Zeichen der Freundschaft: Gemeinsame Schwäche

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Im Matheunterricht war selbst konzentriertes Aufpassen für die zwei Banknachbarinnen aussichtslos. Stattdessen wurde es zum Ritual, sich mit einem ausgieben Brunch, vom Geschehen an der Tafel abzulenken. Unsere Autorin erzählt, wie geteiltes Leid zu einer engen Freundschaft wurde.

Fast hätte ich Ohrenkrebs bekommen. Die deutsche Grenze
haben wir auf der Reise mit dem Zug nach Trento schon überquert. Es war
sicherlich gut gemeint vom Bahnmitarbeiter, ab jetzt alle Durchsagen zusätzlich
auch auf Italienisch zu machen. Vermutlich hat er die Worte einfach nur
abgelesen. Mir gegenüber sitzend grinst Franzi mich an. Kaum ist die Ansprache
beendet, prustet sie los: „Hahah, also selbst wenn man kein Italienisch kann,
merkt man, dass die Durchsage sehr peinlich war.“ Da liegt sie absolut richtig.
Ich stimme zu und äffe die Worte nach. Gemein, aber witzig. Als Muttersprachler
darf man das schon mal.

Die vierstündige Fahrt ist mal lustig, mal ruhig, mal dösen
wir weg, oder schauen verträumt aus dem Fenster. Gespannt, auf das, was uns an
diesem verlängerten Augustwochenende erwarten wird. Ein richtiger Urlaub war
für uns beide aus Zeit- und Kostengründen nicht drin. Die Entscheidung fiel
deshalb auf einen Kurztrip in die italienischen Berge.

Franzi – die ich meistens liebevoll Francesca nenne – und
ich, kennen uns aus Schulzeiten. Was uns damals eng miteinander verband, war
eine heftige Abneigung gegen die Mathematik. Leidenschaftlich unterpunkteten
wir gemeinsam in fast jeder Klausur. „Franziska, Oanellaaa: i woaß ja dass ihr
zwei nur daherin seids, weil’s warm is‘, aber dann seids bittschön a bisserl
leiser.“, selbst unser Lehrer hatte sich damit abgefunden, dass wir das Reich
der Zahlen nie spannend finden würden. Also duldete er uns im Unterricht. Während
die Superbrains der ersten Reihe also eine krasse Performance nach der anderen hinlegten,
machten wir hinten unsere traditionelle Mathe-Brotzeit und betrachteten das
Schauspiel, von dem wir nur wenig verstanden.

Wenn es das Scheitern auf mathematischem Gebiet nicht
gegeben hätte, würden Franzi und ich heute vielleicht nicht zusammen im Zug
sitzen und uns auf das Sommerwochenende freuen. Mathe hatte also auch etwas
Positives. Geteiltes Leid ist halbes Leid. In unserem Fall entstand hieraus
eine Freundschaft. Ich weiß nicht mehr genau wann es war (und auch nicht
warum), aber irgendwann begann ich mit der Italianisierung ihres Namens. Als
Franzi in Australien süße Koalas streichelte, fingen meine Nachrichten immer
mit: „Liebe Francesca…“ an und endeten meistens mit: „Du fehlst.“
Ja, meine Francesca fehlte sehr. Sie hat nämlich diese wundersame Gabe, meine
Gedanken anhand meiner Blicke zu identifizieren. Das macht so vieles einfacher,
ist aber auch unheimlich, das muss ich zugeben. Sie kennt mittlerweile auch die
unschönen Seiten meiner Persönlichkeit und hat mich trotzdem gern. Das
Schönste: Als sie nach einem Jahr wieder zurück war, fühlte sich an, als ob sie
nie weg gewesen wäre.

Franzi alias Francesca hat mit mir in Trento natürlich den
Jackpot geknackt, denn alle Gespräche auf Italienisch, im
Hotel, am Ticketschalter im Museum, oder beim Essen bestellen

übernehme ich. Nachdem Franzi meine
Gedanken gelesen hat, bestellen wir am vorletzten Abend in Trento eine Pizza
mit Spinat und Ricotta und teilen sie uns. Die Sonne ist schon hinter den
Bergen untergegangen, aber es weht immer noch eine warme Sommerbrise über den
Platz auf dem wir sitzen und genüsslich essen. Und da sitzen wir also, erinnern
uns an die Schulzeit. Lachen. Essen. Ich höre Franzi zu, wie sie mir erzählt,
von ihrem Studium. Sie studiert Gebärdensprachdolmetschen und wenn sie davon
spricht spüre ich die Leidenschaft, die sich dahinter versteckt. So zieht sich
mich immer wieder in den Bann. Am faszinierendsten sind ihre Geschichten aus
Äthiopien. Dort hat sie für ihr Studium mehrere Wochen in einer
Gehörlosenschule verbracht.

Es ist spät geworden. Wir holen uns noch ein Eis und
schlendern zurück ins Hotel. Den ganzen Weg über unterhalten wir uns. Über
unsere Zukunftsträume, aber auch über Ängste und Sorgen und meine nervige
Hausarbeit, die sich einfach nicht von alleine schreiben will. Im Hotelzimmer
angekommen machen wir noch kurz Pläne für den nächsten Tag, dann liegt jeder
schon in seinem Bett. Es ist still geworden in unserem Zimmer. Während Franzi
noch in einer Zeitschrift blättert, habe ich mein Buch weggelegt und bin schon
fast eingeschlafen. Wir haben nicht mehr viel gesprochen. Außenstehende würde
das jetzt vielleicht seltsam finden: Zwei Mädels, die nicht bis tief in die
Nacht quatschen? Ja, so etwas gibt es. In einer Freundschaft muss man auch
zusammen schweigen können.

