Internationale Familie

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Teresa Bertram, 27, hat MindLinks gegründet. Es ist eine Gemeinschaft in München, die Studenten und Geflüchteten die Möglichkeit geben will, sich auf Augenhöhe zu begegnen.

Auf einem Hügel steht eine majestätische Burg. Krak des Chevaliers heißt sie. Dieses Bild ist auf eine Wand im Institut für Soziologie projiziert. Ein junger Mann mit schwarzen, kurzen Haaren und Bartstoppeln steht neben dem Bild und redet über sein Heimatland Syrien. „This is my favourite one“, sagt Ghassan Abdulhadi, 24. „You should do Wandern.“ Im Raum lachen alle auf, weil dem Syrer eher das deutsche als das englische Wort einfällt. Die Tische sind an die Wand geschoben, 16 Menschen sitzen im Stuhlkreis und hören dem Syrer zu. Die meisten sind jung, zwischen 20 und 30 Jahre alt. Die Truppe ist bunt gemixt: Geflüchtete, Münchner, internationale Studenten ohne Fluchthintergrund. Es sind sowohl Frauen als auch Männer da. Alle sind leger gekleidet, aber nicht spießig, sie haben Jeans und dazu Pulli oder Sweatshirt an. Die Atmosphäre ist locker und entspannt.

Auch Teresa Bertram besucht dieses Seminar. Die 27-Jährige hört interessiert zu. Es geht um Syrien vor dem Krieg. Eines von vielen Themen, um das es in den Diskussionsseminaren von MindLinks geht. Zusammen mit dem Ägypter Mahmoud Bahaa und der Amerikanerin Mallissa Watts hat Teresa MindLinks vor fast zwei Jahren gegründet. Es ist eine Gemeinschaft in München, die Studenten und Geflüchteten die Möglichkeit geben will, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Die drei Gründer fanden es toll, dass es viele Hilfsangebote für Flüchtlinge gibt. „Aber oft entsteht ein Hierarchiegefälle in irgendeiner Art und Weise, wenn einer bedürftig ist und ein anderer die Ressourcen hat“, sagt Teresa. „Mallissa hatte davor schon ganz viel in Flüchtlingsheimen und bei Essensausgaben geholfen und dann auch gemerkt, dass ihr der Austausch fehlte. Und ich habe in der Zeit, in der das Flüchtlingsthema in Deutschland so groß war, in London studiert und wollte auch gerne etwas machen.“

Jeden Montagabend um 19 Uhr findet ein Diskussionsseminar im ersten Stock des Instituts für Soziologie an der LMU statt. Dabei geht es jede Woche um die unterschiedlichsten Themen: Politik, Religion, Naturwissenschaft, Soziologie, Psychologie, Sexualität. Nach dem Vortrag wird diskutiert. Je nachdem, welches Thema sich der Vortragende aussucht, wird mal hitziger gestritten, mal gibt es kaum Wortmeldungen. Geredet wird auf Englisch, weil sich so alle verständigen können. Da die Flüchtlinge und inzwischen auch viele internationale Studenten ohne Fluchthintergrund auch Deutsch lernen wollen, bietet MindLinks davor eine Deutschstunde an. „Sprich mit!“ heißt sie. Außerdem koordiniert MindLinks ein Partnerprogramm. Es nennt sich „Peer-Partner-Programm“. Dabei bilden eine Person mit und eine ohne Fluchthintergrund ein Tandem. Gemeinsamkeiten, ähnliche Interessen oder ein akademischer Hintergrund sind Voraussetzungen, um zwei Personen zusammenzubringen. Wichtig ist, dass es nicht einen Mentor und einen Schützling gibt, sondern dass beide Personen sich auf einer Ebene begegnen. „Ich glaube, dass Sprache im Vordergrund steht, aber viele tauschen auch mehr als nur Sprache aus, zum Beispiel die Kultur, und machen viel zusammen“, sagt Teresa Bertram. „Da waren einige dabei, die enge Freunde geworden sind.“ So auch Ghassan und Duygu Büyükerzurumlu, 24. Sie interessieren sich beide für Medizin und haben viel gemeinsam unternommen.

Ghassan sieht inzwischen die ganze Gruppe als seine Familie an. Er freut sich auf die Seminare, weil er dort seine Freunde, aber auch neue Menschen trifft. Außerdem besucht er den Deutschkurs, um die Sprache zu verbessern, denn er möchte irgendwann in Deutschland Medizin studieren – so wie seine Tandempartnerin Duygu. Ghassan hat in Syrien bereits Anästhesiologie studiert und wartet momentan auf einen Studienplatz. Zuvor hat er als Freiwilliger in einem Second-Hand-Shop der AWO und in einem Restaurant gearbeitet.

Kinan Al Akhmar, 23, besucht seit anderthalb Jahren die Veranstaltungen von MindLinks, hat beim Peer-Partner-Programm mitgemacht und engagiert sich jetzt im Seminarteam. „MindLinks hat mir geholfen, die Sprache und Kultur zu lernen“, sagt Kinan. Er war zuvor in einem Integrationskurs. Dort wurde ihm gesagt, dass er keine Freunde in Deutschland finden wird, außer er ist Teil einer Gruppe. Als er aus Syrien hierher kam, hatte er 250 Freunde auf Facebook, nun hat er 700 – auch wenn das nichts heißen muss. Er lebt bereits seit zwei Jahren in Deutschland. Jetzt macht er in München eine Ausbildung zum Kaufmann im Groß- und Außenhandel. Kinan mag die Gruppe, weil sie abwechslungsreich ist und er keine Angst hat, seine Ideen mitzuteilen. Er kommt jeden Montag zu den Diskussionsseminaren, weil es ihm viel Spaß macht und viel gelacht wird.

