Neuland: Locago

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Undurchsichtige Produktionswege, in die Irre führende Siegel und unfaire Preise den Bauern gegenüber: um diesem Teufelskreis zu entfliehen, gründeten Eva, Johannes, Benne und Insa Locago, eine Plattform für regionale Erzeuger. Das ist besonders in München erfolgreich

Wo kommen unsere Lebensmittel eigentlich her, bevor sie uniform abgepackt in den Supermarktregalen ausliegen? Einer der Menschen, die sich dieser Frage gestellt haben, ist Eva Schlotter. Mit drei Studienfreunden gründete die 26 Jahre alte Münchnerin vor drei Jahren die Online-Plattform Locago, „auf der sich regionale Erzeuger präsentieren und mit Verbrauchern vernetzen können“. Einfach alle, „die Lust auf gute Ernährung haben“, sagt Eva. Die meisten auf der Website angemeldeten Betriebe sind aus dem Münchner Umland. Denn: „Besonders hier in München wollen viele Menschen wieder regional einkaufen“, sagt die junge Frau, die als freiberufliche Grafikerin arbeitet, „und viele Erzeuger befinden sich in der Nähe der Stadtgrenzen.“

Doch Locago ist auch ausbaufähig. Allerdings sei es nicht einfach, in Kontakt mit den Erzeugern zu treten und sie von der Idee zu überzeugen: Oft sind die Betriebe nicht über das Internet zu erreichen. Und deshalb bitten die vier Gründer nun um Unterstützung mittels einer Crowdfunding-Aktion (startnext.com/locago). „Wir wollen keine großen Firmen als Sponsoren“, sagt Eva. Die Seite soll unabhängig und transparent bleiben, „damit das Ganze etwas Großes und Gutes wird“. Bis Silvester kann man die Organisation noch unterstützen, als Dankeschön gibt es Rezeptbücher und sogar einen Tiroler Berghonig.  

Text: Louis Seibert

Foto: Locago

Von Kopf bis Fuß

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Weil Essen neben
Schreiben meine größte Leidenschaft ist, konnte ich es mir natürlich nicht entgehen lassen, Vincent Fricke nach unserem Gespräch auch selbst in seinem Pop-Up Restaurant Fleischkonsum zu besuchen. Eine Kritik.

Das Nudo sieht heute ein bisschen anders aus. An der Wand hängen Bilder von Schweineköpfen, in der Vitrine liegen Schenkel. Das leicht veränderte Interieur hat einen Grund: Für insgesamt acht Tage ist das Pop-Up Restaurant Fleischkonsum hier zu Gast. Auf der Karte stehen deshalb statt Pasta diverse Innereien. Ganz schön viel Fleisch gegen übermäßigen Fleischkonsum – so hat Jungkoch Vincent Fricke mir seine Idee erklärt.

Doch kommen wir nun zum Wesentlichen, dem Menü: Den Anfang macht ein
Aperitif, der in diesem Fall ganz ohne Alkohol und flüssige
Konsistenz auskommt: zwei winzige Häppchen, die hübsch anzusehen
sind, aber nichts mit Fleisch zu tun haben. Dafür zeigen die
Miniaturbrote aber sehr schön, wie die gleiche Zutat bei anderer
Zubereitung völlig anders schmecken kann. Radieserl mit Kresse und
eingelegtes Radieserl haben geschmacklich nur noch wenig miteinander
gemein. Lecker ist beides.

Der erste Gang kommt in
einem kleinen Schälchen daher: knusprige Schweineohren-Streifen.
Weniger ein Gang als ein Snack. Und weil man ja immer sofort
überlegt, wonach das eigentlich gerade schmeckt, was man isst: Es
schmeckt wie die Kruste vom Schweinebraten. Mhmm.

Der zweite Gang ist der
erste Gang, bei dem ich ein wirkliches Aha-Erlebnis habe.
Kalbsbackerl habe ich im vergangenen Winter selbst ab und zu
geschmort, aber die Schweinebacke ist für mich Neuland. Genauso wie
Kinn und Kiefermuskel. Wahrlich eine Hommage an das Hausschwein –
vor allem in Kombination mit dem leckeren Artischockenpüree!

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Auch der dritte Gang weiß
zu überraschen: Der Gurkensaft ist eher unspektakulär, der
Rettichschaum hat eine leicht irritierende Ziegennote – später
stellt sich heraus, dass Ziegenfrischkäse enthalten ist – dafür
ist aber das Knochenmark mit karamellisierten Zwiebeln eine echte
Entdeckung. Für alle, die eher skeptisch sind: Schmeckt wie
flüssig-cremiger Schweinebraten und zergeht im wahrsten Sinne des
Wortes auf der Zunge!

