Band der Woche: Sunspiration

Bereits zwei Alben hat die Indie-Folkband Sunspiration veröffentlicht. Die Bandmitglieder kennen sich schon seit Kindertagen – die Songtexte stammen aus der Feder von Violetta Ditterich, der Cousine des Gitarristen Lenny Bachmeier.

Die menschliche Stimme umweht ein besonderer Mythos. Das beginnt in der Bibel, in der das “Wort” Gottes eine oberste Wahrheitsinstanz ist – und zieht sich bis in die Postmoderne, wenn der französische Philosoph Jacques Derrida den Wahrheitsanspruch beschreibt, der im gesprochenen Wort liegt, das also direkt mit dem Hirn und dem Denken verbunden ist. Auch die Popmusik gewinnt durch die Dringlichkeit, die eine Stimme mit selbstgeschriebenen Texten vermitteln kann. Funktioniert diese Ebene nicht, wirkt die Musik gleich viel unzugänglicher. Sei es bei Instrumentalmusik oder aber bei einer Sängerin oder einem Sänger ohne Charisma. Dabei geht es nicht darum, ob jemand die Töne trifft, sondern vielmehr, ob sich die Worte des Texts in Timbre und Ausdruck der Stimme so spiegeln, dass sie den Hörer treffen können.

Umso überraschend wirkt der Songwriting-Prozess der Münchner Band Sunspiration . Denn die Musik klingt äußerst dringlich, ein bisschen so wohlig melancholisch wie die BrightEyes. Jedoch brechen Sunspiration die Vereinigung zwischen Textdichter und Sänger in einer Person auf. Es textet Violetta Ditterich, die Cousine von Gitarrist, Keyboarder und Sänger Lenny Bachmeier, für die drei Musiker. Sie selbst tritt in der Band nicht in Erscheinung. Doch Lenny und seine beiden Bandkollegen – der Gitarrist und Sänger Florian Heimbuchner sowie Stefan Gackstatter am Schlagzeug – kommen mit dieser Aufgabenverteilung gut klar. Denn daraus ergebe sich auch eine ganz eigene Dynamik, erklärt Violetta: Sie schreibe ein paar Zeilen, die Musiker lassen sich davon zu Musik inspirieren – und so schreibt sich der Song mit gemeinsamen Assoziationen fort. “Dabei kommt es immer wieder zu Überraschungen. Wir entwickeln uns zusammen weiter”, sagt sie. Geschrieben habe sie schon immer gerne. Irgendwann habe ihr Cousin gefragt, ob sie nicht ein paar Strophen auf die Musik seiner Band schreiben wolle. “Die Konstellation harmoniert bisher sehr gut bei uns. Sowohl ich als auch die drei Jungs können sich frei im eigenen Bereich ausleben, bevor es dann zu einem großen Ganzen wird”, erklärt Violetta.

Angefangen, zusammen Musik zu machen, haben sie noch zu Schulzeiten, sie kennen sich seit Kindertagen. Mittlerweile versuchen sie ihr Leben auf die Musik auszurichten und haben bereits zwei Alben veröffentlicht. Darauf findet sich zweistimmiger Gesang, klirrende Keyboards, treibende Beats und anachronistische Orgeln: “Damit ist unsere Musik einerseits modern und nah am Zeitgeist dran, gleichzeitig schwingt ein Flair der Sechzigerjahre mit”, erklären sie, die ursprünglich aus Ebersberg stammen und nun in München, Leipzig und Würzburg studieren und deshalb viel Zug fahren, um weiterhin gemeinsam zu proben und Songs zu schreiben. Gezupfte Gitarren-Patterns treffen auf zum Teil fast altmodisch und ritterlich klingenden mehrstimmigen Gesang. Die Musik plätschert vor sich hin, umgarnt den Hörer, anstatt unbedingte Aufmerksamkeit zu fordern. “Am Anfang waren es bei uns eher Singer-Songwriter-Melodien, mittlerweile hat sich einiges verändert”, sagen sie. 

