Unser Autor Wolfgang mag Techno, aber keine Keime. Seine Woche ist rein theoretisch sehr abwechslungsreich, aber für die Gesundheit muss man eben manchmal Dinge opfern
Am Freitag findet die Ausstellungseröffnung „Archivraum“ im Kunstverein statt. Bei der „Zusammenführung von Aufbewahrungs- und Veranstaltungsort“ soll es zu einer „kritischen Reflexion der eigenen Geschichte und ihre[r] Leerstellen“ kommen, für eine reflexionsförderliche musikalische Untermalung sorgen die DJs vom Münchner Label Ruffhouse, mit anderen Worten: eine feine Technoparty in einem Abstellraum, ein Gläschen Sekt und geschwollene Unterhaltungen inklusive. Genau mein Fall also. Ich gehe trotzdem nicht hin. Wusstet ihr, dass die Anzahl von Viren in der Luft in geschlossenen Räumen um ein Vielfaches erhöht sein kann.
Kontaminationsrisiko: 8
Ausgehempfehlung: 0
Was passiert, wenn man Krautrock, Jazzrock und Freejazz in einen Topf schmeißt und einmal umrührt? Wenn top ausgebildete Musiker zwar in einer Band spielen, aber jeder, was er will? SPACESHIZZLE! Von psychedelisch bis chaotisch, von dissonant bis holprig – wer findet, dass Musik harmonisch sein sollte, ist am Samstag im Kafe Kult definitiv falsch. Nicht dein Fall? Meiner auch nicht, aber es ist der richtige Soundtrack für den Weltuntergang. Das ist für mich aber noch lange kein Grund, das virenfreie Zuhause zu verlassen. Die Bands höre ich mir lieber im Internet an.
Kontaminationsrisiko: 10
Ausgehempfehlung: 0
Sonntag ist so alles Mögliche: Der letzte Wochentag, ein Ruhetag, für manche auch „der Tag des Herrn“. Für mich ist es der Tag der Hoffnung. Im Bahnwärter Thiel gibt es ein Repair-Café, das heißt jede Menge Werkzeug, um stumme Lautsprecher und kalte Glätteisen zu reparieren. Ich werde da sein, in meinem gelben Ganzkörper-Schutzanzug, und versuchen, meinen blauen Ersatz-Ganzkörper-Schutzanzug zu flicken. Dann wische ich mein beschlagenes Sichtfenster frei und schaue den Dokumentarfilm „Welcome to Sodom“, der im Anschluss gezeigt wird. Passt zur Stimmung.
Kontaminationsrisiko: 4
Ausgehempfehlung: 2
Auch am Montag gibt es – je nach Perspektive – etwas Hoffnung. In der Weltwirtschaft in der Schwanthalerstraße findet ein Informationsgespräch zu Naturerlebnis-Pädagogik statt. Ich erhoffe mir eine Antwort auf die Frage, wie ich mir und meiner zukünftigen Familie das Leben im Wald ein wenig heimeliger gestalten kann – fernab der bis dahin höchstwahrscheinlich zerfallenen Zivilisation. Aktuell hat die Veranstaltung auf Facebook null Zusagen und null Menschen, die daran interessiert sind. In der Hoffnung, der einzige Teilnehmer zu sein, gehe ich hin.
Kontaminationsrisiko: 2
Ausgehempfehlung: 0
Bezahlbarer Wohnraum, Verkehrswende, Subkultur – spricht irgendwer auch mal über den Coronavirus? Ich tue es, hier, in der Kolumne eures Vertrauens. Am Dienstag bei der Podiumsdiskussion zur Kommunalwahl im Maßmann-Wohnheim tut man es wohl eher nicht. Ich bleibe deshalb lieber daheim und nutze die Zeit, um die aktuelle Lage zu Covid-19 im Live-Ticker zu checken.
Kontaminationsrisiko: 10
Ausgehempfehlung: 0
Die Zeit vor dem Rechner hat sich gelohnt: Ich habe von „Hikikomori“ erfahren – so werden in Japan Menschen bezeichnet, die sich freiwillig in ihre Wohnung einsperren und den Kontakt zur Außenwelt auf ein Minimum reduzieren. Bin ich auf dem Weg, ein Hikikomori zu werden? Das gilt es zu vermeiden, denn die psychosozialen Nebenwirkungen dieser Totalisolation können schwerwiegend sein. Deshalb gehe ich da hin, wo der Finne steppt: Zur Finnischen Disko im Außenbereich der Pinakothek der Moderne. Viele Menschen, Kälte, und Glögi – die finnische Version des Glühweins – aus schlecht gespülten Tassen. Das ist mir dann doch zu viel, ich beobachte aus sicherer Distanz von der gegenüberliegenden Straßenseite aus.
Kontaminationsrisiko: 10
Ausgehempfehlung: 1
Seit letzter Woche gibt es offenbar einen „neuen Donnerstag“ in München. Den ersten habe ich verpasst, umso neugieriger bin ich auf die frische Veranstaltungsreihe im Folks Club. Das Swim Deep Kollektiv möchte hier regelmäßig Keller-Raves schmeißen, die das Nachtleben in der Hauptstadt langweilig aussehen lassen sollen. Ich hadere, ich zögere, ich schluchze. Aber nein! Ich werde nicht das Ende einer Infektionskette sein!
Kontaminationsrisiko: 10
Ausgehempfehlung: 0
Am Freitag schmerzt mich meine selbstverhängte Quarantäne besonders. Dann kommt DJ Koze ins Blitz, dessen Musik ich sehr gerne mag, und den ich schon lange einmal live sehen möchte, vor allem deshalb, weil ich ihn dann endlich fragen könnte, wie man seinen Namen ausspricht. Ich kann es nicht lassen, werfe mich in Schale und fahre zur Museumsinsel 1 – jedoch mit mulmigem Gefühl im Bauch. Wird man mich mit meinem Schutzanzug in den Club lassen?
Kontaminationsrisiko: 10
Ausgehempfehlung: 1
Wolfgang Westermeier