Ego-Shooting

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Amelie Satzger, 21, ist Fotografin und dabei immer ihr eigenes Model. Für sie ist das ein „meditativer Moment“, keine Aufmerksamkeitslüsternheit – im Netz kommen die Bilder gut an.

Ein intelligenter Tweet, ein lustiges Youtube-Video und schon ist man berühmt. Karrieren beginnen heutzutage oft im Internet. Wer sich zu inszenieren weiß, hat schnell mal ein paar Tausend Follower, die einem beim Schminken, Kochen, Modeln oder ganz generell beim Leben zusehen. Auch Amelie Satzgers Erfolg hat im Netz seinen Lauf genommen. Amelie war 19, da begann sie Selbstporträts von sich auf Instagram zu teilen. Anfangs war das nur ein Zeitvertreib – die junge Frau hockte gerade auf Föhr. Familienurlaub. Nicht unbedingt spannend, wenn man jung ist und die Welt entdecken will. Also hat sie ihre Kamera genommen, sich selbst geknipst und die Bilder hinterher online gestellt.

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Die Fotos, die sie von sich teilte, fanden rasch ein Publikum. Innerhalb weniger Wochen folgten ihr auf Instagram mehrere Tausend Menschen, auf der Fotoplattform 500 px hat sie inzwischen mehr als 32 000 Follower. Klingt erfolgreich. Aber: Manche dieser Seiten sind oberflächliche Orte. Auf Instagram sieht man oft nur die Schönen. Die, deren Leben man gern hätte. Die mit den perfekten Kleidern vor der perfekten Kulisse, die dann unter all dieser Perfektion zusammenbrechen – wie Instagram-Model Essena O’Neill, deren Aufbegehren gegen diesen Zirkus sie erst richtig berühmt machte. Ihre Botschaft damals: Hier wird wenig Substanzielles geboten. 

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Die Bilder, die Amelie Satzger, heute 21, macht, wollen nicht so recht passen zu dieser Welt. Schön ist auch Amelie. Toll sind auch die Kulissen, in denen sie steht. Und doch, die Fotografien der jungen Münchnerin erzählen mehr. Da gibt es dieses Bild von Amelie: Ein Mädchen treibt auf dem Wasser. Seine Augen sind geschlossen. Friedlich wirkt das himmelwärts gerichtete Gesicht, doch ihr Kleid zieht den Körper bereits in die Tiefe hinab. Es wirkt, als stürbe auf dem Foto dort Ophelia, die Geliebte Hamlets. Es ist ein Motiv, das in der bildenden Kunst oft aufgegriffen wurde. Nur bleibt Ophelia in diesen Bildern zumeist Objekt. Anders bei Amelie: Sie beobachtet durch die Kamera stets sich selbst, hat einen deutenden Blick auf das Ich. Und zwar in allen Seinsweisen, die die eigene Persönlichkeit zu bieten hat. Mal stark, mal zerbrechlich, mal kindlich, mal frech, aber immer: Amelie.

Dass so etwas mehr ist als ein Zeitvertreib im Internet, war schnell klar. Amelie hat ihr Archäologiestudium abgebrochen, ist um die Welt gefahren. Australien, Nepal, Island. Immer im Gepäck – die Kamera. So ist allmählich eine Reihe mythologisch angehauchter Selbstporträts entstanden: Amelie an nebligen Ufern, Amelie vor Wasserfällen, Amelie vor bedrohlich wirkenden Steinklüften…

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Klingt nach Selbstdarstellungssucht. Nach riesigem Ego. Da fährt eine in ein Land wie Nepal und fotografiert sich selbst. Doch mit der Aufmerksamkeitslüsternheit der Selfie-Stick-Generation haben Amelies Fotografien wenig gemein. „Es ist so ein meditativer Moment, wenn ich mich selbst fotografiere“, sagt die junge Frau mit dem dunkelblonden Haar und lächelt zurückhaltend. Es gehe ihr nicht darum, sich selbst als Person darzustellen, sondern darum, Gefühle zu verarbeiten, Geschichten zu erzählen durch die Bilder. „Da fühlt es sich nun mal nicht authentisch an, andere Menschen in Szene zu setzen.“ Sie ist einfach nur eine Künstlerin, die sich irgendwann zufällig selbst vor die Kamera gelaufen ist.

