Foto: Florian Kotthoff

München hat Hausarrest: Zuhause mit Johanna

Wir wollen euch die Zeit zu Hause ein bisschen schöner machen. Unsere Rubrik “Von Freitag bis Freitag München” heißt deswegen wieder “München hat Hausarrest”. Denn, zusammen ist man weniger allein ❤. Unsere Autorin Johanna versucht sich in den wenigen freien Minuten neben dem Prüfungsstress vor allem mit viel Self-care zu pflegen.

Es sei gleich vorweggenommen: Ich habe Prüfungszeit und bin froh über jede freie Minute, in der ich überhaupt an „Freizeit“ denke. Seit dem Winter-Lockdown muss ich mich und meine Psyche mit so viel Self-care pflegen, um nicht durchzudrehen, dass ich vor lauter Yoga und mich selbst loben zu gar nichts komme. Und ehrlich gesagt find ich auch Online-Kulturveranstaltungen so mäßig mitreißend. Das liegt nicht an deren Qualität, aber ich hocke ohnehin den ganzen Tag vor Zoom und Co und kann mein Zimmer dann schwer von einer Lernhölle in einen Dancefloor verwandeln. Online Sport funktioniert da für mich besser, oder Beschäftigungen, die man auch vor der Pandemie schon alleine gemacht hat, wie Lesen.

Freitag zieht es mich allerdings vor die Tür und ich will nicht alleine sein. Es ist der 19.02.2021 und ich schaue diesem Datum seit ein paar Tagen mit mulmigem Gefühl entgegen, denn das Attentat in Hanau, bei dem neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet wurden, jährt sich zum ersten Mal. Die Ermittlungen laufen weiter, aber für die Familien und Freunde der neun getöteten Menschen ist seit einem Jahr nichts wie es war, und es wird auch nicht mehr so werden. Um 18:30 Uhr gibt es eine Kundgebung für die Opfer und gegen rassistische Gewalt am Stachus, zu der ich unbedingt gehen will. Ich möchte zuhören, auch wenn ich es nie nachvollziehen kann, was es bedeutet mit Alltagsrassismus, struktureller Benachteiligung und sogar Angst vor körperlicher Gewalt sein Leben in Deutschland zu bestreiten.

Samstag prokrastiniere ich höchstwahrscheinlich beim Lernen und lande auf YouTube, das ich irgendwie neu für mich entdeckt habe. Sich die Zeit so zu vertreiben, dass man sich nicht ganz so schlecht vorkommt, habe ich in den letzten Monaten perfektioniert, hier ein paar Beispiele:

Die Münchner Cartoonistin Barbara Yelin hat einen Graphic Novel über die Holocaustüberlebende Emmie Arbel gezeichnet, Ausschnitte ihrer Geschichte und der Arbeit der Künstlerin sieht man im Video „But I live“. Oder ich bingewatsche Musikvideos von Münchner Bands, Diana Goldbergs – „Occupy my Mind“ hat es mir sehr angetan.

Und ja, ich habe mir für Samstagabend vorgenommen, in die Fusion Jam Session I des Bellevue di Monaco zu schauen. Ehrlich, ich versuch’s!

Sonntag ist lernfreier Tag, ich gehe aber nicht in die Berge oder ins Museum – Corona hat meine Freizeit und meinen Kulturkonsum verändert. Aber auch zum Positiven, wie ich finde, denn ich lese wieder viel mehr. Jetzt trudeln auch die Frühjahrserscheinungen ein und ich bin gespannt auf Jovana Reisingers zweiten Roman „Spitzenreiterinnen“, der kommenden Freitag erscheint und den ich bei der Buchhandlung meines Vertrauens zum Abholen vorbestelle. Reisinger ist eine Münchner Filmemacherin und Autorin, in diesem Buch wird die weibliche Wut behandelt und ich sehe großes Potential, mich mal wieder so richtig reinzusteigern und sauer zu sein.

Montag muss ich dann die negative Energie wieder ausgleichen, das gelingt perfekt bei der anspruchsvollen Yogapraxis „Ashtanga“. Um 18 Uhr bietet das Ashtanga Yoga Institut online einen Technikkurs an, der für sportliche Einsteiger oder schon ein wenig erfahrene Yogis gut zugänglich ist, es gibt aber auch Kurse für Anfängerinnen. An Online-Yoga ist praktisch, dass man nach der Entspannung am Ende einfach gleich ins Bett rollen kann, ohne nach Hause fahren zu müssen. Mein Rücken sagt danke und mein Self-care-Level steigt beständig.

Dienstag mache ich gleich noch mal Sport und nehme bei der ehemaligen Hochspringerin Gunda Stern am Functional & Sling Training teil. Meine WG freut sich sicher, wenn ich schwitzend im Flur am Seil hänge.

Mittwoch ist noch mal Endspurt beim Lernen, das übliche Programm also, mittags mal spazieren gehen, währenddessen mit einer Freundin telefonieren und das obligatorische: „Ja, bei ihr passiert auch nicht so viel“.  Abends putze ich die Wohnung und – schau an, der Live Stream aus der Unterfahrt versüßt mir das Wischen. Ebryo ist ein wahres Urgestein, ihr Jazz-Space-Rock ist verträumt und kraftvoll zugleich, was zu meiner Stimmung passt die irgendwo zwischen Sich-vollkommen-zurückgezogen-haben und Ausbrechen-wollen schwankt.

Meine letzte Klausur schreibe ich am Donnerstag und ich weiß noch nicht genau, was die kurze Verschnaufpause danach mit mir macht: krank werden, wie eigentlich immer nach der Prüfungsphase? In einem Lockdown aufwachen, den ich irgendwie versucht habe auszublenden, weil ich ja eh nur zu Hause lerne?

Vielleicht trink ich einfach ein Bier und schau mir Alisha Gamish und Babara Juch im Lyrik Kabinett an und wenn meine Streamphobie zuschlägt, dann lese ich einfach in ihrem faszinierendem Lyrikband von Gamish „EDITION ZWANZIG“, den die Tegernseerin im Herbst veröffentlicht hat. Wer eher nach unterhaltsamen feministischen Texten sucht, der oder die konsultiere die Website „Wepsert“, auf dem die Autorin und drei andere Frauen Texte, Cartoons und Lyrik veröffentlichen.

Ich werde mich Ende der Woche also wieder loben: sehr gut gemacht, viel Self-care betrieben und mei, gegen das Streaming ankämpfen hilft ja auch nicht.