Ästhetik, Anmut und Natürlichkeit

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Täglich porträtieren wir an dieser Stelle eine(n) der 20 mitwirkenden
KünstlerInnen unserer “10 im Quadrat”-Ausstellung im Farbenladen – mal
Fotograf, mal Modell. Heute: Fotografin Amelie Satzger.

Für Amelie Satzger
haben sich die zehn Künstler alle unbekleidet schlafen gelegt. Amelie,
geboren 1995, hat für die Farbenladen-Ausstellung die einzelnen
Künstler-Bilder zu einem großen Ganzen zusammengefügt. Mit ihrer bunten
Patchwork-Collage möchte sie das (für sie missverstandene) Bild in den
Köpfen vieler Menschen aufgreifen, in dem Künstler oftmals als Träumer
gesehen werden. Die farbenfrohen Teppiche stehen für die verschiedenen
künstlerischen Ausdrucksformen der Fotografen und porträtierten Models.
Sie sagt: „So verschieden unsere Kunstrichtungen auch sein mögen,
stecken wir doch alle unter einer Decke. Nur wenn man mit anderen
Kunstrichtungen zusammenarbeitet, kommt etwas ‘Größeres’ dabei raus.“

Amelies
Weg zur Fotografie entwickelt sich, als sie 2012 als Model zu arbeiten
beginnt. Mit 19 Jahren macht sie dann einen Familienurlaub mit den
Eltern auf der Nordseeinsel Föhr – eher langweilig. Also begibt sie sich
dort mit ihrer Kamera auf Entdeckungsreise und postet die Fotos auf
Instagram. Die Bilder kamen an: innerhalb weniger Wochen hat ihr Profil
mehrere Tausend Follower, auf der Fotoplattform 500px sind es
mittlerweile mehr als 112 000. Seit 2014 studiert Amelie Fotodesign an
der Hochschule München.

Auf Amelies Internetseite heißt es: „Meine
Fotografien sind mein Tagebuch.“ Und weiter: „Meine Kamera ist mein
Stift, mit dem ich Geschichten und Empfindungen in Bilder übersetze,
manchmal auch Emotionen, die durch Worte niemals angemessen ausgedrückt
werden könnten.“ Jeder dieser “Tagebucheinträge” der 21-Jährigen ist auf
seine Art und Weise einzigartig. Und doch sind ein paar wiederkehrende
Merkmale zu erkennen: mythische Stimmungen, ruhende Ästhetik und der
Mensch, verbunden mit der Natur.

In stimmungsvollen Schauplätzen kreiert Amelie Bilder,
die ganz eigene (autobiografische) Geschichten erzählen. Da ihr Ausgangspunkt überwiegend die eigene Person ist, liegt es nahe, dass sie oft mit Selbstporträts arbeitet. Als feengleiche Erscheinung ist sie so zum Beispiel
mal nur mit einem lachsfarbenen Jumpsuit bekleidet, sitzend auf einem
isländischen Gletscher. Oder mit einem langen grünen Kleid barfuß in
einer afrikanischen Wüste. Diese märchenhaften Inszenierungen stecken voller Ästhetik, Anmut und Natürlichkeit. 


Die Ausstellung “10 im Quadrat” ist an allen Wochenenden im Mai, samstags von 16 – 22 Uhr, sonntags von 16 – 20 Uhr, im Feierwerk Farbenladen geöffnet. Neben den Fotografien werden Konzerte, Lesungen und Diskussionen veranstaltet. Für weitere Infos klickt unsere Junge-Leute-Facebookseite.
Der Eintritt ist frei.


Text: Amelie Völker

Foto:
Sophia Carrara

   

Wenn aus Reibung Kunst wird

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Für die Farbenladen-Ausstellung „10 im Quadrat“ bringt die Junge-Leute-Seite zehn junge Fotografen mit zehn jungen Künstlern zusammen, die regelmäßig auf Bühnen stehen – ein Experiment.

Sie balanciert. Amelie Satzger steht in einer weiten, gelben Hose auf der obersten Sprosse einer Leiter, hält eine Kamera fest. „Du musst auf dem Teppich bleiben“, sagt sie freundlich, aber bestimmt. Unter ihr liegt Kilian Unger, als Musiker bekannt unter dem Namen Liann. Er wird an diesem Tag fotografiert. Oberkörperfrei, in verschiedene bunte Teppiche gehüllt. Viele Anweisungen hat die junge Fotografin ihrem Model vor dem Shooting nicht gegeben. Nur so viel: Er soll seine Augen geschlossen halten und sich in seine normale Schlafpose legen. 