Doch vielleicht trägt auch der ungewöhnliche Songwriting-Prozess und Violettas Ghostwriter-Tätigkeit dazu bei, dass etwa der Song “Three Men” besonders, ja beinahe episch klingt. Denn wenn man sich drei junge Männer vorstellt, die über drei junge Männer in der dritten Person schreiben, ist das vielleicht ein bisschen seltsam. Doch in diesem Song, dessen Gitarren-Picking schließlich von noisigen Keyboards und einem konkret trabenden Beat eingeholt wird, hat man das Gefühl, einer spannenden, fremdartigen Geschichte zu lauschen. Eine Geschichte, die eben oft ein Außenstehender besser erzählen kann als der, der selbst drinsteckt. Am Montag, 12. März, spielen Sunspiration im Münchner Club Milla.

Foto: Simon Heimbuchner

Text: Rita Argauer

Band der Woche: Call it a Wasteland

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Call it a Wasteland hat „nie versucht, nach einer Band zu klingen oder in eine Musikrichtung zu passen“.
Ihr harter Musikstil passt zu ihren emotionalen Themen: Verlust, Hass und Schmerz.

Orakel zu sein, ist heute keine Kunst mehr. Zumindest nicht, wenn das Orakel die Pop-Trends der kommende Jahre voraussagen soll. Denn mittlerweile funktioniert die Erschaffung einer Pop-Gegenwart mittels der Ästhetik der Vergangenheit überraschend verlässlich. Vor ein paar Jahren, auf dem Höhepunkt des Achtzigerjahre-Revivals, äußerten ein paar kühne Kulturpessimisten, dass nicht etwa im Anschluss wieder irgendjemand nach einer neuen Ästhetik forschen würde, sondern dass – schön chronologisch die Vergangenheit abschreitend – schon bald die Neunzigerjahre zurück in die Zukunft kehren werden. Die Modewelt war dann anschließend mal wieder der Pionier, der Baby-Doll-Kleidchen, Karohemden und Doc-Martens-Schuhe zurück an den modernen Großstadt-Menschen heftete. Und nun taucht nach und nach der passende Soundtrack zur Neunzigerjahre-Retrotopie auf: Gitarrenfokussiert und authentizitätsverliebt klingen derzeit einige Bands, was unter diesem Aspekt ein wenig paradox erscheint, weil die große Wut der Grunge-Bands ja gerade deshalb so authentisch wirkte, weil sie nach einem Jahrzehnt popmusikalischer Reduktion mittels Künstlichkeit überraschte. Aber eine gewisse Wut und Wucht kann man auch wieder ganz gut brauchen. Inwiefern die ein authentischer Ausdruck einer im Ganzen derzeit recht braven Jugend ist, sei mal dahingestellt.

Lieber hört man die Münchner Band Call it a Wasteland. Da tönt schon der Name, dass man hier nicht gedenkt, sich mit hübsch-braver Indie-Musik auszuruhen. Dementsprechend brechen die Gitarren im ersten Track der im Oktober veröffentlichten Debüt-EP des Trios mit unverhohlenen Metal-Anleihen herein. Denn das muss man sich bei aller Zerbrechlichkeit, die etwa die Musik von Nirvana trotz der Wucht hatte, bewusst machen: Grunge und Alternative setzen sich im Prinzip aus Hardrock, Metal und Punk zusammen. Und Call it a Wasteland setzen genau da an. Auf den für die Trio-Besetzung aus Gitarre, Bass und Schlagzeug erstaunlich dichten Sound singt die Gitarristin Tooney Pham mal entspannt und mit warmen Timbre, mal hymnisch und zweistimmig mit dem Bassisten Johannes Rest und mal drängend und brechend an der Grenze zum Schreien. Das erinnert an Bands wie Veruca Salt oder Soundgarden. Und vielleicht auch an Queen Adreena, allerdings waren die exzessiver.

