250 Zeichen Wut: Wehret den Milchbauern!

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Das Pendlerdasein taugt zu so mancher Wutrede, alltäglicher Verkehrswahnsinn macht schließlich aggressiv. Schön, wenn ein echter Grund zur Empörung dann doch auch den genervtesten Fahrer zähmt.

Wer pendelt, kennt das: jede Minute zählt und jede Schlafmütze vor einem macht wütend. So wütend, dass die Leute morgens auf dem Weg von Starnberg nach Weilheim drängeln, quengeln und aggressiv überholen. Heute Morgen allerdings unmöglich, weil Wut Wut besiegte: dutzende Traktoren hielten den Verkehr auf, schlimmer denn je. Sie waren auf dem Weg zum Milchbauern-Protest nach München. Und ihre Wut zähmte die der Pendler, die jetzt befürwortend die Milchbauern grüßten und ganz artig blieben.

Text: Friederike Krüger

Wo kann man… richtig gut Boule spielen?

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Neben Festivalgaudi und Isaraction muss im Sommer auch mal Zeit zur Entspannung sein – mit einer Partie Boule auf dem Königsplatz, im Hofgarten oder auf der Theresienwiese.

1. Hofgarten
Natürlich im Hofgarten – und sich nebenbei entweder Packungen oder Ratschläge von den wahren Münchner Boule-Profis abgucken.

2. Königsplatz
Auf dem Königsplatz, wenn man bereit ist, auch ein bisschen zu posen.

3. Josephsplatz
Vor der Kirche vorm Josephsplatz, zwischendurch holt man sich einen Café in der Augustenstraße und bei einbrechender Dunkelheit geht’s in den Salon Irkutsk oder ins Bruckmanns (Neureutherstraße).

4. Isar
An der Isar, wenn man drauf steht, dass irgendwer für einen den rettenden Sprungs ins kühle Nass wagt, wenn euch die Boule-Kugeln ins Wasser rollen.

5. Pinakotheken
Vor den Pinakotheken, weil da selbst das Fußballspielen erlaubt ist.

6. Elisabethplatz
Auf dem Elisabethplatz in Schwabing, weil sich vielleicht noch ein paar Alteingesessene anschließen.

7. Hauptbahnhof
Direkt vorm Hauptbahnhof, weil man gleich zum Abriss des potthässlichen Gebäudes beitragen kann.

8. Theresienwiese
Auf der Theresienwiese, weil man hier eh alles super machen kann – nur an Verpflegung sollte gedacht werden.

9. Alter botanischer Garten
Vorm alten botanischen Garten nördlich vom Stachus. Verstärkung gibt’s am Abend beim Cucurucu, der schönen Alternative zum Kosmos mit Außenbereich – allerdings nur bis 23 Uhr.

10. Englischer Garten
Im englischen Garten natürlich, entweder zum Ärger anderer auf den Wegen, in der sandigen Pferdekoppel am Südende oder am besten ganz im Norden, wo man seine Ruhe und Ausblick auf ein paar wilde Tiere hat.



Text: Friederike Krüger

Foto: Raymond Römke

Von Freitag bis Freitag: Unterwegs mit Friederike

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Ein schön vielfältiges Programm hat sich unsere Autorin diesmal ausgedacht. Das führt sie ins Westend zum Hofflohmarkt, zum musikalischen Brunch ins Import Export und natürlich zum Theatron Pfingstfestival.

Eigentlich wollte ich übers lange Wochenende an den
Gardasee. Lago di Garda klang wie Musik in meinen Ohren und fügte sich in
meinem Kopf zu einem perfekten Plan zusammen, nach sechs Jahren München muss man
einfach mal dort gewesen sein. Denken sich leider zigtausende andere Menschen
an diesem Wochenende auch. Eine Münchner Zeitung titelte Dienstag mit „Freitag
wird der reisestärkste Tag des Jahres.“ Na, wenn das so ist, reise ich lieber
nur mit den U-Bahnen, bleibe in der Stadt und genieße Klangfest, Theater,
Outdoor-Kino und Flohmärkte.

Am Freitag lausche ich dem lieben und talentierten Chuck
Winter, der einst mit mir studierte und uns schon auf der Hütte hinter
Innsbruck sein musikalisches Können bewies. Im Rumours präsentiert er seine EP “Morning Calling”. Mehr Bass gibt’s Freitagabend im
Anschluss an die Releaseparty im Kiddo mit SO NOT BERLIN. Eigentlich bin ich
gar nicht so cool, aber ich probiere mal reinzukommen.

Der Samstag startet mit einem Bagel bei Onofrio`s in der
Heimeranstr. 32, am liebsten dem mit Lachs und Frischkäse, wenn sie den noch
haben. Eigentlich zu hip, aber mit gutem Espresso anlockend. Danach zieht es mich kurz in diesen mit Antiquitäten vollgestopften Laden im Westend,
das Café Marais, über dem noch der Name eines Ladens von vor gefühlt 100 Jahren
prankt. Da am Samstag im Westend Hofflohmarkt ist, kann ich dort gleich bleiben
und ein bisschen shoppen. Garantiert werde ich mit einer furchtbaren
Sonnenbrille und neuen Blumentöpfen zurückkehren. Immerhin in der richtigen
Stimmung geht’s von dort gleich in die Glockenbachwerkstatt. Hier findet den
ganzen Nachmittag und Abend Musik-Programm statt, begleitet von Flohmarkt und
Vernissage. Samstagabend will ich unbedingt zur Jazz Night ins
Lost Weekend an der Uni, 3 Euro Eintritt für einen vielversprechenden Abend.

