Den Neuanfang wagen

Geflüchtete Studenten finden durch spezielle Sprachkurse an die Universitäten zurück. Weil das Geld für etwa Fahrkosten fehlt, droht die Integration oft zu scheitern. 

Was ist typisch deutsch? Samh Yousef, 23, aus Syrien ist sich da recht sicher: „Die Deutschen lieben ihre Autos“ sagt er, „und viele Leute sparen lange darauf hin, sich ein schönes Auto zu kaufen.“ Samh ist einer von zehn jungen Menschen verschiedener Herkunft, die an diesem Dienstagabend in einem Stuhlkreis in einem Seminarraum der LMU sitzen. Gemeinsam mit Trainerin Julia Halm erlernen sie das „Wie“ und vor allem auch das „Warum“ der deutschen Kultur.

Dieses interkulturelle Training, wie die Leiterin es nennt, ist Teil des erweiterten Konzepts der Organisation Students4Refugees, die Deutschkurse für geflüchtete Akademiker und Abiturienten anbietet. Und dabei soll es nicht nur um das Erlernen der deutschen Sprache gehen. „Wir gehen mit ihnen zum Beispiel auch an die Uni und zeigen ihnen alles; wie man sich einschreibt etwa“, erklärt Sinksar Ghebremedhin, der die Organisation im November 2014 gemeinsam mit seinem ehemaligen Mitbewohner Phi Tran initiiert hat. Den vielen Menschen, die in ihrer Heimat bereits einen Schul- oder Studienabschluss erworben haben, wollen sie einen kostenfreien Deutschkurs anbieten, der ihnen gleichfalls das Universitätsleben und die deutsche Lebensart im Allgemeinen näherbringt. Als Lehrkräfte engagieren sich ehrenamtliche Lehramts- oder Deutsch-als-Fremdsprache-Studenten. 

Neben den Sprachkursen und dem Mentorenprogramm bietet die Organisation auch Ausflüge an, etwa in das Deutsche Museum oder in den Gasteig. In letzter Zeit wurden die allerdings immer seltener, auch weil die Organisation fast komplett ohne Geld auskommen muss. „Zum Glück unterstützt uns die Universität mit Büro- und Übungsräumen“, sagt Sinksar. Doch schon wenn es um das Beschaffen von Lehrbüchern geht, bleiben die Studenten oft auf dem Geld sitzen. „Das Sozialreferat unterstützt nur diejenigen, die im Stadtgebiet leben“, erklärt er. Auch die Fahrtkosten können nur für Geflüchtete übernommen werden, die innerhalb der Stadtgrenzen leben. Serli, 18, und Arina, 20, aus Syrien aber leben seit sechs Monaten bei ihrer Tante in Starnberg und zahlen die Fahrt an die Uni aus der eigenen Tasche – dreimal die Woche, eine wirkliche Alternative gibt es in Starnberg nicht.

Wie den beiden Mädchen ergeht es etwa jedem Vierten der knapp 60 Geflüchteten, die derzeit beim Programm angemeldet sind. Außerdem wollte Sinksar eine Weihnachtsfeier organisieren, die nun wohl flachfällt. „Vielleicht bekommen wir ja ein kleines Winterfest zum Semesterschluss hin“, sagt Sinksar. Auch dadurch will er den Studenten aus ihrem Alltag heraushelfen – aber bislang fehlt das Geld dafür. 

„In den staatlich geförderten Integrationskursen wird oft kaum differenziert“, sagt Sinksar. „Da kann es passieren, dass Masterabsolventen in einem Raum mit Analphabeten lernen.“ Das hilft nicht wirklich. Deswegen unterstützt Sinksar nur geflüchtete Akademiker. Wenn es sich herumspricht, „dass es Flüchtlinge gibt, die es auf eine deutsche Uni schaffen“, dann sporne das auch die ohne Schulausbildung an, sagt der 25-Jährige Medieninformatikstudent. Sinksar weiß um den Wert von Bildung, seine Eltern flüchteten einst aus Eritrea nach Deutschland, er selbst ist hier geboren. Das Projekt ist sein Stolz, weil er jungen Menschen wie Wadeea Zerkly eine Perspektive schenken kann: Der Syrer, der bereits einen Master in Semitischer Sprachwissenschaft abgeschlossen hatte, wurde nun für eine Doktorandenstelle an der LMU zugelassen.  