Hinter uns liegen unbeschwerte Tage, eine schöne
Berglandschaft und viel gutes Essen. Es ist der letzte Tag in Trento und wir
kaufen im Supermarkt noch ein bisschen Proviant für die Rückreise ein. Am
Bahnhof in München verabschieden wir uns mit einer festen Umarmung. Als ich
abends zuhause meinen Koffer auspacke, schreibt mir Franzi per WhatsApp: „Gute
Nacht meine Liebe, waren schöne Tage. Wiederholungsbedarf! Schlaf gut, Busserl
von deiner Francesca.“

Ich grinse. Sie hat die Italianisierung bestens angenommen.

Text: Ornella Cosenza

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Im Namen der Freundschaft

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Man nehme den Namen einer Person im Raum und wandle ihn in Wörter sämtlicher Vokabulare um. Das Eis für eine neue Freundschaft ist gebrochen – So zumindest in der Geschichte unserer Autorin.

Ich habe das große Glück, eine Freundin namens Agnes zu
haben. Ich finde sie bezaubernd, aber noch viel bezaubernder finde ich ihren
wandlungsfähigen Namen. Kennengelernt habe ich sie während meines letzten Schuljahres
und ausschlaggebend für mein anfängliches Interesse an ihr war ihr schöner,
kurzer Name.

Agnes saß immer rechts hinter mir und an einem besonders
langweiligen Schultag drehte ich mich zu ihr um und fragte sie, ob ihr bewusst
sei, dass in dem Wort „agil“ ihr kompletter Spitzname „Agi“ enthalten sei. Sie
grinste über meinen schlechten Wortwitz, aber ihr Lächeln war aufrichtig. Ich
sah das als willkommene Einladung, ihr künftig weitere Namensvorschläge
unterbreiten zu dürfen. Je öfter ich mich umdrehte und je kreativer ich wurde,
desto mehr entstand ein leises Bündnis zwischen uns, das sich in den vergangenen
Jahren zu einer stabilen Freundschaft manifestiert hat.

Aus anfänglichen Unterhaltungen in der Biostunde wurden
ausgefeilte und seitenlange Lokalisteneinträge mit neuen Namensvorschlägen für
den Plural (Agen und Agnessen).Vor allem unsere Gruppenarbeiten in Englisch
nutzten wir, um neue Namen zu kreieren: Von lateinischen Begriffen wie „agitare“
über Nomen wie „M(agnes)ium“, „Agitator“, „Argonaut“, bis hin zu Verben wie „agieren“
und „diagnostizieren“. Unser persönlicher Favorit ist und bleibt „Agoraphobie“,
was übersetzt „Platzangst“ bedeutet. Manchmal weiß ich nicht so genau, ob sie
tatsächlich so eine unbändige Freude wie ich daran hatte, neue Namen zu
erfinden. Jedoch gab sie mir stets ein anerkennendes Gefühl, ähnlich wie eine
Mutter, die ihr Kind bei einem Sportturnier anfeuert. Irgendwann fingen wir an,
miteinander feiern zu gehen und auch über andere Dinge als Namen zu reden. Es
entwickelte sich eine tiefgehende Freundschaft. Trotzdem behielten
wir unsere Namenserfindung bei. Agi hat es sich beispielsweise nicht nehmen
lassen, sich auf meinem Abi-Shirt mit „Agoraphobie“ zu verewigen und in meinem
dritten Semester an der Uni kreiste sie in meiner unkorrigierten Hausarbeitsfassung
über das Mittelalter sämtliche Wörter wie „Agonie“ und „agonieren“ ein, wofür
ich ihr heute noch dankbar bin. Vor lauter Stress hätte ich diese beiden Wort-Schätzchen
glatt übersehen.

Wir treffen uns auch heute noch regelmäßig, aber neue
Kosenamen gehören längst nicht mehr zu unseren Hauptthemen. Hin und wieder
fällt uns dann doch wieder ein hübscher Name ein, was uns wiederum daran
erinnert, wie diese langjährige Freundschaft einst begann. Erst neulich habe
ich irgendwo das Wort „Anagnorisis“ (griechisch für Wiedererkennung) gelesen.
Ich werde Agi am Wochenende darauf hinweisen.

Text: Barbara Forster

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen Der Freundschaft: Skype und Whatsapp

Distanz ist auf Dauer oft ein Freundschafts-Killer. Unsere Autorin ist davon überzeugt, dass Skype und Co. zwar kein Ersatz für physische Nähe sind, aber immerhin eine stabile Alternative sein können.

„Haaallooo was machst du?“,
brüllt Vale hellwach und gut gelaunt ins Telefon. Ich bin überhaupt nicht gut
gelaunt und wach bin ich eigentlich auch noch nicht, denn es ist 7 Uhr morgens in
England. Ich versuche mich aus dem Bett zu quälen um dem Klischee einer Austauschstudentin
nicht gerecht zu werden und pünktlich in die Uni zu kommen. Vale war gerade auf
einer Party in Quito, wo er sein Auslandsjahr verbringt, und will berichten.
Mir ist das zu früh für so eine Art von Gespräch, also verschieben wir das.

