Foto: Sebastian Gabriel
Ophelia Wach (schwarze Haare) und Vanessa Zwisele posieren am Samstag, den 29. August 2020 in München (Oberbayern) für ein Foto.

Hundert Stimmen, ein Problem

Ophelia Wach und Vanessa Zwisele starten mit ihren Kommilitonen ein Umweltprojekt um die Welt. Ihr Video vereint die Stimmen von vielen Menschen und zeigt, dass der Klimawandel überall zum Problem wird.

Von Katharina Horban

Nur einen Moment bleibt Ophelia Wach, 23, stehen. Dann dreht sie sich um und rennt nach Hause. Neue Ideen kommen Ophelia immer dann, wenn sie in Bewegung ist. Beim Joggen etwa. Hat sich der Gedanke festgesetzt, muss sie zurück an den Computer, um die Idee festzuhalten. So auch Anfang Mai. Während ihrer Jogging-Runde denkt die Studentin über ein Uni-Seminar nach, in dem sie mit Kommilitonen ein zivilgesellschaftliches Projekt entwickeln muss. Zu Hause angekommen, schickt Ophelia eine Nachricht an Arianne Blais, Colin Kulstad, Georgie Joy und Vanessa Zwisele, mit denen sie den Master „Politics & Technology“ an der Hochschule für Politik der TU München studiert. Sie berichtet ihrer Projektgruppe von der Idee, eine La-Ola-Welle um die Welt schicken zu wollen.

Eine La-Ola-Welle um die ganze Welt? Typisch Ophelia, findet ihre Kommilitonin Vanessa, 22. „Das ist Ophelias Hauptaufgabe in unserem Projekt. Sie hat immer eine große verrückte Idee, und man muss die dann herunterbrechen. Das ist mehr mein Job“, sagt sie.

Die verrückte Idee, um die es hier gehen soll, umfasst die ganze Welt: Mit dem Projekt „100 Voices – One Planet“ will Ophelia mehr als 100 Stimmen aus verschiedensten Ländern zum Klimawandel in einem Video bündeln. In jeweils 30 Sekunden erzählen Menschen von 16 bis 86, wie sich der Klimawandel auf ihr Leben auswirkt. Zum Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar 2021 soll das Video fertig sein, auch wenn wegen Corona nur ein stark abgeschwächtes Online-Format des Events vorgesehen ist. Bis dahin kann man dem Projekt auf Facebook, Instagram und Youtube folgen – wo es erste Clips und später auch das fertige Produkt zu sehen gibt.

Warum die TU München im Sommersemester so einen eher ungewöhnlichen Kurs anbot? Miranda Schreurs, Inhaberin des Lehrstuhls für Umwelt- und Klimapolitik, wollte als Kursleiterin sicherstellen, dass die Studierenden trotz des Online-Semesters miteinander interagierten. Aber weshalb hat die Gruppe so viel Aufwand in ein Seminar gesteckt, das nur sechs ECTS-Punkte wert ist? Wieso arbeiten sie weiter, obwohl das Semester längst abgeschlossen ist? „Ich finde es unsinnig, in der Uni irgendwelche Projekte zu machen und diese dann wieder in die Schublade zu stecken. Das ist doch frustrierend“, sagt Ophelia.

Für Vanessa war es das Verantwortungsgefühl gegenüber den Teilnehmern, das sie zum Weitermachen angeregt hat. Immer mehr von ihnen haben zugesagt und waren von dem Projekt begeistert: „Das war für uns ein richtiger Ansporn, dass wir das Projekt richtig machen müssen.“ Enttäuschen wollen sie keinen, das müsse einfach funktionieren.

Und das wird es auch, wie es aussieht. Um die Länder für das Video auszuwählen, hat sich die Gruppe am Global Risk Index der Nichtregierungsorganisation German Watch orientiert. Dieser gibt an, wie stark Länder von Wetterextremen wie Überschwemmungen und Hitzewellen betroffen sind. Auch wenn sich nicht eindeutig ermitteln lässt, welchen Einfluss der Klimawandel darauf hatte, ist es doch ein Hinweis auf die Verwundbarkeit der Staaten. Standen dann Länder wie Nepal, Guatemala, Frankreich oder Uganda fest, ging das Recherchieren los: Wer kennt wen? Und wie können sie etwa einen Bauern in Gambia finden, der mit ihnen reden möchte?

