Burgfräulein mit Internetzugang

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Rauf auf die Burg! Jessica Schober wird Burgenbloggerin – und zieht dafür in die mittelrheinische Pampa.

Mit Rheinblick, hohen Zinnen und Schießscharten thront sie auf einem Felsen: die Burg Sooneck im Mittelrheintal. Vom 1. Mai an wird das Jessica Schobers neue Heimat sein. Die junge Journalistin ergreift demnächst einen ungewöhnlichen Beruf: Sie wird Burgenbloggerin im Mittelrheintal. Jessica hat sich damit gegen 700 andere Bewerber durchgesetzt. Ausgeschrieben wurde die Stelle von einer Zeitung, einer Entwicklungsagentur und einer Kultureinrichtung – wohl, um Werbung für die strukturschwache Region Mittelrheintal zu machen.

SZ: Du hast die Deutsche Journalistenschule in München absolviert und arbeitest seit 2012 als freie Journalistin. Und jetzt ziehst du für ein halbes Jahr in die Pampa, um in einer Burg zu wohnen? 

Jessica Schober: Es ist ja Premium-Pampa. Ich fand die Idee charmant, auf einer Burg zu leben und Geschichten zu erzählen. Das klang für mich nach dem perfekten Anschlussprojekt nach meiner „Wortwalz“.

Wortwalz?

Ich bin vergangenes Jahr durch deutsche Lokalredaktionen gewandert, in Anlehnung an die Tradition des Gesellenwanderns.

Und jetzt die Burg. Wuchtige Steinwände, hohe Zinnen, Blick auf den Fluss: Das sieht ja erst mal nach Rheinromantik aus. Aber bietet das Mittelrheintal genug Stoff, um jeden Tag darüber zu schreiben?

Es kann nicht nur um die Burg gehen, sondern vor allem um die Menschen. Da gibt es viele interessante Fragen: Warum hat der letzte Bäcker im Dorf zugemacht? Warum gibt es keine Busse, die den Hang hochfahren? Warum ist das Touristenziel gleichzeitig eine strukturschwache Region? Es gehört zu diesem Experiment dazu, sich für ein halbes Jahr in eine Region reinzuwerfen.

Der nächste Ort liegt drei Kilometer weg und hat nicht mal einen Supermarkt …

Die Herausforderung für mich besteht eigentlich nicht darin, in die Provinz zu ziehen, sondern mal sesshaft zu werden. Ich habe in Eichstätt studiert, das ist die kleinste Uni Deutschlands. Vergangenen Sommer war ich bei der „Walz“ ständig unterwegs. Jetzt werde ich mich mal darauf einlassen, ein halbes Jahr dort zu bleiben. Einsam wird es dort nicht, es haben sich viele Freunde angekündigt.

Wie bist du dort untergebracht?

Ich wohne nicht im historischen Teil der Burg, den man sich bei einer Museumsführung anschauen kann. Mein Domizil ist eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung über der Burgschänke.

Wie schaut es mit Internet aus?

Dass das klappt, ist die Hauptbedingung! Aber ich bin da guter Dinge.

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„Die Welt“ nannte das Mittelrheintal eine „Traumlandschaft zum Davonlaufen“. Die Region ist strukturschwach, viele Bewohner ziehen weg … Als Burgenbloggerin wirst du von der Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz gesponsert. Darfst du da überhaupt kritisch sein?

Es ist wichtig, sich diese Transparenzfrage zu stellen, auch auf dem Blog. Ich bin meine eigene Chefredakteurin, ich habe einen Freibrief, über alles zu berichten. Außerdem werde ich nicht nur darüber schreiben, wie schön es ist, auf der Burg zu leben. Das hat sich schnell auserzählt. Es gibt neben der Burg – sehr symbolisch – einen riesengroßen Steinbruch, der tierisch laut ist. Es gibt Licht und Schatten. Und vieles, wo man kritisch hingucken muss.

Bei deiner Wortwalz hast du ja auf Laptop und Handy verzichtet, um möglichst authentisch auf Gesellenwanderung zu gehen. Was kommt diesmal in den Koffer? 

Ich werde mein Akkordeon mitnehmen. Und mein Notizbuch.

Was sagen denn die Freunde dazu?

Ich muss oft darüber lachen, wenn ich ständig Dinge höre wie: „Lässt du dir jetzt die Haare wachsen? Du musst doch Rapunzel spielen!“ Ich werde nach diesem halben Jahr sehr müde sein von allen Ritter-, Burgen- und Dornröschenklischees, aber ich werde sie fröhlich ertragen. Das gehört eben auch dazu.

Interview: Elsbeth Föger

Fotos: Jens Weber

Zu lesen gibt es Jessicas Erfahrungen auf http://www.burgenblogger.de/

Weltretter mit Widersprüchen

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Mal Vegetarier, mal nicht: Lukas Jäger ist konsequent flexibel, auch in seinem sozialen Engagement. Der junge Münchner hat die Facebookplattform “Verschenk’s” gegründet, organisiert Weiterbildungen von Leih-Omas und engagiert sich bei “Unternimm dich”. 

Lukas Jäger liebt das Paradoxe. „Ich bin kein Vegetarier, aber ich esse kein Fleisch.“ Das sagt er mit einem milden Lächeln, als hätte er das schon ganz oft erklärt. Wie jetzt? Vegetarier oder nicht? Aus Überzeugung verzichte er auf Fleisch. Aber nicht immer. Lukas ist da moralisch flexibel. Ausnahmen macht er etwa, wenn er zum Essen eingeladen wird und das Steak schon in der Pfanne brutzelt. 

Eine pragmatische Einstellung – und charakteristisch für Lukas, Ende 20. Er engagiert sich oft und gerne, macht das aber nicht bis zur Selbstaufgabe, wie er sagt. In München ist er im Bereich Ehrenamt so etwas wie ein Tausendsassa. Erkennbar schon am Studium: Management Sozialer Innovationen. Dann folgt eine lange Kette von gemeinnützigen Projekten. Gedankenloser Konsum ist Lukas zuwider. Deshalb hat er die Plattform „Verschenk’s“ gegründet, eine Online-Community mit mehr als 30 000 Mitgliedern. Dort kann man die dritte Stehlampe genauso herschenken wie den überflüssigen Schal – jemand anders freut sich darüber. Lukas setzt sich auch für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein: Für ein Sozialunternehmen organisiert er Weiterbildungen für Leih-Omas. Momentan arbeitet er vor allem bei der Organisation „Unternimm dich“. Dort gestaltet er Workshops in Schulen. Die Themen: Konsumverzicht, Entschleunigung, Nachhaltigkeit. Unter seiner Leitung organisieren die Schüler Rock-Konzerte und Adventsläufe. Und überlegen sich schon mal: Was machen wir mit unserem verdreckten Pausenhof? 

