett Selle, 26, Vanessa Vu, 25, sowie Caroline Wiemann, 24, an der Deutschen Journalistenschule. „Wir fordern nicht nur gleiche Rechte für alle Geschlechter, sondern gleichen Spaß.“ So heißt es in der Podcast-Beschreibung auf Soundcloud. Daher geht es neben Politik („Warum rechte Parteien strategisch auf Frauen setzen“) und Kulturgeschichte („Der Lippenstift als feministisches Symbol“) auch mal um Pussywitze. 

Das einstündige Radio-Magazin richtet sich explizit an alle Geschlechter. Die Macherinnen wollen ihre Hörer an Themen rund um Geschlechterrollen, Gleichberechtigung und sexuelle Selbstbestimmung heranführen. Nun verschlägt es die Frauen zunächst in verschiedene Städte. In jedem Fall wollen sie das Radio-Magazin jedoch weiterhin fortführen.  

Die erste Folge von Pussycast gibt’s hier auf Soundcloud zu hören.


Text: Amelie Völker

Bild: Pussycast

Der ganz normale Wohnsinn

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Tobias Polsfuß, 23, hat Deutschlands erste inklusive WG-Plattform gegründet. Er vernetzt Wohngemeinschaften von Behinderten und Nicht-Behinderten und wirbt für diese Art des Zusammenlebens.

Da bist du ja, meine Knutschpuppe!“ Das ist das Erste, was Walter zu Tobias gesagt hat. Der stand gerade mit gepackten Kisten vor der Tür und war im Begriff einzuziehen. Nicht gerade die typische Begrüßung für einen neuen Mitbewohner. Aber die beiden leben auch in keiner typischen Wohngemeinschaft. 

Ihre Wohngemeinschaft ist inklusiv: Hier im Norden Münchens wohnen Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Vier mit Behinderung, fünf ohne. 2015 ist ihre WG zehn Jahre alt geworden, eine helle Wohnung mit großer Wendeltreppe und langem Holztisch. Hier essen die Mitbewohner zusammen, diskutieren, schauen gemeinsam Fußball. Bunte Papiersterne mit Fotos hängen an der Wand.

Tobias Polsfuß, 23, lebt mittlerweile schon seit drei Jahren dort – und hat sich längst an Walters gelegentliche Gefühlsausbrüche gewöhnt. Gemeinsam mit Freunden hat er nun Deutschlands erste inklusive WG-Plattform gegründet: Wohnsinn.org. Sie soll Wohngemeinschaften vernetzen, voneinander lernen lassen – und vor allem: bekannter machen. Auch vermitteln sie auf ihrer Internetseite Wohnmöglichkeiten. „Wenn ich über meine WG spreche, bekomme ich immer dieselbe Reaktion: wow, cool! Davon habe ich noch nie gehört“, sagt Tobias. Auch er selbst erfuhr eher zufällig vom inklusiven Wohnen, als er von Landshut zum Studium nach München zog. 

60 Prozent aller geistig behinderten Erwachsenen leben noch bei den Eltern – oft, weil es keine andere Möglichkeit gibt. Tobias und sein Team wollen eine Alternative bieten. „Unser Ansatz ist eher, das Gute groß zu machen, statt negativ über das Andere zu sprechen.“

„Wohnsinn“ soll vor allem junge Leute dazu ermutigen, inklusive WGs zu gründen: In Österreich und Deutschland gibt es gerade einmal 30 Projekte. In München sind es sieben, initiiert vom Verein „Gemeinsam Leben Lernen“. Manche sind privat organisiert, andere laufen über Trägervereine. Einige engagieren externe Pflegedienste, andere nicht. Sie unterscheiden sich in der Anzahl der Bewohner, im Verhältnis zwischen Menschen mit und ohne Behinderung – und natürlich darin, welche Charaktere dort aufeinandertreffen.
Der letzte Lachkrampf, der letzte Streit, der Lieblingsplatz: Die Wohnsinn-Website soll Anekdoten über das WG-Leben erzählen. Das ist mal chaotisch, mal anstrengend, aber auch schön und voller Gemeinschaft – wie in jeder anderen WG auch.

Gesa, die gerade ein Praktikum bei der Lebenshilfe macht, lebt seit 2013 in der WG. „Hier ist immer was los“, sagt sie. Die 20-Jährige mit den dunklen Haaren ist aktiv und quirlig. Mit sanfter Stimme erzählt sie von ihrem Freund, ihren Hobbys – Kinobesuchen, Clubbing, Fahrradfahren. Einer ihrer Lieblingsmomente mit ihrem Mitbewohner Tobias: Einmal fuhren sie von der Physiotherapie nach Hause. Als sie an der roten Ampel standen und eins von Gesas Lieblingsliedern im Radio kam, fingen beide an, im Sitzen zu tanzen. Ein Busfahrer auf der Nebenspur rollte das Fenster herunter, grinste und legte auch eine Tanzeinlage hin. Bei der Erinnerung daran müssen beide lächeln. „Es war richtig schade, als es dann grün wurde.“ 

Gerade sind sie zu neunt in den Urlaub nach Kroatien gefahren, feierten in einer Strandbar den Geburtstag eines Mitbewohners und sangen bei Cocktails lautstark Radio-Songs mit. „Wir haben es so genossen“, schwärmt Mitbewohnerin Tessi, 30. Sie hat das Down-Syndrom und arbeitet in einer Werkstatt für Tee-Verpackungen. Ihren Alltag schafft sie gut allein, braucht aber doch manchmal Hilfe: beim Kochen, beim Wäschewaschen, bei Ausflügen, auch beim Duschen. Als perfekt ausgebildeter Pfleger muss niemand in die WG kommen: Tobias hat zwar einen Bachelor in Pädagogik und in Athen in einer Tagesstätte für Menschen mit geistiger Behinderung gearbeitet – aber das ist keine Voraussetzung. Ein Mitbewohner studiert Sportwissenschaften, eine arbeitet beim Patentamt. Neben Einführung und Probedienst hilft es oft einfach, viele Fragen zu stellen. „Jeder Mensch mit Behinderung ist Experte für sich selbst“, sagt Tobias. Als er seinem Mitbewohner Walter zum ersten Mal beim Duschen half, vergaß er, ihm die Füße abzutrocknen – und wurde prompt darauf hingewiesen. 

Einmal pro Woche hat Tobias Tagesdienst, einmal pro Monat muss er sich ein Wochenende freihalten – von Freitag um 14 Uhr bis Montag um 7.30 Uhr. „Man gibt schon ein Stück Privatsphäre auf“, sagt Tobias. „Aber das tut man in jeder WG.“ Wer nicht dran ist, muss auch mal Nein sagen können. Tobias hat an diesem Abend frei. Doch mitten im Interview kämpft ein Bewohner mit der Plastikverpackung einer Keksdose, ein anderer insistiert aufs Duschen. „Musst mal wen anders fragen“, sagt Tobias, freundlich, aber bestimmt. Selbstbestimmung, das zentrale Thema der Inklusionsdebatte, gilt auch für Menschen ohne Behinderung. 