Das klingt einfach. Doch Kilian ist kein Model. Er ist Musiker, steht für gewöhnlich mit seiner Gitarre vor Publikum, hat sich bisher nicht so oft fotografieren lassen, schon gar nicht mit nackter Brust. Gemeinsam mit neun anderen jungen Künstlern, die regelmäßig auf Bühnen stehen, hat er sich auf Einladung der Junge-Leute-Seite der Süddeutschen Zeitung nun dennoch vor die Kamera getraut. Für die SZ-Ausstellung „10 im Quadrat“ hat Liann sich von zehn aufstrebenden Fotografen ablichten lassen. Sie alle sind zwischen 17 und Ende 20, kommen aus München und sind genau wie ihre Models gerade dabei, sich zu professionalisieren.

Die Idee hinter der Ausstellung: Wer sind eigentlich die jungen Künstler dieser Stadt? Wer kennt wen? Wie nimmt man einander gegenseitig wahr? Die knapp 100 Fotos, die aus diesen Begegnungen entstanden sind, gibt es von Samstag, 6. Mai, an im Farbenladen des Feierwerks zu sehen.

Auch Amelie Satzger stellt dort ihre Fotos aus: Die Bilder der zehn Models hat sie später zu einer großen Collage zusammengefügt. So ist eine farbintensive Liegewiese entstanden, in der der Betrachter die scheinbar Schlafenden entdecken kann. „Wir Künstler werden von der Gesellschaft oft als Träumer gesehen“, sagt Amelie. Sie überträgt das Klischee des Träumers in ihr Bild – und versucht es zugleich zu hinterfragen. Künstler hätten schließlich anderes zu tun, als wirklichkeitsfernen Träumereien nachzujagen. Die verschiedenfarbigen Flicken ihres Teppichs stehen so auch für die unterschiedlichen Ideen und Projekte ihrer Models. Da gibt es neben Liann etwa Leonard Hohm. Er ist Synchronsprecher und Schauspieler, derzeit ist er in „Die Räuber“ von Friedrich Schiller am Residenztheater zu sehen. Oder Felicia Brembeck alias Fee, Münchens bekannteste Poetry-Slammerin. Sie alle machen komplett verschiedene Dinge, bewegen sich in unterschiedlichen Szenen dieser Stadt.

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Doch was passiert, wenn Künstler auf Künstler treffen? Wenn vor wie hinter der Kamera jemand steht, der eine eigenständige ästhetische Vorstellung hat? Klar, da gibt es auch mal Reibung, Schwierigkeiten. Korbinian Vogt hat die Künstler beispielsweise als Teilakt vor die Kamera gebeten. Und das an ungewöhnlichen Orten: In der Uni, im Park. An Plätzen also, an denen man nicht alleine ist. Wo vielleicht Leute stehen bleiben, zusehen. „Akt beziehungsweise alleine das Zeigen von Haut ist immer noch ein Problem. Es zeigt einen Menschen ohne den Schutz, den er durch Kleidung bekommen kann. Er fühlt sich in diesen Momenten oft verletzlich. Das so zuzulassen ist schwer“, sagt Korbinian. Da musste er erst einmal Vertrauen schaffen.

„Sich fotografieren zu lassen, erfordert immer ein wenig Mut. Gerade wenn der Fotograf erst mal ein Fremder ist“, gibt Musikerin Mola zu. Model-Kollegin Rosa Kammermeier sieht das ähnlich: „Es war etwas ungewohnt, so oft fotografiert zu werden.“ Rosa ist Musikerin, tritt für gewöhnlich mit ihrem Musikerkollegen Julian Riegl unter dem Namen Blue Haze auf. Für die Fotos hat sie einiges von sich preisgegeben, so etwa beim Shooting mit Milena Wojhan. Die Fotografin hat ihre Models in eine kleine Box gesetzt, an einer Seite ein so genannter „Spionagespiegel“, wie man ihn aus Fernsehkrimis kennt. Wer von außen reinschaut, sieht den anderen. Doch wer selbst in der Box sitzt, blickt seinem Spiegelbild entgegen. Und das auf unbestimmte Zeit. Schauspielstudentin Vera Flück erinnert sich an das Shooting: „Ich habe mich noch nie so lange in einem Spiegel betrachtet. Es ist verrückt, was ein einziger Gedanke in deinem Gesicht verändert“, sagt sie.