Doch die drei Musiker von Call it a Wasteland, die jetzt alle Mitte 20 sind, wurden gerade geboren, als der Grunge seine Hochphase hatte. Und das ist vermutlich der Grund, warum die Musik von Call it a Wasteland nicht nach einer vergangenheitsbesoffenen Cover-Band klingt. „Wir haben nie versucht, nach einer Band zu klingen oder in eine Musikrichtung zu passen“, erklären sie. Sie haben sich über einen Facebook-Post von Tooney gefunden, als sich deren vorherige Band aufgelöst hatte. Der härtere Musikstil ergibt sich auch aus dem Themenspektrum, das sie kreativ bearbeiten: „Die Songs kreisen hauptsächlich auf emotionaler Ebene um Dinge wie Verlust, Hass, Schmerz und eine Fuck-You-Attitüde.“ Und in manchen Stücken ihrer EP „Neurocytes Collide“ gelingt es ihnen herrlich, sich aus bisweilen etwas vorhersehbaren Strukturen zu lösen und ganz anhand der von ihnen gesetzten Themen zu musizieren. Etwa im Song „Ghosts“, dessen Gitarrenlinien zu Beginn ein wenig in die Indie-Ecke kippen, der sich aber dann in einer ewigen Steigerung zu einem spukenden Geisterstück aufschwingt. In Tooneys Stimme ist dann ein Streben zu hören, von dem man mehr hören will. Jetzt planen sie erst einmal Konzerte zu spielen, etwa am Donnerstag, 4. Januar, mit weiteren Rumpel-Gitarren-Bands im Münchner Club Rumours. 

Stil: Grunge/Alternative
Besetzung: Tooney Pham (Gesang, Gitarre), Johannes Rest (Bass, Gesang), Julian Heller (Schlagzeug)
Aus: München
Seit: 2015
Internet: www.callitawasteland.bandcamp.com

Text: Rita Argauer


Foto: Benedikt Rest

Band der Woche: Chasing Sound

Es sind harmonische Details, die die Musik von Chasing Sound auf eine
andere Ebene rücken. Vorgetragen wird das mit Gelassenheit.
Man hat das Gefühl, hier wird verträumt drauflosgespielt.

Wer verliebt sich in wen und wird diese Liebe auch erwidert? Im Film „Singles“, der auf Deutsch den genial bescheuerten Untertitel „Gemeinsam einsam“ trägt, geht es um nichts anderes. Damit steht dieser Film absolut nicht allein. Liebesver- und entwirrungen dienen, seit es das Theater gibt, als Motor für Bühnenstücke. Wenn auch in manch griechischer Tragödie wohl etwas übler, wenn etwa die Liebe zwischen Medea und Jason letztlich zum Kindsmord führt. „Singles“ ist eher eine vergleichsweise oberflächliche Slacker-Schmonzette. Hier ist etwas anderes interessant: Die Musik. Es wirkt beinahe so, als sei dieser Film, der 1992 in Seattle spielt, nur gedreht worden, um ein weiteres Stückchen der damalig neu aufgekommenen Mode und Musik zu verwerten. „Singles“ ist eine leicht zu durchschauende Kommerzialisierung der vormals eher antikommerziellen Grunge-Kultur.

Trotzdem ist es sinnvoll, sich diesem Film zu widmen: Denn die Macher lassen die Musik, die ja doch so herrlich ist, auf wunderbare Weise durch den Film führen. Auf dem Soundtrack findet sich etwa das darauf exklusiv veröffentlichte Stück „Drown“ von den Smashing Pumpkins, ein herrlich dahinleierndes Indie-Grunge-Stück. Oder Pearl Jam, natürlich, Soundgarden, aber auch die Unbekannteren wie Mudhoney oder die Screaming Trees sind dabei. Nirvana nicht, aber von denen existiert auch kein Stück, das in einer ähnlichen guten Mischung diesen Slacker-Nihilismus eben so besonders hoffnungsfroh erklingen lassen würde. Die Münchner Band Chasing Sound jedoch hätte ein paar Lieder parat, die sich auf dem Singles-Soundtrack gut machen würden. Irgendwo belebt das Quartett, das sich 2015 gründete, dieses Gefühl von gedeckelter, aber schwelender Euphorie heute wieder. Aufs erste Hören klingen deren Songs zwar ein wenig beliebig: heruntergeschrubbte Gitarrenriffs, Ride-Becken-dominierte Schlagzeugbeats und typischer Indie-Jungsgesang. Das Ganze dann im obligaten Lo-Fi-Sound, in dem klirrende Höhen oder fette Bässe eher als schlechter Geschmack, denn als Emotionsverstärkung gelten.