Auch wenn die Bewohner mindestens zwei Jahre bleiben: Manchmal zieht doch jemand Neues ein. Dabei hilft eine eigene Plattform – stellt man die Anzeige auf ein konventionelles Wohnportal, interessieren sich meist viele nicht. Mit ihren Erfahrungen touren Tobias und sein Team durch Deutschlands inklusive WGs. Sie halten Workshops ab und geben Ratschläge. Gerade in einer Stadt wie München ist die Suche nach einer barrierefreien Wohnung schwierig.
Auch müssen häufig besorgte Familien beruhigt werden. Die Eltern haben Angst, ihre behinderten Kinder fremden Studenten anzuvertrauen. „Sie sagen oft, die sind doch chaotisch“, sagt Tobias und schmunzelt. „Aber wenn’s mal läuft, sind alle begeistert.“

Das Projekt soll auch mit Klischees von inklusivem Wohnen aufräumen. „Viele stellen es sich verrückter vor, wie im Irrenhaus. Oder im Heim“, sagt Tobias. „Die Leute glauben, unsere Mitbewohner können ohne uns nicht leben. Oder dass wir ihnen etwas geben, was sie nicht haben.“ Dabei opfert sich in der WG niemand füreinander auf. Man hilft einander eben. Und dankt einander mit Wertschätzung. „Der ist klasse, ich mag den so gern! Ich will, dass der nie auszieht“, sagt Tessi und fällt Tobi um den Hals.

Von: Elsbeth Föger

Foto: Daniela Buchholz 

Unterwegs im Seidenkleid

Sibylle Randoll reist auf den Spuren ihrer Ahnen durch die USA
– zu besonderen Anlässen im blauen Seidenkleid.

Wie gut, dass ihr langweilig war an diesem Weihnachtstag im Jahr 2012. Sibylle Randoll entdeckte im Schrank ihrer Schwester das Tagebuch ihres Ururgroßvaters und begann, darin zu blättern. Schnell war sie vertieft in die Geschichte von Otto Dahl, dem jungen Lederfabrikanten aus Wuppertal, der im 19. Jahrhundert nach Amerika reiste. Der Hudson River! Die Indianer! Die Niagara-Fälle – dieselben Wasserfälle, die Sibylle Randoll selbst bei einem Auslandsaufenthalt besucht hatte. „Als ich das gelesen habe, war ich sofort angefixt“, sagt sie. Und hatte von diesem Tag an die Idee im Kopf, die Route ihres Ururgroßvaters nachzureisen.

Die junge Frau mit dem ungebändigten blonden Haar und dem Grübchen im Kinn hat etwas Resolutes an sich. Wenn nicht jetzt, wann dann? Denn Sibylle ist jetzt 26 – genauso alt wie ihr Ururgroßvater damals. Otto Dahl hatte sich im Jahr 1880 mit seinem Vater überworfen. Kurz entschlossen buchte er ein Ticket auf einem Ozeandampfer. In Amerika kam er bei deutschen Bekannten unter, arbeitete in New York und Chicago. Im damals noch wilden Westen lernte er neue Techniken der Lederverarbeitung, jagte Hirsche und traf Indianer. Fürs Sightseeing blieb das Wochenende. „Es war eine Art Work and Travel – nur eben 1880“, sagt Sibylle. Eineinhalb Jahre sollte die Reise dauern. Als die Nachricht vom Tod des Vaters eintraf, kehrte Otto Dahl zurück und übernahm die Firma in Deutschland.

Seine Amerika-Route will Sibylle Randoll nun nachfahren. „Barmen to Bozeman“ heißt ihr Reiseprojekt: von Barmen im heutigen Wuppertal bis ins verschlafene Bozeman in Montana. Statt in die USA zu fliegen, sticht Sibylle am 4. Mai mit einem Luxusdampfer in See – es ist ihr erstes Mal auf einem Kreuzfahrtschiff. In den USA will sie nicht mit dem Auto, sondern mit der Eisenbahn unterwegs sein: Auf ihrer Strecke liegen New York, die Niagarafälle, Chicago, Salt Lake City and der Yellowstone-Nationalpark.

Es soll eine bewusst entschleunigte Reise werden, sagt sie. „Wir jetten heutzutage für ein Wochenende um die halbe Erde. Wie ist es so, langsam zu reisen?“ Zumindest auf der Fahrt nach Bozeman wird Randoll der Route ihres Ururgroßvaters so treu wie möglich bleiben.

Auf ihrem Blog explories.de will sie zweisprachig über die deutsche Kultur in Amerika berichten. Schon lange interessiert sich Sibylle für Kultur-Exklaven. Bei einem Aufenthalt in der ehemaligen Kolonie Namibia war sie überrascht, wie lebendig die deutsche Kultur dort teilweise noch ist. „Dort schauen viele am Sonntagabend den Tatort und sprechen beim Abendessen über Merkel.“

In den USA stellen Deutsche historisch gesehen die größte Einwanderergruppe – und haben Spuren hinterlassen: Die Brooklyn Bridge etwa wurde von einem Ingenieur aus Thüringen geplant. Sibylle möchte herausfinden, wie aktiv deutsche Kultur in den USA heute gelebt wird. „Zieht man sich einmal im Jahr ein Dirndl zum Oktoberfest an oder ist das noch im Alltag verankert?“ Sie will in den USA deutsche Restaurants testen und zu Treffen und Festen der deutschen Communitys gehen.

Ausgewanderte Deutsche haben damals auch Otto Dahl aufgenommen, der für sie gearbeitet und bei ihnen übernachtet hat. Ein paar Pflichttermine hat Sibylle schon: die Steuben-Parade in New York, das German Fest in Milwaukee und der German-American Day am 6. Oktober. Das erste Meeting steht jedenfalls schon fest: Bei der Ankunft in New York hat sie das deutsche Generalkonsulat zum Lunch eingeladen.

Auffallen dürfte sie auf jeden Fall: An den wichtigsten Tagen der Reise möchte Sibylle ein blauglänzendes Seidenkleid tragen, das sie extra nach der Mode des 19. Jahrhunderts hat anfertigen lassen. Das „Nachmittagstee- und Spaziergehkleid“, wie sie es nennt, füllt einen halben Koffer und besteht aus sieben Schichten, mit Korsett und Kragen. Gegen Regen schützt der Schirm der Urgroßmutter, der mehr als hundert Jahre alt ist. Nur das Po-Kissen aus modernem, leichten Material und der Reißverschluss fallen historisch aus der Reihe: Schließlich muss Sibylle das schwere Kleid selbst anziehen können.

Für Sibylle ist das Projekt auch eine Möglichkeit für Sightseeing abseits der ausgetretenen Pfade. „Ohne meinen Ururgroßvater wäre ich nie auf die Idee gekommen, nach Bozeman zu fahren. Warum auch?“

Sibylle hat BWL und Tourismusmanagement studiert und ist in der Welt weit herumgekommen: Allein fürs Studium war sie in den Niederlanden, Peru, Dänemark, Slowenien, Spanien und Namibia. Überraschen kann sie die USA-Reise trotzdem noch, meint sie. Ein Baum, den ihr Großvater damals skizziert hat, steht immer noch, nach 136 Jahren. „Was ich da fühlen werde, wenn ich mit der Zeichnung meines Ururgroßvaters dort stehe“, sagt Sibylle und sucht kurz nach Worten. „Darauf bin ich sehr gespannt.“

Von: Elsbeth Föger

Foto: Benjamin Behringer

Ein Münchner im Himmel

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Akram Abdellatif, Doktorand der TU München, hat gute Chancen, der
erste ägyptische Astronaut zu werden. Dafür arbeitet er manchmal 16
Stunden am Tag – und hat für ein Projekt schon Virusproteine auf die ISS
geschickt.