Lukas hat vor dem Studium eine Ausbildung zum Erzieher gemacht. Bald fängt er seinen Master in Bildungswissenschaften an. Man kann ihn sich gut in einer Klasse vorstellen. Blauer Pulli, hellblaues Hemd, große Brille. Entspannte Haltung. Ein Kumpeltyp-Lehrer eben. Doch beim Reden sieht er sein Gegenüber wenig an, schaut häufig in die linke Ecke. Als wäre er viel mit sich selbst beschäftigt.

Das ist er sicher auch. Seine Bachelorarbeit hat er einfach mal über sich selbst geschrieben. Andere würden das Arroganz nennen. Lukas nennt es eine Auto-Ethnographie und grinst. „Das war auch in unserem Studiengang ungewöhnlich. Innovativ zu sein ist aber natürlich auch Programm.“ Die Leitfrage: Was hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin? Das Leben als eigener Forschungsgegenstand, zwischen Milieu- und Sozialisationstheorien – das war Lukas irgendwann zu viel. Der Konstanzer machte Pause und ging mit dem Rucksack den Jakobsweg. 

Und doch setzt er sich viel für andere ein. Und für die Natur. Als Kind war er in der grünen Jugend, organisierte Bachreinigungen, molk Kühe am Bauernhof. Sein Held: nicht Batman, sondern der Greenpeace-Aktivist. „Bilder vom Walfang, von der Urwaldrodung haben mich emotional sehr beschäftigt“, sagt er. Mit 15 wurde er ein Hiphop-Nerd. Und fand den grünen Lebensstil der Eltern mit ihren Bioladen-Exkursionen plötzlich furchtbar peinlich. 

„Mein Vater war sehr streng in einigen Dingen“, erzählt Lukas und korrigiert sich nach einer Pause. „Nicht streng, aber konsequent. Ich bin da flexibler.“ Flexibler, oder, anders formuliert, halbherziger. Kurz zieht er das eigene iPhone aus der Tasche. Dass das kein Emblem der Nachhaltigkeit ist, weiß er selbst. Eine Zeit lang hat er massenhaft Markenturnschuhe gesammelt. Wohl genäht von Kindern in Ausbeuterfabriken. Dafür gibt er fast die Hälfte seines Einkommens dafür aus, dass nur Bio-Essen auf den Teller kommt. Und wenn er abends oft ehrenamtlich Überstunden für „Unternimm dich“ macht, ist das nichts Außergewöhnliches. Seine Freundin kennt das. Sie hat einen Verein für Zivilcourage gegründet. Wie geht man um mit diesen Widersprüchen, mit diesem Spektrum zwischen vorbildlich und nachlässig? Lukas zögert – als ob er darauf warte, dass man ihm ins Wort falle. „Ich bin sicher nicht der selbstlose, total konsumverzichtende Mensch“, sagt er langsam. „Mir geht es eher darum, mich bewusst zu hinterfragen. Mein heutiges Leben ist voller Widersprüche, und das darf es sein.“ 

Auf ein gemeinnütziges Projekt festlegen kann sich Lukas nicht. Er will es auch gar nicht. Ein Trend, der nicht nur für ihn gilt. Studien belegen: Das klassische Ehrenamt wandelt sich. Einmal die Woche in den Verein zu gehen, und das über viele Jahre lang, ist für viele Jugendliche zunehmend unattraktiv. Stattdessen engagieren sie sich eher punktuell, kurzfristig. „München ist das beste Beispiel“, sagt Lukas. „Es war beeindruckend, wie viele Schüler und Jugendliche gegen Bagida auf die Straße gegangen sind.“ Wer sich ins Getümmel der Gegendemonstrationen stürzt, engagiert sich auch – nur eben für einen Abend. 

Auch Lukas setzt sich mal für gerechte Bildung ein, mal für Nachhaltigkeit durch Konsumverzicht, in der Zukunft vielleicht für ein Flüchtlingsprojekt. „Im Moment brauche ich diese Vielfältigkeit. Es kann auch sein, dass ich mich irgendwann für eine Sache entscheide. Aber ich bin da sehr offen.“ Ein festes Engagement in einer Organisation hat ihn nie gereizt. Bei Greenpeace ist er Fördermitglied, mehr nicht. Lukas steht auf lose Strukturen.

Und wenn er wieder mal den Job wechselt? „Dann würde ich in die Rüstungsindustrie gehen“, sagt er und lacht. So weit geht die moralische Flexibilität dann doch nicht.  

Elsbeth Föger

Neuland

Paleo, Keto und Low Carb? Auf foodpunk.de stellt Marina Lommel ausgefallene Ernährungsweisen vor.

Bio-Kokosmehl, weißes
Mandelmus und Birkenzucker – das steht bei den meisten von uns wohl eher nicht
im Küchenregal. Bei Marina Lommel, 25, schon. Die studierte Ernährungswissenschaftlerin
hat foodpunk.de gegründet. Die Website stellt besondere Ernährungsweisen vor.
Bei Paleo verzichtet man auf Milchprodukte, Getreide und Hülsenfrüchte. Bei Low
Carb und Keto fallen viele Kohlenhydrate weg. Und weil dann einige Lebensmittel
tabu sind, experimentiert Marina mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen für neue
Rezepte. Bei ihr gibt es Sushi mit Blumenkohlreis und selbst gemachte
Eistee-Gummibärchen. Ein Küchen-Punk: „Ich fühle mich wie jemand, der schon
immer aus der Reihe getanzt ist“, sagt Marina, die seit Jahren selbst Low Carb
isst. Schiefe Blicke bleiben da nicht aus. Doch mittlerweile hat die Seite bis
zu 10 000 Besucher am Tag. Für ihre Koch-Aktionen steht Marina bis zu zehn
Stunden in der Küche. Und für die Fotos klettert sie schon mal zwischen zwei
Tageslichtlampen auf eine Leiter – ein Ei in der linken und die Kamera in der
rechten Hand.

Die Nebelmelker

Severin Engelmann und Henning Sabersky-Müssigbrodt bringen kleine, portable
Nebelfänger nach Marokko, um die Wasserknappheit des Landes zu bekämpfen. 

Der alte Landrover
ruckelt über die steinigen Straßen. Schnell zieht die karge Landschaft Marokkos
vor dem Fenster vorbei. „Eine braune Mondlandschaft“, sagt Severin, 24, zu
seinem Freund Henning, 21, der neben ihm sitzt. Am Himmel hängen dicke
Nebelwolken. Kein guter Anblick für Touristen. Doch die zwei Münchner Studenten
sind keine verirrten Abenteuerurlauber. Severin und Henning haben eine
ungewöhnliche Mission. Sie fahren in kleine Bergdörfer, um Wasser aus dem Nebel
zu ziehen – so, als würde man eine Kuh melken. Denn viele Menschen in Marokko
plagt ständig der Durst. Das Paradoxe daran: Wasser gibt es zwar genug. Nur
eben nicht in den oft ausgetrockneten Brunnen – sondern in der Luft.