Als angehende Schauspielerin ist sie es gewohnt, sich anderen zu zeigen, eine bestimmte Rolle einzunehmen – bei den Rollenvorspielen ihrer Schule zum Beispiel, oder beim Livehörspiel von „Don Quijote“, das am Donnerstag, 4. Mai, in den Münchner Kammerspielen gezeigt wird. Doch so lange mit sich und dem eigenen Gesicht allein zu sein, sich selbst beim Denken zuzusehen, war auch für Vera ungewohnt. „Das ist ja auch ein Bestandteil des Schauspiels: Denken alleine formt die Mimik. Denkt man wirklich, braucht man kein Gesichtsgulasch zu machen.“

Einige Bildstrecken fordern diese Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit explizit heraus: Für Sophie Wanningers Foto musste jeder eine Grimasse schneiden, Julia Schneider hat allen eine Nudel ins Gesicht gelegt. Dass die von ihnen Porträtierten keine Profi-Models sind, schätzen beide sehr. „Professionelle Models haben oft schon zu sehr eingefahrene Posen, meistens geht es nicht um den Menschen dahinter, besonders, wenn man ein Lookbook fotografiert oder das Model etwas anderes präsentieren soll“, sagt Sophie. „Für diese Bildserie war es wesentlich einfacher, mit Künstlern zusammenzuarbeiten, da sie im Gegensatz zu professionellen Models nicht den Anspruch haben, in erster Linie vorteilhaft auszusehen“, stimmt Julia zu. Natürlich fühlt sich das anfangs albern an. Wie bitte posiert man mit einer Nudel im Gesicht? Aber gerade deshalb seien letztlich zehn sehr unterschiedliche Bilder herausgekommen: „Es hat Spaß gemacht, Leuten die Nudel ins Gesicht zu werfen. Erstaunlich war, dass die Künstler alles dafür gegeben haben, der Nudel ihre Präsenz streitig zu machen.“ 

Doch aus all diesen Fototerminen sind nicht nur Bilder entstanden. Sondern auch Gespräche, zum Teil Freundschaften. Viele Künstler sind sich bei den Shootings zum ersten Mal begegnet. „Ich kannte einige der Sänger vom Sehen, aber ich denke schon, dass es mehr Vernetzung bedarf“, sagt Michael Färber, „wir Fotografen sind manchmal ziemlich isoliert von anderen Künsten.“ Fotograf Jean-Marc Turmes resümiert: „Es gibt so viele nette Leute, die aber oft untergehen im Schall und Rauch der Gegenwart. Jetzt kennen wir uns und können uns gegenseitig unterstützen.“ 

Eine Viertelstunde ist vergangen, Kilian wirkt inzwischen weniger nervös, wie er dort so liegt, im Fotostudio von Amelies Hochschule zwischen den beiden Reflektorschirmen. Im Hintergrund läuft Musik, manchmal summt er die Melodien mit, dann muss Amelie wieder sagen: „Entspann deinen Mund.“ Doch nach ein paar neuen Schlafposen ist die Fotodesign-Studentin dann auch schon zufrieden. „Das war definitiv das entspannteste Foto-Shooting bis jetzt“, sagt Kilian hinterher.

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Hier gibt es einen kurzen Vorgeschmack in Form eines Making-of-Videos der Fotografin Julia Schneider zu sehen. 

Und hier könnt ihr Euch einen Überblick über die teilnehmenden Fotografen machen. 


Text: Carolina Heberling und Amelie Völker

Fotos/Zeichnung: Amelie Satzger

Ego-Shooting

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Amelie Satzger, 21, ist Fotografin und dabei immer ihr eigenes Model. Für sie ist das ein „meditativer Moment“, keine Aufmerksamkeitslüsternheit – im Netz kommen die Bilder gut an.

Ein intelligenter Tweet, ein lustiges Youtube-Video und schon ist man berühmt. Karrieren beginnen heutzutage oft im Internet. Wer sich zu inszenieren weiß, hat schnell mal ein paar Tausend Follower, die einem beim Schminken, Kochen, Modeln oder ganz generell beim Leben zusehen. Auch Amelie Satzgers Erfolg hat im Netz seinen Lauf genommen. Amelie war 19, da begann sie Selbstporträts von sich auf Instagram zu teilen. Anfangs war das nur ein Zeitvertreib – die junge Frau hockte gerade auf Föhr. Familienurlaub. Nicht unbedingt spannend, wenn man jung ist und die Welt entdecken will. Also hat sie ihre Kamera genommen, sich selbst geknipst und die Bilder hinterher online gestellt.

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Die Fotos, die sie von sich teilte, fanden rasch ein Publikum. Innerhalb weniger Wochen folgten ihr auf Instagram mehrere Tausend Menschen, auf der Fotoplattform 500 px hat sie inzwischen mehr als 32 000 Follower. Klingt erfolgreich. Aber: Manche dieser Seiten sind oberflächliche Orte. Auf Instagram sieht man oft nur die Schönen. Die, deren Leben man gern hätte. Die mit den perfekten Kleidern vor der perfekten Kulisse, die dann unter all dieser Perfektion zusammenbrechen – wie Instagram-Model Essena O’Neill, deren Aufbegehren gegen diesen Zirkus sie erst richtig berühmt machte. Ihre Botschaft damals: Hier wird wenig Substanzielles geboten. 