Ich kenne Vale seit dem ersten
Semester und er war mir sofort sympathisch. Schon immer haben wir viel zusammen
gelacht, gemeinsam über nervige Gäste von unseren Nebenjobs in der Gastronomie gelästert
oder Theorien über das Seelenleben von Pflanzen aufgestellt. Es gibt wenige
Menschen mit denen ich all meine Gedanken teilen kann, egal wie schlau oder
nicht-schlau, ohne Angst zu haben müssen, dass ich dafür verurteilt werde.

Es ist Wochenende, wir
versuchen es noch einmal. Vale hat gerade gefrühstückt, in Quito ist es auch
erst 12 Uhr mittags, bei mir ist es schon wieder dunkel. „Ich weiß nicht mehr
wie der Akkord heißt, aber am besten hältst du die Gitarre so“, versuche ich zu
erklären, als ich ihm über Skype zeigen will wie man „Anyone Else But You“ von den
Moldy Peaches spielt. Dass mehr als 9.000.000 km, 7 Stunden und der Atlantik
zwischen uns liegen, merke ich erst als Vales fragendes Gesicht auf meinem
Laptop einfriert, weil meine Mitbewohnerin gerade mit ihren Großeltern in
Armenien skypet.

Durch die Distanz sind Vale und
ich, was unsere Freundschaft betrifft, einfach kreativer geworden. Selbst unsere
gemeinsamen Filmabende haben bisher nicht unter der physischen Entfernung gelitten.
Wir drücken gleichzeitig auf Play, parallel äußern wir unsere Gedanken dazu
dann eben einfach per Textnachricht. Ich würde sagen, das ist fast schon
romantisch, andere wären vielleicht eher genervt, wenn das „hahaha“ per
Nachricht schon kommt bevor man den Witz überhaupt gehört hat.

Wenn mich das Leben mal
überfordert, dann treffe ich mich normalerweise mit Vale. Mit seiner
entspannten und sorglosen Art öffnet er mir ein Bier mit einem Feuerzeug, weil
ich das nicht kann, und sagt, dass alles schon irgendwie laufen wird, sodass
die Welt vorerst wieder in Ordnung scheint. Inzwischen trinke ich kein Bier
mehr, sondern nur noch Wein mit Schraubverschluss und das aufmunternde Lachen
kommt trotzdem noch, nur eben nicht mehr sofort.

„In der Uni lernt man seine
Freunde fürs Leben kennen“, hat uns ein älterer Student an unserem ersten
Uni-Tag prophezeit. Dass wir uns mit 80 in dasselbe Altersheim stecken lassen,
ist schon versprochen, aber man kann das vorher ja nie so genau planen. Die
gemeinsamen Momente, wenn man nachts um die Häuser zieht oder sich beim
Italiener eine Pizza teilt, werden auf jeden Fall seltener werden. Trotzdem werde ich auf dem nächsten Radiohead-Konzert ohne Vale seinen
Lieblingssong „Creep“ einfach aufnehmen und ihm via Whatsapp schicken. Das
gemeinsame Mitgrölen kann man dann ja auch über Skype nachholen, vorausgesetzt
die Internetverbindung lässt es zu.

Text: Gabriella Silvestri

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Abgeschweift

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Es gibt diese Menschen, die sich in tausenden Kleinigkeiten verlieren, wenn sie doch eigentlich nur eine Sache erzählen wollen. Und kein Mensch schweift so gut ab wie ihr guter Freund Severin, meint unsere Autorin

Die
Ausschweifung wird immer länger. Ich sehe es kommen, aber ich habe keine Angst
davor. Nach zehn Minuten Exkurs sieht mich Severin an, schüttelt kurz den Kopf
und sagt seinen Satz: „Sorry, ich schweife voll ab. Schon wieder.“ Und ich sage
meinen Satz: „Kein Ding, ich bin noch voll dabei.“ Diesen Moment gibt es in
jedem unserer Gespräche.

Ausgangspunkt für die Ausschweifung war
ursprünglich meine Frage, was Severin seiner Freundin zum Geburtstag geschenkt
hat. Mittlerweile sind wir aber bei dem Konzert des Bach-Chors angekommen, mit
dem er an diesem Abend auftreten wird. Und davor hat er mir seine
Arbeitssituation am Lehrstuhl erklärt, nicht ohne einen Umweg über das geplante
Zeltlager der Kolpingjugend einzuschlagen, das er gerade organisiert. Auf das
Geschenk warte ich noch. Aber das ist normal. Wenn Severin etwas erzählt, dann
erklärt er jede Facette der Geschichte und welcher Umstand zu welchem Ereignis
geführt hat, um letzten Endes zu einem großen, alles erklärendem Fazit zu
gelangen.

Ich vermute, dass er deswegen oft gesagt
bekommt, er solle mal zum Punkt kommen. Vielleicht entschuldigt er sich deshalb
auch jedesmal wieder, wenn er abschweift, wenn seine Ausführungen immer länger
und immer verwinkelter werden. Aber genau das mag ich an ihm. Nicht nur weil
ich weiß, dass am Ende alles einen Sinn ergeben wird, dass er irgendwann sagen
wird: „Aber was ich eigentlich erzählen wollte…“, dass der Kreis sich
schließen, der Schweif in einer runden Geschichte verblassen wird, wie ein
Kondensstreifen am Himmel. Sondern ich mag es auch, weil die Art, wie er seine
Geschichten erzählt, die ohne die Ausschweifung vielleicht nur ganz kleine,
unbedeutende Nebensächlichkeiten wären, einen Blick auf seinen Charakter
zulässt.