Henning
Sabersky-Müssigbrodt und Severin Engelmann, wieder zurück in München, sitzen
auf der Terrasse der TU und erzählen von ihrer Reise nach Marokko. Von hier aus
kann man die ganze Stadt überblicken, von Nebel keine Spur. Die Februarsonne
scheint nebellos auf München herunter. Severin kneift die Augen zusammen und
schafft es, trotzdem begeistert auszusehen. „Das ist fast schon ein Zauber“,
sagt er fasziniert. „Luft und Wasser sind zwei fundamental verschiedene
Elemente, aber sie arbeiten miteinander.“ Henning zeigt ein Bild auf seinem Handy.
Das Gerät sieht unspektakulär aus. Zwei Meter hoch. 12 Kilo. Ein
Aluminium-Gestell, zwischen das man ein Nylon-Netz gespannt hat. Wenn kalte
Luft auf das Netz trifft, bleiben – vereinfacht gesagt – die winzigen
Wassertropfen im Nebel daran hängen und fallen in den Kanister darunter. In
Marokko, einer der nebelreichsten Gegenden der Welt, sehr vielversprechend.

Severin lehnt sich in
seinem Stuhl zurück. Beim Erzählen hat er etwas Lockeres an sich. Ein Klischee
drängt sich auf: Typ Globetrotter. Einer, der mit geschultertem Rucksack durchs
Hinterland trampt, rasch mit jedem ins Gespräch kommt, und daheim jeden Satz
anfängt mit: „Als ich damals im Ausland war …“ Auf Severin trifft das
Stereotyp zu, zum Teil. Entwicklungshilfe ist für ihn nichts Neues: Er hat
schon Medikamente auf einem kenianischen Ärzteschiff verwaltet. Ein halbes Jahr
lang spielte er mit kambodschanischen Kindern auf Müllbergen Theater. Jetzt
studiert er Wissenschafts- und Technikphilosophie an der Münchner TU. Henning,
BWL-Student, hat in Australien Work&Travel gemacht.

Warum sind sie zum
Nebelfängerprojekt der Studentenorganisation Enactus gestoßen? Weil man mit
einer so einfachen Technik so viel bewirken könne, sagen sie. Und wegen der
Faszination Wasser. „Wasser ist ein Lebenselixier“, sagt Henning. „Wenn ich
nach dem Sport durstig bin, dann ist Trinken für mich so ein Glücksgefühl!“ Das
liest sich wie der ärgste PR-Satz, aber dem Studenten mit den zerzausten roten
Haaren kauft man es ab, wenn er das sagt. Schnell übernahmen sie in der
Initiative das Kommando und stellten den Kontakt nach Marokko her. Die beiden
sind sympathisch, überzeugend. Man kann sich gut vorstellen, wie sie Sponsoren für
das Projekt gewonnen haben. Etwa zu Siemens: die Firma hat ihren Prototyp
gebaut. Oder zu Experten aus Kanada und Teneriffa, die sie mit Satellitendaten
über den Nebel versorgen. Klar, am Anfang hätte man sie als Studenten oft nicht
ernst genommen.

Die Technik ist so
einfach, dass sich die Frage aufdrängt: Warum ist da noch niemand
draufgekommen? Zugegeben: Ist man. Der Wüstenkäfer zum Beispiel. Er sammelt den
nächtlichen Tau an seinen Flügeln und trinkt ihn dann. Auch Menschen nutzen die
Technik. Das Neue an Severins und Hennings Projekt: Ihr Nebelfänger ist klein,
günstig und tragbar. Der konventionelle Nebelfänger bleibt einfach an Ort und
Stelle stehen – dabei ist das unsinnig. „Der Nebel als Ressource ist mal da,
mal dort. Man kann da nicht einfach den Hahn aufdrehen“, sagt Severin. Verzieht
sich der Nebel von der Bergwand auf den Hügel? Zieht man mit dem Gerät
hinterher. Kommt ein Sturm auf? Baut man den Nebelfänger einfach ab. Produziert
werden soll in kleinen lokalen Werkstätten.

Erst einmal sollen nur
50 Haushalte in Marokko mit Nebelfängern ausgestattet werden. Realistisch
wenig. Fatima zum Beispiel. Die Witwe wohnt in einer kleinen Lehmhütte. Sie
lebt vom Kaktusverkauf, hält ein paar Ziegen. Und hat fünf Kinder. Die sind oft
so durstig, dass ihnen die Zunge am Gaumen klebt. Dabei formt das Wasser in der
Luft dicke Nebelschwaden. Darunter darf man sich nicht nur ein paar Wolken
vorstellen. „Das ist ein richtiges Nebelmeer“, sagt Severin – ideal für eine
gute Wasserausbeute. Bis zu sieben Liter kann das Konstrukt pro Tag auffangen.
Dabei wird das Wasser aus dem Nebel nicht getrunken, sondern für die
Landwirtschaft verwendet. Dadurch bleibt dann allerdings wieder Brunnenwasser
zum Trinken, das nicht für die Bewirtschaftung eingesetzt werden muss.

Als die beiden
Studenten Fatima zum ersten Mal besuchten, winkten die zwei einheimischen
Übersetzerinnen ab. Erst mal Tee trinken, das ist in Marokko so üblich. Zwei
Stunden lang lernte man sich erst einmal bei einem Erfrischungsgetränk kennen.
„Das war sehr ungewohnt – aber andererseits auch ein toller kultureller
Austausch“, sagt Severin. Als sie Fatima dann das fremdartige Gerät zeigten,
war sie begeistert. „Sie hat gleich gesagt: Hier ist überall Nebel, lasst das
Ding gleich stehen!“

Auf ihrer Reise wollten
Henning und Severin nicht nur Informationen für ihr Projekt sammeln, sondern
auch testen, ob die Dorfbewohner die Technik annehmen. Denn das ist nicht
selbstverständlich. Gerade frühere Nebelfänger, größer, teuer, wurden von
Dorfbewohnern oft selbst zerstört – aus Eifersucht, weil etwa der Nachbar mehr
Wasser bekam. Das klingt paradox, zeigt aber: Entwicklungshilfe ist mehr als
nur eine Technikfrage. Für die Dorfbewohner ist der stundenlange Gang zum Brunnen
eine jahrzehntealte Tradition mit sozialer Bedeutung. „Der Nebelfänger
durchbricht alte Strukturen und verändert das Verhalten der Menschen“, sagt
Severin. Neben Geografen, Maschinenbauern und BWLern ist deshalb auch eine
Psychologiestudentin im Team. Die soll dafür sorgen, dass die Veränderung
behutsam erfolgt.

