Zeichen der Freundschaft: Pyjamaparty

image

Dall, Martina – ein fiktionaler Name, der zusammen ausgesprochen auch noch Sinn ergibt. Das ist die Leidenschaft von zwei Freundinnen, die auch um 3 Uhr nachts noch Namen erfinden.

Das Licht ist aus. Leises Gemurmel ist zu
hören, aber im Grunde wollten sie alle einschlafen. Es ist bereits
drei Uhr morgens. Da liegen wir wieder. Genau wie früher, denke ich. Alle in
unsere dicken Schlafsäcke eingemummelt, säuberlich aneinander gereiht. Wie
Sardinen in einer Dose. Naja, nicht ganz. Die andere Hälfte unseres riesigen
Mädelhaufens liegt im Zimmer nebenan. Sonst wäre es zu eng geworden. Kathrin
liegt im anderen Zimmer. Was sie da drüben jetzt wohl macht? Blöd, dass die
anderen schon genervt sind und uns deswegen in verschiedene Zimmer gesteckt
haben. Sonst hätte sie jetzt neben mir schlafen können. Und wir hätten weiter
über Namen diskutiert.

Kathrin und ich. Wir kennen uns schon ewig. In meiner Vorstellung
existiert sie ebenfalls schon ewig. Ich weiß nämlich gar nicht, wie alt ich
war, als wir uns das erste Mal gesehen haben. Mit ihr habe ich immer den
größten Blödsinn gemacht. Früher haben wir uns zum Beispiel fiktionale Namen
ausgedacht, die zusammen mit den Nachnamen einen lustigen Sinn ergeben: Rosa – Schlüpfer,
Frank – Reich, Axel – Schweiß und so weiter. Die Liste ist endlos.

Vor etwa zwei Stunden ist uns dieser Unsinn wieder
eingefallen. „Weißt du noch, wie wir früher immer…“. So fing das an… und hat
bis jetzt noch nicht aufgehört. „Meine Mama kennt wirklich einen Bernhard
Diner“, sagt Kathrin. „Nein echt?“ entgegne ich fasziniert und wir führen
unsere Namensliste umgehend weiter. Als lägen keine langen Jahre dazwischen. Wir
verlangen nach Stift und Papier. „Dall – Martina können wir auch gleich auf die
Liste schreiben“, sage ich. Es fühlt sich so an, als wären wir wieder 10 Jahre
alt. Allerdings müssen wir unser Namensgefecht aus Rücksicht auf die anderen irgendwann
unterbrechen. Wir merken: Noch ein fiktionaler Name und sie würden vor
Genervtheit explodieren.

Mittlerweile ist es 3:15 Uhr und ich denke noch lange nicht ans Schlafen. Ich bin ganz in
Gedanken versunken, als plötzlich die Tür aufgerissen wird: „Barbara, bist du
noch wach? Ich weiß wieder einen“, flüstert Kathrin triumphierend durch den
geöffneten Türspalt. „Eric – Tion“ flüstert sie schnell, ehe sie wieder im Dunkeln
verschwindet. Ich muss laut losprusten, was von den anderen mit genervtem
Stöhnen quittiert wird. Auf sowas wie Eric – Tion wären wir früher
niemals gekommen.

Von: Barbara Forster

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Die Alten

image

Jeder Ton, den sie gemeinsam singen, verbindet sie ein Stück mehr. Und wenn die andere beim Singen einmal nicht da ist, fühlt es sich an, als wäre der Ton nicht richtig. Ein neuer Beitrag aus der Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Sie boxt mich in die Seite. Ich muss lachen. Habe ich doch
glatt die Alt-Stimme nach unten oktaviert, das fällt mir allerdings erst bei
dem freundlichen Seitenhieb ein, den mir Marie gibt. Auch sie muss ein Lachen
unterdrücken.

Seit der Schulzeit singen wir zusammen im Chor:
Unterstufenchor, Mittelstufenchor, Kammerchor und auch jetzt an der Uni stehen
wir zusammen in der Alt-Stimme, bei den „Alten“ wie unser Chorleiter immer zu
sagen pflegt. Auch darüber mussten wir wegen der Mehrdeutigkeit schon des
Öfteren schmunzeln. Wir sind die einzigen, die in diesem Chor nicht Musik
studieren. Aber wir haben mindestens genauso viel Liebe zur Musik und zum
Singen. Fehlt sie, habe ich immer das Gefühl, es fehlt etwas. Nicht weil ich
alleine nicht singen kann oder gar immer eine Oktave zu tief bin, aber irgendwie
ist es etwas anderes. Einer von uns hat immer den Ton und so haben wir uns
bisher durch jedes Barock- oder Jazzstück, durch jede klassische und moderne
Musik und sogar durch Opern gesungen.