Wenn ich es schaffe, will ich am Sonntag im Import
Export vorbeischauen, wo es seit neuestem einen tollen musikalischen Brunch gibt. Der bringt mich in Stimmung für das, was kommt: danach gehe ich nämlich definitiv aufs Theatron Pfingstfestival,
das vom 3. bis 5. Juni stattfindet und Musiker wie Ebow, Petra und der Wolf und
ACID ARAB beherbergt. Das Tollste neben dem Ambiente am Olympiasee: Das
Festival ist kostenlos. Deshalb gehe ich am Montagnachmittag gleich nochmal hin,
nachdem ich den Vormittag an einem See verbracht habe.

Sonntag, 4.6. 16-22 Uhr:

MURENA MURENA * ELA
QUERFELD
* Matthew
Matilda
* Hildegard von Binge Drinking * Ebow * ACID ARAB


Montag, 5.6. 16-22 Uhr:

Die Sauna * Lydmor * petra und der
wolf
* Hannah
Epperson
*

Kayan Project * Paper
Beat Scissors

Irgendwie reizt mich nach dem langen Wochenende die Couch
oder wenigstens ein Kino, aber ich habe kaum noch Geld, deshalb geht’s am Dienstag für 3
Euro in den TU Film „Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit“. Höhöhö. Im
Anschluss gibt’s dann übrigens noch einen Film, der erklärt, wie man aus dieser
Unzufriedenheit herauskommt. Karten gibt es vor Ort ab 19.15 Uhr.

Am Mittwoch teste ich das neue Café Erika und deren Frühstück
ab 9:30. Danach treffe ich mich mit Joana von DFCF,
um mein Sommer-Turban zu entwerfen. Und weil bereits in Shopping-Laune, schaue
ich danach bei den Leuten von Khala vorbei, um mir für meine Europareise im
August noch eine nachhaltige bunte Bomberjacke zu kaufen.

Was auch immer im Viehhof-Kino läuft ist gut, bei gutem
Wetter reicht es mir aber auch, dort am Weinstand von Franken Wein einfach ein
paar Gläser durchzuprobieren oder im Biergarten das Stockbrot vom Donnerwirt zu
bestellen. Dienstag läuft hier Moonlight, Mittwoch Girl on a Train. Beides ab
einsetzender Dunkelheit, so gegen 21:45 Uhr.

Selbst mal mitgemacht und viele
Spenden gesammelt
,
interessiert mich irgendwie, was die diesjährigen Teilnehmer vom diesjährigen Breakout zu
erzählen haben. Deshalb gehe ich Donnerstagabend in die 089-Bar, in die mich
sonst keine zehn Pferde reinkriegen. Denn dort findet die Breakout-Siegerehrung
statt – Teams, die dieses Jahr 36 Stunden ohne Geld mehr als 100.000 km für
einen guten Zweck zurückgelegt haben.
Auf dem Heimweg schaue ich kurz in die Ruby Lilly Hotelbar am Stiglmairplatz,
für eine Hotelbar ziemlich nett eingerichtet, wenn auch ein bisschen
Schickeria, wie sie es sich selbst zum Motto gemacht haben. Vom 5.-11. Juni ist
Negroni Woche, also genehmige ich mir noch einen als Betthupferl. Sollte daraus
wider Erwarten mehr als einer werden, spaziere ich noch mit ein paar Freunden
in die Rote Sonne, die ausnahmsweise mal keinen Eintritt kostet. Da geht’s um
Kunst und Politik und Kultur und Dreck und das Dagegensein, und das finde ich per
se gut.

Am Freitag könnte man beim Business-Stammtisch im Café Lotti am
Freitag von 13-15 Uhr „interessante Kontakte“ knüpfen – vielleicht gar nicht so
blöd, da mal vorbeizuspazieren? Abends gehe ich auf jeden Fall ins So Ham in
der Buttermelchstraße, weil da Curry Night ist und das meist einen ziemlich
guten Start ins Wochenende beschert!

Text: Friederike Krüger
Foto: Privat

Neuland: NichtIch

James Newton und Katja Wachter zeigen in ihrem Stück NichtIch

im HochX Theater

all jene
Dinge, Ideen und Trends, die die beiden Schauspieler nie auf die
Bühne bringen wollten.

Wie viel „Ich“ darf ein Schauspieler einbringen und wie viel „Nicht-Ich“ muss er akzeptieren, wenn er sein Publikum begeistern will? Wie geht man mit politischen Ansichten, Nacktheit oder wilder Exzentrik um, wenn sie einem einfach nicht passen? Ein Künstler ist einem immer schnelllebigeren Rhythmus unterworfen, muss Leistung bringen, Andersartigkeit, Vielseitigkeit und Modernität beweisen – und darf niemals langweilen. 

Mit der Tanz-Musik-Sprach-Performance NichtIch, die James Newton, 25, gemeinsam mit Choreografin und Tänzerin Katja Wachter im HochX Theater in München aufführen wird, diskutieren die Künstler die mögliche Kompatibilität von eigener und externer Erwartung an Schauspiel, Musik und Tanz. Alleiniges Material der Vorstellung wird sein: Jene Dinge, die die Schauspieler nie tun und nie auf die Bühne bringen wollten.