Sich selbst so zu fotografieren, erlaubt der Fotografin größeren Freiraum. Sich ganz allein an die Grenzen dessen begeben, was man preisgeben möchte. Sich auch mal nackt und schutzlos zu fühlen angesichts der Gewaltigkeit der Natur, in der man sich fotografiert. Amelie, die kleine Figur in der endlosen Wüste. 

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Wie wichtig diese ständige Selbsterfahrung für ihre Fotos ist, zeigt sich auch an der Produktionsweise der Künstlerin, denn von der ersten Idee bis zum fertigen Foto vergeht bei Amelie oft viel Zeit. Das beginnt mit einem Bild im Kopf oder einem Song im Ohr, der erzählt werden will. Es folgt die Suche nach dem passenden Motiv. Also begibt sie sich raus in die Natur, läuft viel herum, sieht sich alles genau an, hört Musik, überlegt dabei. „Dann schlafe ich eine Nacht drüber und komme am nächsten Tag wieder.“ Dieses Mal mit Kamera. Doch bis das Bild fertig ist, dauert es. Es gilt, den richtigen Fokus zu finden, Testaufnahmen zu machen. „Oft renne ich zwischen Kamera und Motiv hin und her.“ So lange, bis sie das Gefühl hat: So soll das Bild aussehen. Mit Selbstauslöser wird fotografiert. Je nach Wetterlage kann das gesamte Prozedere schon mal einige Stunden in Anspruch nehmen.

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Wer so lang mit sich und der Natur ringt, in ihr bei Eis oder Sturm nach dem einen Bild sucht, für den ist ein Berg, ein Ufer, eine Düne nicht einfach nur Kulisse. Amelie ist am Stadtrand von München aufgewachsen, in Fürstenried. Von dort ist es nicht weit zum Starnberger See, den sie so liebt und wo viele ihrer Bilder entstanden sind, so auch das Ophelia-Motiv. „In der Natur sind keine Menschen, die mich stören. Dort finde ich die Ruhe, meine Gedanken zu verarbeiten. In der Stadt ist das nicht mehr so leicht. Auf jedem Grünstreifen, in jedem Park beobachten mich Menschen. Und: Es wird viel mehr darauf geachtet, dass alles gepflegt aussieht.“

Wildwuchs? Leider nein. Eine ganz neue Erfahrung für Amelie, die erst im Februar an den Kolumbusplatz gezogen ist. Urbaner Trubel, dazu die vielen kreativen Menschen in der Nachbarschaft. Es arbeitet in ihr, wenn sie von diesen neuen Eindrücken spricht, das merkt man. An Amelies Händen klebt noch die Farbe vom Streichen der neuen Wohnung.

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Die Bilder, die sie erschafft, wirken im Kontext des Städtischen fast wie eine Gegenwelt. Entvölkerte Landschaft, durch die einsam sie wie eine Elfe oder Gottheit schreitet. Manchmal gibt es aber doch Spuren des Menschlichen. Die abgeholzten Bäume am Starnberger See etwa, vor denen sie posiert. Denn auch solche Dinge möchte sie zeigen. Den Eingriff des Menschen in die Natur. Die „Schönheit des Verfalls“, die so entstehe. Dieses Konzept scheint anzukommen: Amelie studiert inzwischen Fotodesign an der Hochschule München und hat bereits im Fotomagazin Storm eine Bildstrecke veröffentlicht. Für den Sommer ist eine Einzelausstellung geplant.

Die größte Resonanz kommt aber nach wie vor online. „Photo is perfect! It looks like an album or movie cover”, schreibt einer ihrer Fans auf Instagram. Ein anderer fragt: „Kannst du mal was Schlechtes posten, damit ich mich besser fühle?“

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Von: Carolina Heberling

Fotos: Amelie Satzger