Durch seine Geschichten wird mir immer
wieder klar, dass Severin einer der umsichtigsten, treuesten, aufrichtigsten
und sensibelsten Menschen ist, die ich kenne. Wenn ich einmal drei Monate
nichts von ihm gehört habe, kann ich mir eigentlich sicher sein, dass ich
früher oder später eine fünfmal Bildschirm-Größe-lange Whatsapp-Nachricht
erhalte, die zu zwei Dritteln aus einer Entschuldigung mitsamt Erklärung
besteht, warum er so lange nichts hat von sich hat hören lassen, und zu einem
Drittel aus Fragen, wie es mir geht. Im besten Fall beinhaltet sie außerdem
noch einen Vorschlag für das nächste Treffen.

Und dann sitzen wir irgendwo beim Teetrinken
oder Mittagessen und erzählen, was uns so beschäftigt. Wenn Severin einen Schweif
beendet hat, setze ich an. Nach zehn Minuten sehe ich ihn an. Schüttle kurz den
Kopf und sage meinen Satz: „Sorry, ich bin mir gerade nicht sicher, ob das so
viel Sinn ergeben hat – weißt du, was ich meine?“. Und Severin lächelt und sagt:
„Ja, ich glaube schon.“ Nein, nicht nur Severin schweift aus und schweift ab,
auch ich tue das. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass ich noch viel von ihm
lernen kann, was sortierte Schweif-Führung angeht, denn meine Gedanken
vereinen sich nicht immer zu einem großen, allumfassenden Fazit. Aber die
Tatsache, dass Severin mich meistens trotzdem versteht, gibt mir Hoffnung, dass
ich irgendwann so gut werde wie er.

Text: Theresa Parstorfer

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Nah und fern

Reisen verändert. Nicht nur die eigene Wahrnehmung von den Dingen die einen umgeben. Auch Freundschaften, die auf einer Reise entstehen, heben sich oft von anderen ab. So ein Kennenlernen hat unsere Autorin erfahren, auf einer Reise durch Thailand

19. Dezember 2016, 10:00 Uhr, Flughafen München, Terminal 2:
Ich starre gespannt auf die Anzeigetafel der Arrivals. Die Air Canada 846
verspätet sich um eine Stunde. Ich bin aufgeregt und kann zugleich meine
Vorfreude kaum verbergen. Vor fast genau einem Jahr öffneten sich für mich die
Türen des Terminals nach 3 Monaten Asien. Liebevoll und unter Tränen der Freude
wurde ich von meine Liebsten empfangen.

Im Flughafengetümmel lasse ich mich von meinen Erinnerungen
treiben. Neben mir Menschen, die sich in die Arme fallen, sich küssen, zusammen
weinen, spüren, wieder vereint zu sein.

Und gleich soll es mir genauso gehen. Nach fast einem Jahr soll eine meiner
besten Reisebekanntschaften aus meiner Zeit in Asien landen: AJ, eine junge New
Yorkerin, die das Leben liebt und gerne lacht. Sie ist so ganz natürlich sie
selbst, manchmal tollpatschig, immer ehrlich, immer offenkundig an Jedem und
Allem interessiert.
Wie wird unser Wiedersehen wohl aussehen? Was wird uns erwarten?

Ich blicke ein weiteres Mal sehnsüchtig auf die
Anzeigetafel. Eine weitere Stunde Verspätung. Ich denke über AJ und unsere
Freundschaft nach.

Zu gerne erinnere ich mich an unser erstes Kennenlernen zurück. Es war eine ganz besondere Begegnung. Mit anderen Freiwilligen verbrachten wir unseren ersten Abend in Chiang Mai auf einem der wundervollen Märkte. Künstler der ganzen Stadt trafen sich hier um ihre Kunstwerke an den Mann zu bringen. Der Duft von thailändischem Essen, die Livemusik im Hintergrund und die vielen verschiedenen Künstler schafften eine ganz eigene Atmosphäre. Fasziniert von den fremden Eindrücken, riss mich AJ plötzlich mit den schiefen Klängen einer Ukulele aus den Gedanken. Sie konnte nicht Gitarre spielen und auch nicht Singen. Da stand sie nun, musizierte, lachte und fragte mich wie ich die Ukulele denn fände und ob ich nicht auch mit ihr spielen wollen würde. Ich lies mich von ihr mitreißen. Wir probierten uns durch den ganzen Laden. So richtig verstanden habe ich nicht, warum man sich eine Ukulele aus Thailand nach Amerika mitnehmen wollte. Es muss nicht immer alles Sinn machen, um Spaß zu machen, meinte AJ zu mir. So tanzten wir noch den ganzen Abend lebensfroh über den Markt und ließen uns vom Nachtleben treiben. Zwar ohne Ukulele, aber mit dem Gefühl, den Beginn einer Freundschaft gefunden zu haben. Vor fast genau einem Jahr feierten
wir dann meinen Geburtstag  mit Singha Bier
und Pizza aus dem Wok. Weihnachten zelebrierten wir unter Palmen mit Plätzchen
aus der Heimat. Es war die beste Zeit meines bisherigen Lebens.

