Lücken im Lebenslauf? Sind ihnen egal. Gesellschaftliche
Konventionen? Juckt sie nicht. Die jungen Musiker von Famous Naked Gipsy
Circus (Foto: Käthe deKoe) wohnen zu sechst in einer
Drei-Zimmer-Wohnung – die Enge und fehlenden Rückzugsmöglichkeiten
nehmen sie auf sich: für die Band
Drei Zimmer, sechs Männer, ein Hund, drei Stockbetten. Schuld
an dieser beengten Wohnsituation haben nicht die hohen Mietpreise, es
liegt auch nicht an dem generellen Problem in München eine passende
Wohngemeinschaft zu finden. Die jungen Männer nehmen diese Bedingungen
aus einem anderen Grund auf sich: Sie leben für die Musik, sie leben für
das Ziel, eines Tages von ihrer Musik leben zu können.
Famous Naked Gipsy Circus nennen sich die Jungs dieser Musik-WG. Seit
fast einem Jahr wohnen Mat Kokesch, Robert Salagean, Artur Reichert,
Dario Krajina und Alex Petri mit Hund Nala und Filmemacher Tom von der
Isar in einer viel zu kleinen Drei-Zimmer-Wohnung in Berg am Laim: mit
Wohnküche, einem umfassend ausgestatteten Proberaum und einem
Schlafzimmer voll mit Stockbetten.
„Ein Gipsy sein“ – diesen Spirit will die Band leben, wie die Musiker
immer wieder betonen. „Ein Gipsy sein“, das bedeutet für sie so viel
wie „für den Moment und die Musik zu leben“ und, wie sie sagen, „auf
Lücken im Lebenslauf zu scheißen“. Kurz: Das zu machen, „worauf man
gerade Bock hat“. Fünf Musiker, ihr Freund Tom, der aus dem Leben der
„Gipsys“ ein Videoprojekt macht, und Hund Nala – da sind Chaos und
Unordnung vorprogrammiert, sollte man meinen. Sex, Drugs and Rock ’n’
Roll? Überraschend sauber und ordentlich ist es in der Band-WG. Keine
Spur von leeren Flaschen und ausgedrückten Zigarettenstummeln in der
Sofaritze. Geraucht wird nämlich ausschließlich vor der Tür – und der
Sonntag ist seit Neuestem zum Putztag erklärt worden. Alles ohne Stress
natürlich, wie Mat erklärt. Es wird ausgeschlafen, entspannt
gefrühstückt ,und dann werden die Aufgaben verteilt, spontan und ohne
strikten Putzplan. Wer nicht da ist und sich drückt, wirft zum Ausgleich
Geld in die Band-Kasse.
Gemütlich hat es die Band, die sich dem dreckigen und
leidenschaftlichen Rock ’n’ Roll der Sechzigerjahre verschreibt,
allemal. Es ist warm, der Geruch von Räucherstäbchen hängt in der Luft,
im Hintergrund läuft Musik der Beatles aus der Stereoanlage. In der
einen Ecke stapeln sich Kisten voll Schallplatten, in der anderen stehen
ein kleiner Globus und zwei Theatersessel, die irgendwie auch ihren Weg
in diese WG gefunden haben. Ein paar Bücher liegen auf dem Klavier. In
der Wohnküche wird gerade das Abendessen vorbereitet – Gnocchi mit
Arturs Spezialsoße: Tomaten und Pilze. Der Rest der Band jammt ein
bisschen im Proberaum im Zimmer nebenan mit Freund Franz, Bassist der
Münchner Band The Whiskey Foundation, hinterher plaudern sie bei einem
Glas Wein am Wohnzimmertisch.
Auf der sommerlich-grün gestrichenen Wohnzimmerwand steht die „Formel
des Universums“, eine abenteuerlich wirkende Abfolge von Buchstaben und
Zahlen. Ein Freund aus Kroatien, den die Band nur „den Professor“
nennt, hat sie an die Wand gemalt. Die Küchenzeile wirkt neben den
Gitarren an der Wand und den Computer-Bildschirmen, die für die
Aufnahmen aus dem nebenan liegenden Proberaum gedacht sind, eher
nebensächlich. Alles scheint seinen Platz zu haben. Dennoch kommt die
Frage auf: Wieso wollen so viele Leute gemeinsam in einer so kleinen
Wohnung leben?
