Ins Gespräch kommen

Call for Connection: Vier Urbanistik-Studenten ermöglichen Telefonate
zwischen Münchnern und Bewohnern von Flüchtlingsheimen. Im Interview sprechen die Initiatorinnen

Marrije Vanden Eyne und

Elisabeth Nagl über das Projekt und ihre Ziele.

Im Licht der untergehenden Sonne rasselt auf dem Gelände des Projekts „Lückenfülle“ ein altes, gelbes Telefon. Eines von zwei Yellow Phones, das diese Woche in der Münchner Innenstadt mit einem weiteren Telefon in einer Flüchtlingsunterkunft verbunden wird – Call for Connection, mit fremden Angekommenen in ein leichtes Gespräch kommen. Marrije Vanden Eyne, 21,
aus Gent, ist seit drei Monaten für ein Erasmus-Semester in München. Die
Flüchtlingssituation in München vergangenen Sommer hat sie nur in den Medien mitbekommen. 

Für das Semesterprojekts „Arrival Urbanism“ hat die Studentin gemeinsam mit Elisabeth Nagl, 26, Laura Haller, 24, und Tomáš Klapka, 25, thematisiert, wie die Kommunikation mit den Neuankömmlingen verbessert werden kann. Nach wochenlanger Konzeptionsarbeit werden nun zwei Telefone die Münchner mit den Flüchtlingen verbinden. Call for Connection – Gespräche erwünscht.

SZ Junge Leute: Ein Telefon mitten in der Stadt, wird das nicht missbraucht?
Elisabeth: Klar, kann schon passieren, aber wir sind ja da. Zwei von uns werden in der Stadt und zwei in der Flüchtlingsunterkunft sein.
Marrije: Außerdem kann man nur die Wahlwiederholung drücken und keine eigenen Nummern eingeben.

Wissen die Menschen in der Stadt, wo sie anrufen?
Elisabeth: Nein, wir wollen eine unvoreingenommene Verbindung herstellen und die Anrufer oder Angerufenen damit überraschen, wer ihr Gesprächspartner ist.

Und die Bewohner des Flüchtlingsheims haben auch keine Ahnung, warum da ein gelbes Telefon in ihrem Innenhof steht?
Elisabeth: Doch, die informieren wir natürlich schon. Das ganze Vorhaben musste vorab mit der Stadt und den Unterkünften abgesprochen werden.

Dürfte gar nicht so leicht gewesen sein.
Elisabeth: In der Tat haben wir beinahe bis zum letzten Tag auf die Erlaubnis gewartet.

Ein junger Mann am Tisch bringt sich in das Gespräch ein: Na ja, ist doch typisch München! Ich finde das eine ziemlich tolle Idee! Ihr solltet das einfach in anderen Städten machen. Oder sogar im Ausland.

Wollt ihr expandieren?
Marrije: Erst einmal warten wir die beiden Projekttage ab.

Nur zwei Tage?
Elisabeth: Ja, für mehr haben wir keine Genehmigung bekommen.

Wann genau muss man nach den gelben Telefonen Ausschau halten?
Elisabeth: Am Dienstag, 12. Juli, am Marienhof und dann am Donnerstag, 14. Juli, am Rindermarkt. Die Aktion läuft jeweils von 12 bis 19 Uhr.

Wie funktioniert das Telefon?
Elisabeth: Wir haben viel daran herumgebastelt, jetzt funktioniert es über Bluetooth und Kabel. Aber die Telefone sind eigentlich alte analoge Geräte.

Wie habt ihr das finanziert?
Elisabeth: Wir haben von der Hans-Sauer- Stiftung pro Gruppe eine Spende in Höhe von 450 Euro erhalten.
Marrije: Davon konnten wir uns auch das Mobiliar kaufen.

Was gehört zu eurem Inventar?
Marrije: Wir haben bei Ebay die gleichen Sessel, die Tische, Sonnenschirme, die Teppiche und die Telefone gekauft.
Elisabeth: Und die Blumen.

Habt ihr es schon getestet?

Elisabeth: Ja, direkt am Königsplatz. Und das hat total gut geklappt.
Marrije: Da ist Tomáš rangegangen. Und weil er Englisch gesprochen hat, hat das Pärchen am anderen Ende gefragt, woher er käme. Als er dann sagte, aus Prag, dachten sie kurz, sie würden gerade nach Prag telefonieren.

In welcher Sprache wird gesprochen?
Elisabeth: Das wissen wir nicht. Das muss sich einfach ergeben. Oder vielleicht auch nicht jedes Mal. Die Menschen werden sich fremd sein, aber vielleicht lernen sie sich kennen.

Was könnte passieren?
Elisabeth: Vielleicht ein überraschend schönes Gespräch. Oder nur ein ganz kurzes. Oder niemand geht ran, mitten auf dem Rindermarkt.

Also können die Flüchtlinge auch in der Stadt anrufen?
Elisabeth: Genau. Man kann von beiden Seiten aus anrufen. Eine Bedienungsanleitung liegt beim Telefon. Und im besten Fall sind wir zwar da, aber so weit im Hintergrund, dass man uns gar nicht wahrnimmt.

Was könnte das größte Problem sein?
Elisabeth: Wahrscheinlich die Sprachbarrieren. Aber wer weiß. Vielleicht verstehen sich die Fremden sofort, reden Englisch. Oder Passanten sprechen Arabisch oder Französisch. Wir werden sehen, wer da mit wem ins Gespräch kommt. Genau das ist ja unser Ziel.

Interview: Friederike Krüger

Foto: 

Friederike Krüger

Neuland: Time to wish

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Die Initiative Time to wish will Begegnungen zwischen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und Berufstätigen organisieren.

