Ende gut, alles gut?

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Wenn das Bahnwärter Thiel nach diesem Abschlussfest schließt, werden seine Besucher weiterziehen. Vielleicht dorthin, wohin Daniel Hahn geht, vielleicht an andere Orte in München, vielleicht auch außerhalb der Stadt. Denn Subkultur braucht Platz – sonst wandert sie irgendwann ab. Ein letzter Besuch im beliebtesten Club der vergangenen Monate.

Das alte Wählscheiben-Telefon neben den Toiletten im
Bahnwärter Thiel klingelt schrill. Ein blondes Mädchen mit Turnbeutel
auf dem Rücken ist nur kurz verwundert, dann hebt sie
ab. Einige dieser Telefone befinden sich an anderen Orten auf dem
Clubgelände, weitere in der “Wilden Renate” und im “Sisyphos” in Berlin.
Im vergangenen halben Jahr wurden so unzählige sich bis dahin fremde Gäste
des Kulturhauses in lustige und oft auch betrunkene Gespräche voller
Situationskomik verwickelt. Doch wenn man an diesem Sonntag zum Hörer
greift, unterhält sich ein Großteil der Gesprächspartner
früher oder später über das, weswegen sie alle da sind: Sie sprechen über den letzten Tag
im Bahnwärter Thiel, über das große Abschiedsfest und wie schade das doch
alles ist.

Der temporäre Club, der mit Ausstellungen, Theateraufführungen,
Lesungen, Flohmärkten und seinen „Schienenbus-Konzerten“ viel mehr als
nur der neue gehypte Elektroschuppen war, muss weichen. Das
Viehhof-Gelände ist wieder für das jährliche Freiluftkino mit Biergarten
reserviert, langfristig soll das Münchner Volkstheater auf einer der
letzten Freiflächen Münchens eine neue Heimat finden.
Dass der Bahnwärter Thiel nur kurze Zeit bleiben darf, ist seinem
Gründer Daniel Hahn, 25,  von Beginn an klar gewesen. Auch wenn er das ganze
Abschiedswochenende über schon “ein ganz tolles Gefühl” hat und das
gemeinsame Feiern der Kreativszene, die er hier zusammengebracht hat,
genießt: Der Aufbruch ist allgegenwärtig. „Morgen früh um acht beginnt der Abbau“, sagt Daniel Hahn mit vor Schlaflosigkeit rot geränderten Augen. Dann muss er seine Zirkuszelte vom Wannda-Kulturfestival, den charakteristischen alten Bahnwaggon und den Rest seines Kuriositätenkabinetts wieder einpacken.
 

Mit dem Kulturhaus hat er sich zumindest für ein paar Monate einen Kindheitstraum erfüllt. Die dazu passende Verspieltheit zeigt sich auch beim ausverkauften „Bahnwärter-Closing-Open-Air“. Während im Club die Gäste ein letztes Mal in den Berggondeln
schaukeln und die Aussicht auf Kronleuchter neben Schiffschaukeln an der
Decke genießen, sitzen die Besucher außen gemütlich zwischen
Zirkuszelten, Grafitti-Künstlern und einem alten gelben Boot.
Bei dieser Detailverliebtheit und der Mühe, die sich das gesamte Team gemacht hat, könnte man fast meinen,
das Bahnwärter Thiel wäre gekommen, um zu bleiben. Das wünschen sich
sicher auch viele der Besucher des Open Airs, die sich auch ohne
Sonnenschein am Sonntag auf dem Gelände tummeln. Melancholie hängt in den ersten Stunden des Freiluftfests in der Luft. Die Menge feiert und lacht, aber immer wieder ertappen sich Besucher, wie sie den Blick wehmütig über das Gelände schweifen lassen. „Ohne das Bahnwärter Thiel fehlt in München was“, sagt ein junger Sprayer. Es gebe zu wenig, das eben so sei „wie in Berlin“, sagt etwa Stefan, 23.

Ein Angebot, wie man es sonst nur in Berlin findet? Das wollte Daniel Hahn eigentlich gar nicht schaffen. Aber „durch die Fläche hatten wir das Gefühl der unbegrenzten Möglichkeiten“. Das Gefühl will er sich zurückholen, an einem neuen Ort in München weitermachen. Die Stadt habe zwar jetzt gemerkt, dass in der jungen Szene ein Bedürfnis da ist, es fehle aber trotzdem noch an Freiflächen, die kreativ genutzt werden können. Immerhin für seinen roten Bahnwaggon hat er schon einen Platz: Auf einer Wiese in der Innenstadt wird er ihn als Café betreiben. Irgendwie geht es also weiter.

Wie bei Daniel selbst überwiegt am Ende auch bei allen Gästen der Optimismus und die Feierlust, die sie auch bisher oft ins Bahnwärter Thiel getrieben hat. Auf dem Stempel, der einem am Eingang auf das Handgelenk gedrückt wird, steht „Ende gut, alles gut“ – und vielleicht stimmt es ja doch, zumindest für heute. 

