Schluss mit der Plattenbauromantik

Die Studentenstadt soll schöner werden: Sprayer vom Verein „Outer Circle“ verwandeln die grauen Wohnheime in ein buntes Mosaik. „Ich finde, die Häuser sollen auch die Menschen repräsentieren, die darin wohnen“, sagt Kunststudentin Amelie Ettlinger .

Grau erheben sich die Betonblöcke der Studentenstadt im Münchner Norden. Gerade bei schlechtem Wetter, wenn sowieso schon alles duster ist, machen die in den Sechziger- und Siebzigerjahren für Studenten gebauten Wohnheime schnell einen tristen Eindruck. Plattenbauromantik pur – und letztendlich ein ziemlicher Gegensatz zu der bunten Mischung an jungen Menschen aus aller Welt, die hier die vielleicht besten Jahre ihres Lebens verbringen.

Das findet zumindest Amelie Ettlinger, 24. Die Kunststudentin lebt gerne in der Studentenstadt, liebt den Mikrokosmos, der aus dem Potpourri unterschiedlichster Menschen erwächst. Und sie findet, dass es an der Zeit ist, am tristen Erscheinungsbild der Studentenstadt etwas grundlegend zu ändern: „Ich finde, die Häuser sollen auch die Menschen repräsentieren, die darin wohnen“, sagt sie. Zum letztjährigen StuStaCulum, dem jährlichen Studentenfestival auf dem Gelände, wurde erstmals in Absprache mit der Verwaltung eine Hauswand künstlerisch gestaltet. Doch das war erst der Anfang.

Vor einem der kleineren, zweigeschossigen Häuser stehen Cornelius Dörfer, 20, und Adrian Till, 22, und diskutieren konzentriert darüber, wie sie ihre Arbeit an der Fassade fortsetzen wollen. Wo bis vor wenigen Tagen eine einzige graue Fläche war, erstreckt sich jetzt ein Mosaik aus geometrischen Formen, in verschiedensten Farben und mit unterschiedlichen Motiven durchsetzt. Die beiden sind Mitglieder des Vereins „Outer Circle“, der sich als Plattform für Kunst im öffentlichen Raum begreift. Über ihren Bekannten Philipp Schnittger, 23, der auch am Projekt beteiligt ist, hat Amelie den Kontakt zu „Outer Circle“ bekommen. Sie hat im Vorfeld auch mit der Verwaltung der Studentenstadt geklärt, was erlaubt ist und was nicht. Aber abgesehen davon, dass politische Parolen nicht erwünscht sind, haben die Künstler freie Hand erhalten. Und für das Material, die Spraydosen, kommt der Verein „Kulturleben in der Studentenstadt“ auf. Die Künstler selbst arbeiten ehrenamtlich.

Im konkreten Fall sei das auch richtig so, weil es ein Herzensprojekt ist, sagt Johannes Wirthmüller, 26, freischaffender Künstler und Vorstand von „Outer Circle“. Hinter seinem freundlichen Lächeln merkt man doch, dass ihn das Thema Kunst im öffentlichen Raum umtreibt: „Obwohl in München die Akzeptanz von Fassadenkunst mittlerweile ziemlich hoch ist, ist es immer noch häufig so, dass die Künstler ohne Honorar arbeiten. Wir versuchen als Verein ein Bewusstsein zu schaffen, dass Kunst nicht umsonst sein darf.“ Denn es ist Kunst, was die Gruppe hier schaffen möchte.

Das Klischee vom wahllosen Besprühen von Fassaden verliert auch seine Wirkmächtigkeit, wenn die Künstler erzählen, wie sie das Projekt Studentenstadt angegangen sind. Schon einige Wochen vor Beginn der eigentlichen Arbeiten haben sie die Studentenstadt angeschaut, sich überlegt, wie sie die Architektur miteinfließen lassen können, welche Formen und Motive zu welchem der Häuser passen. Im Ergebnis dominieren jetzt größere geometrische Formen die größeren Häuser, die kleineren Wohnblöcke verlieren sich mehr in Details. „Insgesamt sollte aber ein Fluss entstehen, der sich durch die ganze Studentenstadt zieht“, erklärt Amelie das Konzept. Auffällig auch: Immer wieder haben noch andere Künstler und Sprayer eigene Teile beigetragen, wodurch ein diverses Bild entsteht. Unten abstrakte Formen, die weiter oben in konkretere Bilder hineinlaufen, an einem Haus finden sich sogar Mangabilder.

Damit bei aller Diversität doch eine klare Linie zu erkennen ist, hat Adrian zunächst am Computer einen groben Plan entwickelt, der die geometrischen Formen zur Basis hat. Aber innerhalb der Formen entsteht viel spontan und aus Impulsen heraus, „manchmal haben wir uns auch einfach von den Leuten inspirieren lassen, die vorbeigegangen sind“, sagt Johannes und lacht.

Und was sagen die Bewohner zu dem Projekt? Immer wieder bleiben während der Arbeiten Studenten stehen, schauen zu – und loben die Künstler. Die Begeisterung dafür, dass endlich Farbe in die tristen Blöcke kommt, ist greifbar.

Am Mittwoch wird die Gruppe von David Kammerer unterstützt, einem Altbekannten in der Münchner Graffiti-Szene. Wobei, beim Wort „Graffiti“ zucken die Künstler zusammen: „Der Ausdruck ist so negativ konnotiert, da denkt man hier immer gleich an irgendwelche Schmierereien an Hausfassaden oder so etwas“, sagt etwa Adrian. Lieber sprechen sie von Kunst im öffentlichen Raum. Generell habe sich in München aber schon einiges getan bezüglich Fassadenbemalung, sagt David – auch wenn die meisten Flächen eher im Untergrund, etwa in Unterführungen seien.

Eine Woche lang hat die Gruppe in wechselnder Besetzung an den Bildern gearbeitet. Mitte der Woche sind sechs der Blocks schon großflächig bemalt. Teilweise hat die Crew bis drei Uhr nachts gearbeitet, mit Hilfe von Baustrahlern. Ende Mai wird hier das StuStaCulum stattfinden, dann muss erst einmal alles fertig sein. Wobei fertig hier eher relativ zu sehen ist. Initiatorin Amelie ist eher der Hoffnung, dass es sich um einen längerfristigen Gestaltungsprozess handelt, der auch nach dem Festival noch weitergeht.

Während die Künstler kurz eine Erholungspause machen, sitzt eine Gruppe Studenten vor einem der Häuser und begutachtet den Fortschritt des Kunstwerkes. Auch hier ist man sich einig, dass die Studentenstadt dadurch einen ganz eigenen Charakter bekommt, weg vom grauen Betonklotz. Einer der Studenten grinst und schüttelt den Kopf: „Eigentlich der Wahnsinn, dass da keiner früher mal draufgekommen ist“, sagt er.

Text: Philipp Kreiter

Fotos: Florian Peljak