Während Kinan auf dem Laptop eine Seite weiterklickt bei der Präsentation, erzählt Ghassan etwas zu den Bildern. Auf der Wand sieht man das römische Theater in Bosra. Medizinstudentin Anna Raabe, 26, fragt, ob es noch steht. Darauf antwortet Ghassan, dass die meisten Ruinen zerstört worden sind. Der Vortrag und die anschließende Gesprächsrunde laufen ruhig ab. Das kann aber auch anders sein: Gerade bei emotionalen Themen wie Politik gibt es auch mal Konfliktsituationen. Vor ein paar Monaten hat ein Geflüchteter nach langem Überlegen des Teams einen Vortrag über den Krieg in Syrien gehalten. „Vor allem in der Gruppe der Geflüchteten war es schwierig“, sagt Teresa, „weil da natürlich auch Leute zusammenkommen, die in Syrien auf ganz unterschiedlichen Seiten standen und das natürlich superemotional aufgeladen ist.“ Die Situation ist aber nicht eskaliert, denn zu dem Zeitpunkt kannten sich alle so gut, dass manche zwar ein bisschen aneinandergeraten sind, aber danach war wieder alles gut.

Die Gesprächsrunde ist beendet. Manche bleiben noch sitzen und reden mit ihrem Sitznachbarn weiter – auf Englisch, aber auch auf Deutsch. Andere gehen nach vorne und gießen sich Saft oder Wasser in einen Plastikbecher und stellen sich zusammen. Wie auch schon beim Diskussionsseminar ist die Atmosphäre locker und rundherum sind oft Lacher zu hören. „Nach einem Jahr sind es deine Freunde und deswegen komme ich“, erzählt Anna. Sie hat so etwas wie bei MindLinks noch nie erlebt: „Man lernt, auf höfliche Art und Weise zu diskutieren, jede Meinung ist akzeptiert.“

Text: Lena Schnelle

Foto: Stefanie Preuin

„Fleiß, Fleiß, Fleiß“

Es ist nicht der Integrationsdruck, sondern seine von Haus aus stenge Arbeitsmoral, die den gebürtigen Afghanen Jassin

Akhlaqi in Deutschland etabliert hat. Der Informatikstudent und Vorzeige-Flüchtling engagiert sich im Bündnis ‘Jugendliche ohne Grenzen’.

München – Jassin Akhlaqi musste oft deutlich härter kämpfen als seine deutschen Mitschüler. Seit fünf Jahren lebt der gebürtige Afghane schon in Deutschland. Zuvor musste er sich mit seiner Familie neun Jahre lang als Kriegsflüchtling ohne Papiere im Iran durchschlagen. Doch Jassin hat sich in München durchgekämpft und niemals aufgegeben. Von der Übergangsklasse über die Hauptschule bis hin zum Abitur. „Man muss seine Träume zulassen können – und unaufhörlich dafür arbeiten“, sagt er – und lächelt dazu.

Jassin, 20, studiert Informatik. Und er engagiert sich ehrenamtlich für das Bündnis „Jugendliche ohne Grenzen“ (JoG). Diese von jungen Geflüchteten im Jahr 2005 gegründete Organisation unterstützt vor allem unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und folgt dem Grundsatz, „dass Betroffene eine eigene Stimme haben und keine stellvertretende Betroffenen-Politik benötigen“, wie es auf der Website der Organisation steht. 

Ohne diese Organisation stünde Jassin vielleicht nicht dort, wo er heute ist. Die Ruhe, die der zierliche junge Mann ausstrahlt, war am Anfang nicht da. In den ersten Monaten hatte er Schwierigkeiten, einen Anschluss zu finden. Über Freunde auf dem Bolzplatz fand er zu JoG. „Mir wurde geholfen. Und das wollte ich weitergeben“, sagt er heute in fehlerfreiem Deutsch. 

Und das hat er getan. Vielen afghanischen Geflüchteten hat er die komplizierten Briefe vom Amt übersetzt, einen Anwalt vermittelt oder einen Sprachkurs organisiert. Im Sommer fährt er mit JoG auf die griechische Insel Lesbos. Hier kommen immer wieder Schlauchboote von der anderen Seite des Mittelmeeres an. „Wir können dort schnell übersetzen und Schwangere beispielsweise zu den Erste-Hilfe-Einrichtungen leiten“, sagt Jassin. 

Bei JoG, einer bundesweiten Initiative, wirken Jugendliche aus vielen Ländern und Kulturen mit. Genau das fasziniere ihn so sehr dort, sagt Jassin. „Wir wollen alle langfristig etwas verändern – dadurch funktioniert das Ganze auch so gut.“ Die Organisation setzt sich klar für ein liberaleres Asylgesetz in Deutschland ein und plant eine Vielzahl an Demos oder Infoständen. So sprach Jassin zum Beispiel vor wenigen Monaten vor Tausenden Menschen bei der vom Bellevue di Monaco organisierten Kundgebung „Wir sind alle von wo“ auf dem prall gefüllten Max-Joseph-Platz. Mit durchaus provokanten Aktionen wie die jährliche Wahl zum „Abschiebeminister des Jahres“ wollen die jungen Geflüchteten immer wieder größere Aufmerksamkeit erzielen. 

Selten sei die Arbeit von JoG so wichtig gewesen wie derzeit, sagt Jassin. Besonders, seitdem Innenminister Thomas de Maizière Ende 2016 mehrere Regionen Afghanistans als „hinreichend sicher“ erklärt hat und viele Asylanträge nun abgelehnt zu werden drohen, sei der Terminkalender der Ehrenamtlichen bei JoG voll. Natürlich wirke sich das stark auf die Stimmung vieler in Deutschland lebenden Afghanen aus. „Das ist kein Fair-Play mehr“, sagt Jassin. „Die Menschen fliehen vor Krieg und haben inzwischen kaum Bleibeperspektiven.“ Da lohne sich der Aufwand, etwa eine neue Sprache zu erlernen, selten. 