In der fünften Klasse haben wir uns kennengelernt. Zugegeben
gleich zu Beginn hatten wir noch verschiedene Freundeskreise. Doch es hat nicht
lange gedauert und wir hatten mit unserer Mädels-Clique immer das begehrte
Sechserzimmer im Schullandheim. Später haben wir zusammen Abitur gemacht,
fuhren auf Abi-Fahrt, auf Ski-Hütten, waren auf Musik-Festivals, auf Konzerten,
Tanzen, haben zusammen gelacht und geweint.

Ich kenne kaum jemanden, der so unumstößlich positiv und
entspannt ist. Entspannt heißt aber nicht faul. Sie kämpft für das, was sie
erreichen will und ist ehrgeizig. Sie hat immer ein Lächeln auf den Lippen, und
liebt es zu singen und zu tanzen. Und das kann sie: Wenn sie tanzt, macht es
einfach Spaß zuzusehen. Einfach, weil sie ein Talent dafür hat und man ihr die
Freude daran ansieht. Und es gibt niemanden, mit dem ich so gerne tanze – zu
Musik natürlich. Und das ist es, was uns verbindet: die Musik, egal ob getanzt
oder gesungen. Und dann ist da natürlich das gemeinsame Singen: Seit der
fünften Klasse stehen wir, mit kleineren Unterbrechungen, immer nebeneinander in der Alt-Stimme. Habe ich den Ton nicht,
findet sie ihn und findet sie die richtige Note mal nicht, singe ich ihn ihr
von der Seite ins Ohr. Wie im Chor ergänzen wir uns auch in unserer Freundschaft
immer. Auch deshalb fühlt es sich so seltsam halb an, alleine im Chor zu
stehen. Als wüsste man, welche Note man singen muss. Aber den richtigen Klang
bekommt sie eben nur, wenn wir zusammen sind.

Von: Stephanie Albinger

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Pechvögel

image

Elli und Barbara retten sich gegenseitig immer wieder. Egal ob das Handy mit wichtigen Flugdaten kaputt geht oder sie wegen Zahnschmerzen nicht schlafen können – gemeinsam stehen sie alles durch.

Ich putze gerade meine Fenster als mein Handy piepst. Über die Schulter
hinweg werfe ich einen Blick auf das Display. Eine Nachricht von Ellis Mutter.
Was ist denn jetzt wieder passiert, frage ich mich und unterbreche meine
Putzaktivitäten. Um das gleich vorab zu sagen: Elli ist ein Pechvogel. Und ganz
zufällig leiste ich ihr da oft Gesellschaft.

Schon im Kindergarten passierten
mir die merkwürdigsten Sachen. Dass die anderen Kinder eines Tages in meiner
Umhängetasche einen uralten, längst vergessenen Schnuller entdeckten und mich
stundenlang auslachten, ist nur eines von unzähligen Beispielen. Wie froh ich
war, als ich Jahre später auf der Fachoberschule auf Elli traf. Instinktiv
wusste ich, die ist auch so wie ich. Genauso verträumt, genauso verplant und anscheinend
ebenso sehr vom Pech verfolgt.

Aber zurück zur Handynachricht: Ellis Mama
schreibt, das Handy ihrer Tochter sei auf unerklärliche Weise kaputt gegangen.
Aber Elli fliegt heute Abend nach Rotterdam und die Flugdaten sind alle auf dem
Handy gespeichert. Das hat Elli ihrer Mutter in einem zweiminütigen
Telefongespräch am Münztelefon mitgeteilt – ehe die Verbindung abgebrochen ist.
Ich soll nun eine Freundin anrufen, mit der sich Elli später treffen will. Die
könnte ihr mit diesem Problem vielleicht weiterhelfen.