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Die Bilder, die Amelie Satzger, heute 21, macht, wollen nicht so recht passen zu dieser Welt. Schön ist auch Amelie. Toll sind auch die Kulissen, in denen sie steht. Und doch, die Fotografien der jungen Münchnerin erzählen mehr. Da gibt es dieses Bild von Amelie: Ein Mädchen treibt auf dem Wasser. Seine Augen sind geschlossen. Friedlich wirkt das himmelwärts gerichtete Gesicht, doch ihr Kleid zieht den Körper bereits in die Tiefe hinab. Es wirkt, als stürbe auf dem Foto dort Ophelia, die Geliebte Hamlets. Es ist ein Motiv, das in der bildenden Kunst oft aufgegriffen wurde. Nur bleibt Ophelia in diesen Bildern zumeist Objekt. Anders bei Amelie: Sie beobachtet durch die Kamera stets sich selbst, hat einen deutenden Blick auf das Ich. Und zwar in allen Seinsweisen, die die eigene Persönlichkeit zu bieten hat. Mal stark, mal zerbrechlich, mal kindlich, mal frech, aber immer: Amelie.

Dass so etwas mehr ist als ein Zeitvertreib im Internet, war schnell klar. Amelie hat ihr Archäologiestudium abgebrochen, ist um die Welt gefahren. Australien, Nepal, Island. Immer im Gepäck – die Kamera. So ist allmählich eine Reihe mythologisch angehauchter Selbstporträts entstanden: Amelie an nebligen Ufern, Amelie vor Wasserfällen, Amelie vor bedrohlich wirkenden Steinklüften…

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Klingt nach Selbstdarstellungssucht. Nach riesigem Ego. Da fährt eine in ein Land wie Nepal und fotografiert sich selbst. Doch mit der Aufmerksamkeitslüsternheit der Selfie-Stick-Generation haben Amelies Fotografien wenig gemein. „Es ist so ein meditativer Moment, wenn ich mich selbst fotografiere“, sagt die junge Frau mit dem dunkelblonden Haar und lächelt zurückhaltend. Es gehe ihr nicht darum, sich selbst als Person darzustellen, sondern darum, Gefühle zu verarbeiten, Geschichten zu erzählen durch die Bilder. „Da fühlt es sich nun mal nicht authentisch an, andere Menschen in Szene zu setzen.“ Sie ist einfach nur eine Künstlerin, die sich irgendwann zufällig selbst vor die Kamera gelaufen ist.

Sich selbst so zu fotografieren, erlaubt der Fotografin größeren Freiraum. Sich ganz allein an die Grenzen dessen begeben, was man preisgeben möchte. Sich auch mal nackt und schutzlos zu fühlen angesichts der Gewaltigkeit der Natur, in der man sich fotografiert. Amelie, die kleine Figur in der endlosen Wüste. 

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Wie wichtig diese ständige Selbsterfahrung für ihre Fotos ist, zeigt sich auch an der Produktionsweise der Künstlerin, denn von der ersten Idee bis zum fertigen Foto vergeht bei Amelie oft viel Zeit. Das beginnt mit einem Bild im Kopf oder einem Song im Ohr, der erzählt werden will. Es folgt die Suche nach dem passenden Motiv. Also begibt sie sich raus in die Natur, läuft viel herum, sieht sich alles genau an, hört Musik, überlegt dabei. „Dann schlafe ich eine Nacht drüber und komme am nächsten Tag wieder.“ Dieses Mal mit Kamera. Doch bis das Bild fertig ist, dauert es. Es gilt, den richtigen Fokus zu finden, Testaufnahmen zu machen. „Oft renne ich zwischen Kamera und Motiv hin und her.“ So lange, bis sie das Gefühl hat: So soll das Bild aussehen. Mit Selbstauslöser wird fotografiert. Je nach Wetterlage kann das gesamte Prozedere schon mal einige Stunden in Anspruch nehmen.

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Wer so lang mit sich und der Natur ringt, in ihr bei Eis oder Sturm nach dem einen Bild sucht, für den ist ein Berg, ein Ufer, eine Düne nicht einfach nur Kulisse. Amelie ist am Stadtrand von München aufgewachsen, in Fürstenried. Von dort ist es nicht weit zum Starnberger See, den sie so liebt und wo viele ihrer Bilder entstanden sind, so auch das Ophelia-Motiv. „In der Natur sind keine Menschen, die mich stören. Dort finde ich die Ruhe, meine Gedanken zu verarbeiten. In der Stadt ist das nicht mehr so leicht. Auf jedem Grünstreifen, in jedem Park beobachten mich Menschen. Und: Es wird viel mehr darauf geachtet, dass alles gepflegt aussieht.“

Wildwuchs? Leider nein. Eine ganz neue Erfahrung für Amelie, die erst im Februar an den Kolumbusplatz gezogen ist. Urbaner Trubel, dazu die vielen kreativen Menschen in der Nachbarschaft. Es arbeitet in ihr, wenn sie von diesen neuen Eindrücken spricht, das merkt man. An Amelies Händen klebt noch die Farbe vom Streichen der neuen Wohnung.