Doch es sind harmonische Details, wie etwa ein nicht ganz reiner Akkord im Song „Bolt out of the Blue“, die die Musik von Chasing Sound auf eine andere Ebene rücken. Vorgetragen wird das mit einer Gelassenheit, die eben im besten Sinne slackerhaft ist. Die vier Musiker sind ziemlich gut darin, etwaige Ambitionen und grellen Ehrgeiz in ihrer Musik zu verstecken. Man hat das Gefühl, hier wird verträumt drauflosgespielt – ganz so, wie es einem der Film „Singles“ für das Leben der Mittzwanziger damals in Seattle erzählen will.

Einen Unterschied gibt es jedoch von Seattle 1990 zu München 2017. Seattle war damals popmusikalisch etwas abgeschlagen, es gab wenig bekanntere Bands, die bis hinauf in den Nordwesten der USA tourten. Ein Umstand, der die lokale Musikszene erblühen ließ. München dagegen ist saturiert: Es finden täglich mehrere Konzerte statt, bekannter und lokaler Künstler. Die lokalen Bands sind in München so zahlreich, dass in der sowieso schon unter Platzmangel leidenden Stadt ein wirklich ernsthaftes Problem mit bezahlbaren Probenräumen herrscht, und um Publikum auf die Konzerte einer Nachwuchsband zu locken, müsse man sich PR-technisch schon ganz schon anstrengen, erklären Chasing Sound. Sie probten ihrerseits in einem Keller, der schlecht klinge. Doch vielleicht führen genau diese „katastrophalen Klangeigenschaften“ sowie die Übersättigung zu der charmanten Perspektivlosigkeit, die durchklingt bei Chasing Sound; und die deren Musik abhebt von all den hochpolierten Bands, die denken, die Welt habe nur auf ihre Musik gewartet. 

Stil: Alternative / Lo-Fi
Besetzung: Jonathan Platz (Gitarre, Bass), Alexander Poth (Schlagzeug), Sebastian Reßle (Gesang, Gitarre, Bass), Josef Scholz (Gitarre, Gesang, Bass)
Aus: München
Seit: 2015
Internet: soundcloud.com/chasing_sound

Text: Rita Argauer

Foto: Adelina Hartmann

Geschlossene Gesellschaft

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Hohe Mieten, wenig Raum: München ist kein gutes Pflaster für Subkultur. Moritz Ebnet und Julian Borngräber, beide 25, versuchen es jetzt anders. Ohne kommerziellen Druck.   

Ein kleines Häuschen, vier auf vier Meter, unter einer Bahntrasse nahe am Kolumbusplatz. Drumherum ein kleiner Gemeinschaftsgarten, auf Neudeutsch: Urban-Gardening. Daneben steht ein Dixie-Klo – das also soll sie sein, die Hoffnung für junge, experimentierfreudige Münchner? Wenn hier von Häuschen die Rede ist, ist schon alleine das eine maßlose Übertreibung. Schuppen trifft es eigentlich besser. Der Holzverschlag erinnert eher an Schrebergarten als an etwas, das man Haus taufen würde. Und doch: Was hier geschieht, könnte eine Alternative zur teilweise festgefahrenen Kulturszene in München sein. 

Moritz Ebnet und Julian Borngräber, beide 25 Jahre alt, hatten vor einiger Zeit eine Idee. Sie wollten „einfach was machen“. Das klingt als solches nicht gerade revolutionär: junge Leute, die sich ausprobieren wollen – einfach wild drauf los, ohne festes Ziel. Aber was aus der Idee wurde, hat mehr Potenzial als man vielleicht vermuten mag: eine neue Form, in München Kultur zu organisieren, nicht kommerziell und im kleinen Rahmen. 