Die Freundschaft zwischen Elli und mir ist ein Geben und Nehmen: Sitzt eine
in der Patsche, muss die andere eingreifen. Das Gute ist, dass wir selten
gleichzeitig in eine blöde Lage geraten. So haben wir die Möglichkeit, uns
gegenseitig zu helfen. Oder zumindest die beruhigende Stimme des anderen zu
hören. Letztens erst erinnerten wir uns bei einer Tasse Kaffee gemeinsam an
einen von Ellis dunkelsten Tagen: Der Tag der Sportprüfung im Hochsprung.

„Extra eine Sportlehrerin hat Mama für mich aufgetrieben“, sagt sie heute noch
wehmütig. Das Hochspringen hätte sie bis zum Erbrechen geübt. Ihre Mama sei so
stolz auf sie gewesen. Leider fiel Elli während einer ihrer drei Sportprüfungen
auf die Schnauze, sodass sie aufgrund ihrer blutenden Nase für die Hochsprung-Prüfungen
gar nicht mehr zugelassen wurde. „Einmal fünf, zweimal sechs“ lautet Ellis
Schlussplädoyer, während sie mit hängendem Kopf in ihrer Kaffeetasse rührt. Ich
nicke ihr solidarisch zu und deute auf mein Kinn.

Der Weißheitszahn macht
wieder Probleme. Da fiel uns beiden die Geschichte ein, als ich eines Nachts
mit starken Zahnschmerzen halb München zu Fuß durchquerte, weil ich den Bus
verpasste. Am selben Abend übernachtete Elli bei mir, um mich von meinen
Zahnschmerzen abzulenken. Kein Auge hatten wir zugemacht. Ich vor Schmerzen,
Elli wegen meines Gejammers. „Barbara, wir müssen versuchen, zu schlafen, ehe
mein Wecker klingelt“. Eine Sekunde später bimmelte der Wecker bereits. Dass
der frühe Morgen bereits hereingebrochen war, hatten wir nicht einmal bemerkt.

Ohne Elli hätte ich die nächste Nacht wahrscheinlich nicht einmal überlebt. In
Extremsituationen sind wir immer füreinander da. Ich, wenn ihr Geldbeutel
gestohlen wird, und sie wenn, ich die Anmeldefrist für eine Prüfung versäumt
habe. Bei Elli fühle ich mich verstanden, sie kann nachvollziehen, dass mich
bei meinen Missgeschicken zu 99 Prozent keine Schuld trifft.

Und an guten Tagen, an denen wir keine Unfälle, keine
Verletzungen oder verstörende Momente haben, amüsieren wir uns über unsere
kleinen Anekdoten, die wir in all den Jahren so reichlich gesammelt haben. Denn
über sich selbst lachen zu können, ist auch etwas, was uns verbindet.

Von: Barbara Forster

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Vanilleshakes

image

Kurz vor der Mathe-Ausfrage in der 9. Klasse lernten sie sich kennen. Seit sie in verschiedenen Städten studieren, treffen sich Korbi und Theresa ein Mal im Jahr, um gemeinsam Vanilleshakes zu schlürfen. Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Hässlich ist eigentlich das falsche Wort. Geschmacklos auch. Vielleicht eine Kombination aus den beiden, denke ich, während ich das Auto parke und mich elegant durch den 10 cm breiten Spalt fädle, den es der neben mir parkende Wagen erlaubt, meine Fahrertür zu öffnen. Geschmässlich, vielleicht. Das trifft sowohl auf das Dorf, in dem ich mich gerade befinde, als auch auf das Etablissement zu, das ich gerade im Begriff bin zu betreten, um eine der treusten und vielleicht auch unwahrscheinlichsten Freundschaften zu pflegen, die ich mir mit 14 Jahren, als sie entstand, hätte vorstellen können.

Aus irgendeinem mir nicht völlig ersichtlichen Grund ist dies aber zu unserer Tradition geworden, seit wir in sehr weit voneinander entfernten Städten studieren und sehr unterschiedliche Leben leben. Einmal im Jahr treffen Korbi und ich uns dennoch in dem Kaff, in dem er groß geworden ist, in dem einzigen für junge Menschen betretbaren Lokal, das es dort gibt und dessen Innenausstatter eigentlich zu lebenslänglicher Haft in seinem eigenen Verbrechen verurteilt gehört.