Von Elsbeth Föger

Astronaut werden! Das ist der Sandkastentraum tausender Kinder. Die Chancen für eine solche Karriere sind gering. Doch bei Akram Abdellatif gingen sie gegen Null – weil er Ägypter ist. Wer bei der NASA arbeiten will, der braucht einen amerikanischen Pass. Schließlich wird die Behörde staatlich finanziert. Dasselbe gilt für die europäische Weltraumorganisation ESA. Und trotzdem ist Akram, 27, auf dem besten Weg, Ägyptens erster Raumfahrer zu werden.

Geschafft hat es von Akrams Landsleuten bisher noch niemand. Dahinter steckt auch ein kulturelles Problem, findet er. „In Ägypten fehlt uns dieses Traumdenken. Dieses Gefühl, dass man alles erreichen kann.“ Bei ihm ist das anders, sagt Akram und lächelt verschmitzt. Er wirkt ziemlich geerdet für einen, der sich selbst als Traumtänzer sieht. Das Gesicht ist offen, herzlich, die Augen sehr wach. Ein kräftiger junger Mann mit lockigen Haaren und schwarzem Hoodie. Einer, der erzählt wie ein Wasserfall und so freundlich über Mikroschwerkraft redet, als wäre sie eine alte Studienkollegin. Für die Raumfahrt hat er sich schon als Kind interessiert, sagt er. Häufig lief daheim „Toy Story“ oder „Star Wars“. Sein Vater, ein Militäroffizier, hat mit ihm oft über Flugzeuge gefachsimpelt. 

Doch seine Freunde lachten nur über den Berufswunsch. Und in der Schule redete man Akram die Astronautenkarriere aus. Nachdem er im Abitur landesweit den 16. Platz belegt hatte, studierte er etwas Praktisches. In seiner Geburtsstadt Kairo wurde er Kommunikationsingenieur, an der neu eingerichteten Deutschen Universität. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. „Ich dachte mir, ich probiere was Neues“, sagt Akram. Deutschland, das waren für ihn schnelle Autos und Produktivität, für den FC Bayern schwärmt er heute noch. Den besten Studenten bot sich die Chance, den Master in Deutschland zu machen. 

Für Akram ging es an die Kooperations-Uni in Stuttgart. Dort stieß er irgendwann auf eine Ausschreibung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Da kam plötzlich der Traum wieder hoch. Leider stand zwischen Akram und dem Traum ein unbezahltes Praktikum. Also fing er morgens um vier Uhr an mit der Arbeit im DLR und ging gegen Mittag zur zweiten Stelle bei Sony, mit der er die Miete bezahlte. Sechs Monate ging das so. Akram ist keiner, der gern prahlt. Nein, ein freies Wochenende hatte er die vergangenen vier, fünf Jahre eigentlich nicht. Er lächelt und zuckt mit den Schultern. Was man halt so tut für seinen Traum. 

Traum, das Wort fällt oft im Gespräch, fast wie ein Mantra. Immer, wenn sich der junge Ingenieur dabei erwischt, hält er kurz inne. „Nein, kein Traum“, sagt er und korrigiert sich: „Ein Ziel.“ Schließlich soll die Karriere kein galaktisches Hirngespinst bleiben. Fast seine gesamte Freizeit hat Akram darauf verwendet, um das fehlende Studium in Luft- und Raumfahrttechnik wettzumachen: den Pilotenschein gemacht, das Tauchen gelernt – unter Wasser kommt man der Schwerelosigkeit auf der Erde am nächsten. Sogar einen Russischkurs hat der Ägypter belegt, weil Sprachkenntnisse in der Kommunikation mit anderen Astronauten oft nützlich sind. Das Fachwissen hat er mittlerweile in München erworben: Nach seinem zweiten Master in „Earth Oriented Space Science and Technology“ promoviert er am Lehrstuhl für Flugsystemdynamik der Technischen Universität. Parallel arbeitet er als Entwicklungsingenieur beim DLR in Oberpfaffenhofen. Viel Zeit bleibt nicht für seine ägyptische Frau und den 18 Monate alten Sohn, die auch in München wohnen.

Ob Akram Abdellatif der Mission
angehört, entscheidet sich
Ende nächsten Jahres

Doch mittlerweile hat sich eine Möglichkeit aufgetan, wie es der Ägypter tatsächlich ins All schaffen kann. „Astronauts4Hire“ heißt sie. Akram erinnert sich: „Meine erste Frage an die Organisation war: Ich bin Ägypter. Ist das ein Problem?“ War es nicht. Die Nonprofit-Organisation wurde auch deshalb gegründet, um den Astronauten eine Chance zu geben, die nicht in den USA oder Europa geboren sind. Sie veranstaltet Fortbildungen, macht auf Wettbewerbe aufmerksam und stellt Kontakte her. Denn nicht alle Raumfahrt-Unternehmen sind staatlich finanziert, es gibt auch kommerzielle wie SpaceX oder Virgin Galactic. Da die NASA Aufträge an solche Firmen vergibt, besteht doch indirekt die Möglichkeit, für sie zu arbeiten – und über Umwege in den Weltraum zu fliegen. 

Im All ist Akram selbst noch nie gewesen. Aber zwei säuberlich verpackte Proteine hat er schon mal vorausgeschickt. Gemeinsam mit einer Kollegin hat er das erste ägyptische Experiment für die ISS entwickelt. Die beiden forschten zusammen über das Hepatitis-C-Virus. Ägypten gehört zu den Ländern, in denen es weltweit am meisten Infektionen gibt. Die Folge sind Leberschäden, Krebs, Organversagen. Trotzdem ist der molekulare Aufbau des Virus nicht vollständig entschlüsselt. Die beiden Wissenschaftler schlugen vor, Virusproteine ins All zu schicken und dort kristallisieren zu lassen – das funktioniert in der Schwerelosigkeit besser als auf der Erde. Im Röntgengerät kann man dann den Aufbau studieren und womöglich Angriffspunkte für Medikamente finden. Mit diesem Vorhaben setzten sich die beiden ägyptischen Forscher in einem Wettbewerb gegen Hunderte von anderen Bewerber durch. Zum Start der Rakete lud die NASA Akram nach Florida ein. „Ich habe gefragt: Kann ich mit meinen Proteinen da hochfliegen?“, sagt er und lacht. Natürlich nicht, viel zu teuer.

Seit März sind die Proteine wieder auf der Erde. Aber Akram will es ihnen bald gleich tun. Mittlerweile nimmt er am Forschungsprojekt PoSSUM teil – das wird von der NASA gefördert und erforscht die Ursachen des Klimawandels. In 130 Kilometern Höhe, bei einem Flug in der Mesosphäre. 