Und dafür braucht es
einheimische Mithilfe. „Wenn ich da als Deutscher ankomme, sagen mir die
Dorfbewohner: Der spricht meine Sprache nicht und hat helle Haut, wieso sollte
ich dem vertrauen?“, sagt Henning. Daher haben sie auch eine marokkanische
Studentenorganisation mit ins Boot geholt. Die Wirtschaftsstudenten waren
ständig mit dabei, haben übersetzt und vermittelt. Sich selbst als überlegene
Entwicklungshelfer aufzuspielen? Bei dieser Vorstellung schüttelt es Henning
und Severin regelrecht. „Es ist ein Kulturbrückenprojekt“, sagt Severin. Zu
fünft bei siedender Hitze über Bergstraßen brettern, gemeinsam in dunklen
Hütten Tee trinken – das verbindet.

Mehr als ein halbes
Jahr ist das her. Auf der TU-Terrasse klirren Löffel gegen Teetassen und
Wassergläser. Henning und Severin lassen den Blick schweifen. Wasser, das ist
für sie nicht mehr die Selbstverständlichkeit aus dem Hahn. In Deutschland
verbraucht man 80 Liter am Tag, zehn Mal so viel wie in Marokko. „Wenn meine
Freundin sich die Zähne putzt und dabei das Wasser rinnen lässt, denke ich:
Mach das Wasser aus!“, sagt Severin. Er lacht. Trotz des genervten Untertons.
Und obwohl das ein bisschen nach Kulturschock klingt. Der Student kneift die
Augen zusammen. Die Sonne blendet. Die nächste Marokko-Reise ist schon fürs
Frühjahr angesetzt – natürlich mitten in der Nebelsaison. Dann werden die
beiden im Jeep wieder den dicken Nebelschwaden hinterherjagen.

Neuland

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Mit dem Radl durch die Welt: Zwei junge Studenten legen 12.000 Kilometer Strecke zurück, um damit Geld für Flüchtlinge zu sammeln. “Cycling for Syria” heißt das Projekt der beiden Radler.

Quer durch Europa wollen sie reisen, von der Küste Gibraltars bis in den hohen Norden Finnlands. Sven Wang, 19, und Niklas Gerhards, 21, haben sich vorgenommen, 12. 000 Kilometer auf dem Fahrradsattel zurückzulegen. „Cycling for Syria“ heißt das Projekt. Mit der Benefiz-Radtour sammeln die beiden auf www.betterplace.org Spenden für den Verein „Ärzte der Welt“ – schließlich haben syrische Flüchtlinge medizinische Versorgung dringend nötig. Ein Thema, das die beiden auch persönlich berührt: Niklas studiert in Berlin Medizin, Sven hat bereits Freundschaften in Flüchtlingsheimen geknüpft (Foto:privat). Für Sven, Mathematik-Student in München, sind längere Touren nichts Neues. Nach dem Abitur ist er zwei Monate mit einem Esel auf Wanderschaft gegangen. Auf dem Weg nach Genua kam er sogar zufällig in die italienische Presse.„Es ist vor allem eine mentale Herausforderung“, sagt er. „Körperlich sind wir fit.“
Kennengelernt haben sich die beiden Studenten bei einer Veranstaltung einer Stiftung. Bei der gemeinsamen Radtour wollen sie nun nicht nur an ihre eigenen Grenzen gehen, sondern auch Europas Grenzregionen abfahren. Am Sonntag Für die anstehende Tour haben sich beide schon entsprechend ausgerüstet. Spezielle Reiseräder stehen bereit: „Die gelten als unkaputtbar“, versichert Sven. Radtaschen und ein Solarsystem für die Stromversorgung werden von Firmen gesponsert. Zweimal die Woche wollen Sven und Niklas ihre Sponsoren per Facebook mit Bildern und Videos der Reise auf dem Laufenden halten.  Elsbeth Föger

Ein Lied vom Abschiedsschmerz

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Jahrelangwaren sie am Puls der Subkultur: Das Online-Magazin LAXMag hat Münchens
Musikszene lange aufmerksam verfolgt. Jetzt hat die Redaktion die Arbeit
eingestellt. Ein Interview mit einer Chefredaktion, die trauert (Foto: dasfotostudio).

SZ: Sieben Jahre gab es LAXMag.
Warum habt ihr das Magazin jetzt eingestellt?

Nina-Carissima Schönrock: Das Magazin haben wir zu einer Zeit gegründet, in
der die meisten von uns noch studiert haben. Mittlerweile sind wir alle
berufstätig und sehr eingespannt. Mit dem LAXMag haben wir vor allem deshalb
aufgehört, weil sich die Musikszene zu sehr verändert hat. Früher ist
musikalisch unglaublich viel passiert. Die Strokes
sind hochgekocht, Franz Ferdinand
waren plötzlich da. Darauf mussten wir reagieren. Aber dann hat sich die
Musikindustrie gewandelt.

Inwiefern?
Die Bedingungen in der Musikwelt sind andere geworden: Bands werden zu oft verheizt,
Konzertbedingungen haben sich verändert. Alles ist härter geworden. Aber es ist
auch die Qualität der Bands. Im Moment passiert in Sachen Musik einfach nichts
mehr, das uns richtig reizt, das uns anfixt. Wenn wir Tapes kriegen, sagen wir
nicht mehr: Wow, so was haben wir noch nie gehört. Es macht keinen Sinn mehr, über
einzelne Bands zu schreiben, wenn alles gleich klingt.

Dann findest du die
Musikszene in München jetzt nicht mehr so spannend wie früher?

Nein, und ich glaube nicht, dass es nur uns so geht. Wir haben erfolgreiche Blogs
sterben sehen, die keine Lust mehr auf Musik hatten. Sogar das Online-Magazin Rote
Raupe hat kapituliert. Die waren immer da und auf einmal gab es sie nicht mehr.
Das kommt ja nicht von ungefähr.

Was hat LAXMag denn richtig
gemacht?

Wir sind immer ehrlich gewesen. Wenn wir jemanden kritisieren wollten, haben
wir das gemacht. Wenn wir jemanden gut fanden, haben wir den gepusht. Der Leser
wusste, woran er war. Das war wie das Amazon-Empfehlungsprinzip. Es gab
Redakteure, die etwa mehr Indie-Pop hörten, und wenn die etwas über Musik
geschrieben haben, wusstest du: Wenn du dich in seinem Geschmack einmal wiedergefunden
hat, gefallen dir ähnliche Bands wohl auch.

