Jona Schloßer / Foto: Ilja Piltan

„Ich will überall etwas mitnehmen“

Jona Schloßer, 19, hat gerade einen Kurzfilm fertiggestellt – absolut in Eigenregie, weil kurz vor Drehbeginn die Produktionsfirma absprang. Zuvor hat er bereits eine Doku über das Segelprojekt „Klassenzimmer unter Segeln“ veröffentlicht – und damit einen Überraschungserfolg gelandet.

Von Viktoria Molnar

Mehrere Männer liegen auf einer Waldlichtung im Gras, sie tragen dunkelgrüne Uniformen und dunkelblaue Fellmützen. Ihre Gewehre haben sie auf Säcke gestützt, sie feuern abwechselnd auf Holzzielscheiben. Einer von ihnen ruft: „Alles mit dem Volk! Alles durch das Volk! Alles für das Volk!“ Er drückt ab. Die Kugel trifft das Holzmännlein direkt in den Kopf. Eine Filmszene aus einem DDR-Drama, das – was die Bildqualität betrifft – auch im Fernsehen hätte laufen können. Gedreht wurde das Ganze jedoch von einem 18-Jährigen.

Jona Schloßer, mittlerweile 19, ist Jungregisseur. Er konzipierte und produzierte den Kurzfilm „Verzeih mir, Vater“ im Alleingang. Denn drei Wochen vor Drehbeginn entschied sich die Produktionsfirma, die Jona eigentlich unterstützen wollte, gegen eine Zusammenarbeit. Jona erinnert sich: „Ich war zu dem Zeitpunkt ein gerade mal volljähriger Junge, der noch nie selbst Regie geführt hat“, sagt er. Das Projekt stand nach monatelanger Planung vor dem Aus. „Ich saß vollkommen fertig daheim und musste mich entscheiden, entweder alle zu enttäuschen oder das Ding alleine zu produzieren.“

Drei Jahre vor dieser Entscheidung, steht Jona an einem weißen Sandstrand. Er blickt in das klare Wasser vor sich, aufgenommen aus der Vogelperspektive. Schnitt. Man sieht ihn von hinten, wie er mit einem Notizbuch in der Hand den Strand entlang läuft. Es ist die Anfangsszene von Jonas erstem Film „My Big Journey“, einem fast zweistündigen Dokumentarfilm über das Segelprojekt „Klassenzimmer unter Segeln“ – mit diesem Werk kristallisieren sich Jonas Zukunftspläne heraus: Er möchte Filmemacher werden.

„My Big Journey“ lebt von der Nähe. Der Betrachter sieht, wie Jona einen Brief öffnet und erfährt, dass er bei dem Segeltörn mit dabei ist, bei dem 34 Jugendliche gemeinsam sechseinhalb Monate um die Welt segeln. Er ist gerade mal 15, als er mit einer sehr alten Actionkamera und einer Drohne im Gepäck das Segelschiff Thor Heyerdahl betritt und das große Abenteuer sucht. Er will die Reise dokumentieren, an sich als Erinnerung.

Mit einer Mischung aus Interviewsequenzen der Mitreisenden und situativen Aufnahmen erzählt er von Seekrankheit, astronomischer Navigation an Board, Wanderungen an Land, über das Zusammensein mit den anderen Jugendlichen und die Freiheit. Der Zuschauer bekommt gut zwei Stunden lang einen Einblick in den Alltag auf dem Segelschiff. Die Kamera blickt auf das Meer, das Segelschiff schiebt sich unbeirrt durch die rauen Wellen. Über seine Entwicklung auf dieser Reise spricht Jona aus dem Off: „191 Tage durfte ich mich selbst kennenlernen. Sei es beim Kochen in der Kombüse, beim Segelpacken, beim Spanisch lernen auf Panama oder beim Verhandeln auf Kuba.“

Jona erzählt gerne Geschichten, schon immer. Sowohl mit Sprache als auch mit Bildern. „Mich fasziniert es vor allem, welche Gefühle man erzeugen kann, nur mit ein paar Pixeln und Ton“, sagt Jona. „Wenn ich es schaffe, Emotionen in den Leuten auszulösen, dann habe ich mein Ziel erreicht.“