Text: Friederike Krüger

Foto: Franz Kimmel

Gebunden, nicht gestrickt

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Mützen waren gestern, der neue Trend sind Turbane – für Frauen und Männer. Das glaubt zumindest die junge Designerin Joana Mayr. Für ihr Label DFCF hat sie sogenannte Headwraps gestaltet. Der Name steht für „Don’t forget where you come from“

Wenn es nach Joana Mayr geht, sind Turbane die neuen Caps und Mützen. Und weil die traditionelle Bindung eines Turbans kein leichtes Unterfangen ist, stellt die 27 Jahre alte Münchnerin jetzt fertiggenähte Turbans her, sogenannte Headwraps, die man nur noch aufzusetzen braucht. Diese Woche kann man die Turbane erstmals online bestellen.

Die etwa ein Meter lange Stoffbahn wird zuerst um den Hinterkopf gelegt und dann oberhalb der Stirn verdreht. Irgendwie wurschtelt man das Ende des Stoffes dann unter den Stoffknödel über der Stirn. Wer keine Übung darin hat, scheitert schnell. Der Knoten löst sich beim Laufen, beim Lachen oder Tanzen. Die richtige Bindung scheint eine Übungssache zu sein. Joana hat das schon etliche Male gemacht, um ihre dunklen Locken zu bändigen, und weil sie den Turban als Accessoire schätzt. 

Joana kam in Starnberg zur Welt, die Mutter Deutsche, der Vater Senegalese. Ihr Haar ist schon kurz nach der Geburt so lang, dass Krankenschwestern ihr eine Blume ins Haar stecken. „Irgendwie habe ich schon immer gerne Kopfschmuck getragen“, erzählt sie, lacht laut und schlägt die Beine übereinander. Heute trägt sie keinen Turban, auch keine Mütze, obwohl es kalt ist in München. 

Doch sie hat Bilder ihrer Arbeit dabei. Sie sind für ihre neue Website, für den Online-Shop, der diese Woche startet. Turbane, die schon so genäht sind, dass sie sich nicht lösen können und nicht vom Kopf fallen – in allen möglichen Designs. Zu Beginn wird es verschiedene einfarbige Turbane aus elastischem Jersey-Stoff geben, für Erwachsene und auch für Kinder, „obwohl ich die krasseren Stoffe mehr feiere“, sagt sie und lacht: „African- und Ethno-Stoffe sind, was mir mehr gefällt“, doch ob die vorsichtigeren Münchner darauf anspringen, weiß sie nicht. Etwa 50 Euro kostet ein handgefertigter Turban. Für den Winter soll eine Strickkollektion dazukommen. Die Stoffe sucht sie selbst aus, oder lässt sie von ihrem Vater aus dem Senegal schicken. „Die muss ich schon selbst in der Hand gehabt haben, um sie verarbeiten zu können.“

Fast drei Jahre ist es her, dass Joana mit der Idee spielte, sich in der Mode zu versuchen. Es fiel ihr damals schwer, ihren Freundinnen die richtige Binde-Technik zu erklären. Und nicht auf jeder Haarstruktur blieb der Knoten fest. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete sie schon fünf Jahre als Visagistin und Make-up-Artist. Sie war auf Shootings und Filmsets, und schminkte Skelettgesichter in einem Münchner Club. 

Damit das Geld reicht, jobbt Joana zusätzlich als Teilzeitkraft in einem schwedischen Modehaus. „Eigentlich nicht nur des Geldes wegen. Das hat auch was mit Sicherheit zu tun. Da bin ich ziemlich deutsch“, sagt sie. Joana grinst zufrieden. 

Sie liebt die afrikanische Kultur, aber so richtig „african“ sei sie dann doch nicht. Zum Interviewtermin erscheint sie zu früh, das ist ihr lieber so. „In meinem Privatleben bin ich der größte Chaot, aber wenn es um mein Business geht, bin ich absolut zuverlässig und ordentlich.“ Vielleicht, weil viele ihrer Freunde selbständig sind, vielleicht weil ihre Eltern selbständig sind, die Mutter als Bühnenbildnerin, der Vater als Musiker. In ihrer Wohnung stehen Ordner. Einer für ihre Aufträge als Visagistin und Stylistin, einer für ihre neue Marke DFCF – das steht für: Don’t forget where you come from. Aber das muss wer anders machen, jetzt, wo es langsam läuft. „Das soll alles seine Ordnung und Richtigkeit haben, und mit Papierkram habe ich es echt nicht so.“ 

Eine professionelle Schneiderin hat nun das Zuschneiden übernommen. Joana kann sich um die Designs, die Stoffe und die Vermarktung kümmern. Sie klappert nun Läden in München ab und stellt ihre Turbane vor. Zehn Turbane sind auf Lager, bestellt sind bereits mehr als 25. Diese Woche fährt sie nach Berlin, um auch hier in Läden ihre Turbane vorzustellen. Drei Jahre hat sie in Berlin verbracht, obwohl der Anfang mehr als schwierig zu sein schien: „Das war Drama, Berlin wollte mich nicht“, sagt sie jetzt und grinst. Sie hatte Styling-Aufträge für die Fashion-Week angenommen. Joana war gerade 24. Sie zog nach Berlin, die Jobs lockten. Doch kaum zwei Wochen da, fiel sie beim Gardinenaufhängen vom Stuhl, brach sich das Bein, saß im Rollstuhl und musste die Jobs kündigen. Joana fragte sich, ob es das jetzt gewesen sein soll, aber dachte sich: „Ich gebe doch jetzt nicht auf.“ Sie nahm alles Lehrreiche aus dem Unfall mit und hat ihren Job im Modehaus behalten, der gibt ihr Sicherheit. Der zwang sie aber auch, regelmäßig zwischen Berlin und München zu pendeln.