Zwischen einer Bar aus Bambus, braunen Fließen und alten Bauerntischen isst Korbi dann einen Burger und ich Käsespätzle und zum Nachtisch bestellt er sich zwei Vanilleshakes nacheinander, da ich eigentlich gar keinen wollte, ihm dann aber doch die Hälfte des ersten wegzutzle. So ist Korbi. Er würde wahrscheinlich alles für mich tun. Meinen Computer reparieren, meine
Hausarbeit formatieren, meine Grafiken für das Kunstgeschichte Referat erstellen, mir versichern, dass ich bestimmt irgendwann „den richtigen“ finden werde und mir außerdem versprechen, dass ich auf jeden Fall noch einen Vanilleshake vertrage, auch wenn sich die Käsespätzle gerade in einen zähen, langsam rotierenden Klumpen in meinem Magen verwandeln.

Als ich in der neunten Klasse das erste Mal mit Korbi, dem damals schon größt gewachsensten Schüler unseres Gymnasiums sprach, musste ich gerade vor der Tür meines Klassenzimmers warten, weil ich die Zweite in der Doppel-Mathe-Ausfrage war. Er kam zufällig vorbei und fragte, ob ich seine Notizen haben wollte, da er gerade das gleiche Thema bei seinem Mathelehrer
durchnahm. Ich sagte, nein danke. Zwei Tage später fragte er mich, ob ich mit ihm den traditionell in der neunten Klasse durchgeführten Tanzkurs besuchen wollte – damit war ich das erste Mädchen meiner Klasse, das einen Tanzpartner abbekam. Zwei Monate lang starrte ich auf seinen rechten Ellbogen, der sich in
etwa auf meiner Augenhöhe befand, während wir DiscoFox, Walzer und ChaChaCha lernten. Für eine Unterhaltung waren wir beide zu schüchtern und die billige Chart-Musik zu laut.

Mittlerweile schaffen wir es jedoch ganz gut, uns über einfach alles zu unterhalten, von Universitäten, geplanten Doktorarbeiten, über den ersten gemeinsamen Hund mit der Freundin (in seinem Fall), verflossene Liebschaften (in meinem Fall) bis hin zu damals, als ich vor der Klassenzimmertür stand und seine Mathenotizen nicht wollte und wie wir (natürlich!) das mit Abstand hübscheste Paar auf dem Abschlussball waren. Deshalb freue ich mich jedes Jahr von Neuem, wenn ich abends in das Auto meiner Eltern steige und in diese geschmässliche Kleinstadt fahre, um mich in diesem geschmässlichen Lokal mit Korbi zu treffen.

Von: Theresa Parstorfer

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Independent-Filme

image

Die Liebe zu guten Filmen – das verbindet Theresa und Mira. Milch und Kuchen gehören aber auch dazu. Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Wir starren auf den Bildschirm. Der Abspann läuft. Dann schauen wir uns an. Mira zieht eine Augenbraue nach oben. Das konnte sie schon immer besser als ich. Also ziehe ich beide Augenbrauen nach oben und sage: „Aha.“ Das Schweigen geht weiter. Ich setze mich aufrechter hin und versuche, das gerade Gesehene zu ordnen. Norwegischer Independent-Film. Original mit Untertiteln. Leise, traurig, ein bisschen verstörend. Selten reden Mira und ich viel, nach einem Film. Oft brauchen wir beide ein bisschen Zeit, um zu verarbeiten
und uns eine Meinung zu bilden.

Drei Stunden zuvor: Es müffelt nach Käsefüßen – das ist der unverkennbare Geruch der kleinen Videothek unseres Heimatstädtchens. Schon zum dritten Mal innerhalb der letzten 15 Minuten sind Mira und ich vor dem erschreckend kleinen Regal gelandet, über dem steht „Auslesefilme“. Das Sortiment ist beschränkt, da unser Heimatstädtchen unsere langjährige Vorliebe für anstrengende, kleine Produktionen, die in deutschen Kinos oftmals nicht einmal gezeigt wurden, nicht zu teilen scheint. Die Auswahl der Auslesefilme reduziert sich noch weiter, da die meisten der vorhandenen Filme entweder sie oder ich
oder wir beide schon gesehen haben.

Trotzdem brauchen Mira und ich oftmals ebenso lang, uns für einen Film zu entscheiden, wie der Film dann letztendlich dauert. Aber das gehört schon zu unserem in unregelmäßigen Abständen durchgeführten Ritual. Mira zerwuschelt ihre dunklen zu einem Undercut geschnittenen Locken – das macht sie immer, wenn sie nachdenkt – und liest noch einmal den Klappentext der DVD-Hülle in ihrer Hand. Der wird es sein, das weiß ich jetzt schon. Norwegisch. Drama. Immer gut.