Diese Recherche begeistert Ophelia immer noch: „Angefangen hat es damit, dass eine Freundin von mir ihre Bachelorarbeit in Gambia schreibt.“ Dann habe diese sie mit ihrer Schwester verbunden, die bei den Vereinten Nationen in Genf arbeitet. Die Schwester wiederum hat Kollegen angeschrieben, die Ophelia mit einem Umweltaktivisten in Gambia verbunden haben. Und der hat dort schließlich einen Farmer für das Projekt gefunden. Denn die Gruppe möchte ausdrücklich „normale“ Menschen in das Video einbinden – also eher keine Umweltaktivisten, die für ihr Land sprechen. Die sind sozusagen nur die Kontaktpersonen vor Ort. „Die ganze Kette von der Schwester dieser Freundin bis zum Protagonisten hat nur fünf Tage gedauert. Aber es kann auch deutlich schneller gehen“, sagt Ophelia.

Den Aufwand dahinter erklärt Vanessa: „Durchschnittlich erreichen wir die Protagonisten über drei Ecken. Rechnet man das hoch, brauchen wir für 100 Leute, die wir in das Video einbinden wollen, 300 Menschen, die mitmachen. Jeder dritte bis vierte Kontakt führt in etwa zu einem Clip. Ungefähr 1200 Menschen müssen mitmachen, damit wir das endgültige Video schaffen.“ Trotz der Unterschiede reden all diese Menschen in den Videoclips über ähnliche Dinge: Starkregen, Hurrikans, Dürren – und ganz besonders über die Tatsache, dass der Klimawandel die Nahrungsmittelketten bedroht. Das verbindet die indische Großmutter, den Umweltaktivisten aus Tahiti und die Studentin aus der Ukraine.

Mit jedem erfolgreichen Kontakt wird das Projekt größer. Und Ophelia denkt in immer größeren Dimensionen – wie etwa das fertige Video an Gebäude zu projizieren und an Politiker zu schicken. „Da brauchen wir doch erst einmal Credibility“, sagt Vanessa und lacht.

Die beiden Studentinnen ergänzen sich gut, beide verbindet der gleiche Enthusiasmus. Während die eine an das große Ganze denkt, hat die andere die Umsetzung im Blick. So passt es auch, dass Vanessa das Logo des Projekts entworfen hat und die Videoclips für das Pilotvideo und den endgültigen Film schneidet. Das brachte sie hin und wieder an ihre Grenzen – denn einen Videoclip auf Malagasy, der Amtssprache Madagaskars, zu schneiden, ist eine Herausforderung. Ungefähr die Hälfte der Befragten spricht in ihrer Muttersprache, untertitelt werden alle Beiträge auf Englisch – damit diese dann Social-Media-tauglich sind.

Mittlerweile hat die Gruppe schon gut ein Viertel der Videoclips – herausfordernd bleiben dabei stets Sprachbarrieren. Auf einzeln vorgebrachte Kritik, warum sie von Klimawandel und nicht von Klimakrise sprechen, sagt Ophelia: „Schon Klimawandel ist in manchen Sprachen nicht vorhanden, da fällt es schwer, das Wort Klimakrise zu verwenden. Auf Japanisch gibt es zum Beispiel kein Schriftzeichen, das Klimawandel bedeutet. Da sprechen die nur davon, dass sich das Wetter verändert.“

Schwierig wird es bei der Umsetzung auch, wenn es in einem Land dringendere Probleme als den Klimawandel gibt. „Unser Protagonist aus Myanmar meinte, dass die Menschen ganz andere Probleme hätten. Das ist fast schon pietätlos zu fragen, ob er vom Klimawandel erzählen könne – weil die Leute im Krieg stecken“, sagt Vanessa.

Obwohl das Semester längst vorbei ist, geht die Arbeit am Projekt „100 Voices – One Planet“ weiter. Ophelia möchte sich sogar nächstes Semester ein Urlaubssemester nehmen, um das Projekt „richtig durchzuziehen und wie einen Job zu behandeln“, wie sie sagt. Übereifrig findet das Ophelia nicht, sondern gerade passend. Vanessa sagt: „Das ist so unglaublich, wenn du siehst, wie die Idee Realität wird. Gerade wenn uns die Teilnehmer darin so bestärken.“ Deshalb ergibt sich der nächste Schritt nach dem Video eigentlich von selbst: die Teilnehmer miteinander vernetzen.