Vor kurzem ging es zum Training nach Florida. Ob das Spaß macht? Na ja, meint Akram und druckst herum. Los geht es mit Übungen zum Sauerstoffmangel. Das muss jeder Astronaut durchmachen, damit er die Symptome kennt: taube Hände, ein rasendes Herz, Schwäche. Dann heißt es blitzschnell reagieren und die Sauerstoffmaske überstreifen. Ein paar Kollegen seien in Ohnmacht gefallen. Er nicht. 

Für die nächste Station musste Akram in ein Propeller-Flugzeug, das schnelle Loopings fliegt – damit die Astronauten den Druck auf den Körper bei Start und Landung verkraften. Für eine Simulation der Mission durfte der Ägypter dann endlich in den Astronauten-Anzug steigen. Das orange-beige Monstrum anzulegen, dauert etwa eine Stunde. Wie viele der zwölf PoSSUM-Kandidaten auf die Mission 2017 mitfliegen dürfen, ist noch unklar. Ob Akram dabei ist, entscheidet sich Ende nächsten Jahres. 

Seine ägyptischen Freunde lachen mittlerweile nicht mehr, sondern drücken ihm die Daumen. „Für mich bedeutet es auch Druck. Stress. So viele Menschen erwarten, dass ich es schaffe!“ Doch die Chancen stehen gut. Und Akrams Nationalität könnte sich diesmal sogar als Vorteil erweisen. „Wenn die Leute sehen, dass ich der erste ägyptische Astronaut bin, ist das vielleicht ein Pluspunkt!“

Neuland

Immer mehr junge Menschen möchten gerne “irgendwas mit Medien” machen. Bei der Orientierung im Kosmos des Journalismus wollen die Medienauten helfen.

Er ist zum Sinnbild für diffuse Berufspläne geworden: der Satz „Irgendwas mit Medien machen“. Eine junge Journalistengruppe möchte nun Klarheit schaffen. Auf ihrer Website Medianauten.net erkunden die vier Redakteure verschiedene Wege in die Medienbranche: „Astronauten entdecken neue Welten. Wir Medianauten entdecken auch, und zwar die Medienlandschaft!“, sagt Katharina Kunzmann, 24. Sie hat gerade ihren BA-Abschluss in Soziologie und Philosophie gemacht – und arbeitet nun etwa beim Radiosender M94.5 und bei ZEITjUNG. Der Weg in den Journalismus verlaufe oft nicht geradlinig, erklärt Katharina. „Wir wollen die Bandbreite von der Journalistenschule bis hin zu Youtube aufzeigen. Im Idealfall findet jemand mit großem Fragezeichen im Gesicht die Website und spart sich tagelanges Googeln.“ Interviews mit Vertretern der Branche sollen Orientierung bieten. „Einige Interviewpartner haben uns gesagt: So ein Angebot hätte ich mir beim Einstieg in die Branche auch gewünscht.“ Auf der Website gibt es neben Interviews auch konkrete Tipps für junge Medienmacher.

weitere Infos: http://medianauten.net/

Elsbeth Föger

Foto: Wortliga GmbH

Frische Apps aus der Region

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Junge Münchner programmieren Smartphone-Applikationen für Chinesischbegeisterte, Allergiker, Reiselustige, Liebessuchende oder Rollstuhlfahrer – ein Überblick

Das Handy, der tägliche Begleiter. Dank einer Unmenge an Apps kann jede U-Bahnfahrt lehrreich, jeder Einkauf stressfrei sein und sogar die Partnersuche spielerisch ablaufen. Münchner Studenten beteiligen sich am anhaltenden App-Trend und bereichern den Markt und das Internet mit ihren Ideen.

Dating-App Mazel: Die Idee hinter mazel ist schnell erklärt: Die kostenlose Dating-App ist das „Anti-Tinder“, sagt Steffi Feldmann, 26. Gemeinsam mit drei langjährigen Freunden aus Mühldorf hat sie eine virtuelle Plattform gegründet, auf der man anfangs nicht einmal ein Foto seines potenziellen Partners sieht. Stattdessen soll das Interesse über das Verhalten geweckt werden – im Spiel. Insgesamt vier Spiele gilt es mit dem Partner zu lösen. Das soll so lange dauern wie eine U-Bahnfahrt. Informationen über den anderen muss man sich häppchenweise erarbeiten: Nach Quizduell und Wortspiel gibt es zur Belohnung ein paar Infos über den Partner – etwa den Beruf oder das genaue Alter. Und beim Memory lässt sich seine Augenfarbe aufdecken.

Profilbilder tauscht man erst am Ende aus. Für das Team ist es das vierte Start-up. Erst einmal hoffen sie auf weibliche User. „Wir wollten ein Dating-Produkt machen, das nicht nur Kerle anspricht“, sagt Steffi. Bei mazel tritt man nicht mit vielen, sondern anfangs immer nur mit einem Partner in Kontakt. „Beim Kennenlernen soll man sich auf diesen Menschen konzentrieren“, findet Steffi. Ob das klappt? Wer weiß. Der Name mazel kommt von „mazel tov“, auf Jüdisch „viel Glück“, einem Ausspruch, der oft auf Hochzeiten fällt (www.mazelapp.com).  

Elsbeth Föger


Falgy, für Allergiker:
Den Einkauf für Allergiker erleichtern, dieses Ziel hatte sich die Ingenieurswissenschaft-Studentin Marina Rotmüller,26, mit fünf Kommilitonen gesetzt, als sie im Rahmen eines Unikurses eine Geschäftsidee entwickeln sollten. Heraus kam Falgy, kurz für Food Allergy Support, eine App, die den Einkauf für Allergiker vereinfachen soll. Die Idee ist denkbar simpel: Man scannt den Barcode des Produkts und die App zeigt direkt an, ob man das Produkt mit seinen Allergien verträgt.

An Falgy sind schon
einige Allergiker-Verbände
interessiert

Die Daten holt sich Falgy dabei aus der Datenbank der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA. Zudem liefert die App schon daheim Vorschläge, welche Lebensmittel man mit diversen Allergien essen kann. So entfällt die mühsame Suche im Supermarkt. Falgy ist noch nicht auf dem Markt, ein funktionierender Prototyp soll bald bereit sein. Das größte Hindernis ist noch die Finanzierung. Denn die Nutzung der Datenbank setzt eine Gebühr voraus. Die Studenten sind aber bereits in Verhandlungen mit verschiedenen Supermärkten. Auch diverse Allergikerverbände zeigen sich interessiert. Und für die Übergangszeit wollen sie die App notfalls über Kickstarter finanzieren – oder aus der eigenen Tasche.

Philipp Kreiter

Let’s Yalla, die Spontanreise-App: Vier junge Münchner bieten mit ihrer App Flüge an, die am Abend vorher ab 20 Uhr freigeschaltet werden. Am nächsten Vormittag geht es los. Hin- und Rückflug in Europa: unter den üblichen Preisen, abhängig von Tag und Ziel. Gegründet wurde Let’s Yalla im Mai, gerade läuft die erste Testrunde. Registrieren können sich Reiselustige auf www.letsyalla.de. Im Oktober soll die App, deren Vorbild aus Israel kommt, auch in Deutschland starten. Zunächst mit Abflügen in Hamburg und Berlin, dann rasch auch von München aus. Schließlich wollen Ori Hagai, Ingo Ehrle, Christian Heydecker und Katharina Seehuber auch selbst einmal ganz spontan aus der Wahlheimat losreisen können.  