Die drei Gründerinnen Laura, 24, und ihre Schwester Hannah Kieblspeck, 27, und Sabrina Littek, 27, betonen im Namen bewusst einen Wunsch (wish) nach kulturellem Austausch zwischen Bevölkerung und Geflüchteten. Problem aber sei bei Berufstätigen die Zeit (time) für ein Treffen. Genau hier setzt die Initiative an. Durch Kooperationen mit Unternehmen sollen die Mitarbeiter während der Arbeitszeit unter der Woche für gemeinsame Aktivitäten freigestellt werden.

Ein großes Unternehmen ist schon dabei: „Nach einer Präsentation kam ein Mitarbeiter von BMW auf uns zu“, sagt Hannah, die junge Geflüchtete in einer Einrichtung betreut. Auch die IHK macht mit. Ausflüge zum Klettern, in den Tierpark oder ins Museum fanden bislang bereits statt. Für den Sommer plant das Team einen Schwimmkurs. Der große Vorteil: Mitarbeiter bekommen Zeit, die sie normalerweise nicht hätten und gleichzeitig bleibt der geregelte Tagesablauf der Geflüchteten erhalten. „Langfristig wären Partnerschaften oder Tandems nach den Ausflügen denkbar“, sagt Hannah.

Text:  David-Pierce Brill

Foto: Time to wish

Neuland: Social Bee

Mit ihrem Start-up Social Bee wollen die Münchner Master-Studenten Maximilian Felsner, 26, und Zarah Bruhn, 25, jungen Geflüchteten eine Perspektive geben. Gelingen soll das in der Zeitarbeitsbranche.

Die Idee der im März gegründeten Firma ist eine „soziale“ Zeitarbeit, bei der zusätzlich zum Personal auch Qualifikationen vermittelt werden sollen, um Geflüchtete langfristig zu integrieren. Seit vergangenen Mittwoch verfügt das Sechs-Mann-Team über die Zeitarbeitslizenz und will von August an Flüchtlinge anstellen. „Die Geflüchteten wollen gerne arbeiten, Arbeitgeber sind aber wegen der Bürokratie oft abgeschreckt“, sagt Gründer Max Felsner. Er will mit seinem Start-up der Vermittler sein, indem er diese anstellt und an die Unternehmen in der Logistikbranche ausleiht. Zusammen mit Sozialpädagogen und Trainern begleitet die junge Firma dann die Flüchtlinge durch den Job. Nach etwa einem Jahr sollen diese dann Beschäftigungen in Festanstellung bekommen.
„Für uns zählt nicht das Geld, sondern die Wirkung“, sagt Max. Er hat VWL im Bachelor studiert und studiert nun im Master Philosophie. Er will in seinem Job neben der wirtschaftlichen auch gesellschaftliche Verantwortung übernehmen: „Bei der klassischen Wirtschaft fehlt der soziale Mehrwert.“

Von: David-Pierce Brill

Foto: Jospeh Hagen

Ein bisschen Frieden

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Ahmad Abbas ist einer von vielen syrischen Geflüchteten, die in München
leben. Sein Ziel: Mit seinem syrischen Friedenschor Zuversicht und Hoffnung
schenken. Von der deutschen Bevölkerung würde er sich manchmal mehr
Unterstützung wünschen.

Von Jacqueline Lang

Als 2012 die ersten Bomben
flogen, waren nur der damals 17-jährige Ahmad und seine kleine Schwestern
zu Hause.  Eine Granate traf das Haus. Mit
85 Prozent beziehungsweise 65 Prozent verbrannter Haut überlebten die beiden Geschwister
nur knapp. Es ist damals eine der ersten Flüchtlingsgeschichten – und das war
vielleicht ihr Glück: Die freie syrische Armee brachte Ahmad und seine Schwester
von Syrien in ein Militärkrankenhaus im Libanon. Ein deutscher Journalist
fotografierte die beiden Jugendlichen und bat auf Facebook um Hilfe. Mit
Erfolg. Ein ADAC-Rettungsflieger holte sie nach München, wo sie über mehrere
Monate behandelt wurden. Heute leitet der mittlerweile 21-jährige Ahmad den
syrischen Friedenschor.

Die Narben von damals sind immer
noch sichtbar. Zumindest an den Händen, die restlichen Narben versteckt Ahmad
unter einem langärmeligen Sweatshirt. Doch das sind nur die äußerlich
sichtbaren Narben. Die innerlichen Narben verbirgt der gebürtige Syrer hinter
schulterlangen, schwarzen Haaren und einem breiten Lächeln. Er will nicht, dass
die Menschen ihn bemitleiden. Er will, dass sie ihn ernst nehmen. Nicht, weil er
ein Flüchtling ist, sondern weil er eine Botschaft hat. Seine Botschaft ist in
der Theorie simpel, in der Umsetzung scheinbar unmöglich: Frieden für Syrien.

Im November 2014 trat Amhad mit
dem Friedenschor „Zuflucht“ in der Satire-Sendung „Die Anstalt“ auf. Seitdem
kommen immer mehr Anfragen. Der Friedenschor singt unter der Leitung von
Opernsängerin Cornelia Lanz. Gemeinsam mit der Stuttgarterin sind zudem bereits
zwei Opern-Projekte mit Geflüchteten realisiert worden. In dem zweiten Stück
„Idomeneo“ erzählt auch Ahmad von seiner Flucht.