Eine halbe Stunde später: Mira, ich, zwei Stück Kuchen, zwei Gläser kalte Milch und es kann losgehen. Mit niemandem sonst kann ich mir dermaßen anstrengende Filme anschauen, niemand sonst, den ich kenne hat einen dermaßen hohen Anspruch an Filme und niemand sonst gibt mir das Gefühl, dass ich diesen Anspruch eigentlich auch habe. Niemand sonst kennt mich
schon so lange und so gut und niemand sonst ist so treu und so nah, trotz aller örtlichen und zeitlichen Distanz dazwischen. Wir können uns immer darauf verlassen, dass wir immer einen kleinen, melancholischen Film finden werden über den wir dann zusammen nachdenken können, bei einem Glas Milch und einem Stück Kuchen.

Von: Theresa Parstorfer

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft – Von Humor

image

Zwei Jungs, die ein ganz spezieller Humor miteinander verbindet. Der kommt nicht bei jedem gut an, der Freundschaft tut das aber keinen Abbruch. 

Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Pierre und ich schleichen uns unauffällig aus der Küche. Wir holen unsere
Jacken aus dem Wohnzimmer, schließen die Haustür auf, und sind weg. Wir sind
ein Stockwerk tiefer angekommen, als die Tür wieder aufgeht. „Wo geht ihr denn
hin?“, schreien die beiden Mädels aufgeregt. „Erigieren!“, rufen wir im
Einklang. Wir kichern, und laufen weiter.

Etwa eine Stunde vorher. Samstagabend, kleine WG-Party im Westend. „Tut mir echt
leid Alter“, murmelt Pierre, „hätte ich das gewusst, dann hätte ich dich echt
nicht hergeschleppt.“ Ich reagiere nicht, er kann ja nichts dafür. Plötzlich
fängt er an zu Grinsen. Das ist meist ein schlechtes Zeichen – nämlich ein
Zeichen dafür, dass gleich eine sehr dumme Aussage seinen Mund verlassen wird.
„Okay, Frage: Was macht ein König?“. Er räuspert sich. Mittlerweile sind seine
Mundwinkel fast an den Ohren angekommen. Pierre hat einen sehr distinkten Humor
– man könnte sagen, irgendwo weit hinter der Grenze des guten Geschmacks. Ich
grinse auch schon. Ich habe keine Ahnung was kommt, aber ich lache auch meistens
erst da, wo andere schon die Augen verdrehen. „Keine Ahnung“, antworte ich. Ich
lasse mir meine Vorfreude auf die kommende Aussage nicht anmerken. „Er regiert,
er regiert, er regiert!“ Wir prusten los, wie pubertäre Achtklässler. Geil,
mentale Notiz wird gemacht. Daraus lässt sich irgendwann was machen.

Die WG-Bewohnerinnen haben mittlerweile festgestellt, dass unsere Ecke
deutlich unterhaltsamer ist als der Rest der Party. Sie gesellen sich zu Pierre
und mir, das Schuljungengekicher hat es ihnen wohl angetan. „Jungs, wir wollen
mitlachen!“, sagt die Eine. Für Pierre ist das natürlich kein Problem. Ich
hingegen sehe das Problem kommen – darüber wird hier außer uns keiner lachen.
Zu spät, der Gute ist schon in seiner Routine. „Okay, Frage: Was macht ein
König?“ – „Wie was macht ein König?“ – Geht ja schon gut los. Aber Pierre merkt
es nicht, er will die Pointe loswerden. „Er regiert, er regiert, er regiert!“ –
Wir prusten wieder los. Was witzig ist, bleibt witzig. „Versteh ich nicht“,
sagt die Eine. Damit ist der Witz nun tot. „Ja, er regiert halt. E-RI-GIERT!
Das kennst du doch, oder?“ Wir prusten weiter. Ich stell mir die britischen
Royals vor – verlieren ja alle schon die Haare vom ständigen regieren.
Testosteron, und so.