Nach drei Jahren Arbeit und Leben in Berlin, München und dazwischen zieht Joana zurück und nimmt ihr bisher persönlichstes Projekt in Angriff. Es geht um Mode, um Tradition, um Wurzeln und um Persönlichkeit: DFCF eben – „Don’t forget where you come from“. Und das meint die Münchnerin mit den senegalesischen Wurzeln ganz allgemein: „Es geht um dein Inneres, deine Person, fernab von Herkunft und Geschlecht.“ Deshalb sollen die Turbane auch von Frauen und Männern, Erwachsenen und Kindern getragen werden.
 Ob der Trend in der Stadt ankommt, die Idee dahinter? Junge Männer, die Turbane tragen werden? Sie weiß es nicht. Viele Bekannte zeigen sich begeistert. Sie grinst und sagt wie so häufig „ja, mal schauen!“ Was sie sich in den Kopf setze, müsse passieren, irgendwann eben, aber dann richtig. Und deshalb werde das jetzt auch was. Wie groß die Nachfrage sein wird, ob eine Schneiderin reicht, und welche Muster sich am besten verkaufen, das alles muss sich zeigen.

Text: Friederike Krüger

Photo: 

Seval Hamzic

Ins Gespräch kommen

Call for Connection: Vier Urbanistik-Studenten ermöglichen Telefonate
zwischen Münchnern und Bewohnern von Flüchtlingsheimen. Im Interview sprechen die Initiatorinnen

Marrije Vanden Eyne und

Elisabeth Nagl über das Projekt und ihre Ziele.

Im Licht der untergehenden Sonne rasselt auf dem Gelände des Projekts „Lückenfülle“ ein altes, gelbes Telefon. Eines von zwei Yellow Phones, das diese Woche in der Münchner Innenstadt mit einem weiteren Telefon in einer Flüchtlingsunterkunft verbunden wird – Call for Connection, mit fremden Angekommenen in ein leichtes Gespräch kommen. Marrije Vanden Eyne, 21,
aus Gent, ist seit drei Monaten für ein Erasmus-Semester in München. Die
Flüchtlingssituation in München vergangenen Sommer hat sie nur in den Medien mitbekommen. 

Für das Semesterprojekts „Arrival Urbanism“ hat die Studentin gemeinsam mit Elisabeth Nagl, 26, Laura Haller, 24, und Tomáš Klapka, 25, thematisiert, wie die Kommunikation mit den Neuankömmlingen verbessert werden kann. Nach wochenlanger Konzeptionsarbeit werden nun zwei Telefone die Münchner mit den Flüchtlingen verbinden. Call for Connection – Gespräche erwünscht.

SZ Junge Leute: Ein Telefon mitten in der Stadt, wird das nicht missbraucht?
Elisabeth: Klar, kann schon passieren, aber wir sind ja da. Zwei von uns werden in der Stadt und zwei in der Flüchtlingsunterkunft sein.
Marrije: Außerdem kann man nur die Wahlwiederholung drücken und keine eigenen Nummern eingeben.

Wissen die Menschen in der Stadt, wo sie anrufen?
Elisabeth: Nein, wir wollen eine unvoreingenommene Verbindung herstellen und die Anrufer oder Angerufenen damit überraschen, wer ihr Gesprächspartner ist.

Und die Bewohner des Flüchtlingsheims haben auch keine Ahnung, warum da ein gelbes Telefon in ihrem Innenhof steht?
Elisabeth: Doch, die informieren wir natürlich schon. Das ganze Vorhaben musste vorab mit der Stadt und den Unterkünften abgesprochen werden.

Dürfte gar nicht so leicht gewesen sein.
Elisabeth: In der Tat haben wir beinahe bis zum letzten Tag auf die Erlaubnis gewartet.

Ein junger Mann am Tisch bringt sich in das Gespräch ein: Na ja, ist doch typisch München! Ich finde das eine ziemlich tolle Idee! Ihr solltet das einfach in anderen Städten machen. Oder sogar im Ausland.

Wollt ihr expandieren?
Marrije: Erst einmal warten wir die beiden Projekttage ab.

Nur zwei Tage?
Elisabeth: Ja, für mehr haben wir keine Genehmigung bekommen.

Wann genau muss man nach den gelben Telefonen Ausschau halten?
Elisabeth: Am Dienstag, 12. Juli, am Marienhof und dann am Donnerstag, 14. Juli, am Rindermarkt. Die Aktion läuft jeweils von 12 bis 19 Uhr.

Wie funktioniert das Telefon?
Elisabeth: Wir haben viel daran herumgebastelt, jetzt funktioniert es über Bluetooth und Kabel. Aber die Telefone sind eigentlich alte analoge Geräte.