Auch wenn wir uns nicht täglich sehen und wenn wir wissen,
dass ein Wiedersehen nach nur fast einem Jahr über diese Distanz nicht selbstverständlich
ist, so wissen wir doch, dass unsere Freundschaft etwas ganz Besonderes ist und
wir immer aufeinander zählen können. Wir haben uns unter besonderen Umständen
kennengelernt. Eine Begegnung, wie es das Schicksal wollte. Wir fühlten uns miteinander
verbunden. Auf derselben Wellenlänge getragen. Ich war zu Beginn die
Vernünftige, AJ das pure Leben. So blieb die Ukulele auf meinen Rat in
Thailand, unserer peinlicher Auftritt an jenem Abend aber für immer in unserer
Erinnerung.

12:00 Uhr: Die Türen des Terminals öffnen sich. Hinaus
strömt eine ganze Menge an unterschiedlichen Menschen. Inmitten der Menge eine
kleine New Yorkerin mit viel Gepäck und einem Strahlen im Gesicht. Ich spüre
unsere unveränderte Verbundenheit in unserer langen, innigen Umarmung inmitten
des Flughafengetümmels, inmitten all der unvergesslichen Erinnerungen. Seit
wenigen Tagen ist AJ wieder in Amerika und wir fühlen uns noch immer verbunden.
Und wer weiß,
vielleicht geben wir eines Tages tatsächlich noch ein Ukulele-Konzert als Zeichen unserer Freundschaft.

Text: Laura Schurer

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: 14 Zentimeter

Auch wenn das Leben selten geradlinig verläuft, eine Konstante war unserer Autorin bisher immer sicher: die 14 Zentimeter Größenunterschied zu ihrer Freundin Verena. Ein neuer Text unserer Kolumne “Zeichen der Freundschaft”.

14 Zentimeter, die unsere Köpfe voneinander trennen. Eine Distanz, die seit zehn Jahren besteht. Trotz unterschiedlichen Wachstumsphasen, die 14 Zentimeter sind auf jedem Foto zu sehen. Ich war mein Leben lang einen Kopf größer als alle anderen, das verschaffte mir meistens einen Vorteil. Ich hatte immer den Überblick, vor allem über Menschen. Vielleicht entdeckte ich Verena gerade deshalb am ersten Wandertag der neuen, weiterführenden Schule – auch wenn sie damals wahrscheinlich so groß war wie ein Billiardschläger lang. Von diesem Moment an lernten uns die Menschen nur im Doppelpack kennen und für die Lehrer waren wir sicherlich ein lustiges Duo. Selbst ich fühlte mich manchmal an Dick & Doof erinnert.

Wer dabei welche Rolle übernahm, sei dahin hingestellt. Doch wunderte ich mich einige Male wie dieses kleine, schlanke Mädchen mit der Turner-Figur so viel essen konnte wie ich –breite Statur, mit mehr Kraft als Eleganz. Doch Verena aß auch um einiges gesünder als ich.

Statt der Schokolade, die bei mir daheim obligatorisch nach dem Essen war, gab es Obstsalat. Statt dem Schokoadventskalender bekam Verena einen Tee-Kalender und statt Spezi gab es Wasser aus der Leitung. Lange vor der heutigen Zeit von Veganismus und Clean-Eating prägte mich diese Umstellung. Die Krönung unserer Schlemmerzeit war übrigens die „Kühlschrank-Flatrate“, die mir von ihrer Familie lebenslang zugesprochen wurde und von der ich noch heute Gebrauch mache. 

Unser Größenunterschied war auch ein Grund, wieso wir uns so fabelhaft ergänzten. Beim Fußball der Schulmannschaft waren wir eine hervorragende Abwehrkette – ich schnell, sie flink. Wenn wir unterwegs waren und uns in der Menge verloren, wartete ich nur darauf, dass sie mich wieder fand. Ich holte ihr in Kleidungsgeschäften Dinge von hohen Stangen herunter und sie gab mir das Gefühl, persönlich zu wachsen. Während sie im Europapark noch nicht groß genug für die Achterbahnen war, war ich zu feige. Doch das machte nichts – unseren Spaß hatten wir sowieso. Einmal bauten wir uns sogar ein Rad mit einem weiteren Sattel auf dem Gepäckträger und fuhren damit herum. Und obwohl ich meistens hinten saß, durfte ich nicht einfach nur faulenzen. Meine Beine waren lang genug, um zu den Pedalen zu kommen und so musste auch ich meinen Teil zur Fortbewegung beitragen. Ein Sinnbild für unsere Freundschaft – sie lenkte, ich gab Antrieb.

Letztens feierten wir Verenas 21.Geburtstag, drei Monate vor meinem eigenen. Auf den Fotos sieht man immer noch: 14 Zentimeter Größenunterschied. Er wird bleiben, denn wir sind ausgewachsen. Ein gutes Zeichen für mich – ich bleibe die Größere.

Text: Sandra Will

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Unser Sommer

Unter besonderen Bedingungen entstehen oft auch besondere Freundschaften, meint unsere Autorin. Und wenn das, was einen früher zusammengehalten hat, nicht mehr ist, dann wird es Zeit für einen Neuanfang. Zeit für Band zwei.

