Foto: Robert Haas Thema: Fasching im Biederstein Das Team des Biederstein-Faschings

Politiker Undercover

Seit 53 Jahren feiern Studenten den Biedersteiner Fasching in München.  Dort geht es meist sehr wild zu –Zeit für die wildesten Legenden

Von Serafina Ferizaj, Giordana Marsilio, Viktoria Molnar
und Alina Venzl

Legendäre Kostüme, lustige Aktionen im Rausch und bunt dekorierte Räume: Seit 1966 ist der Fasching des Biedersteiner Studentenwohnheims eine Legende in München. Nicht nur Studenten feiern hier, sondern jeder, der für eine Nacht jemand anders sein will – zum Beispiel Politiker. Eine der vielen Legenden, die sich seit 53 Jahren erzählt werden. Ein Tatort wurde gedreht, Uschi Obermaier soll da gewesen sein, nackte Gäste eh. Lustige und bedeutende Fun-Facts von A bis Z:

wie Atrium
Im Biedersteiner sind alle WGs wie eine große Familie. Nur an Fasching teilt sich das Wohnheim in zwei Lager: in den Kellerfasching und – ein Haus weiter – in den Atriumfasching. Bierfässer werden geklaut und zurückgeklaut. Einmal füllte das Atrium ein halb leeres Fass mit Wasser und jubelte es dem Keller unter. Das ging weg wie nichts. Vergangenes Jahr wurde dann die weiße Fahne geschwenkt. Das Motto für dieses Jahr: one Love, one Biedersteiner.

wie Bratwurst
Wenn man Hunger nach Musik hat, steht DJ Bratwurst mit Senf und Ketchup zur Verfügung. DJ Bratwurst alias Jonathan Smit Wiesner wird zusammen mit zwei Kumpels – Senf und Ketchup – rein aus Spaß DJ für eine Nacht. Die Musik? Alles was zum Wurst-Essen passt: Schlager! Dieses Jahr ist er mit seinen beiden Soßen natürlich auch wieder am Start.

C wie Chaos
Es herrschen nicht nur während der Party chaotische Zustände. Auch im Vorfeld geht vieles schief: Entweder werden zehn Fässer zu wenig geliefert, oder den Organisatoren fällt kurz vor der Party auf, dass kein Rum bestellt wurde, obwohl Cuba Libre auf den Getränkekarten steht. Dann springt der Tontechniker ab. Dieses Jahr wurden die Werbematerialien zu spät geliefert. Und einmal gab es in einem Raum, in dem eine Band spielen sollte, eine Doppelbesetzung. „Da haben wir ziemlich viel Geld verhauen, weil wir beide Bands bezahlen mussten“, sagt Lena Stückl, 24, Haussprecherin und eine der Hauptverantwortlichen der Party. Sie wurde anfangs gewarnt, den Job zu übernehmen: „Nicht, dass es am Ende heißt, dass der Fasching meinetwegen nicht stattfinden könnte“, sagt sie und lacht: „Aber es hat doch immer geklappt, man muss improvisieren können.“

D wie Duschkabine
Gute Laune und gute Musik, alle tanzen. Da kann es schon mal passieren, dass man lieber zu zweit in einem privaten Zimmer weitertanzen möchte. Eines der legendärsten Kostüme aller Zeiten ist daher die Duschkabine. Ein junger Mann hat sich vor Jahren als Dusche verkleidet. Mit einem um den Kopf gebundenen Schlauch hat er eine Art Gerüst für den Duschvorhang mit süßem Pinguin-Muster geschaffen – und diesen einfach zugezogen, wenn er etwas Privatsphäre brauchte. Sehr praktisch.