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Die Bilder, die sie erschafft, wirken im Kontext des Städtischen fast wie eine Gegenwelt. Entvölkerte Landschaft, durch die einsam sie wie eine Elfe oder Gottheit schreitet. Manchmal gibt es aber doch Spuren des Menschlichen. Die abgeholzten Bäume am Starnberger See etwa, vor denen sie posiert. Denn auch solche Dinge möchte sie zeigen. Den Eingriff des Menschen in die Natur. Die „Schönheit des Verfalls“, die so entstehe. Dieses Konzept scheint anzukommen: Amelie studiert inzwischen Fotodesign an der Hochschule München und hat bereits im Fotomagazin Storm eine Bildstrecke veröffentlicht. Für den Sommer ist eine Einzelausstellung geplant.

Die größte Resonanz kommt aber nach wie vor online. „Photo is perfect! It looks like an album or movie cover”, schreibt einer ihrer Fans auf Instagram. Ein anderer fragt: „Kannst du mal was Schlechtes posten, damit ich mich besser fühle?“

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Von: Carolina Heberling

Fotos: Amelie Satzger

Großes Format

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Vom kuschelnden Schauspieler bis zum ehrgeizigen Rapper, von der gemeinnützigen Studentenorganisation bis zur sozialen Modedesignerin: Diese jungen Menschen sorgen 2016 dafür, dass München bunt, spannend und lebenswert bleibt.

Foto: Amelie Satzger

Jede Woche treffen wir auf junge Münchner, die München zu „unserem“ München machen: zu einer spannenden Stadt, die man erst kennt, wenn man ihre Macher kennen und schätzen lernt. Wer diese Stadt im kommenden Jahr bunter und lebenswerter macht? Wir wissen es nicht. Und wagen trotzdem einen Ausblick: Münchens junge Leute 2016.

Leonard Hohm
Schauspieler

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Es gibt Menschen, die kennt man nicht, und doch ist man vertraut mit ihnen. Genauer gesagt: mit ihren Stimmen. Leonard Hohm, 25, ist einer von ihnen. Der Schauspieler ist wirklich sehr häufig zu hören. Er spricht Werbung für Firmen wie Sony oder Bosch, synchronisiert Serienfiguren und hat zig Hörbücher eingelesen. „Sprechen kann zum Sport werden, da wir unter starkem Zeitdruck arbeiten“, sagt Leonard. Nebenher spielt er noch Theater. 2016 sind neben einem Theaterprojekt auch weitere Hörbücher geplant: „Ich liebe die Arbeit im Studio und spiele gerne mit meiner Stimme. Aber was schon nervt: Wenn deine Freundin dann abends sagt: Lass mal nicht kuscheln, lies mir lieber was vor!“

Foto: Yunus Hutterer

Amelie Satzger
Fotografin

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Irgendwie kommt sie aus einer anderen Welt. Wenn Amelie Satzger, 20, sich selbst fotografiert, dann sieht sie aus wie eine Fee, manchmal auch wie eine Gottheit aus dem antiken Griechenland. Es sind jene mythologisch angehauchten Selbstporträts, die die Fotografin erfolgreich machen. Angefangen hat das auf der Nordseeinsel Föhr: Familienurlaub mit den Eltern. Irgendwie langweilig. Also hat Amelie, damals 19, ihre Kamera genommen und die Fotos dann auf Instagram gepostet. Die Bilder kamen an: Innerhalb weniger Wochen hatte sie mehrere Tausend Follower, auf der Fotoplattform 500px sind es mittlerweile mehr als 19 000. Amelie studiert Fotodesign an der Hochschule München. 2016 werden Amelies Selbstporträts auf der Kunstmesse Stroke zu sehen sein. 