Trotzdem versuche er, Hoffnung zu geben. Auch weil er selbst nicht hängen gelassen wurde. Nicht von Lehrern, die ihn förderten, und auch nicht von sich selbst. Jassin hat seine Chancen genutzt und will andere Menschen dafür motivieren, dasselbe zu tun. „Das gibt mir die Motivation, einfach weiterzumachen“, sagt er und lächelt dabei beinahe bübchenhaft. 

Trotz dieser unaufdringlichen Art steht Jassin oft im Mittelpunkt. Er hielt schon mehrere Vorträge an der Hochschule und wirkt im Jugendensemble „Kammerclique“ der Münchner Kammerspiele mit. Nebenher spielt der 20-Jährige noch Fußball, engagiert sich als Schiedsrichter und gründete die Ehrenamtlichen-Plattform www.ehrenamtsuche.de. Er gibt seinen Nachbarskindern Mathenachhilfe und wurde zum Semestersprecher seines Studiengangs gewählt. 

Derartiges Engagement ist für Jassin etwas Selbstverständliches. Es gebe nur drei Faktoren für Erfolg, sagt er: „Fleiß, Fleiß und noch einmal Fleiß.“ In harter Arbeit sieht er den Schlüssel für all die Dinge, die er erreichen konnte. „Mit Intelligenz allein kommst du nicht weit“, fügt er hinzu. Das mag klingen wie ein ausgeleierter Spruch eines amerikanischen Life-Coaches. Und es scheint bei ihm doch seinen wahren Kern zu haben. Das ist wohl auch der Grund, warum so viele Menschen ihn in die Schublade des „Vorzeige-Flüchtlings“ stecken wollen. Ob er sich denn einer Vorbildrolle bewusst ist? „Jeder soll das nennen, wie er will. Mir ging es immer nur darum, meine eigenen Ziele zu erreichen“, erklärt der Informatik-Student. Inzwischen besitzt er eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis bis 2018. Und danach? Jassin kann nur hoffen. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass selbst Geflüchtete mit einem festen Arbeitsverhältnis ausgewiesen werden können. Trotzdem strahlen Jassins dunkle Augen weiter Ruhe und Zuversicht aus.

Wer ihn kennengelernt hat, dem bleibt Jassin auch schnell im Gedächtnis. „Durch seine ausgesprochene Höflichkeit, mit der er jeden begrüßt hat, ist mir Jassin sofort aufgefallen“, sagt Matthias Weinzierl. Er ist Vorstandsmitglied im Bellevue di Monaco, einem Wohn- und Kulturzentrum für unbegleitete minderjährige Geflüchtete in der Müllerstraße. In den dazugehörigen Wohnungen hat Jassin einige Zeit mit seiner Mutter und seinen Schwestern gelebt. „Er ist eine wirkliche Ausnahmeerscheinung. Obwohl er so viel Beachtliches geleistet hat, macht er weiter“, sagt Weinzierl. Er vernetze unaufhörlich Menschen und stehe mutig für seine Ideale ein. „Das ist nichts Selbstverständliches bei all dem, was er schon erlebt hat“, sagt er.
 Jassin versteht sich darauf, offene Türen zu finden und diese dann auch zu nutzen. Und will dabei stets andere mitziehen. „Wenn du jemandem etwas gibst – Hilfe, Aufmerksamkeit – dann kommt auch immer etwas zu dir zurück“, sagt er. Er spricht viele solcher druckreifen Sätze. Wirkt dabei deutlich älter und erfahrener als seine schmächtige Statur es vermuten lässt.
 Wer seine Vorbilder gewesen seien, als noch nicht alles so rund lief wie inzwischen? Jassin zuckt mit den Schultern. Nennt Mandela und Gandhi. Und, ganz beiläufig, sich selbst. „Ich kenne niemanden, der meinen Weg so weit gegangen ist“, sagt er. Nun schwingt auch ein wenig Stolz mit in seiner Stimme. 

Er fängt an von Zukunft zu erzählen. Von seinen Plänen nach dem abgeschlossenen Informatikstudium. Von einer App, die er entwickeln wolle, die Neuankommenden etwa bei Behördengängen helfen soll. Die Geflüchteten ein Forum bieten wird, um Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig unterstützen zu können. Und je länger er spricht, je ausschweifendere Gesten seine Hände zu zeichnen beginnen, desto mehr wird auch klar, dass Jassin all das einmal erreichen wird.

Text: Louis Seibert

Foto: Stephan Rumf

Neuland: Crisis

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Integration von Flüchtlingen funktioniert nicht ohne ehrenamtliches Engagement. Was Menschen in München und Beilngries tun, damit sich die Flüchtlinge zu Hause fühlen, zeigt Sebastian Geller in „Crisis”.

Vor einem Jahr erreichten Deutschland plötzlich viel mehr Flüchtlinge als zuvor. München wurde damals für seine Willkommenskultur gelobt. Regisseur Sebastian Geller, 29, der in München aufgewachsen ist, war stolz auf seine Heimatstadt. Er selbst hat vieles nur über die Medien mitverfolgt, weil er seit zwei Jahren in Brighton studiert. Für seine Masterarbeit drehte er eine Dokumentation. Das Ergebnis ist „Crisis“. In dem 22-minütigen Film geht es um Integration und ehrenamtliches Engagement in München und Beilngries.

„Mein persönlicher Eindruck ist, dass die Mehrheit Flüchtlingen positiv gegenüber steht, aber auch, dass mit Ängsten in der Bevölkerung besser umgegangen werden muss“, sagt Sebastian. Musikalisch unterlegt ist der Dokumentarfilm unter anderem mit einem Lied der Münchner Band Young Chinese Dog, die selbst schon auf der Kundgebung „Hand in Hand gegen Rassismus“ aufgetreten ist.

