Ein bisschen Frieden

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Ahmad Abbas ist einer von vielen syrischen Geflüchteten, die in München
leben. Sein Ziel: Mit seinem syrischen Friedenschor Zuversicht und Hoffnung
schenken. Von der deutschen Bevölkerung würde er sich manchmal mehr
Unterstützung wünschen.

Von Jacqueline Lang

Als 2012 die ersten Bomben
flogen, waren nur der damals 17-jährige Ahmad und seine kleine Schwestern
zu Hause.  Eine Granate traf das Haus. Mit
85 Prozent beziehungsweise 65 Prozent verbrannter Haut überlebten die beiden Geschwister
nur knapp. Es ist damals eine der ersten Flüchtlingsgeschichten – und das war
vielleicht ihr Glück: Die freie syrische Armee brachte Ahmad und seine Schwester
von Syrien in ein Militärkrankenhaus im Libanon. Ein deutscher Journalist
fotografierte die beiden Jugendlichen und bat auf Facebook um Hilfe. Mit
Erfolg. Ein ADAC-Rettungsflieger holte sie nach München, wo sie über mehrere
Monate behandelt wurden. Heute leitet der mittlerweile 21-jährige Ahmad den
syrischen Friedenschor.

Die Narben von damals sind immer
noch sichtbar. Zumindest an den Händen, die restlichen Narben versteckt Ahmad
unter einem langärmeligen Sweatshirt. Doch das sind nur die äußerlich
sichtbaren Narben. Die innerlichen Narben verbirgt der gebürtige Syrer hinter
schulterlangen, schwarzen Haaren und einem breiten Lächeln. Er will nicht, dass
die Menschen ihn bemitleiden. Er will, dass sie ihn ernst nehmen. Nicht, weil er
ein Flüchtling ist, sondern weil er eine Botschaft hat. Seine Botschaft ist in
der Theorie simpel, in der Umsetzung scheinbar unmöglich: Frieden für Syrien.

Im November 2014 trat Amhad mit
dem Friedenschor „Zuflucht“ in der Satire-Sendung „Die Anstalt“ auf. Seitdem
kommen immer mehr Anfragen. Der Friedenschor singt unter der Leitung von
Opernsängerin Cornelia Lanz. Gemeinsam mit der Stuttgarterin sind zudem bereits
zwei Opern-Projekte mit Geflüchteten realisiert worden. In dem zweiten Stück
„Idomeneo“ erzählt auch Ahmad von seiner Flucht.

Erst im Sommer 2015 begann die
Idee, seinen eigenen Chor in München zu gründen, in Ahmad zu reifen. Im Januar
2016 war es dann endlich soweit. Den Verein offiziell zu gründen, war jedoch
nicht ganz leicht. Bis auf Ahmad haben nur drei weitere Mitglieder eine unbefristete
Aufenthaltserlaubnis. Der Status der 14 anderen Syrer ist  noch unklar. Auch deshalb versucht Ahmad
verstärkt in München aufzutreten. Denn wenn er mit den Mitgliedern seines Chors
verreisen will – und sei es nur nach Stuttgart– brauchen sie eigentlich immer
eine deutsche Begleitung.

Obwohl sie sogar schon vor dem
Bundespräsidenten aufgetreten sind und deutschlandweit Anfragen bekommen, musste
Ahmad seinen Cousin um Geld für das Projekt bitten. Jetzt hat er Schulden. Die
Menschen spenden zwar, aber meistens kommen an einem Abend nicht mehr als 25
Euro zusammen. Das reicht nicht einmal, um die Fahrtkosten zu decken. Manchmal
macht Ahmad das wütend. Er versteht nicht, warum die Menschen sie nicht von
sich aus unterstützen. Sie um Hilfe zu bitten, käme ihm wie betteln vor. Das
will er nicht.

Ahmad ist immer unterwegs: Wenn
er nicht mit seinem Chor probt oder irgendwo in Deutschland auftritt, besucht
er die Schlauschule. Im Herbst beginnt er seine Ausbildung als
Medizinfachangestellter. Und für die Opernproben fährt er alle zwei Wochen
nach Stuttgart. Er mag es, immer in Bewegung zu sein. „Zu Hause kommen zu viele
Gedanken in meinem Kopf“, sagt er.

In seinem Chor heißt Ahmad
grundsätzlich jeden willkommen. Die arabischen Lieder, die sie singen, handeln
vom Frieden. Sie haben aber auch schon die Europahymne auf deutsch gesungen. Es
geht nicht um Politik, sondern darum, für die „Seelen der Kinder und für die
geschlachteten Menschen zu singen“, sagt der junge Mann. Er hat seine
Geschichte schon so oft erzählt, dass er kaum noch mehr bemerkt, wie
schockierend sie für Außenstehende ist. Für viele – auch für Ahmad – ist das
Singen im Chor eine Beschäftigungstherapie und vielleicht die einzige
Möglichkeit, das Geschehene zu verarbeiten.

Ahmad ist sich seiner
Verantwortung als Chorleiter bewusst. Er muss mit gutem Vorbild voran gehen.
Aber er versucht auch, nicht alle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Auch die
anderen Chormitglieder und ihre Geschichten sollen zu Wort kommen.  Nur mit der Kraft der gesamten Gruppe können
sie die Menschen bewegen, glaubt Ahmad. Mit seinen 21 Jahren klingt Ahmad schon
sehr erwachsen. Fast zu erwachsen. Er ist sich dessen bewusst: „Damals war ich
ein anderer Ahmad als heute“. Die letzten Jahre seiner Jugend hat ihm der Krieg
in Syrien genommen.

Viele Menschen denken, mit dem Überschreiten
der europäischen Grenzen wäre das schlimmste für die Geflüchteten überstanden.
Doch so ganz stimmt das nicht. Fast jeder, der geflohen ist, hat noch Verwandte
oder Freunde in der Heimat. Ein Armband in den Farben der syrischen Flagge mit
dem Schriftzug „Free Syria“ das in der Öffentlichkeit zu sehen ist, kann dann
schwerwiegende Folgen haben – über alle Grenzen hinweg. Die Mitglieder des
Chors tragen es dennoch mit Stolz. Ahmads nächste Verwandten leben nicht mehr
in Syrien – und doch ist er trotz seiner klaren Position vorsichtig geblieben.
Sicherheit in Zeiten des Krieges gibt es nicht.

Der syrische Friedenschor tritt am Samstag beim Straßenfest Milla Walky Talky auf.

Weitere Infos utner www.syrischerfriedenschor.com