Zuerst aber zurück zu der Idee. Angefangen hat alles mit einem kleinen Heimkino in Moritz’ Keller, für sich und seine Freunde. Für Moritz, der sich schon lange für Kino begeistert und bereits ein Open-Air-Kino in Rosenheim veranstaltet hat, ein logischer Schritt, seinen Tatendrang auszuleben. Seitdem das Kino eingerichtet ist, trifft sich der gesamte Freundeskreis hier regelmäßig zum Filme schauen, zum abhängen und diskutieren. So ist eine Gruppe von jungen Menschen entstanden, die etwas schaffen wollten. Schnell war klar, dass noch mehr möglich ist. „Und wie es halt so ist, hat sich was ergeben“, sagt Moritz. Dabei grinst er über das ganze Gesicht. Denn genau zu dieser Zeit hatte sein Vater einen Schuppen als Abstellraum gemietet. „Wir wussten von dem Raum, sind hier irgendwann im November völlig übermüdet reinmarschiert – und fanden es richtig gut. Danach sind wir begeistert um die Ecke Schweinebratenessen gegangen und haben überlegt, was wir daraus machen könnten.“

Entstanden ist ein kleiner gemütlicher Raum, in dem die Freunde ihre Kreativität ausleben können. Es ist zwar nicht viel Platz und ein Eck des Raums dient immer noch als Abstellkammer – doch was aus dem Schuppen wurde, ist durchaus ansehnlich. Links neben der Eingangstür stehen Plattenspieler und Mischpult, daneben eine alte, schlichte Couch. Gegenüber ein paar Kinosessel. Die Wände sind anthrazitfarben gestrichen, bis auf die Rückwand. Dort, hinter der Bar, hängt noch immer eine Tapete mit Mohnblumenmuster. Sie stammt noch aus der Zeit, als das Häuschen ein Obststandl war und gibt dem Projekt seinen Namen: Mohnbar.

Aber eigentlich ist es auch egal, wie es innen aussieht. Denn zentral ist, was drinnen passiert. Der gesamte engere Freundeskreis wirkt mit. Sie veranstalten kleine, um nicht zu sagen winzige Konzerte oder legen zusammen auf. „Es ist ein Ort des Austauschs“, sagt Julian. „Um Party geht es nicht“, fügt Moritz hinzu. Freunde spielen beispielsweise vor kleinem Publikum ihre eigenen Lieder. Jeder, der etwas Künstlerisches macht, kann sich hier ausprobieren. Von Kultur oder gar Subkultur wollen die beiden aber nichts wissen, denn Kultur klingt zu hochgestochen, fast schon arrogant. Einfach tun, was Spaß macht, „ohne es sich auf die Fahne zu schreiben“, ist die Devise.
 Die Gruppe geht weit über Julian und Moritz hinaus. Mittlerweile sind sie „zu sechst oder zu siebt“, sagt Julian. Das ist aber nur der engere Kreis. Bereits jetzt scheint nicht mehr so klar zu sein, wer genau was beigesteuert hat. Ein richtiges Gemeinschaftsprojekt eben. Und das zeichnet die Mohnbar auch aus. Denn öffentlich läuft hier nichts – und das ist die Besonderheit: Alle Veranstaltungen sind nur für Freunde zugänglich. Privat also. Nicht, weil sie keine Lust darauf hätten, sondern weil es nicht anders geht. „Wer etwas öffentlich machen möchte, muss eine riesige Latte an Auflagen erfüllen“, erklärt Moritz. Versicherungen, Genehmigungen, Lizenzen. „Außerdem steigen die Kosten ständig.“

All das hat er schon persönlich miterlebt. Freunde von ihm hatten versucht, das „Maxim“, ein Kino in der Landshuter Allee, zu erhalten. Vor kurzem musste es schließen. Der finanzielle Druck war einfach zu groß. Das Projekt „Mohnbar“ in seiner derzeitigen Form kann also nur bestehen, weil es nicht kommerziell ist. Es gibt keine Lohnzahlungen und keine laufenden Kosten – mit Ausnahme des Dixie-Klos. Jeder, der mitarbeitet, macht das freiwillig und zahlt manchmal sogar drauf. Die „Mohnbar“ läuft komplett unkommerziell und war von Anfang an so konzipiert. „Ich habe das Gefühl, dass in den Köpfen der Leute verankert ist, dass alles einen Nutzen haben muss, Geld bringen muss“, sagt Julian. 