Erst im Sommer 2015 begann die
Idee, seinen eigenen Chor in München zu gründen, in Ahmad zu reifen. Im Januar
2016 war es dann endlich soweit. Den Verein offiziell zu gründen, war jedoch
nicht ganz leicht. Bis auf Ahmad haben nur drei weitere Mitglieder eine unbefristete
Aufenthaltserlaubnis. Der Status der 14 anderen Syrer ist  noch unklar. Auch deshalb versucht Ahmad
verstärkt in München aufzutreten. Denn wenn er mit den Mitgliedern seines Chors
verreisen will – und sei es nur nach Stuttgart– brauchen sie eigentlich immer
eine deutsche Begleitung.

Obwohl sie sogar schon vor dem
Bundespräsidenten aufgetreten sind und deutschlandweit Anfragen bekommen, musste
Ahmad seinen Cousin um Geld für das Projekt bitten. Jetzt hat er Schulden. Die
Menschen spenden zwar, aber meistens kommen an einem Abend nicht mehr als 25
Euro zusammen. Das reicht nicht einmal, um die Fahrtkosten zu decken. Manchmal
macht Ahmad das wütend. Er versteht nicht, warum die Menschen sie nicht von
sich aus unterstützen. Sie um Hilfe zu bitten, käme ihm wie betteln vor. Das
will er nicht.

Ahmad ist immer unterwegs: Wenn
er nicht mit seinem Chor probt oder irgendwo in Deutschland auftritt, besucht
er die Schlauschule. Im Herbst beginnt er seine Ausbildung als
Medizinfachangestellter. Und für die Opernproben fährt er alle zwei Wochen
nach Stuttgart. Er mag es, immer in Bewegung zu sein. „Zu Hause kommen zu viele
Gedanken in meinem Kopf“, sagt er.

In seinem Chor heißt Ahmad
grundsätzlich jeden willkommen. Die arabischen Lieder, die sie singen, handeln
vom Frieden. Sie haben aber auch schon die Europahymne auf deutsch gesungen. Es
geht nicht um Politik, sondern darum, für die „Seelen der Kinder und für die
geschlachteten Menschen zu singen“, sagt der junge Mann. Er hat seine
Geschichte schon so oft erzählt, dass er kaum noch mehr bemerkt, wie
schockierend sie für Außenstehende ist. Für viele – auch für Ahmad – ist das
Singen im Chor eine Beschäftigungstherapie und vielleicht die einzige
Möglichkeit, das Geschehene zu verarbeiten.

Ahmad ist sich seiner
Verantwortung als Chorleiter bewusst. Er muss mit gutem Vorbild voran gehen.
Aber er versucht auch, nicht alle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Auch die
anderen Chormitglieder und ihre Geschichten sollen zu Wort kommen.  Nur mit der Kraft der gesamten Gruppe können
sie die Menschen bewegen, glaubt Ahmad. Mit seinen 21 Jahren klingt Ahmad schon
sehr erwachsen. Fast zu erwachsen. Er ist sich dessen bewusst: „Damals war ich
ein anderer Ahmad als heute“. Die letzten Jahre seiner Jugend hat ihm der Krieg
in Syrien genommen.

Viele Menschen denken, mit dem Überschreiten
der europäischen Grenzen wäre das schlimmste für die Geflüchteten überstanden.
Doch so ganz stimmt das nicht. Fast jeder, der geflohen ist, hat noch Verwandte
oder Freunde in der Heimat. Ein Armband in den Farben der syrischen Flagge mit
dem Schriftzug „Free Syria“ das in der Öffentlichkeit zu sehen ist, kann dann
schwerwiegende Folgen haben – über alle Grenzen hinweg. Die Mitglieder des
Chors tragen es dennoch mit Stolz. Ahmads nächste Verwandten leben nicht mehr
in Syrien – und doch ist er trotz seiner klaren Position vorsichtig geblieben.
Sicherheit in Zeiten des Krieges gibt es nicht.

Der syrische Friedenschor tritt am Samstag beim Straßenfest Milla Walky Talky auf.

Weitere Infos utner www.syrischerfriedenschor.com

Helfen mit Herz

Sherin Dahi, 25, unterstützt mit ihrem gemeinnützigen Verein Spendahilfe syrische Flüchtlinge an der türkisch-syrischen Grenze.

Sherin Dahi, 25, ist nicht besonders groß. Auch der zaghafte Händedruck in Kombination mit dem Schal in Burberry-Farben hilft da nicht. Doch der erste Eindruck täuscht: Sherin ist nicht nur Personaldienstleisterin, sondern auch die erste Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins Spendahilfe – ein Verein, der Flüchtlinge an der türkisch-syrischen Grenze unterstützt.

Im Vereinsnamen ist der Name ihrer Familie versteckt: Dahi. Und gleichzeitig das Herzblut der gesamten Familie. Vom Vater, der für das Projekt an die türkisch-syrische Grenze gezogen ist und seine eigene Familie nur noch selten sieht, über die Mutter, die die Fäden im Hintergrund zusammenhält und moralische Stütze ist, bis hin zum 17-jährigen Bruder, der neben der Schule vor allem in Deutschland aktiv für den Verein tätig ist. Und eben die unzertrennlichen Schwestern Yasmin und Sherin.

Sherin, die Deutsche mit den syrischen Wurzeln. Sherin, die zweisprachig aufgewachsen ist und Phonetik und mündliche Literaturwissenschaften studiert hat. Sherin, deren Familie ein Vorzeigebeispiel für gelungene Integration ist. Sherin, die jedes Jahr ihre Sommerferien in Syrien verbracht hat. Bis 2012 die Grenze zwischen der Türkei und Syrien geschlossen wurde und ihr Vater an die Grenze fuhr, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Schnell war danach allen klar: Es muss geholfen werden. Zunächst mit Sachspenden, als die Lage aber immer prekärer wurde, begannen langsam größere Projekte zu wachsen.