Die Mädels haben keine Lust mehr. Pierre und ich stellen fest, dass uns auf
dieser Party nichts mehr hält. Hier werden wir keine Freunde finden, zumindest
nicht die Art von Freundschaft, die uns zusammenhält. Je mehr wir uns gemeinsam
in sozialen Situationen aufhalten, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass wir
leicht speziell sind. „Stimmt doch gar nicht“, schlussfolgert Pierre, „aber wer
über regierende Erektionen nicht lachen kann hat meine Anwesenheit nicht
verdient!“ Wir schleichen uns unauffällig aus der Küche. Wir holen unsere
Jacken aus dem Wohnzimmer, schließen die Haustür auf, und sind weg.

Von: Matthias Kirsch 

Zeichen der Freundschaft – Elfter Geburtstag

Fünf Uhr morgens in einem Fast-Food Restaurant: Zwei beste Freundinnen genießen den Tag und tanzen zwischen Pommes und Burgern. Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Sie tanzt. Einfach, weil sie gerade Lust dazu hat. Zu der Musik, die dumpf aus den Lautsprechern des Fast-Food Restaurants dringt. Ich muss lachen, wie so oft, wenn Emma bei mir ist und fange ebenfalls an zu tanzen – was uns ein paar schiefe Blicke des Kassierers beschert. „Zwei Chickenburger, zweimal Cola und zweimal große Pommes bitte“, sagt sie. Und wir tanzen weiter, mit ihr ist es auch mir egal, was die anderen Leute denken. Es ist fünf Uhr morgens, der Morgen meines Geburtstages, in den ich mit vielen Freunden reingefeiert habe. Und nun es ist noch sie, Emma, die wohl beste Freundin, die ich je hatte, die nun mit mir in mein neues Lebensjahr startet. Genau genommen ist es auch der elfte gemeinsame Geburtstag, das elfte gemeinsame Jahr.

Wir sind uns ähnlich, zugleich aber auch wieder nicht. Sie ist herzlich und offen, ich wirke oft eher etwas hart und kritisch. Während sie ihre Klamotten oft quer durch ihr Zimmer verteilte, herrschte bei mir immer Ordnung. Geht sie offen auf die Menschen zu, bin ich oft eher skeptisch. Mit ihr kann ich anders sein, leichter, fröhlicher, unbeschwerter. Irgendwie steckt sie mich damit an – alleine hätte ich auch vor dem Kassierer sicher nicht getanzt. Sie tut das. Einfach so, weil es eben gerade Spaß macht. Ihre Freude am Leben ist ansteckend, ihre Herzlichkeit umwerfend. Mit ihr ist das Leben so leicht, so unbeschwert. Und sie ist eben immer da. Bin ich verzweifelt, macht sie mir heiße Schokolade und Kuchen mit drei verschiedenen Schokoladensorten. Und auch wenn ich das Leben einfach nur umarmen will, ist sie da, und wir essen nachts auf ihrem Balkon Nutella und trinken Wein. Und seit elf Geburtstagen ist es immer sie, die immer da war und es bis heute ist. Nun schiebt sie quietschend den Strohhalm in den Plastikbecher und prostet mir zu: „Auf dich!“, sagt sie. „Nein, auf dich!“, erwidere ich und denke drücke ihr einen dicken Schmatzer auf die Backe.

Von: Stephanie Albinger

Zeichen der Freundschaft: Tom

Die besten Freunde findet man oft ganz früh im Leben. Das heißt aber auch, dass die Freundschaft so einige Lebensveränderungen überstehen muss. 

Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Irgendwann
kam der Tag an dem meine Mutter sagte: „Der Tom zieht weg. Weit weg. Aber ihr
seht euch sicher bald wieder.“ Nach Amerika ging er mit seiner Familie, sein
Vater hatte dort Arbeit gefunden. Ein Abschied. Von meinem besten Freund, meinem
Sandkastenfreund. Seit wir ein Jahr alt waren verbrachten wir fast jede Minute
miteinander. Damals am Flughafen haben wir uns versprochen uns zu Briefe zu
schreiben. Also wenn wir dann in zwei Jahren in die Schule kämen und Schreiben
lernten.

Man hätte
uns vielleicht für Geschwister halten können, wie wir beide mit unseren blonden
Haaren im Sandkasten saßen. Seit wir ein Jahr alt waren. Tag für Tag. Jahr für
Jahr.  Mein Sandkastenfreund Tom und ich.
Er musste schon einiges aushalten. Ich konnte mit einem knappen Jahr sprechen,
er hingegen laufen. Weggelaufen ist er dennoch nie, wenn ich ihm mal wieder die
Welt erklärte und er stumm daneben saß – unsere Eltern erzählen noch heute
davon. Gestört zu haben schien es ihn nie, er war immer schon ein guter
Zuhörer, hat sich nie beschwert.