Ihr habt ja auch kleinere
Bands vorgestellt.

Genau, das war unser ursprüngliches Anliegen: Bands mit viel Potenzial zu
helfen. Etwa Sickcity. Wir haben uns
alle gefragt, warum die nur in München bekannt sind – und gesagt, die müssten
groß werden. Wir haben sie deshalb bewusst neben den Strokes platziert, weil sie das verdient hatten. Sie hätten damit
weitermachen sollen, sie wären irgendwann groß rausgekommen.

Gab es bei euren vielen
Interviews auch skurrile Begegnungen?  
Einmal hatten wir ein Interview mit Thees Uhlmann von Tomte. Highlight des Gesprächs: als ich
ihn gefragt habe, was Jan Delay eigentlich für ein Problem mit ihm hat. Denn eben
dieser hatte in einem Radio-Interview auf die Frage, was ihm zu bestimmten
Bands für Attribute einfallen, bei Tomte gemeint: „Hure Hure, Fotze Fotze,
Tomte Tomte“. Das warf Thees völlig aus der Bahn. Der Tomte-Frontmann konnte
sich den Bash gar nicht erklären und meinte schließlich: „Delay ist schon sehr
niedlich.“ Am nächsten Tag klingelte im H&M mein Handy: „Hallo, hier ist
Thees Uhlmann. Ich wollte nur noch mal nachfragen, wie schlimm das alles war,
was ich über Jan Delay gesagt habe…“ Ich habe selten so sehr gelacht!

Wenn du das LAXMag Revue
passieren lässt: Was waren eure größten Erfolge?
Ganz groß war unser Ravioli-Test zur Festivalsaison, bei dem die
ganze Redaktion dabei war und der bis heute wahnsinnig gut klickt. Gut gingen
auch die Soundtracks, die wir etwa zu politischen Anlässen gemacht haben. Zum Arabischen
Frühling haben wir zum Beispiel einen Revolten-Soundtrack gemacht. Zum Guttenberg-Rücktritt
hatten wir einen Soundtrack, auf den sogar die Süddeutsche Zeitung verlinkt hat.
Die Songs zusammenzustellen war höchst amüsant!

Wie seid ihr eigentlich auf
euren Namen gekommen?

Der Name war recht schnell gefunden. Er stammt aus einem Franz-Ferdinand-Song
namens „Darts of Pleasure“. Da gibt es eine Zeile, die lautet: „Ich trinke
Schampus mit Lachsfisch“. Dadurch, dass diese spannende Umbruchphase in der
Musik Anfang der 2000er-Jahre mit Franz Ferdinand angefangen ist, hat sich dann
diese Wortschöpfung ergeben.

Das war vor sieben Jahren. Wie
haben eure Fans jetzt auf euren Abschied reagiert?

Überraschend betroffen. Als unser Abschiedstext rauskam, haben wir sehr schönes
Feedback bekommen. Bands, die man mal interviewt hatte. Die Tourmanager, mit denen man mal gesprochen hatte. Clubs krochen aus allen Löchern,
um sich von uns zu verabschieden. Auch viele Leser haben sich zu Wort gemeldet.
Man merkt: Es geht Leuten nahe.

Ist LAXMag für immer
Geschichte oder kann man mit euch noch einmal rechnen?

Die Leidenschaft ist jedenfalls noch da. Das LAXMag ist unser Baby. Ich werde
das nie nicht vermissen. Und ich werde auch nicht aufhören, zu trauern.
Vielleicht kommen wir irgendwann wieder. Wir überlegen uns eine
Lifestyle-Erweiterung. Heute bewegen uns in unserem Leben eben andere Dinge. Wenn
wir wiederkommen, dann mit einem komplett anderen Portfolio.

Interview:
Elsbeth Föger

Digitale Phantasie

In der Schule wurde sie verspottet, weil sie Bücher schrieb. Jetzt organisiert Jennifer Jäger, 22, ein Mal im Monat Schreibnächte im Internet – um zu zeigen, dass Schreiben keine einsame Sache ist.

Wie eine Welle rauschte es durch die Klasse. Dieses verächtliche Flüstern. „Schreib doch ein Buch drüber!“, zischte ihr jemand zu. Jennifer hatte ein Buch geschrieben, einen Fantasyroman. Und genau das war das Problem. Erzählt hatte sie das keinem ihrer Klassenkollegen, es war einfach irgendwie durchgesickert. Eigentlich war sie stolz auf das eigene Buch. Schon im Skikurs saß sie abends lieber lesend im Bett, statt im Schnee zu toben. Aber in den Augen der anderen war das Schreiben ein Makel. Wer schreibt, so dachten sie, muss seltsam sein, eigenbrötlerisch, fremd.

So zumindest erklärt sich Jennifer Jäger, heute 22, warum sie in der Schule nicht so richtig glücklich war. Damals fand sie viel Trost im Internet. Heute hat die Germanistik-Studentin selbst eine Online-Community gegründet. „Gemeinsame Schreibnächte“ heißt sie. Hundert Schreiblustige treffen sich eine Nacht lang in einer virtuellen Gemeinschaft. Von acht Uhr abends bis drei Uhr morgens, einmal im Monat, alleine und doch gemeinsam. „Ich habe das auf die Beine gestellt, weil es mich sehr gestört hat, dass das Schreiben als einsames Hobby gilt“, sagt Jennifer. „Der stereotype Autor sitzt irgendwo in seiner Kammer, in einer schottischen Berghütte, vor seinem Tee …“ Genau in dem Moment nippt sie am Earl Grey vor ihr. Als ihr das auffällt, lacht sie.

Jennifer hat mittlerweile sechs Bücher veröffentlicht. Mal im Eigenverlag, mal beim Fantasy-Label Impress. Beim Genre ist sie geblieben: Auch das siebte Buch, das bald erscheint, wird ein Fantasy-Roman. Seit einem Jahr ist sie dafür bei einer Agentur unter Vertrag. Schreiben und surfen, das sind zwei ihrer Hobbys. Jennifer ist so gut wie ständig online. Aber das sieht man der jungen Frau aus Würzburg, die in München studiert, gar nicht an. Keine Brille, kein schüchternes Lächeln. Stattdessen: jemand, der einem in der U-Bahn auffallen würde. Schwarzer Filzhut, kurze blaue Haare, pinkfarbenes Notizbuch.