Das Projekt wird unterstützt vom SZ Adventskalender. Mehr Infos:

www.facebook.com/szadventskalender

Text: Louis Seibert

Foto: Stephan Rumpf

Neuland: München integriert

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Der Verein Münchner Freiwillige- Wir helfen E.V. organisiert und koordiniert die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe in München. Auch weil sich dort so einiges getan hat in den letzten Monaten wird zu Beginn des kommenden Jahres ein Ideenkongress mit dem Namen “München Integriert” organisiert.

München ist bunt. Viele Geflüchtete, die während des vergangenen Sommers hier willkommen geheißen wurden, haben inzwischen einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz gefunden und sind nicht mehr auf erste Hilfe angewiesen.

Dadurch ergibt sich auch für ehrenamtlich Engagierte eine ganz neue Situation. Der gemeinnützige Verein Münchner Freiwillige- Wir Helfen plant deshalb den Ideenkongress München Integriert, um „die vielen jungen Leute mit Ideen untereinander zu vernetzen“, sagt Marina Lessig, 27, die im vergangenen Sommer die Arbeit am Hauptbahnhof koordinierte. Wegen starker Änderungswünsche der Teilnehmer musste die Veranstaltung allerdings auf April 2017 verschoben werden. Nun soll es auch eine Podiumsdiskussion geben. München soll auch in Zukunft eine offene und bunte Stadt bleiben, sagt Marina.

Text: Louis Seibert

Foto: Verein

Essen gut, alles gut

Im Interview: Felix Homma, 23, der die Aktion „Welcome Dinner“ zusammen mit sechs Kommilitonen

organisiert

. Beim Welcome Dinner laden verschiedene Gastgeber Flüchtlinge zum Essen ein. Wir haben mit ihm über das Projekt gesprochen. 

Freising – Felix Homma, 23, studiert in Freising Molekulare Biotechnologie und ist einer der insgesamt sieben Gründer von Welcome Dinner München. Das Stipendienprogramm der Bayerischen Eliteakademie, dem alle sieben Studenten angehören, hat ihnen die Aufgabe gestellt, ein Projekt mit sozialem Mehrwert ins Leben zu rufen. Als im vergangenen Sommer der Flüchtlingsstrom kein Ende nahm, entschieden sie sich dafür, das Projekt „Welcome Dinner“ aus Hamburg nach München zu holen. Gastgeber laden bei dieser Aktion Flüchtlinge zum Essen ein.

SZ: Das Projekt funktioniert auf Vertrauensbasis. Wie schwer ist es, an die Menschen heranzukommen?
Felix Homma: Direkt in der Flüchtlingsunterkunft erleben wir eigentlich nur positives Feedback. Die meisten freuen sich, dass es Interesse an ihnen gibt. Der einzige Kritikpunkt, den wir bekommen, ist, dass die Zuverlässigkeit nicht sehr hoch ist.

Auf Seiten der Gäste oder der Gastgeber?
Leider vermehrt auf der Flüchtlingsseite. Das liegt aber zum einen daran, dass sie manchmal den Standort wechseln. Manchmal liegen ein bis zwei Monate zwischen der Kontaktaufnahme und dem Matching. Das ist sicher auch ein Fehler unserer Seite, daran arbeiten wir momentan. Vertrauen ist weniger das Problem, eher die Zuverlässigkeit. So scheint es zumindest zu sein.

Woran liegt es, dass so viel Zeit zwischen Kontaktaufnahme und einem „Matching“, also der Einladung liegt?
Das Interesse der Münchner ist recht hoch, den Engpass haben wir gerade eher bei Gästen. Hätte ich anfangs persönlich auch nicht gedacht. Wir müssen ja auch die passenden Gäste finden.
Passende Gäste?
Prinzipiell kann bei uns jeder mitmachen. Wenn der Wunsch kommt, dass die Gastgeber gerne eine Familie mit ein bis zwei Kindern als Gast hätten, ist das für uns ein bisschen schwerer zu organisieren. Auch wechseln öfter die Telefonnummern. Dann müssen wir erst wieder neue Gäste finden. Außerdem sind die meisten Gastgeber auch berufstätig, sprich: Die haben nur wenige freie Termine. Und Sprachkenntnisse sind natürlich auch ein Riesending.