Seit der offiziellen Gründung des Vereins 2014 hat Spendahilfe elf Projekte in der türkischen Grenzstadt Kilis ins Leben gerufen. Unter anderem ein Waisenhaus, die Brotverteilung an 500 Familien, eine Frauenwerkstatt und ein Flüchtlingslager auf syrischer Seite. Ihre Hilfe richtet sich dabei vor allem an Kinder und Frauen. Jene, die am wenigsten für den Krieg können und seinen Folgen am schutzlosesten ausgeliefert sind.

Ihr jüngster Schützling war bei der Ankunft zwei Monate alt. Von Hand zu Hand wurde das kleine Mädchen weitergereicht und hat den Weg über die Grenze ins Waisenhaus gefunden. Seitdem sind zwei Jahre vergangen und noch immer hat sich niemand gemeldet, der das Mädchen sucht. Es sind solche Geschichten, die Sherin auch nach all der Zeit immer noch das Herz brechen. Vor allem bestärken sie sie aber in ihrem Glauben, das Richtige zu tun.

Wie aber werden die Projekte ausgewählt und umgesetzt, die Menschen wie dem kleinen Mädchen zugutekommen sollen? Sherins Papa ruft an, und sagt, dass die Jungs gerne Fußball spielen würden und fragt, ob es Geld für Bälle und Trikots gibt. Ohne langes Zögern sagt Sherin Ja. Ihr Vater bezeichnet sie deshalb als Herz des Vereins. Denn natürlich gibt es nicht unbegrenzt Kapazität, aber irgendwie findet Sherin meistens einen Weg. Und das alles ohne unnötigen Papierkram und zeitintensive Bürokratie. Schließlich sind sie eine Familie. Da reicht manchmal eine kurze Nachricht oder ein vielsagender Blick. Und innerhalb von nur drei Tagen entsteht dann ein neues Projekt.

Bis auf den Vater, der die meiste Zeit in Kilis ist und die Organisation vor Ort übernimmt, leben alle Mitglieder der Familie Dahi noch in Kirchheim bei München. Alle unter einem Dach. Gesprächsthema Nummer eins ist immer der Verein. Nur mit ihrem Freund, den sie noch in diesem Jahr heiraten wird, kann Sherin über etwas anderes reden. Diese Grenze ist ihr wichtig, denn auch sie muss manchmal abschalten. Obwohl sie nicht von der „sozialen Welt abgeschottet“ lebt, weiß Sherin doch, dass Freunde und Partner manchmal zu kurz kommen. Umso dankbarer ist sie, dass sie einen Mann an ihrer Seite hat, der ihre Leidenschaft versteht und sie in ihrem Tun unterstützt. Anders würde es nicht funktionieren.

Urlaub können die beiden zum Beispiel nie machen. Denn Urlaub heißt in Sherins Fall: ab nach Kilis, die Kinder besuchen. Wenn Sherin dann wieder nach Deutschland kommt, braucht es Zeit, bis sie die vielen Bilder verarbeitet hat. Und obwohl das manchmal hart ist, sagt sie ganz klar: „Ich brauche diese zwei Welten.“ Besonders hart ist es, wenn sie dann sofort ein Meeting hat und präsent im Job sein muss und doch gleichzeitig immer noch die vielen Kinder vor Augen hat, die ihre Hilfe brauchen. Aber auch das hat Sherin mit der Zeit gelernt: ihre Gefühle zu kontrollieren.

Mit ihrem eigenen Engagement möchte Sherin anderen jungen Leuten zeigen, dass es möglich ist, etwas zu verändern. „Nicht wollen, sondern machen“ lautet ihre Devise. Klingt einfach – und wenn es nach Sherin geht, ist es das auch. Mit ihrer Schwester Yasmin hat sie mal ausgerechnet, dass sie gemeinsam schon circa 700 Syrern zu einem besseren Leben verholfen haben. Sherin Dahi ist eine kleine Frau, die eine große Leistung vollbringt.

Foto: Natalie Neomi Isser

Von: Jacqueline Lang

Eine Mütze als Symbol

Bilder, die die Medien an uns herantragen, können abschrecken, können Unbehagen verbreiten, Angst machen. Aber sie können auch zum Nachdenken anregen. Die jungen Studenten, die hinter dem Verein Equalhats stehen, sind noch einen Schritt weitergegangen. Pauline Kargruber, Joschka Reik und Julian Reik haben ihre Betroffenheit in aktives Engagement umgewandelt. 

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„Mache einen fremden Namen zu deinem“, ist auf ihrer Webseite equalhats.com zu lesen. Unter diesem Motto vertreiben sie Mützen für einen guten Zweck. Das klingt zunächst simpel. Hinter der Idee stehen jedoch klare Vorstellungen. 

An dem Abend des 2. Septembers 2015, an dem das Bild des kleinen leblosen Jungen, der an der türkischen Küste angespült wurde, durch die Medien ging, saßen Joschka und Pauline mit Freunden zusammen. „Eigentlich wollten wir gemeinsam ausgehen, doch nach der Meldung wollte einfach keine ausgelassene Stimmung mehr aufkommen“, sagt Joschka. Er ist 20 Jahre alt, studiert Jura und hat gemeinsam mit seinem Bruder Julian, 24, bereits einige Geschäftsideen erfolgreich umgesetzt. Er hat klare Vorstellungen. Wenn er redet, hat das Struktur. Noch an dem Abend in der Wohngemeinschaft ist die Idee zur Mütze entstanden. „Obwohl das Thema kein neues war, hat es da irgendwie Klick gemacht“, sagt Pauline. Sie ist mit 19 die Jüngste in der Gruppe. Die blonden Haare hat sie zu einem Knoten gebunden, sie trägt eine runde Brille. Die Fragen waren: Wie kann man effektiv helfen? Wo besteht tatsächlich Bedarf? Aber vor allem auch: Wie kann man anderen jungen Menschen, die sich ähnliche Fragen stellen, das Engagement erleichtern? 