Wer bei ihrem nächtlichen Schreib-Projekt mitmachen kann? Buchstabentänzer, Wortakrobaten und Federschwinger. So steht es zumindest auf der Website. Jennifer ist konkreter. Das kann die Zwölfjährige sein, die über der ersten Kurzgeschichte sitzt. Der Blogger, den die Angst vor dem leeren Blatt packt. Oder der Bummelstudent, der endlich seine Seminararbeit fertigmachen will. Mit in der Gruppe sind auch zwei Horror-Autoren. Um Jennifer zu ärgern, schicken sie ihr während der Schreibnächte oft gruselige Youtube-Videos. „Ich bin jedes Mal so naiv und klicke sie an“, sagt Jennifer. „Aber so halten sie mich wenigstens wach!“ 

Das Prinzip: Jeder arbeitet am eigenen Manuskript. Alle 60 Minuten gilt es eine Aufgabe zu lösen, die zum Schreiben anregen soll. Etwa: Bau das Wort „Nimmermehr“ in einen Satz deines Textes ein! Oder: Was isst dein Protagonist gerne? Das wirkt nur auf den ersten Blick trivial, versichert Jennifer. Essgewohnheiten können viel über Charaktere aussagen. „Die Fragen sollen unerfahrenere Autoren dazu bringen, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen.“ 

Eine Stunde wird geschrieben, dann kann man sich im Forum darüber austauschen – oder lädt seine eigenen Texte hoch. Probleme beim Dialog? Hänger beim Plot? Schwierigkeiten bei der Formulierung? „Autoren sind ja auch oft Beobachter. Da ist es naheliegend, anderen beim kreativen Prozess über die Schulter zu schauen“, sagt Jennifer. Gezwungen wird dazu aber niemand. Man kann seine Texte auch für sich behalten. „Es geht nur darum, zu schreiben, nicht darum, gut zu schreiben“, betont sie. Einige Teilnehmer nehmen sich einfach ein Wörterpensum vor – egal, was dabei rauskommt. Jennifer hat ihr eigenes Ritual: In die Packung M&Ms auf dem Schreibtisch darf sie nach jedem 100-Wörter-Absatz langen, nicht öfter.

Die Idee zu den Schreibnächten kam mitten in einer Panikattacke. Jennifer musste ihr zweites Buch abgeben. Sie saß vor dem Rechner, die Seite blieb leer, eine Stunde, zwei, drei. „Wer braucht auch Motivation beim Schreiben?“, schrieb sie in die Facebook-Welt hinaus. Bald fanden sich ein paar Freunde. Das Ganze wuchs. Mittlerweile sind es 500 Mitglieder, über Deutschland verteilt. 

Für jede Schreibnacht lädt Jennifer einen anderen Experten aus der Literatur-Branche ein. Das kann der Chef eines Fantasy-Verlags sein, ein Grafikdesigner oder Self-Publishing-Autoren. Die beantworten im Chat die Fragen der jungen Autoren. „Ich habe noch nie eine Absage bekommen“, sagt Jennifer. Im Gegenteil: Auf der Warteliste stünden 20 Personen.

Wenn Jennifer in der U-Bahn Faust oder Harry Potter liest, dann macht sie das auf dem E-Book-Reader – das echte Buch könnte ja Knicke bekommen. Ein literarischer Digital Native – aber ein widersprüchlicher. Jennifer kommentiert andere Hashtags spöttisch – auch wenn sie ihre eigenen nutzt. Sie postet fast täglich bei Facebook. Doch das Datenschutz-Problem macht ihr Angst. In ihrem Roman „Traumlos“ geht es um Überwachung: Darin beschreibt sie eine Welt, in der die Regierung Menschen über ihre Träume kontrolliert.

Warum die Schreibnacht nicht einmal analog aufziehen? Reden, statt in die Tasten hacken. Die Freunde, von denen man sonst lediglich Avatare kenn, mal im richtigen Leben treffen? Jennifer überlegt. Von der Idee scheint sie nicht angetan. „Es ist ein sehr großer Aufwand, weil wir in Deutschland so weit verteilt sind“, sagt sie zögerlich. „Und es ist schwierig, einen öffentlichen Ort zu finden, an dem man nachts um zwölf schreiben kann!“ Elsbeth Föger

Sponsorensuche für die Schauspielschule

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Susanne Junghans, 22, hat einen Platz an einer Schauspielschule in New York ergattert. Doch für die Ausbildung fehlen 85 000 Dollar. Ihre Crowdfunding-Kampagne ist am Scheitern

Warren Buffet hat es vorgemacht. Wer mit der Investor-Legende zu Mittag essen will, muss sein Bankkonto plündern – und ganze 2,2 Millionen Dollar zahlen. Susanne Junghans verlangt nicht so viel. Die 22-Jährige hat in München Theaterwissenschaften studiert und spart jetzt auf einen Studienplatz am Lee Strasberg Institute: An der Schauspielschule in New Yorkhaben schon Al Pacino, Robert De Niro und Dustin Hoffman ihr Handwerk gelernt. In
einer Crowdfunding-Aktion bittet Susanne nun Sponsoren zur Kasse: Für 10 000
Dollar will sie ihre Gönner zum Mittagessen ausführen. Für 250 Dollar verspricht
sie eine Postkarte. Statt der erhofften 85 000 Dollar hat sie bisher
nur 240 Dollar gesammelt. Heute endet die Kampagne.

Was du in deiner
Crowdfunding-Kampagne versprochen hast, klingt ganz schön arrogant. 250 Dollar für
eine Postkarte, 500 Dollar für einen Chat und 10 000 Dollar für ein
Mittagessen…
Susanne Junghans: Ich kann mir vorstellen, dass manche das als arrogant
empfinden. Aber man muss sich schon fragen: Wie kann man das, was man
verspricht, auch einhalten? Hätte ich ein Mittagessen für 10 Dollar angeboten,
wäre mein Terminkalender fürs nächste Jahr schon ganz voll. Hätte ich einen Muffin
für einen kleinen Betrag angeboten, hätte ich 100 Muffins backen und
verschicken müssen. Das wäre logistisch zu schwierig. Zudem biete ich außer einem Blog und einem Film kein greifbares Produkt
an, das man auf verschiedenste Arten hätte anbieten können. Die Kampagne war
ein Experiment, ein Versuch. 

Für dein Studium in
den USA brauchst du 85 000 Dollar. Deine Kampagne ist davon aber weit entfernt.
Hättest du die Aktion im Nachhinein anders gestaltet?
Man hätte vieles anders machen können. Meine Freunde haben gesagt, das
Video sei nicht fröhlich genug. Aber das war mir zu fake. Warum einen Abklatsch
von all den Videos machen, die es schon gibt? Ich wollte authentisch sein. Und
dass die Kampagne nicht gut gelaufen ist – das hat auch damit zu tun, dass die Deutschen
recht verhalten sind. Ich habe von Anfang an nicht damit gerechnet, dass ich den
Betrag zusammenbringe. Aber: Man muss alles versuchen.
Das ist jetzt etwas, was ich von meiner Liste streichen kann.