Text: Elisabeth Kagermeier

Foto: Alessandra Schellnegger

Ein Abend mit: Daniel Hahn

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Daniel Hahn, 25, bezeichnet sich selbst bescheiden als Mädchen für alles. In Wahrheit ist er der Chef vom Dienst. Wannda und Bahnwärter Thiel hat er gegründet. Sein Leben ist daher zwar eine einzige große Party, aber eine, auf der er immer dafür sorgen muss, dass alles nach Plan läuft. Und das tut es selten.

Hier beginnt mein Abend: voll Aufbaustress. Meine Freunde, die mir beim Aufbau helfen wollten, kommen nicht. Die Sicherung fliegt ständig aus unerklärlichen Gründen raus. Ein Klo ist verstopft, und die ersten Gäste stehen vor der Tür.

Danach geht’s ins/zu: Eigentlich wollte ich mich nach dem Aufbau noch schnell umziehen, aber das schaffe ich jetzt nicht mehr, also bleibe ich gleich da.

Meine Freunde haben andere Pläne. So überzeuge ich sie vom Gegenteil: Sobald die Schlage so lang wird, dass sie am Horizont verschwindet, klingelt mindestens 100 mal mein Telefon. Meine sturzbetrunkenen Freunde wollen nun doch noch spontan in den Bahnwärter und fragen, ob noch ein Gästelistenplatz+10 klar geht. Mein Vorschlag, sich heute doch mal in einem anderen Laden aufzuführen, scheitert meistens 😉

Mit dabei ist immer: Die Sorge, das irgendwas nicht funktioniert, sich die Nachbarn beschweren könnten oder dass noch mehr Freunde vorbeikommen.

An der Bar bestelle ich am liebsten:  Adelholzner Sanft in der Glasflasche

Der Song darf auf keinen Fall fehlen:   /

Mein Tanzstil in drei Worten: Unruhig umherrennen und schauen, ob alles läuft und die Party abgeht.

Der Spruch zieht immer: Jetzt müssen wir aber wirklich für heute Schluss machen. Nein, nicht noch ein allerletztes Lied, das hast du auch schon vor einer halben Stunde gesagt.

Nachts noch einen Snack. Mein Geheimtipp ist: Die Imbissbude meines Bruders Julian

Meine dümmste Tat im Suff war: Ich trinke nicht während der Arbeit.

Das beste Frühstück nach einer durchfeierten Nacht gibt`s im/bei: Die Reste an der Imbissbude meines Bruders.

Diesem Club/dieser Bar trauere ich nach: Den Träumer-Partys

Foto: privat

Freigeist sucht Freiraum

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Mit dem ewigen Berlin-Vergleich kann Daniel Hahn, 25, Gründer von Wannda Circus und dem Bahnwärter Thiel, wenig anfangen. Dennoch stört ihn das mangelnde kulturelle Angebot in München – und der Platzmangel.

Daniel Hahn, 25, wollte in seinem Leben schon vieles werden: Psychologe, Schreiner, Architekt, Sozialpädagoge. Geworden ist er eine Mischung aus Träumer und Macher, kurz: der Gründer vom temporären Club Bahnwärter Thiel und dem Wannda Circus. Neben zahlreichen Partys und kleineren Festivals hat Daniel seine beiden Projekten auch immer mehr um Theateraufführungen, Lesungen und Konzerte aller Art erweitert. Mit diesen Projekten kann Daniel seine Kreativität mit seiner Gastronomie-Affinität vereinen. Das einzige Problem: In München gibt es kaum freie Plätze, an denen Daniel dauerhaft mit seinem Zirkuszelt und seinem Bahnwaggon bleiben darf.

SZ: Viele sagen, der Bahnwärter Thiel ist voll Berlin. Ärgert dich das?
Daniel Hahn: Die Sache ist: Ich war noch nie in Berlin. Früher war mir dieser Vergleich ein bisschen peinlich, jetzt bin ich natürlich etwas stolz, weil es so ein kleines Gegenargument gegen Berlin ist. Wir machen nichts nach. Aber was heißt das schon, das ist voll Berlin?

Wenn es nicht Berlin ist, was ist es dann?
Mein Vater sagt zum Beispiel, das ist voll Amsterdam. Mein Vater ist so ein Alt-68er, und dieses Selbstangebaute, Zusammengewürfelte kannte er in seinen jungen Jahren, als er viel gereist ist, vor allem aus Holland. Ich glaube, das ist gar nicht so städtespezifisch. Solche Sachen gibt es nicht nur in Berlin, sondern überall. In Berlin hat man aber natürlich die Möglichkeiten.