Friederike Krüger

Zizzle, zum Chinesisch lernen: Fünf junge Männer Mitte Zwanzig haben ein Startup gegründet, das mit einer App das Chinesischlernen erleichtern soll. Nur einer davon ist selbst Chinese, der 23-jährige Kevin Li. Der Jurastudent findet das aber gar nicht seltsam: „Als Muttersprachler kann man gar nicht so genau beurteilen, welche Probleme man als Ausländer damit hat, die chinesischen Zeichen zu lernen“, erklärt er. Oft könnten Chinesen sich nicht vorstellen, dass die Methoden, die sie in der Schule verwendet haben, für Ausländer nicht effektiv seien.
Begeistert von der chinesischen Sprache und Kultur sind die vier weiteren deutschen Gründer Hannes Frömel, Tim Oelrich, Hagen Reiling und Projektleiter Lukas Lohove aber auf jeden Fall.
Im Mittelpunkt von Zizzle stehen die Schriftzeichen, die beim Lernen die größte Herausforderung darstellen. Jedes Zeichen steht für eine bestimmte Silbe, insgesamt gibt es mehrere tausend. „Man muss sich, wenn man ein chinesisches Schriftzeichen lernen will, die Form, die Bedeutung, die Aussprache und den Ton des Zeichens merken“, erklärt Kevin. „Das fällt den meisten sehr schwer!“ Die neue App versucht mit Bildergeschichten diese verschiedenen Elemente dauerhaft für den Lernenden zu verknüpfen. In zwei Wochen soll die Betaversion von Zizzle als kostenlose App mit Abonnement-Option verfügbar sein, erste Videotutorials gibt es bereits jetzt auf der Webseite. (http://www.zizzle-app.com/)

Elisabeth Kagermeier

Hoomn, eine Art WhatsApp-Gruppe für die ganze Stadt: „hoomn“ nennen die vier Gründer um Manuel Schulze, 27, ihr Startup. Die App soll es einfach machen, Menschen im gleichen Ort eine Frage zu stellen. „Die spannendsten lokalen Tipps kommen oft von Leuten, die man einfach auf der Straße anspricht anstatt von irgendwelchen Reisetipps-Webseiten“, glaubt Manuel, VWL-Student. Auf die öffentlichen Fragen antwortet man normalerweise mit einer privaten Nachricht wie auf WhatsApp – eine Kommentarfunktion gibt es aber auch. Die Themen reichen von Job- und Verkaufsangeboten über „Wer geht mit aufs Oktoberfest?“ bis zu Restaurant-, Sport- und Reisetipps. Für all diese Themen gibt es zwar bereits Plattformen; seine Stärke sieht das Startup aber darin, dass es sich auf die unmittelbare Umgebung konzentriert.

„Mit der App kann der Rollstuhl
mit Kopfbewegungen und
Sprachsteuerung bedient werden.“

Außerdem werden keine personenbezogenen Daten erhoben. „Hoomn funktioniert vollständig anonym“, sagt Manuel. Das bedeutet aber auch mehr Probleme mit sogenannten „Trollen“, die fragwürdige Inhalte einstellen – die Hemmschwelle ist im Mantel der Anonymität gering. Diese Nutzer können für die App gesperrt werden. Seit dem Start im Juli haben etwa 30 000 Menschen die App für Android oder iOS kostenlos heruntergeladen. Angefangen hat hoomn in München und Köln, mittlerweile haben sich auch in Berlin, Stuttgart, Aachen und Frankfurt Communitys gebildet. (http://www.hoomn.com/)  

Elisabeth Kagermeier

Glasschair für die Google-Brille: Die Studenten Dominik Schniertshauer, 25, Shady Botros, 25, und Claudiu Leverenz, 24, haben eine App für die Google Glass entwickelt, die körperlich eingeschränkten Menschen das Lenken von elektrischen Rollstühlen erleichtern soll. Die Steuerung soll hauptsächlich durch Kopfbewegungen funktionieren. In Garching sitzt Shady in dem Testmodell. Ein kurzes Nicken mit dem Kopf und der Stuhl fährt los. Shady neigt seinen Kopf nach rechts und der elektrische Rollstuhl fährt nach rechts. „Manche Rollstuhlfahrer können ihre Hände nicht bewegen. Mit unserer App kann der Rollstuhl mit Kopfbewegungen und Sprachsteuerung bedient werden“, sagt Shady. Dabei werden die Steuerkommandos per Bluetooth an einen Adapter übertragen, der an das Steuerport des Rollstuhls angeschlossen werden kann. Angefangen hat „Glasschair“ als Uniprojekt. Doch das Potenzial und die gewonnene Unabhängigkeit für Rollstuhlfahrer, die das Projekt besitzen, sollen nicht mit dem Semester enden. Mittlerweile haben die drei jungen Männer für ihre App ein eigenes Start-Up gegründet. Außerdem arbeiten sie an einer Alternative zu der horrend teuren Google Glass. Die App soll auch an andere Smart Glasses angepasst werden und mit allen gängigen Elektro-Rollstühlen kompatibel sein. Am 29. Und 30. September vertreten Shady und Dominik ihre App auf der „Weareable Technologies & Digital Health“ Messe in Bonn (www.glasschair.de).  

Stefanie Witterauf

Illustration: Daniela Rudolf

Geek-Show

Wer den Laden von Raphaelle Augsberger betritt, taucht in eine knallbunte Science-Fiction-Welt ein. Es ist ein Zufluchtsort für Menschen, die schon rein optisch auffallen – und mit ihren Hobbys woanders verloren sind.

Ein Stoff-Yoda. Leucht-Essstäbchen im Stil von Starwars-Schwertern. Ein Chewbacca-Schlafmantel. Wer das auf seiner Wunschliste hat, wird sich im Item Shop am Isartor vermutlich wohl fühlen. Schon beim Eingang in den Laden hat man das Gefühl, in eine knallbunte Science-Fiction-Welt einzutauchen. In eine Welt, in der man sich als Nicht-Nerd etwas verloren fühlt. Was ist die rechteckige schwarze Box da auf dem Tisch? „Ein Fluxkompensator“, sagt Raphaelle Augsberger, 26, leicht tadelnd, leicht erstaunt. „Aus Zurück in die Zukunft!“

Seit eineinhalb Jahren betreibt Raphaelle den Item-Shop. Hier gibt es alle erdenklichen Fanartikel – von Doctor Who bis My Little Pony. Ein Comic-Zubehörshop ohne Comicbücher. Ein Gamer-Laden ohne Videospiele – und ein Zufluchtsort für Menschen, die schon rein optisch auffallen. „Hier sind wir alle irgendwie anders“, sagt Raphaelle. Sie nestelt am linken Handgelenk, an dem sie statt einer Uhr drei bunte Sterne als Tattoo trägt. Ja, ihre Kunden sind manchmal tatsächlich ein bisschen speziell. Einige kommen in buntem Anime-Kostüm in den Laden. Oder nennen sich „Pink Gandalf“ und tragen einen rosaroten Bart bis zur Hüfte. Oder wollen die Umkleidekabine in Raphaelles Laden kaufen – die blaue Telefonbox aus Doctor Who, die in der Serie durch Zeit und Raum reisen kann. Für Raphaelle ist all das ganz normal. Wobei, normal ist „offensiv“, wie sie sagt.