Foto: privat (von den Veranstaltern)

E wie Ehemalige
Gustav Voigt, 29, hat acht Jahre lang im Biedersteiner gewohnt und die kuriosesten Geschichten gehört und Kostüme gesehen. Gut in Erinnerung geblieben sind nicht nur die verrückten Kostüme, in der die Leute sich als Müll verkleideten und stanken, sondern auch das Chaos: Gestohlene Bierfässer wurden in Schränken der Bewohner vergessen, die Gäste schliefen in den Duschen ein oder direkt auf den Herdplatten wurden Spiegeleier gebraten. Seiner Meinung nach lernt man in diesem Wohnheim fürs Leben, weil man mit allem klarkommt: „Es gibt so abgefahrene Leute in diesem Wohnheim und ein richtiges Mega-Chaos. Alle sind bei der Organisation komplett verpeilt, aber am Ende haut doch alles hin.“ Auch nach seinem Auszug ist der Atriumfasching für ihn ein Pflichttermin, bei dem er auch weiterhin tatkräftig mithilft.

F wie Frisur
Eine Studentin hatte sich beim Biedersteinerfasching eine Kopfbedeckung gebastelt, die ihr auch in der Warteschlange zu gute kam: eine Perücke nur aus Popcorn. Das Bild einer ähnlichen Kopfbedeckung hängt im Neuen Maxim Kino. Jeder Kellerfaschingsinsider muss hier lächeln.

Foto: privat (von den Veranstaltern)

G wie Gesöff
Beim Biedersteiner Fasching steht und fällt alles mit der Menge des konsumierten Alkohols. Dementsprechend gibt es heuer wieder viel Bier, Glühwein und Schnaps. Ein Highlight für alle: Der Wodka-Shot wird mit dem Wurstwasser von der Wurstbar gemischt. Na dann Prost!

H wie Horst
Aus einer großen Schublade zieht er alte Plakate und Fotos. Auf einem Plakat steht das Motto „Kondome im Weltraum – Preis inklusiv Mehrwertsteuer und Freikondom“. Es wird einem sofort bewusst, dass Horst Volling – knalliger roter Pulli und eine etwas abgenutzte lange, rote Arbeitshose und eine Mütze – nicht nur der Hausmeister des Biedersteiner Wohnheims ist, sondern ein lebendiges Archiv. Schon seit 1989 lebt er hier. „Horst ist halt Horst“, sagen einige Bewohner. Er ist zu einem Symbol für das Wohnheim geworden – Gäste kommen mittlerweile als „Horst“ verkleidet zum Fasching. Wie das geht? Natürlich mit rotem Anzug.

I wie In der Reihe
Um die 500 Leute kommen pro Veranstaltung und reihen sich ein in die Schlange, die oftmals bis zur nächsten Kreuzung reicht. Jeder muss warten, egal, ob Student, Anwalt oder Senior. Um die Zeit zu überbrücken, wird getrunken: auf das Warten, das Zusammenkommen, das Wiedersehen. Hier haben sich schon viele kennengelernt.

J wie Jodeln
Joladiritiii: Vor mehr als 30 Jahren war Tracht tatsächlich das Trendkostüm für Männer auf dem Biedersteiner Faschingsball. Männer mit Seppelhut, karierten Hemd und Lederhose – kaum vorzustellen, aber wahr. Heute würde sich der ein oder andere denken, dass jetzt schon Touristen von den Faschingspartys erfahren haben.

K wie Krimi
Ein Student wird beim Kellerfasching auf der Toilette von einem Gorilla erstochen. Das ist die Eingangsszene des Tatorts „Die chinesische Methode”, der 1991 im Biedersteiner Wohnheim gedreht wurde. Das ganze Wohnheim feierte damals bei den Dreharbeiten mit, als Hausmeister Horst in der Tanzszene den Song „All Along The Watchtower” von Jimi Hendrix auflegte. Immer wieder, weil jedes Mal etwas schiefging. Nach etlichen Wiederholungen war der Menge das Tanzen vergangen und es musste nachgedreht werden.

L wie Legende
Vor vielen Jahren soll im Atrium des Wohnheims ein Lagerfeuer angezündet worden sein – zumindest hält sich diese Legende hartnäckig. Als wäre das nicht kurios genug, sollen sich einige Studenten der Legende nach ausgezogen und begonnen haben, um das Feuer herumzutanzen.