Mein persönlicher
Lieblingsgang ist dennoch der vierte Gang: Ravioli vom ganzen
Zicklein mit Kapern und kalter Tomatensoße aus grünen Tomaten.
Einziger Kritikpunkt: Das ganze Zicklein ist durch den Wolf gejagt,
weshalb einzelne Bestandteile nur zu erahnen sind und es nur der
Ziegen-Geschmack ist, den manche vielleicht stören könnte.
Trotzdem köstlich! Grüne Tomaten sind eh schon länger ein
Geheimtipp, weil sie weniger Säure als rote Tomaten enthalten, aber
auf eine kalte Soße bin ich in dieser Form selbst noch nicht
gekommen.

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Der fünfte Gang hält
mit Herz und Schwanz vom Rind wieder zwei echte Schmankerl bereit.
Und Steinpilze gehen sowieso immer. Das Roast Beef ist im Verhältnis
allerdings eher fad. Mag aber auch an der Konkurrenz liegen.

Kommen wir zum
wichtigsten Gang, wenn es nach mir geht: die Nachspeise. Auch die
kommt ohne Fleisch aus. Und es wäre übertrieben zu sagen, es sei
DIE beste Crème Brûlée, die ich je gegessen hätte, aber es ist
auf jeden Fall eine der besten.

Was ich mitnehme von
einem Abend voller Fleisch? Dass ich kulinarisch immer noch viel
lernen kann und das Essen einfach immer glücklich macht. Manchmal
hätte ich mir noch ausgefallenere Zutaten oder Zubereitungsarten
gewünscht. Andererseits ging es ja nicht darum, möglichst
ausgefallene Kreationen zu zaubern, sondern vielmehr zu zeigen, dass
auch Innereien was für Jedermann sein können. Großartig ist
deshalb, dass jeder eine Auswahl der Rezepte zum Mitnehmen
bekommt. Und wunderbar subtil schafft es Vincent Fricke, wieder
einen Bezug zwischen Tier und Nahrungsmittel herzustellen. Chapeau!

Wer mehr über Vincent erfahren möchte: http://jungeleute.sueddeutsche.de/post/149324362126/fleischeslust

Text: Jacqueline Lang

Fotos: VIncent Fricke und Alexandra Casper

Weltretter mit Widersprüchen

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Mal Vegetarier, mal nicht: Lukas Jäger ist konsequent flexibel, auch in seinem sozialen Engagement. Der junge Münchner hat die Facebookplattform “Verschenk’s” gegründet, organisiert Weiterbildungen von Leih-Omas und engagiert sich bei “Unternimm dich”. 

Lukas Jäger liebt das Paradoxe. „Ich bin kein Vegetarier, aber ich esse kein Fleisch.“ Das sagt er mit einem milden Lächeln, als hätte er das schon ganz oft erklärt. Wie jetzt? Vegetarier oder nicht? Aus Überzeugung verzichte er auf Fleisch. Aber nicht immer. Lukas ist da moralisch flexibel. Ausnahmen macht er etwa, wenn er zum Essen eingeladen wird und das Steak schon in der Pfanne brutzelt. 

Eine pragmatische Einstellung – und charakteristisch für Lukas, Ende 20. Er engagiert sich oft und gerne, macht das aber nicht bis zur Selbstaufgabe, wie er sagt. In München ist er im Bereich Ehrenamt so etwas wie ein Tausendsassa. Erkennbar schon am Studium: Management Sozialer Innovationen. Dann folgt eine lange Kette von gemeinnützigen Projekten. Gedankenloser Konsum ist Lukas zuwider. Deshalb hat er die Plattform „Verschenk’s“ gegründet, eine Online-Community mit mehr als 30 000 Mitgliedern. Dort kann man die dritte Stehlampe genauso herschenken wie den überflüssigen Schal – jemand anders freut sich darüber. Lukas setzt sich auch für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein: Für ein Sozialunternehmen organisiert er Weiterbildungen für Leih-Omas. Momentan arbeitet er vor allem bei der Organisation „Unternimm dich“. Dort gestaltet er Workshops in Schulen. Die Themen: Konsumverzicht, Entschleunigung, Nachhaltigkeit. Unter seiner Leitung organisieren die Schüler Rock-Konzerte und Adventsläufe. Und überlegen sich schon mal: Was machen wir mit unserem verdreckten Pausenhof? 

