Antonia Wille / Foto: Stefanie Müller

Mach keinen Ärger, Katja

Die Bloggerin Antonia Wille hat lange ihre Panikstörungen geheim gehalten. Mittlerweile hat sie gelernt, mit ihrer Angst zu leben – und von ihr zu lernen.

Unter den 18- bis 65-Jährigen leiden laut Statistischem Bundesamt in Deutschland derzeit 14,2 Prozent der Bevölkerung an einer Angsterkrankung. Antonia Wille, Jahrgang 1986, Mitbegründerin des Onlinemagazins amazedmag.de, erzählt in ihrem Buch „Angstphase“ (240 Seiten, Piper) von ihrem persönlichen Umgang mit der Angst.

SZ: Du hast deiner Angst einen Namen gegeben. Sie heißt Katja, du sprichst auch mit ihr. Warum?

Antonia Wille: Mir hat ganz früh schon eine Therapeutin gesagt: „Sprechen Sie doch mit ihrer Angst, dann wird es leichter.“

Und, funktioniert das?

Ja, mir hat das tatsächlich geholfen. Bei Angsterkrankten ist es so, dass die Angst in Momenten kommt, in denen sie nicht da sein sollte. Die Angst ist dann völlig surreal. Wenn zum Beispiel die U-Bahn im Tunnel stehen bleibt und mir plötzlich schlecht wird, stelle ich mir eine hagere Person vor, die auf mich zukommt und sagt: „Ha, dir muss jetzt schlecht werden!“ Dann kann ich einfach sagen kann: „Bitte sei ruhig, Angst, du brauchst jetzt nicht da sein.“ Also natürlich in Gedanken, es ist jetzt nicht so, dass ich in der U-Bahn die ganze Zeit laut mit mir selbst rede (lacht).

In deinem Buch schreibst du, dass sich deine Beziehung zu Katja irgendwann verändert hat.

Ich habe die Angst jahrelang einfach unterdrückt. Irgendwann habe ich aber gemerkt: Wenn ich der Angst mehr zuhöre, verstehe ich, wieso sie da ist. Heute ist sie dadurch nicht mehr so furchteinflößend, kein Monster mehr, sondern eine hysterische Beraterin, die mich auf etwas hinweist: „Hey, du halst dir sowieso schon so viel auf, du schläft nicht gut, bist völlig ausgelaugt, jetzt ist Schluss, wenn du es körperlich schon nicht hörst, müssen wir es eben über die Seele machen.“

Deine Diagnose heißt Agoraphobie mit leichter Panikstörung. Was bedeutet das?

Menschen mit Agoraphobie haben in der Regel Angst vor öffentlichen Plätzen und Situationen in der Öffentlichkeit, aus denen sie im Notfall nur schwer entkommen können. Die Angst besteht auch darin, im Notfall womöglich auf sich alleine gestellt zu sein.

Wie zeigt sich das bei dir?

Bei mir ist es immer die Angst davor, dass ich nicht weg kann oder nicht schnell genug nach Hause in mein sicheres Umfeld komme. Ich mache mir dann Gedanken wie: Was ist, wenn mir in öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Stau schlecht wird und ich umkippe? Leichte Panikstörung heißt, dass ich auch zu leichten Panikattacken neige.

Wieso wolltest du ein Buch über dein Leben mit Angststörung schreiben?

Ich bin Journalistin und schreibe ganz viel, auch viel aus meinem persönlichen Alltag. Die Angst habe ich da aber immer ein bisschen ausgeklammert. Das hat sich irgendwann falsch angefühlt, weil die Angst eben auch ein Teil von mir ist.

Das erklärt noch nicht das Buch.

Meine größte Motivation war, dass ich ganz oft das Gefühl hatte, ich bin die einzige, die Angststörungen hat. Das bin ich aber nicht, ganz im Gegenteil. Die Leute sollen sich endlich trauen, darüber zu reden. Je mehr wir über Emotionen sprechen, je offener wir mit unseren Gefühlen umgehen, desto weniger Druck lastet auf den Leuten, die mit ihren Problemen kämpfen.

Mit 17 Jahren hast du dich entschlossen, mit einer Therapie anzufangen. War das eine schwierige Entscheidung?

Um Hilfe bitten, ist, glaube ich, das Schwierigste. Aber ich fand es immer leichter, zum Therapeuten zu gehen, als bei Freunden um Hilfe zu bitten.

Warum?

Der Therapeut wird für die Stunden bezahlt (lacht). Freundinnen kennen solche Erkrankungen nicht und urteilen vielleicht im ersten Moment falsch.

Hast du jemandem davon erzählt?