Kannst du dir die
Schule wirklich nicht leisten? Du kommst ja nicht aus ärmlichen Verhältnissen.
Nein, aber dass meine Eltern Geld haben, bedeutet nicht, dass ich es ebenfalls
habe! Meine Eltern haben schon früher meine Einladungen zu Bewerbungsgesprächen
im Schauspielbereich so lange versteckt, bis sie abgelaufen waren. Für sie ist
Schauspiel etwas, das man im privaten Rahmen macht. Nicht etwas, das Wohlstand
und gesellschaftlichen Status bringt.
Mein Vater, in der Nachkriegszeit aufgewachsen, hat eben auch viel Armut
erlebt und denkt demnach in anderen Parametern. Aber für mich ist natürlich ein emotionaler Schmerz da. Würden mich
meine Eltern unterstützen, könnte ich das, wovon ich träume, mit Leichtigkeit
machen.

Eine Studentin, die
bisher nur im Studium auf Theaterbühnen gestanden hat, muss sich doch glücklich
schätzen, überhaupt genommen worden zu sein…
Ja, aber macht der Umstand der Mittellosigkeit dieses Glück
nicht zur Illusion? Solange es nicht real wird, bringt es mir nichts. Das ist
das Ironische daran. Dieses Glück ist nicht greifbar.

So viel
Lebenserfahrung mit 22 Jahren?
Es ist sicherlich gerechtfertigt, anzuzweifeln, dass ich Lebenserfahrung
habe. Aber: Das biologische Alter kann für die Erfahrung sprechen, muss es aber
nicht. Natürlich denken die Leute oft: oh, 22 Jahre alt, so ein Küken. Dann ist
es doch angenehmer, zu überraschen als zu enttäuschen, oder? Ich habe die Erfahrung
gemacht: Schlimmer geht es immer – aber es kann auch wieder besser werden. 

Was fasziniert dich
denn am Schauspielern?
Eine Geschichte mit seinem eigenen Körper zu vermitteln. Das ist für mich
wahnsinnig erfüllend – mit Rollen zu arbeiten, die schwer zu fassen sind. Im
Film „Monster“ hat Charlize Theron etwa eine Serienmörderin gespielt. Die für
das Publikum sympathisch zu machen – das zu verstehen – das finde ich
wahnsinnig interessant.

Der letzte
Hoffnungsschimmer sei die Kampagne, hast du auf deinem Blog geschrieben. Wie
soll es jetzt weitergehen?  

Ich könnte Lotto spielen. Ich könnte Autos klauen. Juwelierläden ausrauben,
Drogen verticken, Zuhälter werden. Zuallerletzt würde ich meine Eltern fragen.
Das ist die letzte realistische Möglichkeit. Wenn das nicht klappt, dann war es
das mit New York.

Willst
du nicht versuchen, hier Schauspielerin zu werden?

In Deutschland ist es schwierig, als Schauspieler Fuß
zu fassen. Mein Plan B wäre, nach England zu gehen und auf mein Talent zu
vertrauen, auf Castings zu gehen. Ich würde sehr gerne international arbeiten. Zurückkommen kann ich
immer. 

Elsbeth Föger

Stadt-Land-Rock

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Das Stadt-Land-Rock-Festival gehört auf dem Sommertollwood fast schon zum guten Ton. Auch 2015 lockt die SZ junge Bands vom Proberaum auf die Bühnenbretter.

Als die junge Frau mit dem kupferroten Haarschopf 2011 die Saiten ihrer E-Harfe anschlug, sagte der Name MarieMarie (Foto: Peter Hinz-Rosin) nur wenigen Besuchern des Stadt-Land-Rock-Festivals etwas. Seitdem ist viel passiert: Die Münchner Musikerin hat vergangenes Jahr ihr Debüt-Album „Dream Machine“ herausgebracht, die Künstlerin hat einen Vertrag bei einer großen deutschen Plattenfirma in der Tasche. Von der kleinen Bühne der Tollwood-Tanzbar zu Universal – das klingt erst mal nach einer ungewöhnlichen Laufbahn. Doch für viele Newcomer-Bands hat sich das SZ-Festival „Stadt-Land-Rock“ als Karriere-Sprungbrett erwiesen.

Junger, frischer Sound hat auf dem Sommertollwood Tradition. Bereits zum zwölften Mal organisieren Tollwood und die Süddeutsche Zeitung eine Veranstaltung, die junge Bands aus dem Proberaum auf die Bühnenbretter locken will. Auch dieses Jahr darf man wieder gespannt darauf sein, was Münchens junge Musikszene noch so alles zu bieten hat. Stilistisch sind 2015 wie immer keine Grenzen gesetzt: Wir freuen uns über die Indie-Band genauso wie über den Rapper oder einfühlsamen Singer-Songwriter.

Bewerbungen für das Stadt-Land-Rock-Festival mit Demo-CD, Band-Info und Bandfotos bis spätestens Freitag, 27. Februar 2015, an:
Süddeutsche Zeitung GmbH, Michael Bremmer, Stichwort: „Stadt-Land-Rock“, Hultschiner Straße 8, 81677 München.

Elsbeth Föger

Quoten-Poesie

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Felicia Brembeck, 20, steht bei Poetry Slams oft als einzige Frau auf der Bühne. Sie schreibt Texte über ihren Glauben und muslimische Kopftuchträgerinnen. Jetzt will sie Mädchen beim Einstieg in die Szene helfen

Erotik-Slam in Augsburg. Die Bühne liegt in rotes Licht getaucht. Felicia Brembeck steigt aufs Podium. Sie trägt ein eng anliegendes schwarzes Kleid und eine dunkle Netzstrumpfhose. Bis dahin nicht ungewöhnlich. Ihre Slam-Kollegen sind vorher am Mikrofon schon zur Sache gekommen: derbe Sprüche, anzügliche Witze, zotige Geschichten. Doch Fee, so heißt sie auf der Bühne, macht es anders. Die junge Münchnerin trägt einen Text über Vergewaltigung vor – und setzt noch eine Abtreibung drauf.

Wie ernst ihre Texte sind, merkt man Fee, 20 (Foto: Jeannette Kummer), gar nicht an. Sie hat ein ansteckendes Lachen. Und eigentlich einen bühnenwirksamen Sinn für Humor. Auf Partys von ihrem Theologiestudium zu erzählen – das käme „einem Outing gleich, eine Nacht mit Sigmar Gabriel verbringen zu wollen“, heißt es in einem ihrer Texte. „Ich entdecke in letzter Zeit immer mehr, dass ich auch humorvoll schreiben kann“, sagt sie. Entschuldigend. So, als ob das eigentlich überhaupt nicht zu ihr passe.