Von der Segelreise kommt Jona mit etlichen Stunden Material zurück. Er schneidet Monate daran, nebenbei macht er Abitur. Er dreht Szenen nach und führt Interviews mit Beteiligten der Reise. Nach einem Jahr und drei Monaten ist der Film fertig, er lädt ihn auf Amazon hoch und drei Wochen später wird der Film auf der Hauptseite von Amazon-Prime als Top-Dokumentation vorgeschlagen. „Ich habe damals lauter Snaps und Screenshots von Freunden bekommen, die den Film zufällig auf der Amazon-Startseite gesehen haben“, sagt er. Zu dem Zeitpunkt ist Jona gerade mal 17 Jahre alt: „Die Bestätigung, die du von außen bekommst, bestärkt dich schon unglaublich, auch wenn wir uns das meist nicht eingestehen wollen“, sagt er.

Jona wächst in Waldtrudering auf, einem Vorort von München. Sein Großvater drückt ihm eine kleine Kompaktkamera in die Hand, da ist er 7 Jahre alt. Das Schneiden bringt er sich mit 12 selbst bei, er probiert sich in den Schnittprogrammen aus und lernt mit YouTube-Videos. Mit dem Interesse an der Kameratechnik steigt auch sein Interesse daran, einen eigenen Film zu produzieren.

Nach „My Big Journey“ möchte er einen fiktiven Kurzfilm drehen. „Ich finde die Herausforderung, selbst eine Welt und ein Setting zu entwerfen, noch einmal wesentlich spannender, als die Realität einfach nachzuerzählen“, sagt er. Jona entscheidet sich für die anfangs erwähnte Geschichte über die DDR, angelehnt an eine wahre Begebenheit. „Ich bin mit der DDR-Thematik vorbelastet, weil meine komplette Familie mütterlicherseits aus der ehemaligen DDR stammt.“ Seine Großeltern waren Musiker und nutzten eine Konzertreise in den Westen, um aus der DDR zu fliehen. Nur Jonas Mutter blieb dort: „Sie war da acht oder neun und hat bei ihrer Tante gelebt, bis sie von der BRD freigekauft wurde.“

Durch Zufall gewinnt er einen erfahrenen Kameramann für sein Projekt. Er sucht einen bestimmten Adapter für seine Kamera auf einer Kleinanzeigenseite für Filmemacher, holt das Stück bei dem Kameramann ab, der ihm spontan anbietet, kostenlos bei dem Film die Kamera zu führen. Auch die Schauspieler spielen alle komplett unentgeltlich. Johannes Steck, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher, spielt etwa einen Lehrer von zwei Schülern, die fliehen wollen.

Den Film finanziert Jona mit Crowdfunding und ein paar Ersparnissen, die er durch Praktika beim Film angespart hatte. 4 500 Euro hatte er geplant zu sammeln, rund 5000 Euro kamen zusammen. „Das Colour Grading und das Sound-Design stehen noch aus, ich komme also ein bisschen über Null raus“, sagt Jona.

Drei Wochen vor Drehstart sagt die Produktionsfirma die Zusammenarbeit ab. Jona entscheidet sich, den Film alleine zu realisieren. Er macht sowohl Regie, Produktion als auch Aufnahmeleitung während des Drehs. Den Schnitt macht er hinterher ebenfalls selbst. „Wenn so viele Menschen an mich glauben und sogar bereit sind, kostenlos für mich zu arbeiten, dann muss an dem Projekt was dran sein“, sagt er.

Jona selbst wird sich 2021 an verschiedenen Filmhochschulen bewerben. Dafür will er viel am Set stehen: „Ich will überall etwas mitnehmen.“

Jona Schloßer auf dem Segelschiff „Thor Heyerdahl“. Über diese Zeit sagt er: „191 Tage durfte ich mich selbst kennenlernen.“ Foto: Ilja Piltan
„Wenn ich es schaffe, Emotionen in den Leuten auszulösen, dann habe ich mein Ziel erreicht.“ Jona Schloßer, 19, will Filmemacher werden. Seine erste Doku machte er, als er gemeinsam mit 33 Jugendlichen sechseinhalb Monate um die Welt segelte. Foto: Ilja Piltan
„Wenn so viele Menschen an mich glauben, dann muss an dem Projekt was dran sein.“ Foto: David Salamon