Ihre Kunden sind oft Vorurteilen ausgesetzt – gerade, weil sie aus der Norm zu fallen scheinen. Sie werden belächelt, gemieden und als „Nerds“ und „Geeks“ verspottet. Diese Begriffe, meist abwertend verwendet, will man im Item Shop positiv umdeuten und mit Stolz tragen. „Ein Nerd ist jemand, der einen massiven Wissensstand hat, was Computer, Technik und Mathematik angeht“, erklärt Raphaelle. „Ein Geek interessiert sich mehr für TV-Serien, Videospiele und Comics.“ Im Item Shop soll ihr Zielpublikum merken, dass es mit solchen Interessen nicht alleine ist.

Neuerdings gibt es Geek-Dating.
Eine Art Speed-Dating für Leute,
die Klingonisch sprechen

Nerds und Geeks sind keinesfalls kommunikationsscheu, sagt Raphaelle. Sie würden oft sogar mehr kommunizieren als andere – nur eben auf einer anderen Ebene. Ihr Smalltalk kreist dabei nicht ums Wetter oder die Familie. Dafür kommen sie schnell über das Zelda-Album ins Gespräch, das der andere in der Hand hält. Raphaelle nennt ihre Kunden „Auserwählte“, ihre Verkäufer „Verbündete“. Man sei eine große Community und tausche sich häufig aus. Nicht anonym im Internet, sondern real vor Ort.

Viele ihrer Kunden hätten in der „realen Welt“ oft Schwierigkeiten damit, einfach mal auf eine Party zu gehen und Kontakte zu knüpfen. Deshalb hat Raphaelle das Geek-Dating ins Leben gerufen – eine Art Speed-Dating für Leute, die Klingonisch sprechen. Oder eine zukünftige Hochzeit im Game-of-Thrones-Stil planen. Bei Kerzenschein und Salzstangen unterhalten sich dann schon mal 80 Leute über Zelda-Charaktere und Herr der Ringe. Raphaelle gibt online Tipps zur Vorbereitung. Zum Beispiel: Frag dein Gegenüber doch nach seiner Lieblings-Konsole. Oder: Iss keinen Knoblauch. Das klingt erst mal bevormundend. Doch viele der Teilnehmer hätten nun mal ernsthafte Schwierigkeiten, auf einer Party jemanden anzuflirten, sagt Raphaelle. Für Autisten oder Soziophobie-Patienten gibt es deshalb auf dem Geek-Dating extra einen Help-Button. „Das ist natürlich ein Stigma“, sagt Raphaelle. Aber es kann auch helfen, weil der Mensch gegenüber gleich weiß: das Gespräch anfangen, Hilfestellung geben.

Raphaelle hat selbst eine Form des Autismus, eine Art ADHS. „Gefühlsmäßig distanziert mich das sehr von der Gesellschaft“, sagt sie. Raphaelle geht wenig aus. Denn störende Nebengeräusche kann sie nicht ausblenden. Die Schritte vorbeigehender Passanten hinter der geschlossenen Tür nimmt sie genauso überdeutlich wahr wie die Interviewfragen. Das lenkt ab – und lässt sie oft unkonzentriert wirken, sagt sie, auch wenn das im Gespräch kaum auffällt. Gerade in der Schule habe das ihre Mitschüler völlig irritiert.
 Im Item Shop ist das anders: „Genauso wie ich die Leute hier akzeptiere, akzeptieren sie mich“, sagt sie. „Sie gucken mich nicht komisch an, weil ich mich im Gespräch wegdrehe.“ Wird es ihr zu viel, kann sie immer noch ins Lager fliehen. Das gilt auch für eine Asperger-Autistin in Raphaelles Fünf-Personen-Team. „Sie ist hier nicht außergewöhnlich“, sagt Raphaelle. „Alle unserer Mitarbeiter haben eine sehr eigene Marke. Bei ihr ist der Vorteil, dass sie ein Wort dafür hat.“ Angefangen hat der Item Shop auf Conventions. Dort hat Raphaelle früher Radiergummis und Stickerhefte verkauft. Mit ein paar Jobs haute es nicht so richtig hin: Friseurin, Moderatorin, Künstlerin. Irgendwann hatte sie Lust, sesshaft zu werden mit ihrem Shop – und konnte in eine leer stehende Immobilienanlage von Verwandten nahe dem Isartor einziehen. Die Eltern haben ihr sogar das Erbe vorgestreckt. Aber noch ist sie verschuldet, voraussichtlich bis nächstes Jahr.

Raphaelle wirkt wie jemand, der alles im Griff hat: selbstbewusst, sympathisch. Die lockigen roten Haare sind in einen Zopf geflochten. Um den Hals baumelt an einer Kette ein goldener Schlüssel – der Endboss-Schlüssel aus Zelda. So nennen sie ihre Kunden auch oft: Endboss. Viele davon sind Stammgäste. Manche kommen einmal pro Woche und stöbern im Sortiment – täglich gibt es ein neues Produkt, meist importiert aus den USA, Japan oder England, manchmal auch aus Deutschland. Einige der Kunden sind weit gereist: „Wir haben jeden Tag jemanden im Shop, der mindestens 300 Kilometer hinter sich hat“, sagt Raphaelle.

Denn neben einem Fanshop in Neuper-lach, gibt es in der Umgebung nichts Vergleichbares. Die Kunden bleiben dem Unternehmen oft treu. 50 „Helferlein“, wie sie sich nennen, arbeiten regelmäßig freiwillig mit. „Ohne die könnten wir das nicht stemmen“, sagt Raphaelle. Als eine Mitarbeiterin im Koma lag, ließen ihr die Kunden so viele selbstgezeichnete Bilder und Briefe zukommen, dass die Wand im Krankenhauszimmer irgendwann voll war.

Elsbeth Föger

Foto: Sergej Dagda

Neuland

Der Abschlussjahrgang Modejournalismus/Medienkommunikation an der Akademie Mode & Design in München scheint gerne zu sammeln. Deshalb haben Elisabeth Krainer und ihre Kommilitonen ein ganzes Magazin über das Sammeln zusammengestellt. 100 Zitate und Bilder sollen zum Nachdenken anregen.