Als er
damals ging haben wir uns dann einige Jahre nicht gesehen, aber Wort gehalten
und Briefe geschrieben. Mittlerweile lebt er mit seiner Familie wieder in
Deutschland, aber auch zum Studieren kam er nicht mehr nach München zurück. Manchmal
packt mich die Angst, die Entfernung, wenngleich sie auch nicht mehr so groß
war wie einst, könnte auch Distanz zwischen uns schaffen.

Mein Handy
piepst, eine Nachricht von Tom: „Hey Steph, alles gut?“ Steph, so nennt mich
sonst niemand. Wenn ich das höre, fühlt es sich an wie Nachhausekommen und gibt
mir die Sicherheit, dass uns etwas verbindet und das auch niemals aufhören
wird. Auch, wenn wir uns nicht oft sehen, ist es wie eh
und je. Ohne Worte haben wir einst Freundschaft geschlossen und, wenn auch zeitweise
mit wenig Worten, sie hat es ausgehalten. Und ja, wir schreiben uns immer noch.
Mittlerweile können wir es ja.

Von: Stephanie
Albinger

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Gedankendraht

Beste Freundinnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, sich aber trotzdem über alle Distanz hinweg verstehen.  Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Uns trennen fast 3000 Kilometer. Wir sehen uns nur einmal im Jahr. Und trotzdem sind wir immer noch befreundet. Seit mehr als zehn Jahren schon. Natürlich haben wir mal näher zusammen gewohnt. Nur zwei Jahre, aber in einer Zeit, in der zwei Jahre einem noch wie ein ganzes Jahrhundert vorkamen. In der schon zwei Wochen reichten, um allerbeste Freunde zu werden.

Als Balqis und ich uns kennenlernten, waren wir beide fünf. Wir lebten in Kairo, zwei Häuser voneinander entfernt, gingen auf dieselbe Schule, unsere Mütter waren beide deutsch und kannten sich von der Arbeit. Freunde werden war also vorprogrammiert. Aber dass diese Freundschaft so lange halten würde, hätte vermutlich niemand gedacht.

Wir sind nämlich ziemlich unterschiedlich. „Als wir in eure Wohnung kamen, da hab ich dich erst gar nicht gesehen, weil du dich hinter deiner Mama versteckt hast“. Meine Freundin lacht auf dem Laptopbildschirm vor mir. Wir skypen fast jede Woche und erzählen uns gegenseitig von unserem Leben. Und manchmal eben auch von früher. Ich lache auch. Ja, daran erinnere ich mich auch noch dunkel. Ich, das verschüchterte, ängstliche, etwas pummelige Mädchen, mit der hellen Haut, blonden Haaren und blauen Augen. In Deutschland geboren, zwei deutsche Eltern. Sie, offen und zierlich, mit dunklem Teint, braunen Augen, dunklen Haaren und superinternationaler Herkunft: deutsche Mutter, palästinensischer Vater und in Marokko geboren. Aber die unterschiedlichen Kulturen und das Aussehen haben nie eine Rolle gespielt: Früher nicht, denn wenn man klein ist, ist sowieso jedes kleine Mädchen nur ein möglicher Spielgefährte. Aber auch heute nicht.

Ziemlich unterschiedlich sind wir aber schon. Manche würden vielleicht sogar sagen gegensätzlich. Und trotzdem führt scheinbar ein Gedankendraht über all die Kilometer und all die Unterschiede. Von Jordanien bis Deutschland. Denn vor zwei Jahren erzählte ich Balqis von einer ziemlich coolen internationalen Schule, bei der ich mich vielleicht bewerben wollte. Und sie kannte die Schule auch und wollte sich auch bewerben. Letztens erzählte sie mir, dass sie Vegetarierin werden würde. Ich sagte, dass ich darüber auch schon nachgedacht hatte, und wir fingen gleichzeitig an.

Jedes Jahr im Sommer kommt Balqis zu Besuch. Jedes Jahr freue ich mich unglaublich. Und jedes Jahr ist es, trotz jedes Gedankendrahts, trotz jedes Skype-Telefonats, im ersten Moment komisch. Da steht immer eine etwas andere Person vor mir, als die, die ich kenne. Da ist Schüchternheit im Raum und die Frage, wie man sich denn jetzt – nach einem Jahr Nicht-wirklich-Sehen – am besten verhält. Sich umarmen zur Begrüßung?