Eine typische Poetin ist Fee nicht. Wenn der Schnaps nach Poetry Slams in Strömen fließt, lehnt sie höflich ab. Nein danke, sie trinke keinen Alkohol. Und sie trägt statt Schlabberhosen und Sneakers auch mal Glitzerpulli und Blumenohrringe. Fee, blond und adrett, hat etwas Niedliches an sich (Foto: Marvin Ruppert). Als sie am Anfang ihrer Slam-Karriere noch nervös ins Mikrofon stammelte, da fanden das die Leute einfach süß, glaubt sie. Und von einem Hip-Hop-Tanzkurs schickte sie die Lehrerin nach zwei Stunden mit den Worten nach Hause: „Magst du nicht lieber Ballett machen?“ 

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Aber wenn Fee auf der Bühne steht, ist das Niedliche verschwunden. Keine Spur von Piepsstimme. Fee spricht laut, klar, durchdringend. Ihre Wortbilder: kraftvoll. Nervös ist sie kaum mehr, sagt sie. Die zwei, drei Auftritte die Woche merkt man ihr an. Nur im Münchner Substanz kommt das Herzklopfen wieder. Hier hat sie in der 12. Klasse den Poetry Slam kennengelernt. „Das hat mich damals total verzaubert.“ Vorher hatte sie schnulzige Gedichte geschrieben. Jetzt lernte sie in Workshops das Poetry-Handwerk. Bald traute sich Fee auf die Bühne – verpatzte den ersten Slam, nur um den zweiten zu gewinnen.

Den Platz vor dem Mikrofon hat sie mittlerweile für sich erobert. Selbstverständlich ist das nicht: Poetry Slam ist schließlich immer noch größtenteils eine Männerdomäne. „Generell treten mehr Männer als Frauen auf“, bestätigt Ko Bylanzky, der die Slams im Substanz organisiert. Zu feministischen Schlachtrufen veranlasst das Fee aber nicht. Gedichte schreiben, über Gefühle reden, all das sei viel zu lange als unmännlich abgetan worden. „Ich finde es positiv, dass es im Slam männliche Rollenvorbilder gibt“, sagt sie. Trotzdem: An vielen Slam-Abenden ist Fee die einzige Frau – als Quotenfrau, wie sie mutmaßt. Ihre Weiblichkeit bringt ihr allein optisch oft einen Vorteil ein, gesteht sie freimütig. Aber auch viele dumme Komplimente: „Wow, für ’ne Frau bist du wirklich gut.“ Fee rollt mit den Augen.

Um Frauen den Einstieg in den Slam zu erleichtern, bastelt die junge Münchnerin gemeinsam mit Slam-Freunden an einer Website. „Slam Alphas“ will Newcomerinnen in Porträts vorstellen. „Wenn jemand einen Poetry Slam organisiert und überlegt, wen er einladen könnte, dann fällt ihm meistens eher ein Mann ein als eine Frau“, sagt Fee. Die neue Plattform richtet sich daher vor allem an Veranstalter. Gerade sie sollen draufkommen, dass es ja doch einige spannende Slammerinnen gibt. Und dass man die mal einladen könnte.

Damit es ihnen vielleicht auch mal so geht wie Fee. Sie feiert auf Slam-Bühnen ihre Erfolge. 2013 hat sie die deutschsprachigen U 20-Meisterschaften gewonnen, seitdem flattern oft Einladungen von Slam-Clubs ins Postfach. Für Engagements mit Gagen bis zu tausend Euro reist Fee durch Deutschland. Bescheiden geblieben ist sie trotzdem. Über ihre Titel sagt sie, fast wie um sich zu rechtfertigen: „Das hat viel mit Glück zu tun, mit den richtigen Umständen.“ Der Text muss zur Stimmung des Publikums passen, richtig platziert sein, um gut wirken zu können, den Nerv der Veranstalter treffen. „Es liegt nicht an uns, ob wir gewinnen, sondern am Publikum!“

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Und die Zuschauer klatschen die junge Münchnerin oft ins Finale (Foto: Inken Weber). Obwohl sie ihr Publikum mit harter Kost versorgt: Themen, die nicht zum Schenkelklopfen sind, sondern eher zum betretenen Innehalten, Mitfühlen, Aufgewühlt-Sein. Das muss nicht immer etwas so Schockierendes sein wie sexuelle Gewalt. Häufig kommt die Inspiration für neue Texte auch aus Fees Lebenswirklichkeit. „Aber man darf sich halt auch nicht nackt machen auf der Bühne“, sagt sie. Nicht alles, was ihr privat am Herzen liegt, ist auch für ein großes Publikum relevant. Persönliches macht sie daher gerne diffus, verkleidet es in Kunstform. Als eine langjährige Freundschaft in die Brüche ging, schrieb sie sich Wut und Trauer in einer Nacht von der Seele. Herausgekommen ist einer ihrer erfolgreichsten Texte, mit dem sie oft aufgetreten ist, Preise gewonnen hat. „Der Müllschlucker“ – das ist sie selbst, die bereitwillig für einen Freund da ist, wenn es ihm schlecht geht. Und irgendwann versteht, dass er nur das Dunkle, Traurige bei ihr ablädt wie auf einer Müllhalde. „Es war ein negatives Erlebnis und ich hab was Positives draus gemacht“, sagt Fee und zögert kurz. „Kunst.“

Kunst als Therapie, ja, aber nicht nur. Als gläubige Christin ist Fee schon auf einem interreligiösen Slam aufgetreten – gemeinsam mit jüdischen und muslimischen Poeten. „Das hat viele Vorurteile bei mir aufgelöst“, sagt sie. Etwa über muslimische Kopftuchträgerinnen. „Das sind Leute, über die ganz viel geredet wird, aber mit denen wenig gesprochen wird.“ Ihnen will Fee in ihren Texten Gehör verschaffen: Wie ist es, wegen eines Kopftuchs unter Generalverdacht gestellt zu werden? Anderen eine Stimme zu verleihen, ist ein gewagter Anspruch – und ein wenig stereotyp. Fee nimmt dem Klischee mit einem Witz die Schwere. „So viele Leute sind gezwungen, mir zuzuhören!“

Irgendwann wird Fee freiwillig von der Slam-Bühne treten. Sie will nicht Poetin werden, sondern Opernsängerin. Über den Kinderopernchor der Staatsoper, in dem sie früher sang, ist sie längst hinausgewachsen. Mittlerweile tritt sie mit Kirchenmusik auf – mit Arien manchmal sogar im Rokoko-Kostüm. Gesang schlägt Dichtkunst – vor allem, weil die Stimme bei Auftritten in verrauchen Slam-Bars gefährlich heiser wird. „Das kann man sich im Gesang nicht leisten“, sagt Fee pragmatisch.