Foto: privat (von den Veranstaltern)

M wie Männer
1955, Nachkriegszeit und Wirtschaftswunder in Deutschland. Das Biedersteiner Wohnheim wird fertiggestellt, als Wohnraum nur für Männer. Um mit den Damen in Kontakt zu kommen, luden die Biedersteiner Studenten Studentinnen aus dem Marie-Antonie-Haus in der Kaulbachstraße zum Faschingsball ein. Das ist der Beginn des Biedersteiner Fasching, und er hatte gleich seinen Ruf weg.

N wie nackt
Manche Kostüme müssen nicht ausgefallen sein, um auf der Party aufzufallen. Einmal haben sich zwei Gäste als Saunagänger verkleidet und sind auf der Party nackt erschienen. Das Kostüm kam auch gut an. Gustav Voigt, 29, erinnert sich: „Die Gäste fanden es sauwitzig, das ist einfach typisch Biedersteiner Fasching“, sagt er und lacht.

O wie Organisatoren
Eigentlich plant das gesamte Biedersteiner Wohnheim den Fasching gemeinsam. Alle zusammen, das ganze Haus. Die 70 Bewohner werden alle eingespannt. Hierbei gibt es verschiedene Gruppen, die sich je um einen Bereich kümmern: die Bars, die Werbung, die Technik, die Musik und auch die Raumgestaltung. Jeder Bewohner sollte im besten Fall eine Bar- oder Aufbauschicht übernehmen. Im Falle der Prüfungsphase flüchtet man aufs Land oder zu Freunden.

P wie Politiker
Warum steht eine Limousine vor dem Studentenwohnheim? Wenn der Ticketverkauf für die Party beginnt, stehen reihenweise große Autos in der Biedersteiner Straße. Angeblich gehören sie Politikern aller Parteien. Sie wollen, wenigstens für eine Nacht, nicht erkennbar sein und die Sau rauslassen. Keiner weiß, welche Politiker an der Party teilnehmen, aber jeder ist sich sicher: Sie sind da.

Q wie Quadratisch
Alle Räume sind quadratisch, es ist dunkel und voller betrunkener Partygäste. Die verschiedenen Räume sorgen oft für Verwirrung. Es passiert oft, dass die Gäste auf der falschen Party erscheinen. Haus 1 und 2 machen den Kellerfasching. Haus 3 und 4 den Atriumfasching. Aber wo ist was? Da kann es durchaus passieren, dass man sich nicht zurechtfindet.

Foto: privat (von den Veranstaltern)

R wie Rauskommen
Aber nicht nur die verschiedenen Partys sorgen für Verwirrung. Manch ein Gast hat Schwierigkeiten, den Ausgang zu finden. Gustav Voigt erinnert sich, dass ein Gast deswegen die Polizei gerufen hat: „Man kommt nur am Ausgang raus, am Eingang wird man nicht rausgelassen. Ein Gast hat schließlich die Polizei gerufen und denen gesagt, dass wir ihn auf der Party gefangen halten würden. Wir sollten es wirklich mal besser ausschildern.“

S wie Stabi
Kurz vor der Party zieht das Werbeteam verkleidet mit einem Bollerwagen mit Flyern, Schildern, Bier und Eintrittskarten durch die Maxvorstadt, machen Fotos oder spielen Bierpong. Einmal haben sie die Erlaubnis des Stabi-Direktors erhalten, eine Runde durch den Lesesaal zu laufen, um auf den Fasching aufmerksam zu machen. Ob sie dadurch nicht die Leute stören, die gerade für ihr Staatsexamen lernen? „Ich stelle es mir lustig vor, wenn man für fünf Minuten eine Abwechslung vom Bib-Alltag hat“, sagt Lena Stückl.