Es ist 2 Uhr morgens und wir sitzen zusammen im Bus. Heimweg. Draußen schneit es und ich bin
müde, ein wenig neben mir stehend. Die Party ist noch lange nicht vorbei, doch wir sind fertig für
heute. Noch schweigen wir, sind beide in unsere eigenen Gedanken vertieft. Nach einigen Minuten
beendet mein heiseres Flüstern die Stille: „Irgendwie vermisse ich das, weißt du? Die Sommerzeit,
die vielen müden Sonntage, die Augenringe, diese Alles-Egal-Haltung, manchmal sogar den
ätzenden Liebeskummer, die Gefühle und Gedanken.“ – ein kurzes Schweigen folgt bevor Lara
antwortet: „Ich irgendwie auch.“
Ohne meiner Freundin in die Augen zu schauen, weiß ich ganz genau an was sie gerade denkt.
Wir erinnern uns, jede für sich. An die vielen Nächte, die sich bis in den nächsten Morgen zogen,
an unsere Mitternachtsgespräche oder an Katersonntage mit Kaffee, Obstsalat und Sonnenschein.
An unseren Sommer. 

Lara und ich kennen uns noch nicht all zu lange, dafür aber schon sehr, sehr gut. Irgendwie war da
mal die Rede von Mathenachhilfe und einige Monate später saßen wir um ein Uhr morgens
zusammen auf der kleinen Terrasse, tranken Weißwein und sprachen über das Leben, die Liebe
und den Sommer. Das war Zufall. Glück im Unglück. Zwei Mädchen, eine Menge Liebeskummer
und etwas zu ernst genommenes Drama. Das Ende der Klausurenphase und der Wunsch, einfach
Mal loszulassen. Jung zu sein. Unzählige Nächte haben wir durchgefeiert, solange getanzt bis die
Füße weh taten. Am nächsten Morgen dann Geschichten erzählt. Wochenende für Wochenende.
Wie unter Strom. Erinnerungen in Bildern fest gehalten. Selfie, Smile, Klick! Alles ist gut! Wir sind
jung, wir sind frei und lebendig! 

Doch irgendwie war vieles davon nur Ablenkung, Show. Denn wenn es ein Uhr, zwei Uhr, drei Uhr
morgens wurde und wir zusammen auf der kleinen Terrasse saßen, da war es nach langer Zeit Mal
wieder still um uns herum. Ein letzter Atemzug, Zigarettenqualm und ich sah meiner besten
Freundin in die Augen. Wurde ehrlich und lies die Maske fallen. Wir saßen oft so da und schütteten
Herz und Kopf aus. Weil wir einander verstanden, nachempfinden konnten, was die andere gerade
durch machen musste. Das waren die ehrlichen Momente zwischen den lauten Abenden und dem
Lachen, das oftmals aufgesetzt war. Zusammen lernten wir Stärke zu beweisen. Fassaden zu
bauen. Reichten einander das nötige Werkzeug dafür. Doch mit dem Herbst kamen
Veränderungen und wir schlossen gemeinsam unser Sommerbuch, zogen Schlussstriche, trafen
letzte Entscheidungen, um mit einem neuen Band zu beginnen. 

Band zwei sozusagen. Denn uns steht das letzte Schuljahr bevor. Man kann ganz oft das Wort
„Abitur“ lesen und viele Fragezeichen schmücken die noch leeren Seiten. Das werden andere
Geschichten, vielleicht ein Stück weit erwachsener und weniger traurig. Ohne Show und ohne
Fassaden. Ohne so viele Tränen. Hoffentlich. Doch auch wenn wir den Sommer oft vermissen und
es nun 2 Uhr morgens ist und draußen weiße Flocken auf den Boden fallen, so wissen wir, dass es
wichtig war etwas zu beenden, um einen Neubeginn zu wagen. Also machen wir weiter, mit Band
zwei und vielen neuen Protagonisten in unserem Buch. Mit neuen Hürden und einem neuen
Sommer. Und es wird wieder Augenringe geben, Nächte die im Morgengrauen enden und Lara
und mich mit jeder Menge Fotos und Geschichten.

Text: Anastasia Trenkler

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Zwei Wochen

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Ein Fremder ist nur ein Freund, den du noch nicht getroffen hast. Selten spüren wir das so intensiv wie auf Sommerfreizeiten. Genau dort hat unsere Autorin Aisha kennengelernt. Über die Entstehung einer besonderen Freundschaft.

Wir stehen am Bahnhof. Ich habe Aisha noch zu ihrem Gleis
gebracht, weil ihr Zug früher fährt als meiner. Jetzt warten wir. Sie erzählt,
dass ihr Bruder sie dann vom Bahnhof abholt. Und ich so: Du hast einen Bruder?
Hast du eigentlich noch andere Geschwister? Was machst du eigentlich so in
deiner Freizeit? Und dann fangen wir an, über Geschwister und Haustiere und
Hobbies zu reden. Dinge, über die man normalerweise im ersten
Smalltalk-Gespräch redet. Dinge, die wir alle noch nicht voneinander wussten.
Da standen wir nun also und führten kurz vorm Abschied unser erstes Gespräch
über die Realität, in die wir jetzt beide fahren würden.

 Zwei Wochen lang hatten wir uns da schon gekannt. Zwei
Wochen, die wir auf einer Sommerfreizeit zusammen mit 50 anderen Jugendlichen
aus der ganzen Welt verbrachten.