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Geplant ist nun, den Film noch um die Frage nach dem Zuwachs von rechten Bewegungen zu erweitern. „Der Film soll auch als Hoffnungsmacher für Flüchtige und Helfer dienen, und in einer kleinen persönlichen Randnotiz auch als eine Ode an München“, sagt Sebastian. 

Von: Jacqueline Lang

Fotos: Sebastian Geller

Die vergessene Insel

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Die Münchner Jura-Studentin Victoria Lehmann hat auf der griechischen Insel Chios Flüchtlinge beraten.
Es gab Erlebnisse, die sie auch hier in Deutschland nicht loslassen. Ein Gespräch.

Victoria Lehmann macht im Frühjahr ihr erstes Staatsexamen und sie gibt Rechtsinformationen für Flüchtlinge. In Griechenland. Zusammen mit ihren Freundinnen Mahja Afrosheh und Nessrin Scheppach verbrachte sie eine Woche auf Chios, einer kleinen, griechischen Insel etwa 15 Kilometer vor der Türkei.

SZ: Es ist schon ganz schön mutig, einfach nach Griechenland in ein Flüchtlingscamp zu gehen.
Victoria Lehmann: Was heißt mutig? Wir waren ja im Team unterwegs und haben auch gemeinsam in einer Unterkunft geschlafen, also waren wir nie alleine. Außerdem sind dort viele ehrenamtliche Helfer unterwegs, wir waren in ein größeres Netzwerk von Hilfsorganisationen eingebunden. Ich hatte also nie Angst.

Was hat dich bewogen, das zu machen?

Während des Studiums hat man sehr viel mehr Zeit als später im Job. Ich arbeite schon nebenbei in einer Kanzlei für Asylrecht und möchte später auch in diese Richtung gehen. Außerdem: Wenn man schon das Wissen für diese Rechtsinformationen hat, wäre es schade, damit nicht zu helfen, wenn es so dringend nötig ist.

Wie bist du zu dem Projekt gekommen?
Ich bin seit Jahren bei Amnesty International in der Hochschulgruppe und auch bei anderen NGOs aktiv und so zum Thema Asyl und Flüchtlinge gekommen.

Wie habt ihr vor Ort gearbeitet?
Beim Frühstück gab es die erste Teambesprechung, also: Wer macht was? Dann ging es in das Camp. Wir haben den Flüchtlingen erklärt, was rechtlich beim Asylverfahren auf sie zu kommt und welche Fragen gestellt werden könnten. Abends haben wir dann noch eine Art Homeoffice gemacht, also Anträge bearbeitet und Daten hochgeladen. Auch jetzt noch, also zurück in Deutschland, versuchen wir ein bisschen nachzuarbeiten. Denn der Bedarf vor Ort ist nach wie vor sehr groß, Chios ist ein bisschen die vergessene Insel.

Die vergessene Insel?
Ja, die mediale Aufmerksamkeit liegt eher auf Lesbos. Die Lage in Chios ist nicht so bekannt, keine Vertreter der EU oder der UN waren hier. Es gab auch keine Rechtsinformationen dort. Darunter haben die Menschen besonders gelitten.

Inwiefern?
Man merkt sehr schnell, dass es nicht nur die Bedingungen der Unterbringung sind, die die Menschen belasten. Das Wissen, dass sie hier so schnell nicht wieder weg können und dass kaum Informationen durchkommen, ist allgegenwärtig. Sie erdrückt einen beinahe.

Was genau konntet ihr vor Ort tun?
Seit dem Abkommen mit der Türkei gilt ja, dass nur noch für vulnerable Gruppen die Türkei kein sicherer Drittstaat ist, also wenn man beispielsweise schwanger ist oder minderjährig. Wir haben die Flüchtlinge auf die Interviews und die Fragen dazu vorbereitet.

Wie sind die Bedingungen im Camp allgemein?
Eines der Hauptprobleme ist die fehlende Privatsphäre. Familien stellen ihre Schuhe zur Abgrenzung nebeneinander auf, um sich zumindest eine Art Rückzugsraum zu schaffen. Außerdem haben die Plastikzelte keine Fenster und erhitzen sich sehr schnell. Die sanitären Anlagen sind katastrophal. Es herrscht einfach ein unglaubliches Gefühl der Verzweiflung. Man kann sich nicht vorstellen, dass das Europa ist und dass auf der gleichen Insel Touristen ihren Urlaub genießen.

Welche Erlebnisse lassen dich auch hier in Deutschland nicht los?
Puh, es gab so viele. Aber einmal demonstrierten zum Beispiel die Einwohner Chios am Eingang des Camps. Etwa 200 Leute versammelten sich und zündeten unter anderem Bengalos. Als die Demonstration begann, war ich noch im Camp. Um mich herum zuckten die Kinder zusammen und versteckten sich. Sie kannten die Geräusche noch aus Syrien und konnten erst einmal nicht unterscheiden, dass das nur eine Demonstration war. Da wird einem bewusst, wir können die Lücke im System nicht füllen, ein Gefühl der Ohnmacht.

Möchtest du gerne noch einmal nach Griechenland?
Jetzt mache ich erst mal Examen im Frühjahr, davor wird es knapp. Wir hatten natürlich mit dem Gedanken gespielt, aber das macht im Moment zeitlich keinen Sinn.

Interview: Pia Teresa Weber

Foto: Mahja Afrosheh

Von Mensch zu Mensch

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Die drei  jungen Münchner

Filmemacher

Kai Sitter, 28, Veronika Schwarzmaier, 26, und Seren Sahin, 27,  wollen in diesem Jahr den Kurzspielfilm “Gestrandet” drehen und darin die persönliche Geschichten von Flüchtlingen erzählen. Eine der Hauptrollen spielt eine geflüchtete Syrerin. 