Für ihn ist die logische Konsequenz aus dem Platz- und Kostendilemma in München, Dinge privat zu organisieren. Einigermaßen kostendeckend, aber nicht gewinnorientiert. Julian schweift ab. Er beginnt zu schwärmen vom Berlin der Neunzigerjahre, von Daniel Pflumm, einem Künstler, der auch angefangen hat wie sie: mit einem Leerstand. Daraus wurde eine Galerie, später ein Club. Einfach das, was ihm Spaß gemacht hat. Natürlich ist der Maßstab anders. Zwischen dem Ostberlin der Wende und München liegen Welten. Doch man versteht ein bisschen, worum es geht, wenn sie alle zwei Wochen die Mohnbar öffnen. 

Schade nur, dass das eben nur sehr wenige miterleben können. Aber auch darüber hat sich Moritz bereits Gedanken gemacht. Er hat die Idee, einen Verein zu gründen, „wie einen Kegelklub oder eine Fußballmannschaft“. Dann könnte das Ganze ein bisschen größer werden. Außerdem bietet ein Verein weitere Vorteile: bei Versicherungen, oder wenn man Zuschüsse beantragt.

Sollte das klappen, wäre eine solche Organisationsstruktur auch für andere denkbar, die etwas machen wollen und Subkultur in München weiter voranbringen wollen. Die Idee, mehr privat oder als Verein zu organisieren – nicht kommerziell versteht sich –, birgt einiges Potenzial für München. Aber alles zu seiner Zeit. Denn natürlich haben die beiden bereits andere Pläne, die zuvor umgesetzt werden müssen. Eine achtköpfige Funkband aus Japan soll bald in der Mohnbar auftreten. „So viele Leute passen hier niemals rein“, sagt Moritz und grinst verschmitzt. „Vielleicht machen wir einfach einen Biergarten draus.“

Von: Lukas Haas

Foto: Nico Pfau

Meanders

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Es ist nicht lange her, da war Meanders (Foto: Jörg Bachmayr) noch zu Schüchtern zum Singen. Im Dezember vergangenen Jahres hat die irisch-brasilianische Songwriterin dann aber ihr erstes Album veröffentlicht. Gerade plant sie eine Europatournee. 

Solche Musik ist recht selten geworden. Und das liegt weder an Amanda Naughtons Stimme noch an ihrem Gitarrenspiel. Es ist der Gestus, mit dem die irisch-brasilianische Songwriterin, die seit knapp vier Jahren in München lebt, überrascht. Der Gestus erinnert an die großen Alternativ-Sängerinnen der Neunzigerjahre: Dolores O’Riordan von den Cranberries oder Sinéad O’Connor. Das ist ein Timbre, das in den Höhen immer wieder ins Hauchen und ins Atemlose kippt; eine Stimme, die so klingt, als würde sie von der eigenen Emotion erschlagen – etwas, was in der abgeklärten Ironie zeitgenössischer Popmusik nur noch selten stattfindet.

So lange ist Amandas Stimme aber noch gar nicht zu hören. Denn die Sängerin, die unter dem Namen Meanders auftritt (Foto: privat), ist eigentlich Schlagzeugerin. Sie wurde in Irland geboren, doch aufgewachsen ist sie in der brasilianischen Kleinstadt Itu. Nach der Schule zog sie in die Zehn-Millionen-Metropole São Paulo. Mit 14 Jahren begann sie Schlagzeug zu spielen, in Brasilien spielte sie zuletzt in einer Postrock-Band. Ihre Schwester war kurz zuvor nach München gezogen (ihre Großmutter ist Deutsche), um die Sprache zu lernen – und Amanda folgte ihr. Mit ihrer Schwester bewegte sie sich auch zum ersten Mal weg von der klassischen Rockbandbesetzung. Als The Naughton Sisters treten die beiden mit akustischen Coversongs auf – etwas, was mittlerweile ihren Lebensunterhalt finanziert.