Und in München nicht?
Wir suchen die ganze Zeit nach Plätzen und Orten, aber es gibt einfach nichts mehr. Und es wird sich auch nichts mehr auftun. Deshalb war mir klar: Ich muss das mit dem Zugwaggon jetzt machen.

Warum?
Ich weiß einfach nicht, ob es je wieder die Möglichkeit dazu geben wird. Dann sind wir auch schon bei dem Thema, ob die Leute sich dafür entscheiden würden, aus der Stadt rauszufahren. Denn es kann gut sein, dass die Kreativität und die Subkultur immer mehr aus dem Stadtzentrum verschwinden.

Woran liegt das?
Es ist natürlich provokant, das zu sagen, aber das Angebot in München ist zum Teil echt schlecht. Ein vielseitiges Kunst- und Kulturangebot tut sich in München schwer, weil die Möglichkeiten so begrenzt sind und es wenig Platz gibt. Dadurch, dass viele Projekte nur temporär existieren, ist es für viele Münchner nicht einfach, ihr Kulturbedürfnis zu befriedigen.

Hartes Urteil.
Es liegt aber nicht an mangelnder Kreativität in unserer Stadt. Wir müssen besonders Wert darauf legen, dass auch im zentralen Stadtgebiet Subkultur und Jugendkultur existieren können und nicht immer mehr aus dem Stadtbild verschwinden. Das ist sicher auch ein Grund, weshalb wir mit unserer Sache so erfolgreich sind, weil wir Bedürfnisse stillen, die in München bisweilen viel zu kurz gekommen ist.

Inwiefern?
Wir waren ja nie so richtig zentral, aber bis jetzt haben wir es immer geschafft, diesen Nachteil als Vorteil zu nutzen. Es ist halt total cool, wenn Leute zu einer Veranstaltung gehen, weil sie dahin wollen und nicht, weil sie in der Innenstadt von einem Laden in den nächsten stolpern. Jeder, der zu uns kommt, weiß, was ihn erwartet.

Raus aus der Stadt – ist das ein neuer Trend?
Ich glaube, die Leute brauchen es nicht unbedingt, dass alles am Sendlinger Tor ist, aber es gibt natürlich auch Leute, denen Allach zu weit weg ist. Aber ich glaube, für die Club-Veranstaltungen wäre es überhaupt kein Problem. Für die Theatervorstellungen und die Lesungen ist ein zentrales Gelände von Vorteil. Das ist aber immer ein Spagat für uns.

Warum müssen deine Projekte das Gelände in der Tumblingerstraße verlassen?
Weil der Biergarten und das Viehhof-Kino wieder hierhin kommen. Das war aber von Anfang an klar. Es gab eine städtische Ausschreibung. Da haben wir uns mit zwei Konzepten beworben, einmal mit Bahnwärter Thiel und einmal mit dem Märchenbazar-Weihnachtsmarkt.

Beide Konzepte wurden genommen.
Weil wir noch sehr jung sind, ist es nicht immer einfach, sich gegen große Agenturen und Firmen zu behaupten, deshalb hätten wir echt nicht damit gerechnet, dass es klappt.

Mit Wannda hast du dir aber doch schon einen Namen gemacht.
Es wird natürlich von Jahr zu Jahr einfacher. Am Anfang war es total schlimm, aber jetzt kennen die Behörden uns, die Politik kennt uns und alles hat immer gut geklappt. Ich hätte trotzdem gerade bei dieser Fläche nicht damit gerechnet. Umso glücklicher bin ich, dass es geklappt hat. Es geht aber immer alles so schnell, dass wir zum Genießen immer nur kleine Momente haben. Gleichzeitig ist es natürlich schade, dass es jetzt schon fast zu Ende ist.

Weißt du denn schon, wo die Reise hingeht?
Das wissen wir noch nicht. Für den Waggon suchen wir noch einen Platz, weil es zu schade wäre, den einzulagern. Mit dem Wannda Circus sind wir aber im Anschluss, also von Mai an, wieder in Freimann.

Du hast gesagt, in München tun sich keine neuen Orte mehr auf. Gibt es einen Plan B?
Ich bin ja schon zielstrebig, aber ich denke überhaupt nicht so richtig an die Zukunft. Ich habe natürlich ein paar Wünsche, aber ich bin da auch voll flexibel, weil ich einfach weiß, dass man sich da ein bisschen treiben lassen muss. Ich werde immer damit weiter machen, aber die Sache ist die: Es hängt alles von einem Ort ab.

Den es in München nicht gibt. Zieht es Dich nach Berlin?
Ich finde Berlin superspannend und ich werde auf jeden Fall auch bald mal hinfahren, aber ich mag München mega gerne. Ich glaube auch nicht, dass es am Ende so viel mit der Stadt zu tun hat.

Foto: Natalie Neomi Isser

Interview: Jacqueline Lang