Das Geld, das der Verkauf
der Mützen einbringt,
wird gespendet

Auf jede Mütze ist ein Name eines geflüchteten Menschen gestickt, der bereits in Deutschland angekommen ist, auf der Rückseite der Schriftzug „refugees welcome“. Welcher Name auf der einzelnen Mütze steht, ist nicht wichtig, man erfährt es auch nicht vorher. Durch das Tragen eines „Equalhats“ kann man ein Zeichen setzten. Die Mütze wird zum Symbol. Joschka nickt. „Was uns aber auch wichtig war, ist, dass der Austausch über das Thema angeregt wird“, sagt er. Wer eine Mütze trägt, auf der ein fremder Name eingestickt ist, der wird darauf angesprochen, der erklärt seine Bewegründe. Was entsteht, ist ein Gespräch. Ein Gespräch, das sonst im Alltag vielleicht keinen Platz gefunden hätte.

Julian, der gerade seinen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften abgeschlossen hat, hört seinem Bruder aufmerksam zu. Joschka hat durch sein Jurastudium rechtliches Know-How, das beim Notar-Besuch und der Gründung des Vereins geholfen hat. Julian kann sich um die unternehmerischen Aspekte im Verein kümmern. „Wir haben uns alle gut ergänzt“, sagt er. So kann soziales Unternehmertum schon während des Studiums gelingen. Jeder hat sein Können, sein Wissen in die Umsetzung des Projektes gesteckt. Pauline studiert Englisch und Arabisch. Sie hat den Versand der Mützen übernommen. „Irgendwann war mein ganzes Zimmer nur noch voller Kartons“, sagt sie und lacht. Sie ist unbeschwert, wenn sie über das Projekt redet. Selbst wenn sie von dem Produzenten erzählt, mit dem sie zunächst zusammengearbeitet haben und bei dem alles schief gelaufen ist, lacht sie. Pauline steht weniger für die Struktur, dafür mehr für die Ideen und das intensive Engagement hinter dem Projekt. 

„Dadurch, dass wir alle etwas Unterschiedliches studieren, und jeder von uns eine andere Herangehensweise hat, konnten wir das Projekt so schnell auf die Beine stellen“, sagt Joschka. Pauline und Julian nicken. Geholfen haben dabei die anderen Mitglieder, wie Paulines Schwester Sophie, 21, auch Ruben Schlembach und Lukas Mayer, beide 21, und Salma Sehk Zinth, 24, die Mitbegründer sind. Daneben haben weitere Freunde geholfen, etwa, um die Webseite zu gestalten. Das Geld, das der Verkauf der Mützen einbringt, spenden die Studenten vollständig an „Aktion Deutschland hilft“.
 „Geld fehlt ja immer“, sagt Pauline, „für diesen Verein haben wir uns entschieden, da er auf der Basis völliger Transparenz arbeitet.“ Das Projekt hat neben dem Studium mehr Zeit eingenommen, als am Anfang vermutet. Einige Mitglieder wissen noch nicht, ob sie im kommenden Jahr weiterhin mitwirken können. Trotzdem planen Pauline, Joschka und Julian mit der gleichen Begeisterung bereits an einem sommerlichen Nachfolger für die Mütze. „Da steht schon eine Idee im Raum, aber verraten wollen wir es noch nicht“, sagt Pauline und lächelt wieder verschmitzt.  

Von: Jennifer Lichnau

Mein München: Hauptbahnhof

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Laut Duden bedeutet Solidarität „unbedingtes Zusammenhalten mit jemandem aufgrund gleicher Anschauungen und Ziele“. Maximilian Schäfer denkt an Solidarität, wenn er sich an den 6. September 2015 erinnert. Damals machte er sich zusammen mit Freunden auf den Weg zum Hauptbahnhof, um die Ankunft der ersten Züge voller geflohener Menschen mitzuerleben. Solidarität sei es gewesen, wie innerhalb weniger Stunden die ersten Helfer ein herzliches Willkommen organisiert und von ihrem eigenen Geld Essen und Trinken für Menschen besorgt hätten, die sie gar nicht kannten.

„Da wurde geklatscht, und ganz viele der ankommenden Flüchtlinge haben ,I love Germany‘ gerufen“, sagt Maximilian. Er ist es mittlerweile gewöhnt, Menschenmassen zu fotografieren. In ganz Deutschland hat der erst 18-Jährige schon Demonstrationen besucht – für Flüchtlinge und auch gegen Flüchtlinge. Auf Pegida-Aufmärschen wurde er hin und wieder auch angefeindet. Angst hat er trotzdem keine, denn für ihn ist es wichtig, eben diese Spannungen und Atmosphären mit der Kamera festzuhalten und darüber zu berichten.

Umso schöner findet er es, dass er auf diese Art auch das Gefühl von Miteinander und die Symbole gemeinsamer Werte einfangen kann. Spannungen und Übergriffe gab es an jenem 6. September am Münchner Hauptbahnhof nicht. Und als viele der jungen Flüchtlinge die Hände zum Peace-Zeichen erhoben, hat das kleine Mädchen auf den Schultern seines Vaters wohl einfach mitgemacht. Ein Stück bildlicher Solidarität.