Wie habt ihr das finanziert?
Elisabeth: Wir haben von der Hans-Sauer- Stiftung pro Gruppe eine Spende in Höhe von 450 Euro erhalten.
Marrije: Davon konnten wir uns auch das Mobiliar kaufen.

Was gehört zu eurem Inventar?
Marrije: Wir haben bei Ebay die gleichen Sessel, die Tische, Sonnenschirme, die Teppiche und die Telefone gekauft.
Elisabeth: Und die Blumen.

Habt ihr es schon getestet?

Elisabeth: Ja, direkt am Königsplatz. Und das hat total gut geklappt.
Marrije: Da ist Tomáš rangegangen. Und weil er Englisch gesprochen hat, hat das Pärchen am anderen Ende gefragt, woher er käme. Als er dann sagte, aus Prag, dachten sie kurz, sie würden gerade nach Prag telefonieren.

In welcher Sprache wird gesprochen?
Elisabeth: Das wissen wir nicht. Das muss sich einfach ergeben. Oder vielleicht auch nicht jedes Mal. Die Menschen werden sich fremd sein, aber vielleicht lernen sie sich kennen.

Was könnte passieren?
Elisabeth: Vielleicht ein überraschend schönes Gespräch. Oder nur ein ganz kurzes. Oder niemand geht ran, mitten auf dem Rindermarkt.

Also können die Flüchtlinge auch in der Stadt anrufen?
Elisabeth: Genau. Man kann von beiden Seiten aus anrufen. Eine Bedienungsanleitung liegt beim Telefon. Und im besten Fall sind wir zwar da, aber so weit im Hintergrund, dass man uns gar nicht wahrnimmt.

Was könnte das größte Problem sein?
Elisabeth: Wahrscheinlich die Sprachbarrieren. Aber wer weiß. Vielleicht verstehen sich die Fremden sofort, reden Englisch. Oder Passanten sprechen Arabisch oder Französisch. Wir werden sehen, wer da mit wem ins Gespräch kommt. Genau das ist ja unser Ziel.

Interview: Friederike Krüger

Foto: 

Friederike Krüger

Bequem? Muss nicht sein

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München – Aljoscha Gleser erfüllt sich diesen Sommer seinen großen Traum. Der 25-jährige Münchner will nach seinem abgeschlossenen Bachelor-Studium in Fotografie nun im Juni mit einem alten Toyota LandCruiser BJ42 bis nach Australien fahren. Seine Reise dokumentiert er auf allen sozialen Netzwerken.

SZ: Woher kommt die Reiselust? 

Aljoscha Gleser: Ich bin schon immer viel mit meinen Eltern gereist und war bereits in knapp 50 Ländern und auf fast allen Kontinenten. Es ist also nicht meine erste große Reise, aber die längste und vielleicht spannendste.

Viele Orte kennst du schon.

Ja, aber mit dem Auto quer durch ein Land zu reisen, ist etwas anderes, als die Hauptstädte gesehen zu haben. Ich war noch nicht in Aserbaidschan, im Iran, in Pakistan, nicht in Malaysia, nicht in Indonesien und nicht in Osttimor.

Wie viel Länder stehen auf dem Plan?

Wahrscheinlich 25. Ich beginne im Osten über Budapest, weil ich da leider noch nicht war und die Stadt unbedingt sehen will. Und von dort aus dann Richtung Süden. Quer durch die Türkei, das wird kulturell super interessant. Dann obenrum einen Schlenker über Georgien, weiter durch Armenien oder Aserbaidschan. Da muss man sich entscheiden, weil beides kann man nicht machen. Dann in den Iran. In der Zeit zwischen Türkei bis Iran wird meine Freundin, die noch studiert, dabei sein.

Wie weit begleitet sie dich?

Nur zwei bis drei Monate, mehr geht leider nicht. 

Und die restliche Zeit?

Na ja, ich habe viele Freunde gefragt, weil ich eigentlich nicht alleine fahren wollte, aber für den gesamten Zeitraum ist niemand dabei. Streckenweise wollen mich ein paar begleiten.

Wie geht es vom Iran aus weiter?

Durch Pakistan, das wird sehr spannend.

Pakistan? Die Lage dort ist momentan angespannt. Hast du vor, dich in irgendeiner Weise zu schützen?

Ich habe tatsächlich über eine schusssichere Weste nachgedacht, aber den Gedanken schnell wieder verworfen. Ich werde auch keine Waffen mitnehmen. Ich schlafe in einem Dachzelt, was ich noch besorgen muss. Da bin ich vor Tieren geschützt, was wohl die größere Gefahr darstellt. Und mein Kamera-Equipment werde ich noch versichern lassen müssen. Mit meinem Auto kann mir nicht viel passieren. Das ist ein Toyota LandCruiser BJ42, ultra-stabil.

Warum eigentlich mit dem Auto?

Ich bin nach dem Abi mal einen Nachmittag mit einem Ochsenkarren durch die Mongolei gefahren, als ich mit meinen Eltern eine Transsibirien-Tour gemacht habe. Einem der Mongolen erzählte ich dann, dass ich mir mal einen Ochsenkarren kaufen will, um so durch die gesamte Mongolei zu reisen. Statt des Ochsenkarrens ist es jetzt ein 33 Jahre alter Geländewagen.