Foto: Amelie Satzger

Bianca Kennedy
Künstlerin

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Bianca Kennedy taucht ab. Die 26-Jährige, die Medienkunst an der Akademie der Bildenden Künste München studiert, widmet sich derzeit der Badewanne. „Das ist für mich ein ganz besonderer Ort“, sagt Bianca, denn dort würden Klassenunterschiede aufgehoben. Wer in die Badewanne geht, ist nicht arm oder reich, der ist für einen Moment lang befreit von seiner eigenen Geschichte. Abtauchen, die Füße übers Wasser gleiten lassen und sich dabei vorstellen, man habe gerade einen Wal in den Wellen entdeckt, so ist das zumindest in Biancas filmischer Arbeit „Sonar Sounds“. Die junge Künstlerin hat in den vergangenen Monaten mehr als 200 Badeszenen aus berühmten Filmen gesammelt, die sie in der Videoinstallation „We are all in this together“ miteinander verbindet. Parallel arbeitet sie mit ihrem Freund Felix Kraus an einer Filmtrilogie, die das Leben von Mensch-Tier-Pflanze-Pilz-Hybriden in einer fernen Zukunft imaginiert.

Foto: Adrienne Meister 

Sophia Klink
Literatin

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Wenn Sophia Klink Texte schreibt, spielt die Natur darin eine große Rolle. Die 22-Jährige versucht in ihrer Prosa die Dinge zu verarbeiten, die sie aus ihrem Biologiestudium kennt: „Ich wollte einfach zeigen, wie toll diese Welt ist. Es weiß zum Beispiel kaum einer, dass Regenwürmer zehn Herzen haben.“ Die Natur wird bei ihr zum Reibungspunkt für die Sehnsucht ihrer Figuren nach Ruhe abseits der Stadt. 2015 hat Sophia das Literaturstipendium der Stadt München erhalten, das Autoren ein Arbeiten frei von finanziellem Druck ermöglichen soll. Gefördert wurde ihr Romanprojekt „Luftunterfläche“, dessen Erstfassung demnächst fertig werden soll. Sophia Klink liest am 15. Januar 2016 im Keller der kleinen Künste.

Foto: Thomas Freimuth

Florian Kamhuber
und Fabian Halbig

Filmemacher

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Es darf gelacht werden: Florian Kamhuber, 25, und Fabian Halbig, 23, produzieren mit ihrer Filmfirma „Nordpolaris“ Stoffe, die den Zuschauer mit intelligentem Humor unterhalten sollen. Vergangenen Sommer haben die beiden ihren ersten Langspielfilm produziert, der 2016 Premiere feiert: Die Tragikomödie „Dinky Sinky“ (Regie: Mareille Klein) erzählt die Geschichte einer Sportlehrerin, die unbedingt schwanger werden will. Die Hauptrolle übernahm Residenztheater-Schauspielerin Katrin Röver, der Film-Fernseh-Fonds Bayern förderte das Projekt mit 50 000 Euro. Für das kommende Jahr sind bereits viele neue Projekte geplant: Die beiden produzieren eine Sitcom, die die Männerdomäne Baumarkt ironisch aufbricht, und Fabian, Schlagzeuger der Killerpilze, bringt mit seiner Band ein neues Album heraus.

Foto: Vera Brückner

Alexander Hoffmann
Veranstalter von „Cook and Code“

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Die ersten Schritte in der IT-Welt will Alexander Hoffmann Anfängern in seinem Projekt „Cook and Code“ vereinfachen. Der 27-Jährige organisiert Veranstaltungen, bei denen Experten und Neulinge zusammenkommen und in lockerer Atmosphäre ihr IT-Wissen auffrischen können – zum Beispiel wird auch zusammen gekocht. Für das Jahr 2016 hat sich Alexander eine Menge vorgenommen: „Beim Social Hackathon am 23. Januar werden sich drei bis vier soziale Projekte vorstellen, die ein bestimmtes Problem mit ihrer Website haben“, sagt Alexander. Über einen ganzen Tag hinweg versuchen sich die Teilnehmer an einer Lösung für diese Probleme.

Foto: privat

Hannah Klose
Netzwerkerin

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Netzwerkerin Hannah Klose, 24, bringt Menschen zusammen. Zum Beispiel als Vorstandsmitglied des Projekts „Rock Your Life“, das Hauptschülern Mentoren an die Seite stellt, um den Übergang ins Berufsleben zu erleichtern. Aber auch darüberhinaus hat sie 2016 viel vor: Hannah organisiert die Intrapreneurship Conference 2016 in München mit und stellt als Heartleaders-Botschafterin Veranstaltungen rund um wertschätzende Kommunikation in der Arbeitswelt auf die Beine. Außerdem holt sie bei 12min.me einmal im Monat Sprecher für Vorträge zu Business-Themen auf die Bühne – in lockerer Atmosphäre und strenger Zwölf-Minuten-Taktung. Wo Hannah Menschen verbindet, ist das Ziel meist dasselbe: Statt Ellbogenmentalität soll Arbeit Raum für Innovation, Erfüllung und Potenziale bieten.