Von: Theresa Parstorfer

Gutes Recht

Die Refugee Law Clinic berät Flüchtlinge – aber ihr fehlt eine feste Anlaufstelle.

Von Jennifer Lichnau

München – Jura kann sehr trocken sein, sehr theoretisch. Die Arbeit der Refugee Law Clinic ist alles andere. Viola Syska, 23, ist seit mehr als einem Jahr Mitglied bei dem studentischen Verein, der kostenlosen Rechtsbeistand für Flüchtlinge anbietet. Das ist für beide Seiten eine Win-win-Situation. Die Studenten erhalten praktische Erfahrung, Flüchtlinge eine Rechtsberatung, auf die sie nicht so lange wie üblich warten müssen. Dennoch ist die Lage angespannt. Ein eigenes Büro fehlt der Studenten-Initiative, bislang wird ihnen immer an neuen Orten vorübergehend Platz gegeben. „Dabei wäre es so wichtig, eine zentrale Anlaufstelle anzubieten. Ein fester Ort, an den die Flüchtlinge kommen können, und auch wir, um Fälle zu besprechen“, sagt Viola. Auch müssen die Jura-Studenten extra vorbereitet werden – aber diese Vorbereitungskurse kosten, und das Geld der ehrenamtlichen Organisation ist knapp. „Wir würden sehr gerne in unser Ausbildungsprogramm investieren, damit wir auch wirklich gute Arbeit für die Flüchtlinge leisten können“, sagt Viola.

Viola kann in der Refugee Law Clinic das im Jurastudium erlernte Wissen umsetzten, die Theorie hinter sich lassen. „Direkt am Menschen arbeiten“, sagt sie. Das Wichtigste aber ist ihr, dass sie Menschen unterstützen kann, die in einer schlechteren Ausgangslage sind als sie selbst. Viola sitzt nicht gerne Tage lang in der Bibliothek hinter dicken Büchern. Wenn sie lernt, dann meistens zu Hause, „da kann man auch mal eine Pause einlegen“, sagt sie und lacht. Dass die Arbeit bei der Refugee Law Clinic viel Zeit und Kraft kostet, macht Viola aber nichts. Sie ist taff, hat eine klare Stimme, einen klaren Blick. Wenn sie lacht, dann laut und herzlich. Entspannt sitzt sie im Café, ihre blonden Haare sind zu einem Zopf geflochten, die Lippen rosa geschminkt. Sie hat eine ungezwungene Art. Was sie denkt, das sagt sie auch.

Die Refugee Law Clinic muss nicht auf sich aufmerksam machen, das Konzept ist ein Selbstläufer. Die Nachfrage ist riesig. Hinter den Jurastudenten steht ein Beirat. Erfahrene Anwälte, die den Studenten zur Seite stehen und bei komplizierten Fällen helfen. Es gibt zwar auch behördliche Beratungsstellen für Asylsuchende, aber die sind mit dem Flüchtlingsstrom mehr als ausgelastet. Die Studenten entlasten. Auch können sie sich für die Menschen, die zu ihnen kommen, mehr Zeit nehmen, wirklich für sie da sein. „Nicht anhören, entscheiden und wieder wegschicken“, sagt Viola.

Es gibt drei Bereiche innerhalb des Vereins: Das Beraterteam, das Organisationsteam und Übersetzer. Beraten dürfen allerdings nur die Jurastudenten – und das auch nicht einfach so. Sie müssen eine Vorlesung belegen, in Workshops Beratungssituationen üben, eine Prüfung schreiben. Erst dann sind sie in der Lage, effektive und qualitative Rechtsberatung zu leisten. Und das ist das Ziel. Asylrecht kommt im Studium nicht vor. Man muss sich intensiv damit auseinandersetzen, um sich auszukennen „in dem asylrechtlichen Dschungel“, wie es Viola ausdrückt.

Foto: Stephan Rumpf

Kleine Schritte, große Ziele

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Vanessa Thuille, 21, Aysegül Kizakli, 23, und Nadine Gardisch, 24, leiten das Projekt „Save The Plate“.Sie wollen kleine Hilfsorganisationen unterstützen – und nebenbei die Lebensmittelverschwendung bekämpfen.

Von Jennifer Lichnau

Elf Leute reden durcheinander. Jeder hat eine andere Vorstellung, aber alle dasselbe Ziel! Das kann anstrengend sein. Besonders für Nadine Gardisch, 24, Vanessa Thuille, 21, und Aysegül Kizakli, 23. Sie leiten das Projekt „Save The Plate“, das es seit März dieses Jahres gibt. Ziel ist, die Lebensmittelverschwendung in München zu bekämpfen. Ein weiterer Schwerpunkt gibt dem Projekt eine soziale Färbung: Die vor der Entsorgung geretteten Lebensmittel sollen ausschließlich an kleine Hilfsorganisationen gehen, die schlecht vernetzt sind und deswegen wenig Aufmerksamkeit bekommen.