Ist ein altes Auto nicht teurer?

Sprit ist schon teuer, das stimmt. Aber das ist nicht der teuerste Posten meiner Reise. Und ich kann unheimlich viel transportieren. Auf Reparaturen bin ich vorbereitet.

Klingt trotzdem nach mehr Arbeit. Warum muss es unbedingt ein altes Auto sein?

Weil ich in Pakistan sicher niemanden finde, der mir einen Fehlerspeicher auslesen kann. Aber jemanden, der ein Schweißgerät hat.

Wie viel Geld benötigst du für die Reise?

Ich rechne damit, dass die Reise bis nach Australien um die 40 000 Euro kostet. Das klingt im ersten Moment nach sehr viel, aber das Ganze läppert sich schnell zusammen. 10 000 Euro für das Auto, 8000 Euro für Equipment wie ein Dachzelt und 15 Euro Verpflegung, Eintritte, Gebühren am Tag sind auch wieder 5500 Euro. Und dann kommen noch Visa-Gebühren, Sprit, Versicherungen und natürlich Rücklagen für den Ernstfall dazu. Vieles von den 40 000 Euro sind aber Anschaffungen, die nach dem Trip etwas wert sind.

Wie finanzierst du das?

Ich spare schon seit Schulzeiten.

Was passiert in Australien?

Ich könnte dort arbeiten, ich könnte weiter nach Neuseeland, oder nach Südamerika. Ich habe Zeit genug, aber auch viele Hürden, die ich bis dahin erst mal überwinden muss. Was sich dann ergibt, wird sich zeigen.

Und am Ende geht es mit dem Auto zurück?

Nein. Auch dafür habe ich schon 3500 Euro eingeplant, um das Auto bei meiner Rückkehr wieder nach Deutschland zu verschiffen. Wann auch immer das sein wird.

Interview: Friederike Krüger

Foto: 

Aljoscha Gleser

Verfolgt Aljoschas Reise auf: https://www.facebook.com/ajadventure/?fref=ts&__mref=message_bubble

Hin und weg

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Robert Darius, 25, und Moritz Berthold, 25, haben mit Breakout
den ersten Spenden-Reise-Wettbewerb Deutschlands gegründet. Jetzt, wo er richtig groß zu werden scheint, wollen sie aufhören.
 

Vor zwei Jahren haben Robert Darius, 25, und Moritz Berthold, 25, mit Breakout den ersten Spenden-Reise-Wettbewerb Deutschlands gestartet, bei dem die Teilnehmer innerhalb von 36 Stunden München so weit wie möglich hinter sich lassen müssen, ohne für die Reise Geld auszugeben. Pro zurückgelegtem Kilometer zahlen die jeweiligen Team-Sponsoren einen vorher festgelegten Betrag an die UN-Flüchtlingshilfe für das DAFI-Projekt. Breakout ist ein nicht-kommerzielles Event mit Start-up-Charakter, der die beiden Physikstudenten mehr Zeit gekostet hat, als sie sich damals ausgemalt hatten. Im ersten Jahr, 2014, nahmen 24 Zweier-Teams teil. Vergangenes waren es 79. Dieses Jahr sollen mehr als 150 Teams starten, aus München und auch aus Berlin. Gerade, als Breakout richtig groß zu werden scheint, wollen sie aufhören.

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SZ: Wieso hört ihr auf, wenn es gerade richtig losgeht? Bedeutet dies das Ende von Breakout?

Robert Darius: Wenn wir uns jetzt langsam zurückziehen und wir das Projekt in die Hände der jüngeren Generation legen, dann wird sich zeigen, ob das funktioniert. Es ist das erklärte Ziel von allen, das Projekt größer zu machen. Aber erst einmal soll es natürlich erhalten werden. Die Idee dahinter ist eine Art Generationenprojekt. Wir holen uns immer wieder junge Studenten. Sie fangen dann irgendwo an – Presse, Marketing, Sponsoring, Event– dann merken sie, ob es für sie etwas ist oder nicht.

Tut es denn nicht weh, das eigene Projekt weiterzugeben?

Moritz Berthold: Ja, das tut mega weh! Nicht, weil wir etwas kontrollieren wollen, sondern weil wir die Organisation so toll finden. Die Leute, die da mitmachen, sind super. Und mit den meisten sind wir eng befreundet.
Robert Darius: Es ist richtig traurig, jetzt das Zepter abzugeben, aber es wird auch mal Zeit für etwas Neues.

Warum gebt ihr es dann ab?

Moritz Berthold: Ich habe mich schon seit längerem zurückgezogen. Eigentlich schon nach dem zweiten Jahr. Mir macht das Projekt immer noch wahnsinnig Spaß. Aber ich schau jetzt einfach mal weiter, was es noch gibt.
Robert Darius: Wenn wir ein Generationenprojekt daraus machen wollen, müssen wir jetzt damit anfangen, sonst ist es zu sehr von den Gründern abhängig. Zudem bin ich kommendes Jahr im Ausland. Von dort aus macht es wenig Sinn, das Team in München zu leiten.

Wie hat eigentlich alles angefangen?

Robert Darius: Mit Chaos.
(Robert und Moritz lachen.)
Moritz Berthold: Wir haben zu zweit begonnen, den ersten Event haben wir zu viert gestemmt. Und wir haben uns da so reingehängt, dass wir beide das Semester mehr oder weniger wiederholen mussten.