Lukas hat vor dem Studium eine Ausbildung zum Erzieher gemacht. Bald fängt er seinen Master in Bildungswissenschaften an. Man kann ihn sich gut in einer Klasse vorstellen. Blauer Pulli, hellblaues Hemd, große Brille. Entspannte Haltung. Ein Kumpeltyp-Lehrer eben. Doch beim Reden sieht er sein Gegenüber wenig an, schaut häufig in die linke Ecke. Als wäre er viel mit sich selbst beschäftigt.

Das ist er sicher auch. Seine Bachelorarbeit hat er einfach mal über sich selbst geschrieben. Andere würden das Arroganz nennen. Lukas nennt es eine Auto-Ethnographie und grinst. „Das war auch in unserem Studiengang ungewöhnlich. Innovativ zu sein ist aber natürlich auch Programm.“ Die Leitfrage: Was hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin? Das Leben als eigener Forschungsgegenstand, zwischen Milieu- und Sozialisationstheorien – das war Lukas irgendwann zu viel. Der Konstanzer machte Pause und ging mit dem Rucksack den Jakobsweg. 

Und doch setzt er sich viel für andere ein. Und für die Natur. Als Kind war er in der grünen Jugend, organisierte Bachreinigungen, molk Kühe am Bauernhof. Sein Held: nicht Batman, sondern der Greenpeace-Aktivist. „Bilder vom Walfang, von der Urwaldrodung haben mich emotional sehr beschäftigt“, sagt er. Mit 15 wurde er ein Hiphop-Nerd. Und fand den grünen Lebensstil der Eltern mit ihren Bioladen-Exkursionen plötzlich furchtbar peinlich. 

„Mein Vater war sehr streng in einigen Dingen“, erzählt Lukas und korrigiert sich nach einer Pause. „Nicht streng, aber konsequent. Ich bin da flexibler.“ Flexibler, oder, anders formuliert, halbherziger. Kurz zieht er das eigene iPhone aus der Tasche. Dass das kein Emblem der Nachhaltigkeit ist, weiß er selbst. Eine Zeit lang hat er massenhaft Markenturnschuhe gesammelt. Wohl genäht von Kindern in Ausbeuterfabriken. Dafür gibt er fast die Hälfte seines Einkommens dafür aus, dass nur Bio-Essen auf den Teller kommt. Und wenn er abends oft ehrenamtlich Überstunden für „Unternimm dich“ macht, ist das nichts Außergewöhnliches. Seine Freundin kennt das. Sie hat einen Verein für Zivilcourage gegründet. Wie geht man um mit diesen Widersprüchen, mit diesem Spektrum zwischen vorbildlich und nachlässig? Lukas zögert – als ob er darauf warte, dass man ihm ins Wort falle. „Ich bin sicher nicht der selbstlose, total konsumverzichtende Mensch“, sagt er langsam. „Mir geht es eher darum, mich bewusst zu hinterfragen. Mein heutiges Leben ist voller Widersprüche, und das darf es sein.“ 

Auf ein gemeinnütziges Projekt festlegen kann sich Lukas nicht. Er will es auch gar nicht. Ein Trend, der nicht nur für ihn gilt. Studien belegen: Das klassische Ehrenamt wandelt sich. Einmal die Woche in den Verein zu gehen, und das über viele Jahre lang, ist für viele Jugendliche zunehmend unattraktiv. Stattdessen engagieren sie sich eher punktuell, kurzfristig. „München ist das beste Beispiel“, sagt Lukas. „Es war beeindruckend, wie viele Schüler und Jugendliche gegen Bagida auf die Straße gegangen sind.“ Wer sich ins Getümmel der Gegendemonstrationen stürzt, engagiert sich auch – nur eben für einen Abend. 

Auch Lukas setzt sich mal für gerechte Bildung ein, mal für Nachhaltigkeit durch Konsumverzicht, in der Zukunft vielleicht für ein Flüchtlingsprojekt. „Im Moment brauche ich diese Vielfältigkeit. Es kann auch sein, dass ich mich irgendwann für eine Sache entscheide. Aber ich bin da sehr offen.“ Ein festes Engagement in einer Organisation hat ihn nie gereizt. Bei Greenpeace ist er Fördermitglied, mehr nicht. Lukas steht auf lose Strukturen.

Und wenn er wieder mal den Job wechselt? „Dann würde ich in die Rüstungsindustrie gehen“, sagt er und lacht. So weit geht die moralische Flexibilität dann doch nicht.  

Elsbeth Föger