Ob das Autogramme sind, chinesische Porzellanfigürchen oder Blaubeeren auf einer Wanderung – sammeln tut jeder. Zeit, dem Thema ein Magazin zu widmen, fand der Abschlussjahrgang Modejournalismus/Medienkommunikation an der Akademie Mode & Design. „Es geht bei der Mode immer ums Sammeln – von Schnitten, von Inspirationen“, sagt Elisabeth Krainer, 22, Textchefin für das Magazin. „Aber Sammeln kann noch viel mehr sein.“ Im Print-Magazin MO:DE seven – the collection werden deshalb scheinbar willkürlich 100 Zitate und Bilder gehortet – zu Themen wie Verantwortung und Identität, Trends und Labels. Sammeln, das zeigt das Magazin, kann Dinge in ganz neue Zusammenhänge stellen. „Wir wollen kein Ratgeber sein, sondern die Leser selbst zum Nachdenken einladen“, sagt Elisabeth. Das Heft erscheint als Teil der Reihe MO:DE – ein jährliches Magazin von Absolventen des Studiengangs. Und weil das crossmedial ausgerichtet ist, gibt es auch einen Online-Teil (www.modesieben.de). Die Printausgabe erscheint spätestens Mitte August und ist an der Akademie Mode & Design erhältlich.

Elsbeth Föger

Foto: privat

Das Experiment mit dem Nichts

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Er geht nie in die Mensa, nie Klamotten shoppen: Marius Diab, 25, ist im Konsumstreik. Einzig für Krankenversicherung und den Semesterbeitrag der Uni gibt der Kunststudent noch Geld aus. Ein Lebensentwurf.

Marius kann nie vergessen, was auf seinem Einkaufszettel steht. Er kauft nämlich nichts ein. Keine Uni-Folder, keine Schuhe, kein Sandwich in der Mittagspause. Irgendwann hat er sich entschieden, überhaupt nichts mehr zu konsumieren. Das geschah nicht plötzlich. Es begann damit, dass Marius keine neue Kleidung mehr nachkaufte, und endete damit, dass er im Monat nur noch Geld für eine Falafel ausgab. Als ihm auffiel, wie anspruchslos er lebte, befand Marius: Zeit für einen kompromisslosen Konsumstreik. Um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass man sich problemlos mit dem versorgen kann, was andere wegwerfen.

Marius war geschockt, wie viel Essen in München im Abfall landet – etwa die Papaya, tausend Kilometer gereist, um noch völlig verzehrbar weggeworfen zu werden. Mit seiner Aktion will der Münchner gegen Ressourcenverschwendung und Konsumwahn protestieren. „Auf ein Problem aufmerksam machen funktioniert besser, wenn man etwas konsequent macht“, sagt Marius. Missionieren will er trotzdem nicht. Ein Experiment sollte es sein. 

Mittlerweile lebt Marius, 25, schon seit mehr als einem Jahr so. Nur für zwei Sachen gibt der Münchner Geld aus: für seine Krankenversicherung und den Semesterbeitrag der Universität. Selbst das Dach über seinem Kopf ist kostenfrei, seit er in der Firmenwohnung eines Freundes lebt.

Marius studiert Kunst und sieht auch so aus. Bart und schulterlanges Haar im Pferdeschwanz. Barfuß trifft man ihn zwischen den beiden Pferde-Statuen auf der Haupttreppe der Kunstakademie. Mit dem freundlichen Lächeln wirkt er ein bisschen wie der Nachbar von nebenan, mit dem man abends in einer Bar ein Bier trinken geht. Wobei, Marius darf dort natürlich nichts bestellen – Konsum ist ja ausgeschlossen.

Dass er aus dem Experiment nicht hungrig herausgeht, dafür sorgt das Freiwilligennetz „Foodsharing“. Vor zwei Jahren hat Marius das Projekt in München mitorganisiert. Das Prinzip: Betriebe oder Privatpersonen verschenken übrig gebliebene Nahrungsmittel. „Foodsaver“ nennen sich die mehr als 400 Freiwilligen, die das Essen abholen – und damit „retten“, wie sie sagen. Was mit den Nahrungsmitteln passiert, entscheidet jeder selbst. Nur verkaufen oder wegwerfen darf man es nicht. 

Ein Trend, der um sich greift – nicht nur in Deutschland. Kürzlich hat der französische Staat dem Großhandel verboten, Lebensmittel wegzuwerfen. Werden Waren nicht verkauft, muss der Betrieb sie als Tiernahrung oder Kompost einsetzen oder karitativen Initiativen spenden. Marius dagegen behält die Foodsharing-Produkte für sich selbst. Nimmt er Bedürftigen damit nicht etwas weg? Nein, sagt er entschieden. Die Bahnhofsmission etwa hat Foodsharing-Spenden sogar abgelehnt. Und abgelaufene Sachen wollten viele Obdachlose nicht essen, das habe er bei einer Verschenk-Aktion auf der Straße bemerkt.

Er selbst hat da keine Hemmungen. Das klingt nach Lebensmittelvergiftung am Fließband – aber darüber kann Marius nur lachen. Ein abgelaufenes Mindesthaltbarkeitsdatum ist für ihn kein Argument. „Ich habe schon so viel Erfahrungen gemacht, dass ich da keine Bedenken habe.“ Ein Geruchstest, ein bisschen probieren, das reicht. Bei richtig großem Hunger isst Marius auch vom stehen gelassenen Gemüseauflauf. Oder von der liegen gebliebenen Currywurst. Eigentlich ist er Veganer – doch bevor etwas verschwendet wird, greift er auch bei Fleisch zu. 

Auf Studenten-Feten oder Mittagspausen-Picknicks nach Resten zu fragen, das hat Marius nur am Anfang Überwindung gekostet, jetzt nicht mehr. In der Bittsteller-Rolle sieht er sich nicht. „Dadurch, dass ich die Leute anspreche, mache ich sie darauf aufmerksam, dass da Essen weggeworfen wird“, sagt er. „Und damit befreie ich sie von ihrem schlechten Gewissen.“

Kopfwehtabletten?
Braucht er nicht. Zahnpasta?
Bekommt er im Umsonst-Laden

Ihn selbst rege das Experiment dazu an, Neues auszuprobieren. Etwa Gemüse mit geschenktem Saatgut anzubauen – Blaukraut und Zwiebeln, Kartoffeln und Radieschen. Oder Kastanien zu sammeln und daraus Waschpulverersatz herzustellen. In den vielen Unannehmlichkeiten, die sich aus seinem Lebensstil ergeben, sieht Marius Vorteile. Er schränke sich gerne ein. Kopfwehtabletten? Braucht er nicht. Zahnpasta? Bekommt er aus dem Umsonst-Laden in München, in dem man gespendete Gebrauchsgegenstände kostenlos abholen kann. Internet? Dafür nützt er das kostenfreie Wlan an der Uni. Reisen? Das klappt per Anhalter. Sein Handy kann nur Anrufe empfangen, keine tätigen. Sogar in kostenpflichtige Museen zieht es den Kunststudenten nicht. Kritisch wurde es erst vor ein paar Monaten, als Marius’ Rad unerwartet kaputt ging. Er glaubte schon fast, das Experiment abbrechen zu müssen – bis er sich von einem Fahrradladen alte Bremsklötze schenken ließ.

Gerade arbeitet er an einem Quartier für die nächsten Jahre – seiner eigenen Jurte. Komplett aus wiederverwerteten Materialien wie Holz von der Münchner Messe. Am liebsten will er es irgendwann an der Isar aufstellen oder im Garten einer befreundeten Familie. Ein kompromissloser Lebensstil, der zumindest im Kleinen auch Bekannte inspiriert: Ein Freund mit kaputtem Smartphone habe gerade darauf verzichtet, sich ein neues anzuschaffen. Trotzdem: „Ich glaube nicht, dass irgendwann der Punkt kommt, an dem ich sage: Wow, die Welt hat sich total verändert. Jetzt kann ich aufhören“, sagt Marius. Ein Streik-Ende der Ein-Mann-Gewerkschaft ist also erst mal nicht in Sicht. 