Ein kleiner Blickkontakt kann alles verändern. Zwei einander fremde, junge Frauen – nur ganz kurz sehen sie sich in die Augen, dann gehen sie wieder auseinander. Was alltäglich klingt, wird durch die Situation, in der sie sich begegnen, brisant. Die Szene: Tumult vor einer Flüchtlingsunterkunft in München. Lautes Geschrei, Beleidigungen, Gedränge, Sirenen ertönen – die Stimmung ist aufgeheizt, die Lage unübersichtlich. Mitten drin: zwei junge Frauen. Die eine blickt eingeschüchtert aus dem Wohnheim auf das, was dort passiert. Die andere ist Polizistin und steht vor dem Haus. Die Szene trennt und verbindet die beiden Frauen gleichzeitig. Nur einen kurzen Augenblick treffen sich ihre Blicke. Genau dieser Moment wird die beiden Frauen, die aus so unterschiedlichen Lebenswelten kommen, nicht mehr loslassen.

Dieser Blickkontakt ist die Schlüsselszene des Kurzspielfilms „Gestrandet“, den drei junge Münchner noch dieses Jahr drehen wollen. Dass die Flüchtlingssituation gerade in München als Thema für einen Film dient, ist an sich nicht außergewöhnlich. Was dieses Projekt speziell macht, sind seine Schauspieler. Während die Polizistin von Regina Speiseder gespielt wird, die nach ihrer Schauspielausbildung bereits in Formaten wie „Rosenheim-Cops“ mitgewirkt hat, wird die Rolle der Geflohenen mit Lelas Alsayed besetzt. Eine Frau, die vor knapp vier Jahren selbst aus ihrer Heimatstadt Homs in Syrien fliehen musste und keine professionelle Schauspielausbildung hinter sich hat. 

Doch wie kam es zu diesem Konzept? Die drei Verantwortlichen des Films sitzen in einem Münchner Café. Auf dem Tisch stehen ein Cappuccino für Regisseur Kai Sitter, 28, ein Glas Tee für Drehbuchautorin Veronika Schwarzmaier, 26, und ein Spezi für Schauspieler Seren Sahin, 27. „Viele stürzen sich auf das Thema. Wir haben lange gebraucht, um den richtigen Zugang zu finden“, erzählt Kai. Beeindruckt von den Entwicklungen im vergangenen Jahr begann er, sich zusammen mit seinem langjährigen Freund Seren Sahin ehrenamtlich in Flüchtlingsunterkünften zu engagieren. Aus den Erlebnissen entwickelte sich der Drang, auch von diesen zu erzählen. Durch ihre eigenen persönlichen Kontakte entstand am Ende die Idee, dass mit einem Mix aus professionellen Schauspielern und Geflohenen, also Laiendarstellern, ein Film entstehen soll. „Als Schauspieler könnte man es spielen, aber nicht so gut. Man muss das erlebt haben“, erklärt Seren, der für das Casting des Films verantwortlich ist und auch selbst eine Rolle übernehmen wird. Auch Veronika, die Drehbuchautorin, machte ihre persönlichen Erfahrungen mit Geflüchteten und fand es „logisch“, mit Laiendarstellern zu drehen.
 

In der aktuellen Flüchtlingssituation sieht das Filmteam das Problem, dass oft nur nach allgemeinen, perfekten Lösungen gesucht werde. Das gehe aber am Leben und an der Realität vorbei. Die Situation müsse im Alltag angenommen werden, woraus sich dann persönliche Begegnungen ergäben, ohne die man in der Praxis nicht weiterkomme. „Beide Seiten müssen aufeinander zugehen“, sagt Veronika. Deshalb stellt sie in ihrem Drehbuch die Begegnung der beiden Frauen in den Mittelpunkt – auch, wie dieser Kontakt die beiden weiter beschäftigt.
 

Seit knapp einem Jahr arbeiten sich die drei Münchner nun in das Thema ein, haben Kontakte geknüpft und Schauspieler gesucht. Über eine persönliche Empfehlung fanden sie schließlich Lelas Alsayed für die Hauptrolle der geflüchteten Frau. Die studierte Psychologin floh aus Syrien zunächst nach Ägypten. Dort gründete sie unter anderem ein Sozialzentrum für Flüchtlinge, bevor sie vor knapp zwei Jahren nach Deutschland kam. Das Filmteam war von Anfang an überzeugt von Lelas Alsayed: „Sie weiß genau, was wir wollen, welche Intention wir haben und war auch sehr offen“, sagt Kai.

In „Gestrandet“ soll es nicht darum gehen, persönliche Geschichten von der Flucht zu erzählen, sondern darum anzukommen, in der Gegenwart zu sein. „Es entstehen so viele Barrieren, nur weil man sich nicht kennt“, sagt Kai, „aber man muss auch die Bereitschaft haben, selbst Menschen kennenlernen zu wollen.“ Er spricht von „Politikerschlagworten“ wie „Welle“ oder „Strom“, die Anonymität erzeugten. Diesen Begriffen soll im Film der persönliche Kontakt entgegenstellt werden. „Auch die Polizistin ist in dem Sinne gestrandet“, sagt Veronika, „die Fremdheit ist da, man muss sich aber dazu entscheiden, sie zu überwinden.“ Vor ihr steht dabei ein volles, mittlerweile kaltgewordenes Glas Tee. Die drei Beteiligten haben sich so in Rage geredet, dass die Drehbuchautorin schlicht vergessen hat zu trinken.
  

Ende August will das junge Team den Film drehen. Die Zeit drängt, sagt Kai. Bei vielen Akteuren wisse man nicht, wie lange sie an ihrem jetzigen Aufenthaltsort bleiben könnten.  