Als Teenagerin habe ich niemandem davon erzählt, mir war das damals zu unangenehm. Ich komme ja aus dem oberbayerischen Land, also wirklich aus der Provinz. Erstens gibt es da nicht viele Therapeuten. Und zweitens hat man damals auch überhaupt nicht über so etwas geredet. Das war für mich mit 17 nicht einfach. Also bin ich heimlich zum Therapeuten gegangen, in den Freistunden. Heute kann ich offen darüber reden. Eigentlich ist es ja total stark, wenn man sagt: Hey, ich habe da ein Problem, an dem ich arbeiten muss. Ich gehe da hin und lasse mir helfen.

Hat dir die Therapie denn geholfen? 

Sie hat mir sehr geholfen. Nicht nur dabei, meine Angst zu verstehen und damit umzugehen zu lernen. Ich habe auch viel über das Menschsein gelernt und bin heute empathischer und netter zu mir und anderen Menschen.

Was meinst du damit?

Ich dachte ganz lange, mein Weg ist der einzig richtige, und wollte anderen Leuten meine Vorstellungen auch so aufstülpen. Wenn die Freundin zum hundertsten Mal vom Liebeskummer mit dem doofen Kerl erzählt, habe ich mir gedacht: Mensch, wann checkt sie es endlich? Aber ich habe durch die Therapie gelernt, dass Menschen individuell sind, jeder sein eigenes Tempo hat und für sich seinen Weg finden muss.

Das ist jetzt vielleicht eine sehr zynische Frage: Ist die Angststörung vielleicht auch ein Gewinn?

Gewinn, hmm, also das ist tatsächlich ein bisschen zynisch (lacht). Aber ohne die Angst wäre ich nicht so früh zur Therapie gegangen und hätte mich auch nicht so intensiv mit mir, meiner Gedankenwelt und meinem Umfeld auseinandergesetzt. Der Mensch, der ich heute bin – also empathischer, vielleicht auch reflektierter, manchmal fühle ich mich auch weiser (lacht) – der bin ich schon dank der Angsterkrankung. Ich habe gelernt, dass Karriere und Erfolg nicht das Non-Plus-Ultra sind. Dass ein achtsames und entschleunigtes Leben eben auch gut ist. Ich glaube, das hätte ich ohne Angst vielleicht nicht oder erst sehr spät gelernt.

Das ist die eine Seite.

Natürlich hat mir die Angst auch viel genommen, an Reiseerfahrungen zum Beispiel. Und mir ging es auch oft einfach nicht gut. Aber ich bin ein sehr positiver Mensch, der wenig bereut oder zurückblickt. Ich arbeite daran, möglichst frei und unabhängig ohne Angst zu leben, und habe mittlerweile auch einen ganz guten Umgang damit gefunden.

Nämlich?

Der Sport hat mir zum Beispiel geholfen zu entdecken, dass mein Körper mehr aushält, als ich ihm zutraue. Ich glaube, jeder mit psychischen Problemen muss für sich die Sachen finden, die einen mental stärken und einem gut tun. Manchmal ist es bei mir auch einfach nur eine Badewanne, ein Buch oder ein Spaziergang an der frischen Luft. Es sind viele kleine Dinge, die ich für mich herausgefunden habe, die mir gut tun. Regelmäßig essen, genügend schlafen, eigentlich Sachen, die man weiß, aber unter Stress vergisst.

Glaubst du, dass deine Angst jemals komplett verschwinden wird?

Ich glaube, dass ich in Situationen, die mir heute noch Stress bereiten, niemals ganz angstfrei sein werde. Ich werde sicherlich immer eine Grundnervosität haben, weil die Angst schon so lange ein Teil von mir ist. Mein Ziel ist es, so angstfrei wie möglich zu leben, mich davon nicht mehr einschränken zu lassen. Aber ich werde nie die sein, die vor der Reise super entspannt noch einen Burger isst, ganz entspannt in den Flieger steigt und es gar nicht erwarten kann loszufliegen.

Weil Katja mitfliegt.

Genau. Aber das Ziel ist, dass ich einsteige und die Angst namens Katja mich dabei nicht mehr halb erstickt. Sondern, dass sie sich drei Reihen hinter mich in den Sitz plumpsen lässt, manchmal vorkommt und sagt: „Hi, wie geht’s?“ Und dann geht sie wieder.

Wie geht es dir und Katja momentan?

Mir geht es gut, ich weiß nicht, wie es bei Katja ist (lacht). Ich habe sie lange nicht gesehen, hatte lange keine Angstattacken mehr. Ich stelle mir jetzt immer vor, wie sie gerade in einer Hängematte liegt und Cocktails schlürft. Sie sieht, dass ich ganz gut mit meinem Leben klarkomme und sie gerade nicht als Beraterin agieren muss. Ich weiß, dass sie bestimmt irgendwann wiederkommen wird. Aber ich hoffe, dass sie dann nur kurz ans Fenster klopft und dann weitergeht.

Interview: Lena Bammert