The Berg / Foto: privat

„Meine Kunst ist jetzt egozentrierter“

Berg Tuncer, 22, ist von Istanbul nach München gezogen. Im Interview erzählt er von der Inspiration beider Städte.

The Berg, wie der Künstler Berk Tuncer sich nennt, lebt seit eineinhalb Jahren in München und studiert an der Akademie der Bildenden Künste. Der 22-Jährige kommt aus Istanbul und spricht noch nicht Deutsch. Das Interview wurde aus dem Englischen übersetzt.

SZ: Berk, wie bist du zu deinem Künstlernamen „Berg“ gekommen?

Berk Tuncer: Ich wollte schon lange einen Künstlernamen, gleichzeitig mag ich den Klang meines normalen Namens. „Berk“ und „Berg“ – klingt fast identisch. In Deutschland scheint mir ein deutscher Künstlername sinnvoll. Es ist auch einfacher zu sagen: Wie der Berg, wenn Leute fragen, wie mein Name geschrieben wird. Außerdem startet der Name oft ein kleines Ratespiel, woher ich komme. Es macht mein Herkunftsland nicht so offensichtlich, das finde ich angenehm. So können die Leute keine Schlüsse aufgrund meiner Nationalität ziehen.

Wieso bist du von Istanbul nach München gezogen?

München war eine Kopfentscheidung. Ich hatte mich an verschiedenen Akademien in Europa beworben, aber die meisten Akademien sind mir zu verschult. In München bist du nicht Kunstschüler, wenn du aufgenommen wirst, du wirst gleich als Künstler wahrgenommen. Außerdem dachte ich, hier könnte ich mich gut auf meine Arbeiten konzentrieren.

KOMMEN & GEHEN
Mit jedem Menschen,
der zuzieht, verändert
sich die Stadt. Und auch mit
jedem Menschen, der
München verlässt, verliert
die Stadt ein Stück Identität

 

Kanntest du bereits Menschen in München?

Nein, es war für mich tatsächlich wichtig, niemanden zu kennen. Ich wollte nicht wieder in den selben Gruppen sein und die selben Gespräche führen, dafür müsste ich nicht in ein anderes Land ziehen. Ich will neue Leute treffen und mir hier einen neuen, internationalen Kreis von kreativen Leuten aufbauen.

Du bist aus Istanbul hergezogen. Was hat München, was dein vorheriger Wohnort nicht hat?

München ist ruhiger. Man hat mehr Zeit, sich zu fokussieren. In Istanbul ist immer etwas los, es ist immer laut, die Straßen sind immer belebt. Das erzeugt den Druck, selbst rauszugehen, Eindrücke zu sammeln und Projekte voranzutreiben. Auch um drei Uhr nachts sitzen noch Leute in Cafés zusammen und reden über ihre Pläne und Projekte.

Hat sich das auf deine Kunst ausgewirkt?

Ja, ich bin stark beeinflusst von meinem Umfeld. Ich muss raus, Eindrücke und Erfahrungen sammeln, um Kunst schaffen zu können. Im ersten Jahr in München war es schwierig, Arbeiten zu produzieren. In Istanbul habe ich vor allem Kunst über soziale, kulturelle und historische Themen, vor allem über Problematisches gemacht. Aber dafür brauche ich das Chaos. In München sind diese Dinge nicht so offensichtlich. Alles wirkt geordnet, vorhersehbar. Und alle scheinen einem sehr ähnlichen Tagesablauf zu folgen. Diese Ruhe hat meine Kunst beeinflusst. Meine Kunst ist jetzt egozentrierter.

Was heißt das?

München bringt mich dazu, nach innen zu schauen, mich selbst zu reflektieren, weil das äußere Chaos fehlt. Ich denke auch darüber nach, wie ich meinen kulturellen Hintergrund nutzen kann. Oft sehe ich hier in Deutschland „türkische Kunst“. Teppiche oder Kebab in verschiedenen Variationen. Aber die Türkei und auch gerade Istanbul ist viel mehr als das. Es ist die Stadt, in der Osten und Westen aufeinandertreffen. Manche Menschen sind sehr nach Westen orientiert, manche mehr nach Osten. Es gibt beide Seiten.

Welche Erfahrung hat dich in München geprägt?

Das viele Umziehen. Im ersten Jahr bin ich vier Mal umgezogen. Immer wieder habe ich meine Sachen zusammengepackt. Daraus habe ich eine Performance gemacht, in der ich meinen Koffer packe. Nicht um wegzuziehen, nur um mal wieder in einen anderen Stadtteil von München zu ziehen.

Wo hast du denn schon überall in München gewohnt?

Zuerst habe ich im Lehel in einem Airbnb gewohnt, aber nur für vier Wochen. Dann bin ich in die Maxvorstadt gezogen, wieder nur für einen Monat, dann für fünf Monate in die Nähe der Theresienwiese. Dort habe ich in einer Straße gewohnt, die von türkischstämmigen Menschen bewohnt wird. Das war interessant für mich, da die Kultur anders ist. Sie ist nicht ganz türkisch und nicht ganz deutsch, sie ist etwas ganz Eigenes. Dann bin ich wieder in die Maxvorstadt gezogen, und dort wohne ich noch immer.

Welche Vorurteile über München würdest du gerne widerlegen?

Dass München konservativ ist. Natürlich ist München konservativer als Berlin, aber gerade die junge Generation, die Leute, denen ich begegne und mit denen ich mich umgebe, sind nicht konservativ. Sie sind sehr international. Ich spreche bis jetzt nur Englisch und hatte noch nie Probleme.

Wirst du nach dem Studium noch in München bleiben?

Ich denke, nur in München zu bleiben, wäre nicht gut. Ich muss in Bewegung bleiben, nur so kann man sich entwickeln. Aber München liegt sehr zentral in Europa, das ist sehr praktisch.

Interview: Tabitha Nagy