 Aisha begegnete ich gleich am Anfang: Beim ersten
Kennenlern-Spiel. Da war sie noch zurückhaltend und still. Und ich lernte nur,
dass sie aus Italien kam und ihr Lieblingsessen Pizza war. Dann stellte sich
raus, dass wir in nebeneinander liegenden Zimmern wohnten. Und beim ersten
Abendessen überlegten wir zusammen, wie wohl unsere noch nicht angekommenen
Zimmermitbewohnerinnen sein würden. So viel Zeit verbrachten wir ab da
miteinander und schnell war sie nicht mehr die zurückhaltende sondern die
aufgedrehte, fröhliche Aisha. Oft gingen wir zusammen in den Garten und ich
schaute ihr dabei zu, wie sie vergeblich versuchte in die Hängematte dort zu
klettern, die sehr wacklig über dem Bach angebracht war. Wir liefen zusammen
zum Supermarkt, ich übersetzte und half ihr die richtigen Sachen zu finden und
dann daraus Pizza zu backen. Wir saßen draußen in der Sonne und alberten herum.
Denn mit Aisha konnte man immer lachen. Wir gingen zusammen Second-Hand-Shoppen
und probierten viel zu große Männerjeansjacken an. Sie lackierte mir die Nägel,
schminkte mich. Sie tröstete mich, als ich traurig war: redete mit mir, umarmte
mich. Ich wartete nachts noch lange auf sie, als sie wegen einem kleinen Unfall
im Krankenhaus war und kümmerte mich dann um sie. Wir diskutierten, wir
redeten, wir lachten.

Wir waren wie in einem anderen Universum, in einer eigenen
Welt. Wir unterhielten uns nicht über die Realität außerhalb. Vielleicht weil
wir wussten, dass wir früh genug in sie zurück kehren mussten. Das ging wohl Allen
so und trotzdem war es mit den anderen anders. Mit ihnen hatte ich über ihr
Leben, über mein Leben geredet. Aber mit Aisha hatte ich so viel geredet, so
viel erlebt, so viel gelacht; unser Leben vor diesen zwei Wochen war unwichtig,
wir waren da. Über was davor war redeten wir erst beim Abschied. So viel habe
ich in diesen zwei Wochen gelernt. Vermutlich hätte ich davor noch nicht mal
gedacht, dass man in zwei Wochen, überhaupt Freundschaften schließen kann. Und
dann auch noch eine so besondere.

Text: Mariam Chollet

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Moderne Brieffreundschaft

Natürlich ist es das Schönste, seinen Freunden im hier und jetzt hautnah gegenüberzustehen. Doch was, wenn diese Momente alltagsbedingt zur Seltenheit werden? Was man sich früher in seitenlangen Briefen zu sagen hatte, lässt sich heutzutage ganz einfach in Sprachmemos verpacken.

Ende der Konferenz. Noch in Gedanken versunken tippe ich auf
meinem Smartphone herum und warte bis Anna ran geht: „Schon fertig? Wo sollen
wir uns treffen?“

Als ich an der Fraunhoferstraße aussteige, sehe ich schon von
Weitem ein Mädchen mit braunen Locken auf mich zu laufen. Ein breites Grinsen
im Gesicht. Es fühlt sich gut an eine meiner besten Freundinnen wieder in den
Arm zu nehmen. Früher sind wir jeden Morgen zusammen zum Bus gelaufen, nun
treffen wir uns nur noch ein paar Mal im Monat und füttern uns während der
Woche mit viel zu langen Memos via WhatsApp, in denen wir uns gegenseitig von
unserem Alltag erzählen.

Wir sitzen auf einer kleinen Terrasse, bestellen beide einen
Cocktail und genießen einige letzte Sonnenstunden. Wir setzen unser Gespräch
fort, welches wir heute Morgen als Sprachnachricht begonnen hatten. Nun in
„Reallife“ versteht sich. So nennen Anna und ich es immer, wenn wir es doch Mal
schaffen uns von Face-to-face zu sehen, wie es unter Freunden eigentlich normal
ist. Immer dann, wenn wir nicht nur auf unsere moderne Art der
Brieffreundschaft zurück greifen. Denn auch wenn ich mich an diese
Kommunikationsform gewöhnt habe, so ist es doch etwas ganz Anderes das schöne Lachen
meiner Freundin nun zu sehen und nicht nur hören zu können. 

Doch egal ob als Audio oder nun im „Reallife“, unsere Gespräche
sind dieselben, wie schon damals auf dem morgendlichen Weg zum Bus: verdammt
ehrlich, viel zu nachdenklich, überaus amüsant und geprägt von immer noch derselben
jungendlichen Leichtsinnigkeit und Lebensfreude. Vielleicht nur ein Stück weit
erwachsener.

Die Gesprächsthemen wollen uns einfach nicht aus gehen. In
wenigen Minuten muss ich zur S-Bahn. Anna drückt mich noch einmal fest und wir
verabreden uns für’s nächste Mal. Eine Woche später. Vielleicht auch zwei. Im
„Reallife".

Montagmorgen wache ich auf und greife nach meinem Handy. Lächelnd
entdecke ich eine vierzehn minütige Audio in meinen WhatsApp Kontakten. Ich
höre mir an, was Anna zu erzählen hat. Nebenbei notiere ich mir Stichpunkte, um
in meiner Antwort-Memo auch ja nichts zu vergessen. Nach 14 Minuten steht auf
meiner Liste: Detox-Plan, Klausurenphase, Wiesnzeit und noch einige Namen von
Personen, die sie in ihrer Sprachnotiz erwähnt hatte. Nach der Schule spicke
ich kurz und beginne zu antworten. Viel zu lange 18 Minuten.