Foto: mantro.net

Alina Birkner
Malerin

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Ist Malerei nun in oder out, hip oder verstaubt? Immer wieder wird ihr in der Kunst der Tod prophezeit. Davon lässt sich Alina Birkner, 26, nicht beeindrucken. Die Malerin studiert an der Akademie der Bildenden Künste und schließt ihr Diplom im Februar ab. Alina pinselt mit Acryl geometrische Formen in Pastellfarben auf eine nasse, meist großformatige Leinwand. Ihr Können stößt auf so viel Begeisterung, dass sie im Oktober 2015 gemeinsam mit ihrem Vater René Birkner, der eigentlich Filmplakate gestaltet, ein riesiges Fresko für die Ausstellung des Möbeldesigners Konstantin Grcic in der Pinakothek der Moderne malen durfte. 2016 steht aber erst einmal die eigene, abstraktere Kunst auf dem Plan: zum Beispiel im Münchner Centercourt, wo Alina von Januar an vier großformatige Arbeiten zeigt.

Foto: Korbinian Vogt 

Lux
Rapper

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Es gab schon schlechtere Zeiten für Hip-Hop aus München. Edgar Wasser wird bundesweit gefeiert, Fatoni ist dieses Jahr mit seinem Album „Yo Picasso“ durch die Decke gegangen. Und München hat noch mehr Talente parat. Zum Beispiel Lukas Eichhammer, 25, alias Lux. Der Musiker hat 2015 das erste Album veröffentlicht, tourte mit Kumpel Edgar Wasser durch Deutschland. „Ich habe Blut geleckt“, resümiert er. Schon als Kind zieht es Lukas auf die Bühne: Er spielt im Residenztheater und eine Hauptrolle im Kinofilm der Kinderreihe „TKKG“. Mit 16 beginnt er zu rappen, 2012 kommt die erste EP. Lukas wird nächstes Jahr 26. Zehn Jahre Lux – Zeit, erwachsen zu werden? Ja. Deshalb kommt im Frühjahr eine neue EP und mit ihr ein neuer Lux. Es geht um Zukunftsängste, ums Rumhängen und Älterwerden – ganz genau weiß Lukas das auch nicht. Er rappt: „Ich bin nicht Lux, nur sein Synchronsprecher.“

Foto: Nils Schwarz


Mercedes Diaz de Leon
Mode-Designerin

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Es ist keine einfache Angelegenheit, dem Massenkonsum den Rücken zu kehren – vor allem nicht, wenn es um Mode geht. Mercedes Diaz de Leon, 28, hat es trotzdem versucht: Im Sommer eröffnete sie den „Nui Conceptstore“ in Neuhausen, der ausschließlich fair produzierte Mode von deutschen Jungdesignern und ihr eigenes Label Nui verkauft. Die gebürtige Mexikanerin, die in Deutschland aufgewachsen ist, hat ihr Handwerk an der Meisterschule für Mode in München gelernt. Nach dem Abschluss war sie ernüchtert: Alle tragen das Gleiche, kaufen bei großen Ketten Stücke, die nach kürzester Zeit im Schrank verstauben. Mercedes’ Laden ist keine Revolution. Aber ein Schritt in die richtige Richtung: eine Verkaufsplattform für talentierte Jungdesigner, die nachhaltig, lokal und fair produzieren und für den Modeliebhaber sonst allenfalls über Plattformen wie Dawanda erreichbar wären.

Foto: privat

Equalhats
Gemeinnütziges Studentenprojekt

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Sechs junge Münchner Studenten haben die Mütze zu einem Symbol der Solidarität erhoben. Ihr Motto: „Mache einen fremden Namen zu deinem.“ Auf den Mützen stehen Namen. Namen von Flüchtlingen, die bereits in Deutschland angekommen sind. Über den Namen wird das Gleichheitszeichen eingestickt. So setzt jeder mit der Mütze ein Statement. Bisher sind circa 400 Mützen verkauft und 2500 Euro eingenommen. Neben dem Studium ist oft zu wenig Zeit, aber für die nächsten Semesterferien plant das Team von Equalheads einen Sommerersatz für die Mütze zu finden. „Wir wollen auf jeden Fall weitermachen“, sagt Pauline Kargruber, Mitbegründerin des gemeinnützigen Studentenprojekts Equalhats. Die Mützen werden fair und im Inland produziert, alle Erträge gehen an die Aktion „Deutschland hilft“. Welcher Name auf der Mütze steht, ist nicht wichtig, man erfährt es auch nicht vorher. Das Zeichen, das man setzt, zählt.