Obwohl sie noch vor gar nicht langer Zeit zu schüchtern zum Singen war, hat sie im vergangenen Dezember als Meanders ihr erstes Album veröffentlicht: „Streets of Minga“ ist namentlich eine Hommage an ihre neue Heimat, aber musikalisch huldigt es ebenjenen irischen Sängerinnen der Neunzigerjahre. Schon mit einem kurzen Ausflug ins Metal-Fach (in München spielte sie eine Zeit lang Schlagzeug in einer Band aus drei Metalheads) wollte Amanda eigentlich den Alternative Rock wieder aufleben lassen. Alleine gelingt ihr das nun besser. Sie vermag es trotz der schmalen Besetzung aus ihrer Akustikgitarre, einer Mundharmonika und ihrer Stimme, den Songs den Aufbau ebenjenes Post-Grunge-Sounds zu verpassen. Reduzierte Strophen-Parts, in denen die Gitarre meist nur einen Schlag pro Takt hat, treffen auf füllige Refrains: Durchgeschlagene Akkorde, eine emotional höchst involvierte Stimme und durch Schläge auf den Gitarrenkorpus erzeugte Rhythmik. Im Mai plant sie auf Europa-Tour zu gehen, davor tritt sie am heutigen Montag, 23. März, im Münchner Theater „Heppel & Ettlich“ auf.  Rita Argauer

Stil: Alternative / Songwriter
Besetzung: Amanda Naughton (Gitarre, Gesang, Mundharmonika, Rhythmik)
Aus: München
Seit: 2013
Internet: meanders.bandcamp.com

NalaN (Hipster-Pop / Alternative-Elektro)

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Jahr: 2014, Woche: 47

Schulband mal anders: Die beiden Musiker von NalaN haben sich an der Kunsthochschule kennengelernt. Sie machen Hipster-Pop ohne dem Trend blind zu folgen.

Romy Schneider formte einst den Prototyp der Swimmingpool-Begeisterten. Und sowohl der Retro-Look des Films von 1969 als auch die Mischung aus Krimi, südfranzösischer Hitze und Sexyness trifft den Kunstakademie-Schick von heute ganz gut. Das Duo NalaN (Foto: Rosanna Graf) passt da gut hinein. Immerhin haben sich die beiden Musiker Nalan Karacagil und Nikolaus Graf an der Münchner Kunsthochschule, „in der Klasse Metzel“, wie sie konkretisieren, kennengelernt. Wenn auch nicht beim Studieren, sondern beim Konzert eines Freundes dort, was aber auch nur zeigt, wie sehr neue Pop-Trends häufiger in Kunstklassen als an Musikhochschulen entstehen.

Denn hippen Pop, das können die beiden: Im Video zur ersten Single „Vision“ paddeln sie mit der gelangweilten Attitüde der permanenten Verfügbarkeit durch einen Swimmingpool, der klassischer nicht aussehen könnte. Und so stark diese Bilder sind, in ihrer Musik schaffen die beiden genau die Mischung aus Verwaschenheit und aktuellen Pop-Trends, die sowohl in kleinen Underground-Läden funktionieren kann als auch – Lana del Rey machte es vor – auf den großen Pop-Bühnen. Sängerin Nalan Karacagil setzt ihre zugänglichen Melodien dabei unaufgeregt auf einen mechanisch-geräuschlastigen Beat. Für die nötige harmonische Unterfütterung sorgen wolkige Synthie-Akkorde. Für die heutzutage nötige Uneindeutigkeit sorgt hingegen eine verhangene Soundästhetik, die viele Assoziationen zulässt, aber nichts zu fies in den Vordergrund drängt: etwa R ’n’ B-Linien, Fiona Apples letzte Field-Recording-Platte, Achtzigerjahre-Pop und die verhallten Stimmen von Warpaint oder Zola Jesus.

Nalan und Nikolaus wissen genau, was sie da tun. So auch, wenn sie für kommendes Jahr ein Album mit dem Titel „Collaboration rules the Nation“ ankündigen. Klar, sie schließen sich aktuellen Pop-Trends an, haben aber genug Attitüde, die Mode immer wieder ins Absurde und Verfremdende zu rücken. Und dieser Mechanismus ist es, der meist die zukünftigen Trends erst schafft. Rita Argauer

Stil: Hipster-Pop / Alternative-Elektro
Besetzung: Nalan Karacagil (Gesang), Nikolaus Graf (Produktion)
Aus: München
Seit: 2014
Internet: www.nalankara.bandcamp.com

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Rita Argauer ist die Musik-Expertin der Junge-Leute-Seite. Sie ist nicht nur ständig auf der Suche nach neuen Münchner Bands und deswegen in den Clubs dieser Stadt unterwegs. Sie kennt die Szene auch von der anderen Seite: Sie singt und spielt Keyboard in der Band Candelilla.