Von: Richard Strobl

Foto: Privat

Alles ist möglich

Samuel Flach, 25, plant ein besonderes Projekt: Bei
„Gemeinwohlwohnen“ sollen Flüchtlinge, Menschen mit Behinderung und Studierende
zusammenleben

Samuel Flach liegt in seinem Bett. Er starrt die Decke an. Er schaut auf die Uhr. Eigentlich müsste sein Assistent schon längst da sein. Er fischt nach seinem Handy. Akku leer. Alleine aufstehen kann er nicht. Samuel ist querschnittsgelähmt. „So eine Situation ist scheiße, so richtig, richtig scheiße. Alltag ist das nicht, aber es kann passieren, zum Beispiel wenn mein Assistent in der U-Bahn feststeckt.“  
 

Samuel lebt in einer Wohngemeinschaft mit einer Mitbewohnerin, die ihm hilft und bei ihm angestellt ist. Eigentlich ein super Prinzip, aber wenn einer mal länger weg bleiben will oder seine Mitbewohnerin mal nicht da ist, ist es schwierig. Deswegen kam Samuel auf die Idee, dass es besser wäre, mit mehr Menschen zusammenzuwohnen. Als er dann auch noch zufällig auf Alejandro Hünich traf, der sich in einem Projekt engagiert, in dem Flüchtlinge und Studierende gemeinsam leben, entstand die Idee zu einem ganz besonderen Wohnprojekt: Gemeinwohlwohnen, ein Projekt, in dem Flüchtlinge, Menschen mit Behinderung und Studierende zusammenleben sollen. „Alle Mitbewohner und Mitbewohnerinnen, ob mit oder ohne Behinderung, könnten von dem Wohnkonzept profitieren und selbstbestimmter leben“, sagt Samuel. Von dieser Idee ist er überzeugt.
 

Samuel sitzt seit seinem 20. Geburtstag im Rollstuhl. Jetzt ist er 25. Damals hatte er ein Jahr Zivildienst in Uganda gemacht und fuhr zum Abschluss und zur Feier seines 20. Geburtstages nach Sansibar, einer kleinen Insel vor Tansania. Direkt nach der Ankunft rannte er über den Strand und machte einen Hechtsprung ins Meer. Dabei stieß er mit dem Kopf vermutlich gegen eine Sandbank. Ein Halswirbel zersplitterte.
 „Ich würde sagen, es war ziemlich knapp“, sagt Samuel. „Ich war ja bei Bewusstsein, aber ich kam halt nicht raus und hatte auch nicht mehr viel Luft.“ Aber Einheimische am Strand sahen ihn, zogen ihn sofort aus dem Wasser und holten Leute von der ansässigen Tauchschule. Mit Plastikflaschen wurde sein Kopf stabilisiert, damit nicht noch mehr kaputt gehen konnte. Er musste schleunigst operiert werden, so viel stand fest. Aber es gab keinen Hubschrauber auf der Insel. Letztendlich organisierte und bezahlte ein tansanischer Manager einen Safari-Hubschrauber, der Samuel nach Daressalam flog. Dort wurde er untersucht und weiter nach Nairobi gebracht, wo er operiert werden konnte. Nach zehn Tagen kam Samuel nach Deutschland in die Unfallklinik in Murnau, wo er ein halbes Jahr verbrachte.
 

Seine Stimme ist leiser geworden, während er über seinen Unfall redet. Aber genauso fest. „Ich habe das schon so oft erzählt“, sagt er. „Immer wieder fragen mich Leute mit mitleidigem Blick, was mir denn passiert sei. Die können sich einfach nicht vorstellen, dass der Rollstuhl für mich inzwischen Alltag ist.“ Er sitzt in seiner Küche am Tisch. Bunt kariertes Hemd, Haare zurückgebunden. „Klar war das ein Bruch in meinem Leben“, sagt er, überlegt kurz und widerspricht sich dann: „Nein: Mein Leben ist mein Leben.“
 Nach dem Aufenthalt in der Klinik in Murnau war er wiederholt in einer Reha in Pforzheim. Sie versprachen viel. Sogar, dass Querschnittsgelähmte wieder laufen könnten. Bei ihm passierte das nicht. Nach fast einem Jahr Reha beschloss er zu studieren: „Ich wollte nicht länger mein Leben damit verbringen, nach einem Ziel zu streben, dass ich vermutlich nie erreichen würde“, sagt er. „Es ist jetzt einfach so. Ich sitze im Rollstuhl. Mittlerweile ist das normal geworden.“

Er wohnt seit vier Jahren in München, hat gerade seinen Bachelor in Ethnologie gemacht. Jetzt hat er sich für einen Bachelorstudiengang Statistik angemeldet. Um ganz was anderes auszuprobieren, wie er sagt. Er engagiert sich viel, macht bei einem inklusiven Theaterprojekt an Mittelschulen mit und ist aktiv in dem Verein für Jugendaustausch, mit dem er selbst in Uganda war. Außerdem reist und schreibt er viel. Aber auch sein Projekt Gemeinwohlwohnen nimmt ziemlich viel Zeit in Anspruch. Allein zwei bis drei Tage pro Woche beschäftigt er sich ausschließlich mit dieser Idee.
 Seit Anfang 2016 arbeiten er und Alejandro an dem Konzept. Kernidee ist, dass Menschen mit Behinderung ihre Mitbewohner anstellen und mit ihrem Pflegegeld bezahlen. Dadurch haben Studierende und Flüchtlinge, die Arbeit suchen, die Möglichkeit, auf Minijob-Basis zu arbeiten. Außerdem können Flüchtlinge durch das Zusammenleben leichter Deutsch lernen – und durch eine Wohngemeinschaft werden die Mieten günstiger. Es ist ein Vorhaben, das für alle Vorteile schafft. Aber auch Bildungsarbeit soll es leisten und die dort gelebten Werte wie Toleranz und Inklusion sowie die Idee an sich an die Öffentlichkeit tragen. Daher hätten sie auch gerne einen Gemeinschaftsraum. Manchmal träumen sie sogar von einem Café.
 