Können viele Flüchtlinge aufgrund fehlender Sprachkenntnisse das Angebot gar nicht wahrnehmen?
Das kommt auf die Herkunftsländer an. Viele afrikanische Flüchtlinge können ziemlich gut Englisch. Deutsch können auch einige, zumindest ein bisschen. Viele sprechen aber bis jetzt nur Arabisch. Die fallen momentan raus. Es geht ja auch darum, dass eine Kommunikation möglich ist.

Habt ihr oder eure Gäste auch mal schlechte Erfahrungen gemacht?
Ist uns nichts bekannt.

Merkt ihr, dass weniger Flüchtlinge nach München kommen?
Flüchtlinge gibt es genug in München. Allerdings sind einige wichtige Ansprechpartner weggefallen. Dadurch ist ein Ungleichgewicht entstanden. Es gibt also nicht zu wenig Flüchtlinge, sondern nur momentan mehr Gastgeber-Anfragen.

Wer sind die Gastgeber?
Es sind einige Studenten dabei, aber auch junge Familien und ältere Ehepaare. Aber wir hatten auch schon zwei Frauen, die über 50 waren. Es ist also recht gemischt.

Gibt es Gastgeber, die wiederholt Flüchtlinge einladen?
Die Gastgeberin eines Abendessens, das kürzlich stattgefunden hat, meinte, sie freut sich auf Abende mit genau der Gruppe. Wir hatten aber auch schon Anfragen von Personen, die grundsätzlich sagen, sie würden gerne regelmäßig Abendessen ausrichten – auch gerne mit unterschiedlichen Gruppen.

Mittlerweile gibt es aber schon andere Essensprojekte – war es für euer Stipendium entscheidend, dass es sich um etwas komplett Neues handelt?
Man sollte mit seinem Projekt auf jeden Fall was erreichen können. Zu dem Zeitpunkt gab es nur die Abendesser-Connection in München, die haben sich aber darauf spezialisiert, interkulturelle Abendessen zu veranstalten. Das Thema Flüchtlinge haben wir bei denen nicht gefunden. Die Frage hat sich zum damaligen Zeitpunkt also so nicht gestellt. Ich sehe da aber auch jetzt kein Problem. Wenn es drei verschiedene Projekte gibt und dadurch dreimal so viele Abendessen stattfinden, ist das meiner Meinung nach eine super Sache.

Von: Jacqueline Lang

Foto: Lukas Barth

Weltretter mit Widersprüchen

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Mal Vegetarier, mal nicht: Lukas Jäger ist konsequent flexibel, auch in seinem sozialen Engagement. Der junge Münchner hat die Facebookplattform “Verschenk’s” gegründet, organisiert Weiterbildungen von Leih-Omas und engagiert sich bei “Unternimm dich”. 

Lukas Jäger liebt das Paradoxe. „Ich bin kein Vegetarier, aber ich esse kein Fleisch.“ Das sagt er mit einem milden Lächeln, als hätte er das schon ganz oft erklärt. Wie jetzt? Vegetarier oder nicht? Aus Überzeugung verzichte er auf Fleisch. Aber nicht immer. Lukas ist da moralisch flexibel. Ausnahmen macht er etwa, wenn er zum Essen eingeladen wird und das Steak schon in der Pfanne brutzelt. 

Eine pragmatische Einstellung – und charakteristisch für Lukas, Ende 20. Er engagiert sich oft und gerne, macht das aber nicht bis zur Selbstaufgabe, wie er sagt. In München ist er im Bereich Ehrenamt so etwas wie ein Tausendsassa. Erkennbar schon am Studium: Management Sozialer Innovationen. Dann folgt eine lange Kette von gemeinnützigen Projekten. Gedankenloser Konsum ist Lukas zuwider. Deshalb hat er die Plattform „Verschenk’s“ gegründet, eine Online-Community mit mehr als 30 000 Mitgliedern. Dort kann man die dritte Stehlampe genauso herschenken wie den überflüssigen Schal – jemand anders freut sich darüber. Lukas setzt sich auch für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein: Für ein Sozialunternehmen organisiert er Weiterbildungen für Leih-Omas. Momentan arbeitet er vor allem bei der Organisation „Unternimm dich“. Dort gestaltet er Workshops in Schulen. Die Themen: Konsumverzicht, Entschleunigung, Nachhaltigkeit. Unter seiner Leitung organisieren die Schüler Rock-Konzerte und Adventsläufe. Und überlegen sich schon mal: Was machen wir mit unserem verdreckten Pausenhof? 