T wie Toys
Auch Bands bewerben sich, um auf dem legendären Kellerfasching spielen zu dürfen. So auch Take of your shirt, kurz Toys aus Regensburg, die gleich zwei Jahre in Folge spielen dufte. Leider wusste die Band nichts von der Verkleidungspflicht, die auch für Musiker gilt. Allerdings fühlten sie sich etwas komisch, weil sie als einzige keine Kostüme anhatten. TOYS entschieden sich spontan aufgrund ihres eh schwarzen Bühnenoutfits, sich als „Men in Black“ auszugeben.

U wie Uschi
Uschi oder nicht Uschi? War Uschi Obermaier mal beim Fasching oder nicht? Zu dieser Frage gibt es unterschiedliche Anschauungen. Am wahrscheinlichsten: Sie war wohl nie beim Feiern hier, aber im Wohnheim soll sie mal bei einem Kerl geduscht haben.

V wie Voll
Im Rausch kann jedem etwas Peinlicheres oder Verrücktes passieren. Es war 1989, der erste Fasching von Hausmeister Horst in dem Wohnheim. Er wusste noch nicht, wie es dort abläuft. Sein Sohn war ein paar Jahre alt und hatte ein schönes Dreirad, das Horst vor seinem Haus stehen ließ. Am Tag nach der Party war es weg. Anscheinend waren Betrunkene von der Party mit dem Dreirad seines Sohnes weggefahren. Die Enttäuschung des Kleinen war groß – die Studenten des Biedersteiner Wohnheims hatten Mitleid mit dem Jungen und sammelten Geld, um dem Kind ein neues Spielzeug zu schenken.

W wie wandelbar
Die Räume werden jedes Jahr unter einem anderen Motto neu gestaltet. Beliebt war ein Harry Potter-Kerker, es waren nicht nur Harry Potter oder Dumbledore zu sehen, sondern auch das letzte Abendmahl mit einem Bierpongtisch, Angela Merkel oder Putin, wie er mit einem Bären kämpft. Das Jahr darauf wurde ein Raum blau bemalt, wo mit UV-Farben Monster an den Wänden und Sternen an der Decke zu sehen waren. Wiederum ein Jahr später hat man das Wohnheim in einen Sandstrand mit Leuchtturm umgewandelt – noch ein halbes Jahr später waren Sandkörner auf dem Boden zu sehen.

Foto: privat (von den Veranstaltern)

X wie X-Beliebig
Alle x-beliebigen Aufgaben, die vor und nach einer solchen Party anfallen, werden unter den Bewohner solidarisch aufgeteilt. Manche Bewohner sind verhindert oder Faschingsmuffel. Dann springen engagierte Freunde und Bekannte von anderen Bewohnern ein. Das passiert bei jeder Feier, obwohl der Kellerfasching und die dazugehörigen Aufgaben in einer extra Klausel in jedem Mietvertrag festgehalten sind.

Y wie YMCA
„YMCA“ von den Village People darf auf keiner amtlichen Faschingsparty fehlen. Die Musikauswahl auf den Partys im Biedersteiner ist so vielseitig wie auch die Kostüme. Von Hip-Hop über Techno, Schlager und Rock bis hin zu lauschiger Gitarrenmusik darf nichts fehlen. DJ 20000 Volt bietet zu den einzelnen Genres ein Crossover von den Village People über Jesper Munk bis hin zu David Guetta.

Z wie Zoff
Sicherheitskontrollen am Eingang gibt es heutzutage an jeder Tür. So auch im Biedersteiner Wohnheim. Der ausschlaggebende Grund davor war, dass vor mehr als 15 Jahren angeblich jemand an der Bar sein Butterflymesser ausgepackt hat. Die Barkeeper und andere Bewohner konnten den Mann mit dem Messer festhalten und am Ende rauswerfen. Alles gut gegangen. Aber natürlich darf so etwas nie wieder passieren. Deswegen gibt es seitdem für jeden Gast einen kurze Körperkontrolle beim Einlass.

 

Foto: Robert Haas