Und jetzt?

Robert Darius: Wir sind jetzt 55 Leute, die sich bei Breakout engagieren. Das lässt sich nur noch mit einer gewissen Hierarchie organisieren. Es gibt sieben Teamleiter für verschiedene Ressorts. Allerdings treffen wir grundsätzliche Entscheidungen alle gemeinsam.

Wie seid ihr auf die Idee von Breakout gekommen?

Robert Darius: Ich habe in Paris während meines Erasmus-Semesters Leute aus Cambridge getroffen, die mir von dem coolen Event „Charity Jailbreak“ erzählt haben. Als ich nach Deutschland zurückkam, habe ich Charity Jailbreak gegoogelt und festgestellt, dass es das hier nicht gab. Und dann habe ich mir überlegt, dass es toll wäre, das zu organisieren.
Moritz Berthold: Aber dann ist erst einmal viel zu lange nichts passiert. Wirklich angefangen zu arbeiten haben wir erst zum Semesterstart im April. Dann hatten wir noch zwei Monate Zeit bis zum Start. Und da haben wir gemerkt: Hoppla, das ist viel mehr Arbeit, als wir dachten.

Habt ihr die Idee einfach übernommen?

Robert Darius: Die Idee vielleicht. Aber der Unterschied zu England ist, dass es bei uns strikt verboten ist, Geld für die Reise in die Hand zu nehmen und etwa Flugtickets aus Spendengeldern zu kaufen.

So konntet ihr 2014 knapp 10 000 Euro und 2015 knapp 70 000 Euro spenden.

Moritz Berthold: Ja, und wir gehen davon aus, dass es dieses Jahr noch mehr wird. Wir haben uns bei unserer jährlichen Abstimmung zum dritten Mal für das DAFI-Programm entschieden. Studenten sammeln für Studenten, um ihnen Stipendien zu finanzieren – das ist einfach das stärkste Projekt.

Was hat sich seit 2014 verändert?

Moritz Berthold: Die App, unsere größte Neuerung, erlaubt dieses Jahr (hoffentlich) auch die Kommunikation der Teams untereinander und beinhaltet eine Live-Karte der Standorte aller Teams. 2015 befanden sich mehrere Teams nach der 36-Stunden-Reise in Barcelona, konnten sich aber untereinander nicht zusammenschreiben.
Robert Darius: Außerdem können zusätzlich zu den Fotos auch Videos hochgeladen werden. Im ersten Jahr haben wir unsere Flyer auf das billigste Altpapier gedruckt. Wir hatten ja keine Ahnung, wie viele wirklich teilnehmen würden. Dieses Jahr organisieren wir den Event viel professioneller und aus zwei Städten – in München und zeitgleich auch in Berlin.

Habt ihr selbst schon mal teilgenommen?

Moritz Berthold: Ja, beim ersten Mal bin ich bis Kroatien gekommen. Wir freundeten uns schnell mit dem Fahrer an, wechselten uns am Steuer ab und schliefen irgendwann alle am Strand ein.
Robert Darius: Während Moritz im ersten Jahr seinen Spaß hatte, musste ich im Krisen-Interventions-Team helfen – das heißt: Aufpassen, dass sich alle Teams regelmäßig melden, Notfallnummern parat halten, Kontrolle behalten. Im zweiten Jahr bin ich dann auch losgetrampt. Das war super schön!

Interview: Friederike Krüger und Stefanie Witterauf

Fotos: Lorraine Hellwig, Breakout

Neuland: urbane Suppenküche in der Rumfordstraße

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Mit Urban/Soup wollen sich zwei Geschwisterpaare mit den großen Fastfood-Ketten anlegen und eine gesunde Alternative bieten. Die vier jungen Münchner um Tim Maiwald, 26, verkaufen trinkbare Suppen in Glasbehältern und verstehen sich dabei als ein nachhaltiger Lieferdienst. Ihr Laden in der Rumfordstraße soll erst der Anfang sein. Seit Dezember 2015 haben sie Tausende Suppen verkauft – außerdem liefern sie mit Fahrrädern und seit kurzem auch mit Elektrorollern. In Zukunft wollen sie auch Firmen anfahren.

www.urbansoup.de

Von: Friederike Krüger

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Schwimmender OP-Saal

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Sandra Schimek heuerte für zehn Wochen auf dem schwimmenden Krankenhaus Africa Mercy an, um medinzische Hilfe in den ärmsten Ländern der Welt  zu leisten.

Für Menschen wie Olivienne, 25 Jahre alt, ist die Africa Mercy vielleicht die einzige Chance auf ein neues Leben. Olivienne leidet an einem Gesichtstumor, linksseitig.

400 Ärzte, Krankenschwestern, Reinigungskräfte, Köche, Lehrer und andere Helfer aus mehr als 30 verschiedenen Nationen wohnen und arbeiten auf dem schwimmenden Krankenhaus. Auch die Münchnerin Sandra Schimek war 2015 dabei. Das Schiff, mit dem Mercy Ships seit 1978 medizinische Hilfe in den ärmsten Ländern der Welt leistet, beherbergt sowohl das Personal als auch die OP-Säle und Krankenstationen. Während einer Missionsreise fährt es für eine Dauer von zehn Monaten Häfen im afrikanischen Raum an. Im September 2015 liegt es im Hafen von Tamatave, an der Ostküste Madagaskars, und Sandra Schimek ist zehn Wochen dabei.

