Konkurrenz oder Geschwisterliebe? Wettlauf oder Wohlwollen? Wie ist es, wenn Geschwister künstlerisch aktiv sind? Natanael und Laetitia Megersa arbeiten beide als DJs – ein Gespräch über gegenseitige Unterstützung
Von Ornella Cosenza
Gerade eben hat sie elektronische Musik aufgelegt. Nicht vor einer Menschenmenge. Vor Monitoren. Nach diesem Livestream-Auftritt wählt sie sofort seine Nummer. Es ist einfach nicht so gelaufen, wie Laetitia sich das vorgestellt hatte. Ob jemand was gemerkt hat? Was war da nur los mit ihr? Tausend Gedanken springen ihr durch den Kopf. Sie ruft ihren Bruder Natanael an. „Alles gut“, sagt dieser dann am Telefon, „so was hatte ich auch schon, mir geht es manchmal genauso.“
Laetitia sagt später: „Es war, als würde ich die Musik einfach nicht mehr verstehen.“ Ein kleiner Aussetzer während des Streams, den aber wahrscheinlich nicht einmal jemand bemerkt hat. „Ich hatte den ganzen Tag Musik gehört, aber als ich dann los bin, um bei dem Livestream zu spielen, habe ich mich plötzlich gar nicht mehr gut vorbereitet gefühlt und mich total reingestresst“, sagt Laetitia. Als erstes musste sie dann einfach mit ihrem Bruder Natanael sprechen, der auch DJ ist. Das habe gut getan. „So was hat natürlich nicht jeder, einen Bruder, der das Gleiche macht und einen dann ganz genau versteht“, sagt sie.
Natanael Megersa, 29, und Laetitia Megersa 24, sind Geschwister und beide DJ. In der Münchner DJ-Szene kennt man ihre Namen gut. Wie ist das aber, wenn bei Geschwistern beide künstlerisch aktiv sind? Und wie ist es im Fall von Natanael und Laetitia, wenn beide als DJs arbeiten? Konkurrenz oder Geschwisterliebe? Wettlauf oder Wohlwollen? Und: Was macht das eigentlich mit der Geschwister-Beziehung?
„Also, ich weiß nicht, wie das wäre, wenn Natanael jetzt Banker wäre“, sagt Laetitia und lacht. Schon früh hatte ihr Bruder alles auf eine Karte gesetzt. Hat eine Lehre abgebrochen, um seinen Traum vom DJ-Dasein zu verwirklichen. Es ist ihm gelungen. Heute ist er hauptberuflich DJ. Laetitia hingegen steckt noch mitten im Bühnenbildstudium und macht zusätzlich elektronische Musik.
Man sieht es den beiden nicht sofort auf den ersten Blick an, dass sie Geschwister sind. Schaut man aber genauer hin, erkennt man ähnliche Gesichtszüge. Die Augen, der Mund. Und dann tun sie etwas, dass man zu Zeiten einer Pandemie wohl nur mit dem Partner, den Mitbewohnern oder Geschwistern tun kann: Sie nehmen beide abwechselnd Bisse vom selben Sandwich. Geschwisterliebe, eben.
Beide haben eigenständig zur Musik gefunden, beide haben ihren eigenen Stil entwickelt. Das Nachtleben, sagt Laetitia, habe sie aber schon sehr früh interessiert. Da war es natürlich reizvoll, zu gucken, wo die älteren Geschwister unterwegs sind. Mit 16 geht sie auf eine Party, auf der ihr älterer Bruder auflegt: „Das war schon alles sehr interessant“, sagt sie. Laetitia findet ihren Weg in die Szene, klickt sich durch Musik und fragt sich manchmal: „Bin ich eigentlich die einzige Frau in meinem Alter, die das so catcht?“
Immer wieder tauscht sie sich mit Freunden und mit Natanael aus. Bis sie irgendwann sagt: „Natanael, ich glaube, ich will auch auflegen.“ Laetitia übt. Auch mal mit einer Anleitung vom DJ-Bruder. Dann hat sie einen ersten Gig im Harry Klein. Natanael ist dort bereits Resident-DJ, auch im Bahnwärter Thiel. „Ich mag Laetitias Musikgeschmack sehr“, sagt er. Und er erinnert sich an einen besonderen Abend: „Meine Schwester hat da nach Martha van Straaten gespielt und den Club voll abgerissen.“
Mit dem Wort Konkurrenz können die Geschwister nicht so wirklich etwas anfangen. Sie tauschen kurz Blicke aus. „Es ist viel mehr Support. Und ja, auch Stolz irgendwo“, sagt Natanael. „Die Begeisterung ist mit Geschwistern einfach schon anders“, sagt Laetitia. Beide sind sich einig, wenn sie sagen, dass die Tätigkeit als DJ eine Gemeinsamkeit ist, die sie noch mehr verbindet. „Man erlebt die andere Person auch ganz neu manchmal, zum Beispiel nachts. Das verinnerlicht das Verhältnis schon“, sagt er. „Wir treten ja nicht als Duo auf, ich glaube, das wäre dann vielleicht schon schwieriger. Wir besuchen uns auch gegenseitig auf Gigs, ich sehe da keine Konkurrenz“, sagt sie.
Und selbst wenn man sich streite, werde man bei Geschwistern den anderen halt nicht los. „Manchmal ist das aber auch so beruhigend, das kennen wahrscheinlich viele, die Geschwister haben. Man unterhält sich und stellt fest: Was? Das ist bei dir auch so? Wusste ich gar nicht! So ähnlich, wie die Situation, in der mich Laetitia angerufen hatte.“ Laetitia lacht: „Ja, auch beruhigend, dass manche Verhaltensweisen wohl eben doch auch angeboren sind.“ Und auch von Druck und Neid ist zumindest nach Außen nichts zu erkennen. Manchmal, da werde Natanael schon auf seine Schwester Laetitia angesprochen – und manchmal schwingt dann in solchen Gesprächen auch die Anspielung mit, wie das jetzt für ihn ist, wenn die Schwester auch langsam erfolgreich werde. „Aber was soll man denn auf so was sagen? Ich empfinde eher Stolz und sehe es als Bereicherung“, sagt er. Die Frage stellt sich nicht für ihn und auch nicht für seine Schwester. Sie sind keine Konkurrenten. Sie halten zusammen.