Foto: privat

Nalan381
Hipster-Pop

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Es ist zuletzt gut gelaufen für das experimentelle Duo Nalan381. „Sie sind gekommen, um München ein bisschen mehr Sex einzuhauchen“, schrieb etwa der Bayerische Rundfunk. Und auch die SZ hat sich nicht zurückgehalten mit Lob: „Ätherische Töne mit hauchenden, hallenden, klagenden Stimmen, die verlaufen wie Wimperntusche im Swimmingpool.“ Nicht zuletzt deswegen haben Nikolaus Graf aka Nik Le Clap und Nalan Karacagil große Pläne für 2016. Die Findungsphase ihrer Musik ist abgeschlossen, im kommenden Jahr wollen sie mit einer neuen Platte über die Münchner Bühnen hinauswachsen. Ein Konzert in Berlin ist fix, sogar noch vor der Release ihrer Platte am 13. April in der Münchner Bar „Unterdeck“. Ihrem Indie-R ’n’ B bleiben sie treu, „aber der Sound wird interessanter, weil wir ja jetzt wissen, wie der andere tickt“, sagt Nik.

Foto: Rosanna Graf

Autoren: Carolina Heberling, Matthias Kirsch, Susanne Krause, Jennifer Lichnau, Valerie Präkelt

Fragen über Fragen – Amelie Satzger

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“Von der Gesellschaft werden wir häufig als Träumer
bezeichnet” – sagt Fotografin Amelie Satzger, eine der 20 Mitwirkenden unserer “10 im Quadrat”-Ausstellung im Farbenladen. Wir haben ihr ein paar Fragen gestellt.

Worum geht es bei deinem Konzept? / Wie bist du darauf
gekommen?

In meinem Konzept geht es um die gesamte Sparte, die sich
„Künstler“ nennt.
Von der Gesellschaft werden wir häufig als Träumer
bezeichnet, das habe ich in diesem Bild aufgegriffen und alle unter einem
Haufen Teppichen schlafend dargestellt.
So verschieden unsere Kunstrichtungen auch sein mögen (wie
auch die einzelnen Teppiche), stecken wir doch alle unter einer Decke. Nur wenn
man mit anderen Kunstrichtungen zusammenarbeitet, kommt etwas „Größeres“ dabei
raus.  

Wie war es, so viele unterschiedliche Leute für eine
Bild-Serie zu fotografieren?

Es war sehr interessant, man wusste nicht, wer als nächstes
durch die Tür kommt.
Ich hatte ja noch nicht alle kennengelernt, was es immer
wieder spannend für mich gemacht hat, ob die nächste Person auch so offen für
mein Konzept sein wird.  

Welche Begegnung hat dich am meisten beschäftigt? 
Ich fand alle Begegnungen sehr schön. Am meisten beschäftigt
haben einen natürlich die, mit denen man noch nach dem Shooting bisschen
geredet hat.
Manche sind danach noch eine halbe Stunde geblieben und man
hat sich über die nächsten Projekte und Ziele ausgetauscht. Zu sehen, wie es in
anderen kreativen Bereichen so läuft und was für Ähnlichkeiten es zur
Fotografie gibt, war sehr interessant.  

War es schwieriger, z.B. einen Schauspieler/Musiker zu
fotografieren (also selbst “Künstler”), als professionelle Models und
wenn ja, warum?

Ich fand es ehrlich gesagt nicht schwieriger. Vielleicht lag
es auch daran, dass ich allen eine Skizze geschickt hatte, wie ich mir das Bild
am Ende vorstelle, aber es konnten sich alle sehr schnell in die richtige
Stimmung versetzen.

Bist du auch mal an deine Grenzen gestoßen? / Musstest du deine Vorstellung/ dein Konzept über den Haufen werfen, weil es schlichtweg
nicht ausführbar war?

Ich hatte zuerst Zweifel, ob mein Bild so funktionieren
würde, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich musste alle einzeln fotografieren
und dann in Photoshop zusammenfügen. Ich bin zwar gut in Photoshop, aber ich
hatte Angst, dass es am Schluss unnatürlich aussehen wird. Zudem wusste ich
nicht, ob alle damit einverstanden wären, sich bis auf die Unterhose beim
Shooting auszuziehen, damit man auf dem Bild keine Kleidung sieht.
Zum Glück hat alles sehr gut geklappt und ich bin zufrieden
mit dem Ergebnis.

Nimmst du die Szene dieser Stadt nach dem Projekt anders
war? Braucht es mehr Vernetzung?

Es war sehr spannend, neue Leute kennenzulernen, denen man
sonst wahrscheinlich nicht begegnet wäre. Ich wurde auch zu verschiedenen
Theateraufführungen / Filmvorführungen eingeladen und freue mich sehr, jetzt
auch die Künstler mal in Action zu sehen.

Foto: Sophia Carrara