Olivienne ist mit ihrem Vater angereist. Für die Kosten der Fahrt bis in den Hafen hat er sein Reisfeld verkaufen müssen. Es ist ihre große Chance auf ein bisschen Normalität in einem Leben, das von Armut, Krankheit und Schikane geprägt ist.

Sandra ist hier nicht hauptberuflich. Eine Mischung aus Fernweh, der Suche nach Neuem und der Pause von Altem hat die Frau mitte Zwanzig hierher verschlagen.

Nach dem Fachabitur beginnt die Münchnerin eine Ausbildung zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin und wird Krankenschwester. Seit 2008 ist sie im Klinikum Großhadern angestellt. Doch das reicht Sandra nicht. Im Winter 2011 schreibt sie sich für das Pflegemanagement-Studium in München ein. Im Frühjahr 2015 folgt die Bachelor-Arbeit. Doch auch das ist ihr nicht genug, oder vielleicht reicht es ihr auch einfach gerade in Deutschland. Sie will mehr tun und anders helfen.

Dass Sandra auf dem Mercy-Schiff arbeiten darf, ist ein Privileg unter jungen Medizinfachkräften. Ihr Wissen im Bereich der Kinderkrankenpflege ist gefragt. Hunderte Bewerbungen erreichen die Organisation Mercy Ships, die sich über Spenden finanziert, jedes Jahr. Trotz der eher streng christlichen Werte und Regeln. Und obwohl die Menschen für ihren Einsatz zahlen müssen, statt entlohnt zu werden. Für Sandra sind das etwa 700 Dollar im Monat für Kost und Logis.

Auf fünf Krankenstationen an Bord des Schiffes werden so viele Patienten wie möglich untergebracht. In fünf OP-Sälen wird beinahe rund um die Uhr operiert. Meist sind es orthopädische Eingriffe, Verbrennungen, gynäkologische Behandlungen und viele gutartige Tumore.

Celestin, acht Monate alt, wird mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte eingeliefert. Beim falschen Füttern mit der Flasche ist Flüssigkeit in seine Lunge gelangt. Seine Lungenentzündung wird behandelt und später die Spaltung operiert. Celestins Eltern ruhen sich unterm Krankenbett aus. Es ist laut und stickig. Aber das ist ihnen egal. Hauptsache, der Kleine wird wieder gesund.

Die wenigen Krankenhäuser in Madagaskar sind verwaist. Für Behandlungen müssen die Menschen selbst zahlen. Und das kann kaum jemand. Mercy Ships ist für viele die einzige Chance, denn die Behandlung ist kostenlos. Doch auch das liegt nicht in ihrer Hand. Wer das Schiff betritt, wurde zuvor bei den Screening Days ausgewählt. Ärzte reisen durch das Land und suchen die Patienten aus. Kriterien sind Krankheit und Heilungschancen. Aber auch, ob die Familien den Weg zum Schiff selbst bewerkstelligen können.

Jeden Tag kommen neue Patienten, der OP-Plan ist streng getaktet. Operiert wird im Schichtwechsel. Am Ende eines Tages siegt das Gefühl, etwas Gutes tun zu können – und die Müdigkeit. Vielleicht sitzt man noch zusammen, ohne Alkohol natürlich. Doch irgendwann kriecht jeder in sein Stockbett und zieht die Vorhänge zu. Einer der wenigen Momente, in denen man auf dem Schiff allein ist. Mit sich und den überwältigenden Eindrücken des Tages. Mit Bildern von unterernährten Kindern, von offenen Verletzungen und Missbildungen, wie sie die meisten Mediziner aus westlichen Ländern nicht kennen.

Manche Bilder gehen Sandra nicht aus dem Kopf. Zum Beispiel das eines Mädchens, das furchtbar weint. Irgendwas in ihrem Rachenraum schien starke Schmerzen zu verursachen. Sandras Kollegin zieht später einen langen Wurm aus der Nase des Kindes. Diese Erlebnisse tauscht sie am Handy mit ihren deutschen Kolleginnen aus. „Die haben es kaum glauben können“, sagt sie. Manche konnten auch nicht verstehen, warum sie dafür noch Geld zahlt. Auch Sandra hatte sich das alles leichter vorgestellt. Medizinische Begriffe fallen ihr zu Beginn nicht auf Englisch ein, die Sprachbarrieren zwischen ihr und den behandelnden Ärzten sowie den Patienten machen ihr anfangs zu schaffen. Sie ist auf ihre Kollegen angewiesen. Doch trotz ständig neuer Besetzung ist das Personal schnell ein eingespieltes Team – hoch motiviert und hilfsbereit, denn wer hier ist, will wirklich hier sein. Und so ist es am Ende der Abschied, der Sandra nicht leicht fällt.

Mit zehn Wochen hat Sandra die Mindestdauer eines Einsatzes bestritten. Viele ihrer Kollegen bleiben länger. Bis Juni 2016 wird die Africa Mercy, die von Spenden abhängig ist, noch im Hafen von Madagaskar liegen. Dann macht sie einen Halt im Trockendock in Südafrika. Der nächste Einsatz beginnt dann wieder Ende August.

Fotos: privat

Von: Friederike Krüger