Mittlerweile ist das Projekt gewachsen. Gemeinsam mit den Mitgliedern eines schon bestehenden Wohnprojekts haben Samuel und einige Freunde den Verein Zusammen-Leben gegründet. Dieser dient als Trägerorganisation. Jetzt suchen sie nach einer Wohnung, die groß genug für etwa acht Leute ist, halbwegs zentral liegt und dann gemeinsam barrierefrei umgebaut werden soll. Alle städtischen Ämter, mit denen Samuel gesprochen hat, seien begeistert von der Idee, sagte er, haben aber kein Haus zur Verfügung.
 Die Suche nach geeigneten Unterstützern ist nicht einfach: „Wir passen in keine Schublade“, sagt er. Die meisten Wohnprojekte mit Behinderten managen große Trägerorganisationen. Außerdem kommt die Hilfe meist von außen. Dass das Projekt autonom ist, ist Samuel sehr wichtig. Es geht nicht um Hilfe, sondern darum, selbstbestimmt und gleichberechtigt zusammenzuwohnen. Auch wenn das schwierig ist, wenn Geld und Wohnung fehlen.
 Probleme könnte es natürlich auch beim späteren Zusammenleben geben. „Aber es ist ein Projekt, das von den Problemen leben wird“, sagt Samuel, „man kann das nicht vorher planen. Es kann schiefgehen, aber es ist halt ein Prozess.“

Während Samuel erzählt, gestikuliert er viel. Seine Hände zeigen alles Mögliche in der Luft. Samuel kann begeistern.
Natürlich hat sich sein Leben verändert. Aber natürlich ist er immer noch derselbe Mensch, der dieselbe Begeisterung und dieselbe Organisationskraft ausstrahlt. Und auch seine Zukunftspläne haben sich nicht wirklich geändert. In Uganda hat er eine Liste mit Zukunftsideen angefangen. Und als er diese nach dem Unfall wieder durchgegangen ist, hat er gemerkt, dass er nichts streichen muss. „Das ,wie‘ verändert sich natürlich, aber es ist trotzdem möglich.“ So reist er trotzdem ständig durch die Gegend, denn „Reisen und Schreiben wird mich mein Leben lang begleiten“, sagt er. Also verbrachte er ein Semester in Kuba, machte eine Reise nach Indien und jetzt plant er schon seinen nächsten Trip. Zurück nach Uganda und Sansibar. Vor allem seine Freunde aus Uganda will er wiedersehen und sich sogar überlegen, dort vielleicht später mal eine Feldforschung zu machen. Auch in Sansibar will er an denselben Ort zurück. Will seine Retter von damals wiedertreffen. Will vielleicht sogar mit ihnen tauchen gehen. Denn das haben sie ihm damals versprochen: Es ist alles möglich, was sich ändert, ist nur das ‚wie‘.

Von: Mariam Chollet

Foto: Stephan Rumpf

Neuland: Schön, dass du da bist

Die beiden Münchner Studentinnen Laura Kieblspeck, 24, und Tamara Stangl, 23, haben ein Kinderbuch herausgebracht, das sich an Kinder aus Deutschland und Flüchtlinge im Grundschulalter richtet. 

In dem 20 Seiten dicken Buch „Schön dass du da bist, zusammen sind wir bunt“ erzählen sie die Geschichte des jungen Ali, der Deutschland entdeckt. Ali wird mit westlichen Besonderheiten konfrontiert. Ihn verwundert es etwa, dass Frauen in Deutschland im Bikini ins Schwimmbad gehen. Diese Verwunderung sei real: „Als ich geflüchteten Kindern aus einem Kinderbuch vorlas, haben alle beim Anblick der Frau im Schwimmbad verschämt geschmunzelt“, sagt Laura, die junge Flüchtlinge betreut und deshalb aufklären will. Laura und Tamara wollen den Kindern Frauenrechte, Meinungsfreiheit und Kinderrechte vermitteln. Wichtig war den beiden Studentinnen, das Thema Flucht zu vermeiden: „Das kann zu Retraumatisierungen führen“, sagt Laura. Die Themen werden im Buch mit vielen bunten Illustrationen und einfachen, kurzen Sätzen bearbeitet. Bislang existiert das Buch nur digital. Sollte sich Verleger finden, wollen sie es in Schulen und Einrichtungen für Flüchtlinge einsetzen.

Von: David-Pierce Brill

Essen gut, alles gut

Im Interview: Felix Homma, 23, der die Aktion „Welcome Dinner“ zusammen mit sechs Kommilitonen

organisiert

. Beim Welcome Dinner laden verschiedene Gastgeber Flüchtlinge zum Essen ein. Wir haben mit ihm über das Projekt gesprochen. 

Freising – Felix Homma, 23, studiert in Freising Molekulare Biotechnologie und ist einer der insgesamt sieben Gründer von Welcome Dinner München. Das Stipendienprogramm der Bayerischen Eliteakademie, dem alle sieben Studenten angehören, hat ihnen die Aufgabe gestellt, ein Projekt mit sozialem Mehrwert ins Leben zu rufen. Als im vergangenen Sommer der Flüchtlingsstrom kein Ende nahm, entschieden sie sich dafür, das Projekt „Welcome Dinner“ aus Hamburg nach München zu holen. Gastgeber laden bei dieser Aktion Flüchtlinge zum Essen ein.