Nadine, Vanessa und Aysegül sitzen nebeneinander an einem Tisch. Die Luft im Zimmer ist noch etwas stickig, die acht anderen Mitglieder von „Save The Plate“ haben gerade erst den Raum verlassen. Die drei Studentinnen bleiben zurück, um die Ergebnisse der Sitzung zu besprechen. Vanessa ist mit ihren 21 Jahren die Jüngste in der Gruppe und hat trotzdem gelernt, sich durchzusetzen. Ihre Haare sind zu einem blonden Pferdeschwanz gebunden. Sie lächelt verschmitzt, vor allem dann, wenn sie von den Erfolgserlebnissen der Gruppe erzählt. „Wenn der Wille da ist, funktioniert alles“, sagt sie. Zumindest fast alles. Die Beta-Version ihrer Webseite ist seit vorvergangenem Sonntag online. Noch ist es nur die Beta-Version, noch fehlen sogenannte Nehmer. Das System ist an sich sehr simpel. Eine interaktive Stadtkarte soll aufzeigen, wo Essen abzugeben ist und wo Essen gebraucht wird. Die (Ab-)Nehmer sind Hilfsorganisationen mit Bedarf, die Essens-„Geber“ sind all diejenigen, die Überschuss haben und Nahrungsmittel nicht wegwerfen, sondern abgeben wollen. Von der Privatperson über den kleinen Gemüsehändler um die Ecke bis hin zur großen Bäckereikette kann das jeder sein. Wenn erst mal alles funktioniert wie geplant, kann der Geber sogenannte digitale Essensteller hochladen. Wer darauf klickt, sieht genau, was an Lebensmitteln abzugeben ist. Der Essensteller ist auch das Symbol für „Save The Plate“.

Ein erstes Erfolgsbeispiel ist die Kooperation mit „Culture Kitchen“. Das Kochprojekt versammelt einmal im Monat Flüchtlinge und Einheimische. Sie kochen zusammen, essen zusammen und lernen sich kennen. Bisher hat sich „Culture Kitchen“ die Lebensmittel selbst finanziert, von jetzt an bekommen sie Spenden von „Save The Plate“. „Abgesehen von der inhaltlichen Umsetzung ist allein schon die Botschaft, wahnsinnig wertvoll“, sagt Vanessa, „nicht jeder soll von heute auf morgen alles ändern, um es dann eine Woche später wieder zu vergessen. Wir wollen ein Zeichen setzten und ein nachhaltiges Umdenken fördern, das geht nur Schritt für Schritt.“
In Deutschland schmeißt jeder Bürger pro Jahr durchschnittlich 82 Kilo gut erhaltene Lebensmittel weg. Die Studenten von „Save The Plate“ waren erstaunt, dass viele – mit dieser Information konfrontiert – total überrascht reagieren.

Momentan beschränkt sich der Infokanal der Organisation auf Facebook. Mit 219 Likes ist die Reichweite noch gering. „Wenn man ein solches Projekt anleitet, stößt man ständig auf irgendwelche Schwierigkeiten“, sagt Aysegül. Bevor sie etwas sagt, zieht sie ihre Stirn in nachdenkliche Falten. Nadine und Vanessa stimmen ihr zu. Der Ehrgeiz der Studenten ist mit dem Projekt mitgewachsen. Mittlerweile hat jeder in der Gruppe seinen Platz gefunden, die Arbeitsteilung funktioniert besser und nach den ersten Erfolgserlebnissen, wie der Einladung zum Future-Award in Frankfurt, ist das Team gestärkt.
„Es ist sehr wichtig, dass man auch mal rauskommt aus dem Stress vor Ort und merkt, dass man als Gruppe wahrgenommen wird“, erzählt Vanessa. Beim Future- Award haben sie nicht nur Aufmerksamkeit geerntet, sondern auch viel positives Feedback und wertvolle Tipps bekommen.

Die Studenten organisieren das Projekt neben dem normalen Unialltag, das kostet Zeit und Kraft. „Ohne ehrenamtliches Engagement würde in der Gesellschaft ein großes Loch entstehen, das ist uns allen jetzt bewusst“, sagt Nadine mit Nachdruck in der Stimme. Sie hat feine Gesichtszüge, ihre Stimme ist zart und nimmt oft eine besorgte Färbung an. Gibt es Wünsche für die Zukunft? Kurz herrscht Stille. Die drei Studentinnen müssen ihre Gedanken ordnen. Durch die geöffneten Fenster tritt frische Luft in den Seminarraum. Aysegül lächelt. „Man lernt vor allem auch viel über sich selbst und die Arbeit in und mit der Gruppe“, sagt sie.

Keine der jungen Studentinnen hat zuvor schon mal an einem derartigem Projekt mitgewirkt, geschweige denn eine Leitungsfunktion innegehabt. Der anfängliche Idealismus ist einem engagiertem Pragmatismus gewichen. Wichtig sind ohne Zweifel die Erfolgserlebnisse, vor allem für den Zusammenhalt der Gruppe. Bei der Feier anlässlich der Freischaltung ihrer Webseite haben die elf Lebensmittelretter zwar auf ein anstrengendes Jahr zurückgeblickt, trotzdem waren sie alle zufrieden. Mit dabei war auch die Initiative Culture Kitchen. Und als die Studenten auf die Flüchtlinge treffen, bekommen sie das erste mal eine Rückmeldung, die wirklich zählt. Auch ohne große Worte kommt die Begeisterung zum Ausdruck, auf beiden Seiten. Das Ziel bleibt ein großes, die Schritte dahin bleiben erst mal klein.

Foto: Stephan Rumpf

Heimat am Herd

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Jackie Lang, 25, bringt bei „Essen & Liebe“ Menschen zusammen, die bereit sind, für ihr Menü ein bisschen mehr zu zahlen und damit einen Abend lang eine Patenschaft für einen Flüchtling zu übernehmen.