Elsbeth Föger

Foto: privat

Quer gestrickt

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“Venomous”- so heißt das Modelabel von Kainer Heimert. Damit durchbricht er Kleidernormen

München – Der Schmetterlingseffekt: Wenn ein Schmetterling mit den Flügeln schlägt, kann er einen Orkan auslösen. Oder ein Modelabel inspirieren. So war es zumindest bei „Venomous“. Die Idee zu dem Start-up kam Kaine Heimert, 23, durch einen knallblauen Schmetterling. Der giftige Falter ließ ihn nicht mehr los – weil er zweigeschlechtlich ist. Ein Flügel ist weiblich, der andere männlich. Genau das Prinzip, das Kaine modisch vorschwebt. „Auch Frauen haben eine maskuline Seite und Männer eine feminine“, sagt er. „Jeder soll so sein, wie er ist.“ Mit seinen Kollektionen will Kaine Kleidernormen durcheinanderbringen. Anderen dabei helfen, anders zu sein. Denn wenn seine Kunden ihre neuen Kostüme anprobieren, schlüpfen sie für ein paar Stunden in eine fremde Rolle.
 Kaine hat sich auf Mode für Fan-Szenen spezialisiert. Da gibt es futuristische, schrille Kostüme für Videospiel-Charaktere auf Cosplay-Conventions. Düstere Gothic-Kleidung für Modemessen. Oder pompöse Rüschenröcke und hochgeschlossene Blusen für Lolita-Fotoshootings. Auch für Visual Kei produziert Kaine gerne – eine Subkultur, die ursprünglich aus Japan kommt. In der Szene trägt man grellbunte Fantasiekostüme mit Schleifchen genauso wie schwarze Leder-Kleidung mit Nieten. Ein zusammengewürfelter Stil, der mit unseren Sehgewohnheiten kollidiert. Und der einem die Unterscheidung „weiblich“ oder „männlich“ ganz schön schwer macht, tragen doch auch Männer in der Szene manchmal Röcke. 

Auf Definitionen hat Kaine längst
keine Lust mehr: „It’s nothing
about gender – it’s fashion.“

Auch Kaine selbst gefällt es, sich zwischen männlich und weiblich zu bewegen. Beim Interview trägt er Nietengürtel und ein graues T-Shirt. An den häufig durchstochenen Ohren hängen silberne Ohrringe wie aufgespießte Schmetterlinge. Ungewöhnlich für einen Mann. Genauso ungewöhnlich wie die lange, stufige Haarmähne. Die Lippen sind voll, die Gesichtszüge sehr fein. Schräge Blicke ist Kaine mittlerweile gewohnt, nicht erst seit der Gründung des Labels vor einem Jahr. Aber immer noch ist Entrüstung in der Stimme, wenn er sagt: „Oft werde ich als Frau angesprochen!“ Doch wer kann den Passanten den falschen Eindruck verübeln? In Finanzierungsvideos für sein Modelabel tritt Kaine schon mal mit blauer Bluse und Kette auf.

Das fällt aus der Norm. Aber auf Definitionen hat Kaine längst keine Lust mehr. Vielleicht hat er sich diesen Spruch deshalb zum Motto gemacht: „It’s nothing about gender – it’s fashion.“

Aus der Norm gefallen, das sei er schon immer. Schon vom Namen her. Kaine ist nicht, wie erwartet, ein Künstlername. Übersetzt bedeutet der gälische Name Kämpfer. „Das passt sehr gut, weil ich mich immer durch mein Leben gekämpft habe und viele Widrigkeiten überwinden musste“, sagt Kaine.

Als Jugendlicher zog er mit seiner Mutter aus einem Dorf in Sachsen nach München. „In der Schule lief da viel mit Mobbing“, sagt er. Anlass dazu bot schon seine Kleidung. Modisch drehte sich Kaines Welt um Importware aus Asien: tiefschwarze Kleidung mit Nieten, Bändern und Accessoires. Das, was alle trugen, fühlte sich falsch an. „Das war für mich wie verkleiden. Ich konnte nicht richtig dazugehören, aber ich wollte es auch nicht.“ Dass sich der damals Zwölfjährige daher ausgefallene Kleidung bei E-Bay bestellte, war der Mutter anfangs nicht recht: „Willst du wirklich so draußen rumlaufen?“ Ja, das wollte er. Auch wenn man ihm verletzende Dinge hinterher rief, die ihn tagelang den Unterricht schwänzen ließen. Wer sich wie Kaine in Kleidergeschäften nicht so richtig zwischen Damen- oder Herrenabteilung entscheiden konnte, der hatte es schwer. Vor allem in der Pubertät, in der von A wie Aussehen bis S wie Sex alles ziemlich körperfixiert ist.

Seine Mode soll sich nun richtig anfühlen. Qualitative Stoffe müssen es sein, nicht die typischen Cosplay-Massenanfertigungen. Materialkosten zu senken, kommt für Kaine nicht in Frage. Obwohl der junge Modemacher, der noch bei seiner Mutter wohnt, vom eigenen Geschäft bisher eher so schlecht als recht lebt. Fast alle Kleidungsstücke sind handgemachte Unikate. Kaine bestickt sie auch mühevoll selbst mit Perlen – die teure Stickmaschine kann er sich nicht leisten.

Damit sich das zeitlich ausgeht, klingelt der Wecker schon um sechs Uhr morgens. Und die Nähmaschine rattert bis spät am Abend. Manchmal dauert es einen ganzen Monat, bis ein Kleidungsstück fertig ist. Das fertige T-Shirt kostet 20 bis 30 Euro. Ein Korsett das Zehnfache.

Ein bisschen muss man ans viktorianische England denken, wenn man sich Kaine bei der Arbeit vorstellt, stundenlang über den Stoff gebeugt. Das passt: Denn besonders aufwendig sind die riesigen Kostüme der Steampunk-Kollektion. Die katapultieren einen modisch direkt ins viktorianische Zeitalter. Über die 20 Tülllagen eines Rockes quält sich die Nähmaschine nur mühsam, sagt Kaine. Enge Korsetts gehören genauso zum Repertoire wie drei Röcke übereinander.

Merkwürdig – einer, der mit Geschlechternormen nichts anfangen kann, macht Mode aus der viktorianischen Zeit. Einer Gesellschaft, die so prüde war, dass sie Tischbeinen manchmal kleine Stoffhöschen umband: Ein nacktes Tischbein galt als obszön. Und Korsetts? Aus dem Taillen-Gefängnis ist die Frauenbewegung doch nur mühsam ausgebrochen. „Ich mag solche Widersprüche“, sagt Kaine. Und: „Meine Testpersonen haben mir versichert: In meinen Korsetts kann man noch atmen!“ Und atmen können, darum geht es ja bei dem Ganzen.  

Elsbeth Föger

Foto: privat