SZ: Das Projekt funktioniert auf Vertrauensbasis. Wie schwer ist es, an die Menschen heranzukommen?
Felix Homma: Direkt in der Flüchtlingsunterkunft erleben wir eigentlich nur positives Feedback. Die meisten freuen sich, dass es Interesse an ihnen gibt. Der einzige Kritikpunkt, den wir bekommen, ist, dass die Zuverlässigkeit nicht sehr hoch ist.

Auf Seiten der Gäste oder der Gastgeber?
Leider vermehrt auf der Flüchtlingsseite. Das liegt aber zum einen daran, dass sie manchmal den Standort wechseln. Manchmal liegen ein bis zwei Monate zwischen der Kontaktaufnahme und dem Matching. Das ist sicher auch ein Fehler unserer Seite, daran arbeiten wir momentan. Vertrauen ist weniger das Problem, eher die Zuverlässigkeit. So scheint es zumindest zu sein.

Woran liegt es, dass so viel Zeit zwischen Kontaktaufnahme und einem „Matching“, also der Einladung liegt?
Das Interesse der Münchner ist recht hoch, den Engpass haben wir gerade eher bei Gästen. Hätte ich anfangs persönlich auch nicht gedacht. Wir müssen ja auch die passenden Gäste finden.
Passende Gäste?
Prinzipiell kann bei uns jeder mitmachen. Wenn der Wunsch kommt, dass die Gastgeber gerne eine Familie mit ein bis zwei Kindern als Gast hätten, ist das für uns ein bisschen schwerer zu organisieren. Auch wechseln öfter die Telefonnummern. Dann müssen wir erst wieder neue Gäste finden. Außerdem sind die meisten Gastgeber auch berufstätig, sprich: Die haben nur wenige freie Termine. Und Sprachkenntnisse sind natürlich auch ein Riesending.

Können viele Flüchtlinge aufgrund fehlender Sprachkenntnisse das Angebot gar nicht wahrnehmen?
Das kommt auf die Herkunftsländer an. Viele afrikanische Flüchtlinge können ziemlich gut Englisch. Deutsch können auch einige, zumindest ein bisschen. Viele sprechen aber bis jetzt nur Arabisch. Die fallen momentan raus. Es geht ja auch darum, dass eine Kommunikation möglich ist.

Habt ihr oder eure Gäste auch mal schlechte Erfahrungen gemacht?
Ist uns nichts bekannt.

Merkt ihr, dass weniger Flüchtlinge nach München kommen?
Flüchtlinge gibt es genug in München. Allerdings sind einige wichtige Ansprechpartner weggefallen. Dadurch ist ein Ungleichgewicht entstanden. Es gibt also nicht zu wenig Flüchtlinge, sondern nur momentan mehr Gastgeber-Anfragen.

Wer sind die Gastgeber?
Es sind einige Studenten dabei, aber auch junge Familien und ältere Ehepaare. Aber wir hatten auch schon zwei Frauen, die über 50 waren. Es ist also recht gemischt.

Gibt es Gastgeber, die wiederholt Flüchtlinge einladen?
Die Gastgeberin eines Abendessens, das kürzlich stattgefunden hat, meinte, sie freut sich auf Abende mit genau der Gruppe. Wir hatten aber auch schon Anfragen von Personen, die grundsätzlich sagen, sie würden gerne regelmäßig Abendessen ausrichten – auch gerne mit unterschiedlichen Gruppen.

Mittlerweile gibt es aber schon andere Essensprojekte – war es für euer Stipendium entscheidend, dass es sich um etwas komplett Neues handelt?
Man sollte mit seinem Projekt auf jeden Fall was erreichen können. Zu dem Zeitpunkt gab es nur die Abendesser-Connection in München, die haben sich aber darauf spezialisiert, interkulturelle Abendessen zu veranstalten. Das Thema Flüchtlinge haben wir bei denen nicht gefunden. Die Frage hat sich zum damaligen Zeitpunkt also so nicht gestellt. Ich sehe da aber auch jetzt kein Problem. Wenn es drei verschiedene Projekte gibt und dadurch dreimal so viele Abendessen stattfinden, ist das meiner Meinung nach eine super Sache.

Von: Jacqueline Lang

Foto: Lukas Barth

Neuland: Aus Dose wird Firmenfeier

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Philipp Christov fing vor knapp einem Jahr an, sich hochzutauschen. Aus einem Dosentelefon wurde jetzt ein Gutschein für eine Firmenfeier. Ein Update zum Projekt “Das Dosentelefon.”

Ein Haus bekommt man für 10 000 Euro in München noch lange nicht. Das wäre das Ziel gewesen, das sich Philipp Christov, 23, gesteckt hatte, als er vor beinahe einem Jahr angefangen hatte, Dinge zu tauschen. Ein Haus für geflüchtete Menschen. Eigentlich hätte er laut seiner selbst formulierten Deadline auch noch bis Weihnachten Zeit gehabt, um das zu erreichen, aber „ich hatte mir einige Meilensteine aufgezeichnet, und als ich merkte, dass es nicht mehr recht weiterging, habe ich umdisponiert“, sagt Philipp. 10 000 Euro sind jedoch auch eine Menge Geld. So viel kostet die Firmenfeier, die er in Form eines Gutscheins ertauscht hatte und die jetzt von einer Münchner Firma gekauft wurde.

Den Erlös wird Philipp nun dem Münchner „Willkommenszentrum“ „Bellevue di Monaco“ spenden, das sich für einen humaneren Umgang mit geflohenen Menschen einsetzt. Den Abschluss der Aktion, die mit einem selbstgebastelten Dosentelefon startete, wird am 21. Juli im Bellevue di Monaco von 18 Uhr an bei Sekt und Brezen gefeiert.

 

Text: Theresa Parstorfer

Foto:

Schiwani Kakor