Lukas hat vor dem Studium eine Ausbildung zum Erzieher gemacht. Bald fängt er seinen Master in Bildungswissenschaften an. Man kann ihn sich gut in einer Klasse vorstellen. Blauer Pulli, hellblaues Hemd, große Brille. Entspannte Haltung. Ein Kumpeltyp-Lehrer eben. Doch beim Reden sieht er sein Gegenüber wenig an, schaut häufig in die linke Ecke. Als wäre er viel mit sich selbst beschäftigt.

Das ist er sicher auch. Seine Bachelorarbeit hat er einfach mal über sich selbst geschrieben. Andere würden das Arroganz nennen. Lukas nennt es eine Auto-Ethnographie und grinst. „Das war auch in unserem Studiengang ungewöhnlich. Innovativ zu sein ist aber natürlich auch Programm.“ Die Leitfrage: Was hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin? Das Leben als eigener Forschungsgegenstand, zwischen Milieu- und Sozialisationstheorien – das war Lukas irgendwann zu viel. Der Konstanzer machte Pause und ging mit dem Rucksack den Jakobsweg. 

Und doch setzt er sich viel für andere ein. Und für die Natur. Als Kind war er in der grünen Jugend, organisierte Bachreinigungen, molk Kühe am Bauernhof. Sein Held: nicht Batman, sondern der Greenpeace-Aktivist. „Bilder vom Walfang, von der Urwaldrodung haben mich emotional sehr beschäftigt“, sagt er. Mit 15 wurde er ein Hiphop-Nerd. Und fand den grünen Lebensstil der Eltern mit ihren Bioladen-Exkursionen plötzlich furchtbar peinlich. 

„Mein Vater war sehr streng in einigen Dingen“, erzählt Lukas und korrigiert sich nach einer Pause. „Nicht streng, aber konsequent. Ich bin da flexibler.“ Flexibler, oder, anders formuliert, halbherziger. Kurz zieht er das eigene iPhone aus der Tasche. Dass das kein Emblem der Nachhaltigkeit ist, weiß er selbst. Eine Zeit lang hat er massenhaft Markenturnschuhe gesammelt. Wohl genäht von Kindern in Ausbeuterfabriken. Dafür gibt er fast die Hälfte seines Einkommens dafür aus, dass nur Bio-Essen auf den Teller kommt. Und wenn er abends oft ehrenamtlich Überstunden für „Unternimm dich“ macht, ist das nichts Außergewöhnliches. Seine Freundin kennt das. Sie hat einen Verein für Zivilcourage gegründet. Wie geht man um mit diesen Widersprüchen, mit diesem Spektrum zwischen vorbildlich und nachlässig? Lukas zögert – als ob er darauf warte, dass man ihm ins Wort falle. „Ich bin sicher nicht der selbstlose, total konsumverzichtende Mensch“, sagt er langsam. „Mir geht es eher darum, mich bewusst zu hinterfragen. Mein heutiges Leben ist voller Widersprüche, und das darf es sein.“ 

Auf ein gemeinnütziges Projekt festlegen kann sich Lukas nicht. Er will es auch gar nicht. Ein Trend, der nicht nur für ihn gilt. Studien belegen: Das klassische Ehrenamt wandelt sich. Einmal die Woche in den Verein zu gehen, und das über viele Jahre lang, ist für viele Jugendliche zunehmend unattraktiv. Stattdessen engagieren sie sich eher punktuell, kurzfristig. „München ist das beste Beispiel“, sagt Lukas. „Es war beeindruckend, wie viele Schüler und Jugendliche gegen Bagida auf die Straße gegangen sind.“ Wer sich ins Getümmel der Gegendemonstrationen stürzt, engagiert sich auch – nur eben für einen Abend. 

Auch Lukas setzt sich mal für gerechte Bildung ein, mal für Nachhaltigkeit durch Konsumverzicht, in der Zukunft vielleicht für ein Flüchtlingsprojekt. „Im Moment brauche ich diese Vielfältigkeit. Es kann auch sein, dass ich mich irgendwann für eine Sache entscheide. Aber ich bin da sehr offen.“ Ein festes Engagement in einer Organisation hat ihn nie gereizt. Bei Greenpeace ist er Fördermitglied, mehr nicht. Lukas steht auf lose Strukturen.

Und wenn er wieder mal den Job wechselt? „Dann würde ich in die Rüstungsindustrie gehen“, sagt er und lacht. So weit geht die moralische Flexibilität dann doch nicht.  

Elsbeth Föger