Immer zu werden unsere Memos belächelt und doch sitze ich
mehrmals die Woche alleine in meinem Zimmer und quatsche in mein Handy, erzähle
von banalen Kleinigkeiten, wie dem neuen YouTube-Video, das ich neulich erst
entdeckt habe und der stressigen Prüfungszeit.

Diese moderne Art der Brieffreundschaft ist ganz schön praktisch,
aber nichts im Vergleich zu unseren Treffen im realen Leben. So freut es mich
jedes Mal aufs Neue, das Lachen meiner Freundin auch zu sehen und nicht nur
hören zu können.

Von: Anastasia Trenkler

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Nachtschwärmer

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Zwei Freunde, die sich gerne gegenseitig auslachen und gemeinsam durch die Nacht ziehen. Und das wird immer dann besonders schön, wenn die Bar zu hat. Wenn man nicht so recht weiß, wohin.

Licht aus. Noel klopft an die mit Stickern übersäte Holztür.
Sie ist abgeschlossen. Licht aus. Ich springe vom einen Bein aufs andere, weil
mir so kalt ist. Ein zu langer Spaziergang durchs Glockenbachviertel, davor zu
viel Hirschkuss an der Reichenbachbrücke, der uns jetzt auch nicht mehr warm
hält. Und jetzt das. Wie zwei Ausgestoßene stehen wir auf dem kalten
Bordsteinpflaster. Blicken in den leeren, dunklen Couch Club.

Es ist Montagabend, Geisterstunde. Die meisten Menschen
sitzen zu diesem Zeitpunkt wohl gemütlich vor einem flimmernden Fernseher, eine
Riesentasse heiße Schokolade in den Händen. Aber Noel und ich, wir können das
nicht. Wenn sich die Menschheit hinter den eigenen vier Wänden verschanzt,
beginnt unser nächtliches Abenteuer. Die Zeit mit ihm wird immer zu einem heimatlosen
Streifzug durch verlassene Straßen und Plätze, durch alte Geschichten und ferne
Zukunftspläne, zu unbekannten Menschen oder Orten. Viele dieser Abende haben
sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Weil es eigentlich noch nie zweimal denselben
gegeben hat.

Noel und ich kennen uns schon seit der F-Jugend und trafen uns dann Jahre später im Tischtennis-Verein wieder. Doch erst seit dem ersten Nachmittag auf dem Bolzplatz mit anschließender Mario-Kart-Runde sind wir ein wenig unzertrennlich geworden. Er lacht mich gerne aus.  Wenn ich mal wieder zugeben muss, dieses oder jenes vergessen zu haben oder erneut einen phänomenalen Fehlpass im Fußball schlage.  Und ich lache dann immer mit. Weil wenn Noel lacht, klingt das ein wenig wie ein aufgeblasenes Nilpferd mit Schluckauf. Ich verstehe seine Art des Durchgeknalltseins, weil ich auch ein bisschen so ticke und wir oft denselben Drang nach Alltagsflucht verspüren.

Im vergangenen Sommer trafen wir uns regelmäßig abends an
der Isar und setzten uns bei willkürlichen Lagerfeuerrunden mit dazu. Erkauften
uns quasi die Gesellschaft mit mitgebrachtem Bier und Rum-Cola. Dann kam der
Herbst. Es zog uns beide raus in die Welt- ihn nach Australien und Thailand. Mich
nach Ostafrika. Doch schon vor unserer Rückkehr ist uns klar gewesen, dass wir
unser Nachtritual fortsetzen müssen. Das schönste am Verreisen ist doch, wiederzukommen
und zu merken, dass sich eigentlich nichts verändert an der Freundschaft. Trotz
all der Monate und all der Kilometer.

An der Isar sind wir nun kältebedingt die einzigen. Als die
Flasche Hirschkuss leer ist und unser Brennstoff verpufft machen wir uns auf,
durch ein ausgestorbenes Montagnacht-München. Über unendliches
Kopfsteinpflaster, auf dem wir beide so viel Leben finden können. Ich glaube
wir sind gleichermaßen ein wenig mehr Nachtschwärmer als Tagdenker. Wir  finden genau dann immer so richtig zueinander
wenn die Bar überraschend zu hat und der weitere Verlauf des Abends völlig
unklar ist. Mal laufen wir stundenlang an Laternenlichtern vorbei, in jenen
spätnächtlichen Gesprächen über Philosophie vertieft. Oder es verschlägt uns an
die alten Bahngleise beim Schlachthofviertel.
Dort steht immer irgendeinen alten Güterzug auf dem Abstellgleis, auf
dem man wunderbar Sterne gucken kann.  

Mit Noel durch die Straßen zu streifen, ist wie dem Pendel
der Zeit beim Innehalten zuzusehen. Alles wirkt dann deutlich langsamer,
verläuft so viel ungeplanter wie sonst. Es gibt ja dann immer noch die eine
Seitenstraße, die noch interessanter wirkt als die davor. Und die davor. Und so
setzen wir unseren heimatlosen Nachtspaziergang fort.

Von: Louis Seibert

Foto: Yunus Hutterer