Von Susanne Brandl

Es geht nur um das Nötigste: Um Kleider, Schuhe und Lebensmittelpakete. Das weiß jeder, der bisher in einer Erstaufnahmestelle für geflüchtete Menschen geholfen hat. Dies ist kein Ort, wo Kontakte geknüpft werden. Kurze Blickwechsel gibt es, freundliches Nicken, ein Lächeln vielleicht, aber längere Gespräche entstehen nicht. Auch die Münchnerin Jackie Lang, 25, hat diesen Sommer im Münchner Notquartier an der Denisstraße „Sachen rumgeräumt“. Doch die Atmosphäre war ihr dort „zu steril“. Sie wollte mit den Leuten reden, ihnen zuhören. Nicht aus der Helferperspektive, sondern „auf Augenhöhe, am besten bei einem gemütlichen Abendessen“, sagt sie. Jackie Lang hat ihr Hobby zum Beruf gemacht hat. Seit einiger Zeit kocht und bäckt sie im Glockenbacher „Aroma-Café“ und im Schwabinger „Laden“.

„Ich bin ganz unbedarft, was Flüchtlingshilfe angeht“, sagt Jackie. Nun hat sie mit einer Einladung „Leute mal aus ihrer Bittsteller-Rolle“ holen wollen. Und so stand sie schließlich sieben Stunden in ihrer WG-Küche und kochte „ohne großen Aufwand“ ein ausgefeiltes 3-Gänge-Menü, „um die Leute aufzufangen und zu signalisieren, dass man sie wirklich kennenlernen will“.
„Die Leute“, das sind für Jackie die Geflüchteten. Sie spricht selten von „Flüchtlingen“ oder „Asylbewerbern“. So lässt schon ihre Wortwahl erkennen, dass sie zwischen den Flüchtlingen auf der einen und den Deutschen auf der anderen Seite nicht unterscheidet. Und es handelt sich bei ihrer Idee des gemeinsamen Essens in keiner Weise um Barmherzigkeit oder gar Mitleid. Zu ihrem Essen lädt Jackie auch Münchner ein. Münchner, die sich nicht kennen. Alle Gäste sind sich fremd. Und so entbindet sie die Flüchtlinge von ihrem Stigma. Es geht ums Kennenlernen, egal, woher man kommt und wer man ist.
Das Essen mit den Flüchtlingen gehört zu einem Konzept, das Jackie schon länger verfolgt: Seit diesem Sommer organisiert sie sogenannte Supperclubs. Im Internet erstellt sie eine Aktion, bestimmt den Ort und lädt jeden ein, der kommen will. Ob Freund, Bekannter oder Unbekannter, die Leute zahlen über Paypal, Jackie karrt das Essen ran und bestellt einen DJ. Beim gemeinsamen Buffet im Grünen kommen sich die Leute näher.

Dass Jackie die Dinge entspannt sieht, erfährt man nicht nur, wenn sie erzählt, dass sie mehr durch Zufall „in der Gastro hängen geblieben“ ist. In Ringel-Shirt und Latzhose sieht sie lässig aus. Cool wirkt es, wie sie ihre braunen Locken zum Dutt gewickelt hat, und auch ihr Nasenpiercing passt zu ihrer lockeren, aber toughen Art. 

Um das 3-Gänge-Menü zu finanzieren, sucht sich Jackie über ihre Facebook-Seite „Essen & Liebe“ Menschen zusammen, die bereit sind, für ihr Menü ein bisschen mehr zu zahlen und damit einen Abend lang eine Patenschaft für einen Flüchtling zu übernehmen. Für jede verbindliche Zusage eines Münchners lädt Jackie einen geflüchteten Menschen ein. In nur einer Woche hat sie über Internetportale und soziale Netzwerke 15 Gäste gefunden.
Sie begibt sich ins Münchner Hauptbahnhofviertel und kauft beim Türken Halal-Fleisch, schmort das Lamm in ihrer Küche, schnippelt, brät und würzt, bis die Gäste kommen, die noch nicht wissen, was sie erwartet: Zur Vorspeise eine Kürbissuppe mit Koriander und Crème-fraîche-Dip, ein Feldsalat mit Granatapfelkernen und gebratenem Ziegenkäse, ein Orangen-Fenchelsalat mit Walnüssen, Zucchinipuffer, das Lamm und zum Schluss Maronen-Mousse.
Doch nicht nur das feine Menü hebt die Stimmung, auch der reichlich gedeckte, mit Blumen und Kerzen geschmückte Tisch im Wohnzimmer, der Kamin in der Ecke und die Discokugel an der Decke. Menschen, die sich zuvor nicht kannten, mischen sich untereinander, jeder plaudert mal mit jedem.

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Zwei Jungs aus Somalia, ein junger Mann aus Syrien und selbst die Afghanin, die erst seit vier Monaten in Deutschland ist, unterhalten sich in einwandfreiem Deutsch mit den Münchnern. Im Zweiergespräch geht es auch mal um die Fluchtgeschichten, um den langen Weg nach Europa, aber ansonsten drehen sich die Themen um Arbeit, Freizeit und den Musikgeschmack. Die Gäste legen ihre Musik auf, unter afghanische Klänge mengen sich die deutschen Charts, arabische und europäische Hits wechseln sich ab. Und schließlich tanzen alle.
„Am Anfang war ich schon ein bisschen nervös“, sagt Jackie hinterher, „man weiß ja nie, ob die Gäste auf einer Wellenlänge sind. Sie haben unterschiedliche Hintergründe. Wie harmoniert das? Vielleicht tritt jemand in ein ganz großes Fettnäpfchen, was menschlich ist, was auch nicht schlimm ist, aber was den Abend beeinträchtigen kann. Am Ende muss man ins kalte Wasser springen und dann wird es auch klappen!“ 

Und ob. Bevor sie am späten Abend nach Hause spazieren, haben fremde Menschen Telefonnummern ausgetauscht, viel gelacht, getanzt und „einfach vergessen, was sonst so abgeht“. Und das ist doch weit mehr als nur das Nötigste.

Foto: Jackie Lang, Julien Hoffmann