Wir sind jeder auf unsere Art erwachsener und anders geworden. Und jedes Jahr in dieser kurzen Sekunde des Nicht-Erkennens oder des Anders-Erkennens habe ich kurz Angst, dass wir uns zu sehr verändert haben könnten. Dass wir zu unterschiedlich geworden sein könnten. Aber diese Angst verflüchtigt sich sofort wieder nach dem ersten Wort. Und ich weiß doch wieder, was ich tun und worüber ich reden soll und es ist doch wieder dieselbe beste Freundin, die ich kenne. Jedes Jahr aufs Neue.

Von: Mariam Chollet

Zeichen der Freundschaft: Tassenränder

image

Er hat blaue Augen und einen irischen Akzent. Sie kann ihm nicht widerstehen. Ein typischer Abend auf einer WG-Party, bei der man nicht nacht alleine nach Hause gehen will. Im Urlaub treffen sie sich wieder – kann er sie wieder so beeindrucken?  Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Ich könnte ihn jetzt küssen. Niemand würde es merken. Der Flur der Hausparty ist überfüllt und er betrunken genug. Wir trinken billigen Sangria aus Kaffeetassen und reden über Erasmus-Erfahrungen. Er hat unglaublich blaue Augen. Wie ein Husky. Er sieht mich auch mit einem sehr gekonnten Hundeblick an. Dennoch weiß ich, heute werde ich alleine nach Hause gehen.

Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich mich an dieser Stelle anders entschieden. Damals gefielen mir seine blauen Augen und sein irischer Akzent einfach zu gut. Ich hörte nicht auf meinen Verstand. Auch wenn der damals schon merkte, wie besserwisserisch und nervig dieser hübsche Ire sein konnte.

An jenem Abend ging ich nicht allein nach Hause und auch an den Abenden danach nicht. Nach ein paar rosaroten Wochen, wurde es allerdings auf einmal furchtbar kompliziert, weil er gerade aus einer Beziehung kam und seine Ex-Freundin in derselben Stadt ihr Auslandsjahr machte wie wir und ihm das alles zu schnell ging.

Und da sagt noch einer, Frauen sind kompliziert.
Frauen schaffen es aber auch, irgendwann mit ehemaligen Liebhabern befreundet zu sein.

Das Schicksal hat dennoch einen gewissen Sinn für Humor, denn als unser Freundeskreis zusammen in den Urlaub fuhr, und ich eines Nachts gut gelaunt mit ein paar Südamerikanern Salsa tanzte, kam er auf einmal angeschlichen. Reue im Hundeblick.

Ich bin keine schadenfreudige Person, aber ich merkte, wie gut mir das tat. Denn interessanterweise wusste ich, dass diesmal ich diejenige war, die „nein“ sagen würde. Seine Augen waren zwar immer noch blau, aber mein Verstand deutete mit immer unverschämter werdendem Zeigefinger auf seine neunmalklugen Erklärungen und die Witze und Geschichten, die er mir immer und immer wieder erzählte, während er sich nicht einmal merken konnte, wie viele Geschwister ich hatte.

Trotzdem waren wir füreinander da. Er besorgte mir Augentropfen, wenn ich mit Bindehautentzündung jammernd im Bett lag, ich kochte ihm Nudelsuppe, wenn er über seine Unikurse jammernd in meiner Küche saß.

Er sieht mich über seine Tasse hinweg an. „Wir hatten schon eine schöne Zeit, oder?“. Ich lächle und verdrehe die Augen. Ja, hatten wir. Haben wir immer noch. Als Freunde. Vielleicht wird da immer eine nicht aufgelöste Spannung sein. Ein Wenn in Verbindung mit einem Hätte-sein-können. Die Möglichkeit, immer vielsagende Blicke über Tassenränder werfen und zweideutige Andeutungen fallen lassen zu können. Aber vielleicht ist es das wert, denn Freundschaften sind manchmal langlebiger als Beziehungen und wer hat nicht gerne einen irischen Kumpel mit strahlend blauen Augen und süßem Akzent?

Von: Theresa Parstorfer

Foto: Yunus Hutterer