Der gemeinsame Einzug habe sich einfach ergeben, wie vieles in der
Geschichte von Famous Naked Gipsy Circus. Percussionist Robert wohnt nun
seit fast vier Jahren in dieser Wohnung. Sänger und Gitarrist Mat zog
dann als Zweiter ein. So gut wie täglich probte die Band in der Wohnung –
und irgendwann kam die Idee auf, dass der Rest auch noch einziehen
könnte: „Dann sind wir zu Ikea und haben Stockbetten gekauft.“
Zusammenziehen als logische Konsequenz? Bassist Artur ergänzt: „Als die
Idee das erste Mal aufkam, hat sich das einfach richtig angefühlt. Klar
waren ein paar Bedenken dabei, weil man weiß, dass es eine krasse
Lebenssituation ist. Aber die Musik ist einfach der Grund, warum wir das
machen.“
Ganz so einfach war das natürlich nicht. Jeder musste erst einmal
seinen Besitzstand auf ein Minimum reduzieren, was eher als befreiend,
als belastend empfunden wurde. Auch Gitarrist Dario sieht nur Vorteile:
„Wir können immer proben, wenn wir Bock haben. Wir müssen nicht fünf
Tage die Woche arbeiten, um die Miete bezahlen zu können. Wir können
auch nur zwei Tage arbeiten und uns den Rest der Woche komplett auf die
Musik konzentrieren.“ Für Robert steht nicht nur der finanzielle Aspekt,
sondern vor allem die Musik im Vordergrund: „Wenn wir zusammen Musik
machen, entsteht in gewissen Momenten einfach Magie. Du kannst nie das
Gefühl, das du zu Hause hast, später im Proberaum abrufen.“
Und was ist, wenn einer von ihnen mal ein Mädchen mit nach Hause
bringt? „No chance“, sagt Artur sofort. Scherzend wirft der Rest ein:
„Es gibt ein Lager, einen Aufzug, und der Band-Bus steht vor der Tür.“
An wirklichen Rückzugsorten mangelt es also irgendwie doch ein bisschen.
Auseinandersetzungen über die Unordentlichkeit einzelner Mitbewohner
oder über Socken auf dem Boden können auch mal vorkommen, eben nicht
anders als in jeder anderen WG. Aber ein Fan von strenger Planung sind
die Jungs trotzdem nicht, sagt Artur: „Wie musikalisch hat sich das
alles mit der Zeit eingeschwungen. Es schwingt halt immer so ein
bisschen. Irgendwann bleibt es stehen, und dann ist es cool.“ Robert
vergleicht das Leben in der gemeinsamen Wohnung mit der großen Liebe:
„Wenn du dir sicher bist, deine große Liebe gefunden zu haben, gibt es
natürlich auch Streit, weil keiner perfekt ist. Aber wichtig ist, was
für Ziele man hat, und was man möchte. In einer Beziehung ist das Ziel,
für immer zusammenzubleiben, und in der Band ist das Ziel, für immer
zusammen Musik zu machen. Wichtig ist, dass wir uns trotzdem verstehen.“
In der Münchner Indie-Szene haben sich Famous Naked Gipsy Circus
bereits einen Namen gemacht. Bei ihren Shows, beispielsweise auf dem
Flowerstreet-Festival, lassen sich viele Zuhörer durch ihren
unverfälschten Sixties-Rock ’n’ Roll in den Gipsy-Bann ziehen. Es wird
getanzt, getrunken und vor allem geschwitzt. Auch Gregor Amadeus Böhm,
Chef der Münchner Plattenfirma Flowerstreet Records, hat der
Gipsy-Spirit gepackt. Er kennt die Band durch gemeinsame Veranstaltungen
und sieht deren Stärke in ihrem Zusammenhalt: „Es ist selten, dass sich
eine Band musikalisch und menschlich so findet, wie die Jungs.“ Das
Potenzial, ihr Ziel zu erreichen, hat Famous Naked Gipsy Circus in
seinen Augen auf jeden Fall. Allerdings sei Erfolg nicht nur von Talent,
sondern auch von Durchhaltevermögen und Dingen, die man selbst nicht in
der Hand habe, abhängig. An Ausdauer scheint es der Band nicht zu
mangeln, glaubt zumindest Gregor Amadeus Böhm: „Die Ambitionen von
Famous Naked Gipsy Circus liegen sehr hoch, aber nie in negativer Form,
sodass sie sich gegenseitig zerfleischen oder unter Druck setzen würden,
sondern eher in Form von gegenseitiger Inspiration.“
Die momentane Wohnsituation sehen die Musiker eher als Übergangsphase
als einen Dauerzustand. Für die Zukunft wünscht sich die Band mehr
Platz. Ein Haus, in dem jeder sein Zimmer hat, im Keller sollen
Proberaum und Aufnahmestudio sein, und im Garten finden Konzerte statt .
Auch ein Kamin darf natürlich nicht fehlen, das macht eine Wohnung im
Winter wohlig warm. Obwohl: Die Kälte dürfte schon jetzt zu sechs in
einem Schlafzimmer nicht das Problem sein.
Der Traum, von der Musik leben zu können, verbindet die fünf. Zurzeit
verdienen sie sich ihren Unterhalt unter anderem, in dem sie
Musikunterricht geben, als Straßenmusiker auftreten oder in
verschiedenen Musikläden jobben. Allerdings: Organist Chris ist erst vor
kurzem ausgestiegen. Ihm ist alles zu viel geworden.
Gabriella Silvestri
Foto:
Käthe deKoe