Frauen, die in Clubs feiern, müssen mit Belästigungen aller Art rechnen. Dagegen hat die 23-jährige Julia Bomsdorf das Kollektiv Wut gegründet. 30 junge Frauen engagieren sich hier mittlerweile.
Von Marietta Jestl
Julia Bomsdorf, 23, ist wütend. Sie ist so wütend, dass sie deshalb ein Kollektiv gegründet hat: Wut. Um die 30 junge Frauen haben sich unter diesem Namen zusammengeschlossen, weil sie es nicht mehr hinnehmen wollen, dass Frauen, wenn sie in Clubs feiern wollen, mit Belästigungen aller Art rechnen müssen.
„Angefasst zu werden oder nicht in Ruhe gelassen zu werden, obwohl man klar ,Nein‘ sagt, sind Alltäglichkeiten und werden oft zu unrecht als selbstverständlich aufgefasst“, sagt Julia. „Clubs brauchen eine Struktur, die in solchen Momenten Hilfe und Unterstützung bietet.“ Allerdings müsse „auch schon im Voraus von allen Läden nach außen hin vermittelt werden, dass eine Null-Toleranz-Politik für so etwas herrscht“.
Hinter dem zerzausten Kurzhaarschnitt und dem schlichten, aber dennoch prägnanten Septum-Piercing trifft man auf eine selbstbewusste und von ihren Ansichten sehr überzeugte Persönlichkeit. „Niemand sollte sich daran gewöhnen müssen, sich unwohl zu fühlen oder Angst haben zu müssen. Deshalb arbeiten wir an Konzepten, die wir mit den Clubs teilen möchten“, sagt sie. Julia hat bereits einige Anlaufpunkte in der Münchner Clubszene. Neben ihrem Studium der Sozial- und Kulturwissenschaften macht sie selbst elektronische Musik und organisiert Veranstaltungen, seit sie 17 Jahre alt ist. Sie bespielt regelmäßig das Harry Klein und wirkt bei den QueerSquad-Veranstaltungen der Roten Sonne mit.
Dort existieren teilweise auch schon entsprechende Umsetzungen. Beispielsweise gibt es ein Team an Leuten, die die Nacht über als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, zudem werden Plakate aufgehängt, Flyer verteilt. „Auch müssen Türsteher geschult werden, wie mit Übergriffen umgegangen wird.“ Je mehr Leute darauf aufmerksam gemacht werden und sich mit dem Thema befassen, desto wirkungsvoller werden derartige Konzepte, davon ist Julia überzeugt.
Das Engagement von Wut geht aber noch weiter. Das Kollektiv möchte Frauen motivieren, selbst im Musikbusiness aktiv zu werden. Auch hinter dem DJ-Pult ist es als Frau oder nicht-binär identifizierte Person oft schwierig, sich ohne direkten Zugang zu den „richtigen Kontakten“ zu etablieren. „Viel zu oft herrscht in vielen Gruppen eben noch 99 Prozent Männeranteil. Viele sind total coole Typen, aber einige sind auch weiterhin offen oder unterschwellig der Meinung, Frauen könnten nicht mit Technik umgehen, keinen harten Sound machen oder wären musikalisch nicht so talentiert.“ Julia hat dies selbst erlebt. „Ich stand etwa gerade mit Kopfhörern beim Auflegen, da kamen ein paar Leute ans DJ-Pult, um einem unbeteiligten Freund neben mir zu sagen, was für gute Musik er spielt. Sie waren überrascht, als sie hörten, dass gerade eine Frau auflegt.“
Julia musste immer wieder beobachten, dass Frauen aufgrund von fehlender Akzeptanz das Hobby der elektronischen Musik nur daheim weitergemacht oder ganz aufgehört haben. Hier fehlen ihrer Meinung nach Vernetzungspunkte zum Austausch mit Gleichgesinnten. Auch dies möchte sie mit ihrem Kollektiv Wut verändern. Der Zusammenschluss hat es sich als Ziel gesetzt, insbesondere Frauen den Einstieg in die Musikszene zu erleichtern. Das Kollektiv soll dabei helfen, Kontakte zu knüpfen und Menschen mit ähnlichen Zielen zusammenführen. „Wir wollen einen Raum schaffen, in dem du nicht aufgrund deines nicht-männlichen Geschlechts runtergemacht wirst, von niemandem.“
Ganz wichtig ist Julia, hierbei zu betonen, dass niemals für alle gesprochen werden kann. „Die Probleme der Diskriminierung gehen in so viele Richtungen. Wir möchten möglichst viele verschiedene Menschen bei uns dabeihaben und unterstützen. Dabei kann jedoch nie der Anspruch auf Vollständigkeit gegeben sein.“
Wut hat in Zusammenarbeit mit der Fachstelle Pop des Feierwerks bereits einige Workshops veranstaltet, die ihren Fokus auf die Förderung junger Frauen legen, die elektronische Musik machen wollen. Es werden technische Tipps und Hilfen für den Anfang geboten und besonders das Selbstbewusstsein soll gestärkt werden. Neben diesen Workshops sind regelmäßige Stammtische und Kollektiv-Partys in verschiedenen Münchner Locations geplant. „Bereits etablierte Partyreihen wie zum Beispiel das Harry Klein haben natürlich einen größeren Anspruch und auch größere Möglichkeiten“, sagt Julia. „Trotzdem ist man auch hier froh, wenn man am Ende bei null rauskommt.“ Planung einer Veranstaltung, Erstellen eines Partykonzepts, Organisation von Plakaten, Versicherungen, Sauberkeit und Verpflegung – all das muss bedacht werden.
Der Facettenreichtum von Wut soll sich stetig weiterentwickeln. Julia sieht das Kollektiv als Plattform, um Leute zusammenzuführen, die in der Szene aktiv sein wollen. Wie eine Datenbank soll das Ganze am Ende funktionieren. Am wichtigsten sei der Austausch von Identifikationspunkten, gemeinsamen Interessen und Kontakten. So kann Wut als Anlaufstelle für Leute dienen, die ihr Wissen weitergeben und ihre Kräfte teilen wollen.
„München braucht mehr Diversität. Und die kommt garantiert nicht dadurch, dass die Booker immer die gleichen Sachen buchen.“ Durch das Kollektiv bekommen junge Künstlerinnen die Möglichkeit, mit Bookern in Kontakt zu treten, die dann ihre Line-ups dementsprechend anpassen und auch neue Leute dazu nehmen könnten. „München hat seine Subkultur und braucht sich keinesfalls zu verstecken. Das Problem ist nur, dass sich die Mehrheit immer beschwert, es gäbe keine subkulturellen Veranstaltungen, und dann quetschen sie sich doch wieder zu Hunderten ins MMA, weil ein großer Name angekündigt ist. Dass irgendwo ein kleinerer DJ spielt, den es sich eigentlich viel mehr zu unterstützen lohnt, wird dann hinten angestellt.“
Diesen Teufelskreis versuchen Kollektive wie Wut zu unterbrechen und zu einer Vergrößerung und Ausweitung des Netzwerks beizutragen. Das Konzept des Skillsharings und der Zusammenarbeit mit Bookern, DJs und Clubs ist für Julia dabei unabdingbar. Sie legt Wert darauf, dass sie irgendwann nicht mehr selbst als Person im Fokus steht. Momentan ist sie zwar noch Knotenpunkt und verbindende Komponente, aber Perfektion ist erst einmal zweitrangig. „Nichts kann gleich von Anfang an super funktionieren, wichtig ist nur, dass jemand anfängt.“