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Freundschaft schließen in sieben Minuten

Sarah Heinrich, 24, macht erst seit Kurzem Comedy. Sie muss dabei fast doppelt so lustig sein wie Männer, sagt sie.

Von Larissa Kahr

Sarah Heinrich, 24, steht in der Frauentoilette der „Für Freunde“-Bar und geht ein letztes Mal das neue Material für diesen Abend durch. Sie trägt dunkle Jeans und einen bunten Cardigan. Eine Lockenpracht umrahmt ihr Gesicht. Sie schaut sehr konzentriert. Sarah blickt auf das gelbe Notizbuch in ihrer Hand und setzt dabei einen Fuß vor den anderen. Immer wieder. Sie scheint einem imaginären Kreis zu folgen, den nur sie auf den Fliesen sieht. Typisches Anzeichen von Lampenfieber. Darauf angesprochen, widerspricht sie: „Nein, ich bin nicht aufgeregt. Hier drinnen muss ich nur mit niemandem sprechen.“ Sie wirkt trotzdem nervös.

Einen kurzen Moment später betritt Sarah die Bühne. Sofort ist alles anders. Sie strahlt Selbstbewusstsein aus. Und spätestens, als sie improvisiert und mit dem Publikum flachst – „Puh der Typ da geht wohl, weil es ihm zu heiß geworden ist“ – kann es jeder sehen: Hier im Scheinwerferlicht fühlt sich die junge Comedian wohl.

Aber wie erreicht sie diese Leichtigkeit, die Sarah auf der Bühne wie eine Wolke zu umgeben scheint? Man müsse schon eine harte Schale haben, sagt sie, und dranbleiben. Denn natürlich „killt“ sie nicht jede Show. „Killen“ ist Fachjargon und bedeutet, dass wirklich jeder Zuschauer herzhaft und durchgehend lacht. Die Realität sieht anders aus. Von zehn Shows sind zwei gut, fünf in Ordnung und der Rest ist schlecht. Denn jedes Publikum ist anders und reagiert unterschiedlich auf sie.

Diese Erfahrungen hat Sarah erst vor Kurzem gesammelt. Nach ersten Versuchen bei Poetry-Slams hatte sie ihr Debüt bei einem Open-Mic im April 2019. Der erste Auftritt war „schrecklich“. Dennoch muss sie immer wieder auf die Bühne. Mindestens alle zwei Wochen absolviert Sarah einen Auftritt, im kommenden Semester ist sogar wöchentlich eine Show geplant. Nebenbei arbeitet sie und studiert Jura.

Nebenbei? Ja, das Fach interessiere sie einfach. Es gehe ihr nicht darum, Anwältin oder Richterin zu werden, sagt sie. Wenn Sarah dann auch noch erzählt, dass sie zudem einen Bachelor in Philosophie und europäischer Ethnologie hat, beides auch aus Interesse, fragt man sich, wie diese junge Frau das alles schafft.

Sarah faltet ihre Hände in ihrem Schoß zusammen, die sie zuvor noch wild gestikulierend durch die Luft schwirren ließ: „Na ja, nur mit Stand-up-Comedy ernährt man auch niemanden.“ Sie lächelt schelmisch. Das bestätigende Lachen ist in diesem Fall nur Fassade. Denn dass Sarah gern vom Lachen des Publikums leben würde, erklärt sie wenige Sekunden später. Es ist Sarahs großer Traum, bei der ZDF-Sendung „Die Anstalt“ politisches Kabarett zu machen. Sagt sie zumindest. Mit dieser Aussage verschwindet auch das Lachen und sie blickt nachdenklich auf die nächtliche Fraunhoferstraße. Etwas Ernstes mischt sich in ihren Blick, das nichts gemein hat mit der lockeren Sarah, die kurz zuvor noch die Bühne auf den Kopf gestellt hat. Und sie starrt in die Luft, hängt ihren Gedanken nach, ein verblassendes Lachen auf den Lippen.

Dieses Bild steht im völligen Kontrast zu der Bühnen-Sarah, die ohne Filter aus ihrem Leben berichtet. Da scheint einiges los zu sein. So erzählt sie von ihren abenteuerlichen Dating-Erfahrungen, einem Telefonat, während sie auf der Toilette saß, und der Sprachnachricht einer Freundin, die klang, als würde diese gerade von einem Walross angegriffen werden. Dieses Geräusch imitiert Sarah überraschend gut – Tipp von ihr: „Das wäre doch ein interessanter Weckerton.“ Sie hat jetzt nichts mehr gemein mit der Frau, die vor dem Auftritt angespannt ihre Notizen studierte.

Der Anfang einer Show ist das Schwerste. Denn da sei immer das Gefühl, man müsse eine Schwelle überwinden, erzählt sie. Männer haben einen leichteren Zugang, da sie nur aufgrund ihres Handelns und ihrer Taten bewertet werden. Bei Frauen kämen da noch viele andere Aspekte dazu. „Eigentlich sollten die dann gut aussehen, nicht abgehoben sein und auch nicht zickig“, sagt Sarah. Diese Bewertung fühle sie auf der Bühne und sie spüre sie auch davor. Frauen müssen fast doppelt so lustig sein wie Männer, um Anerkennung zu bekommen. Sagt Sarah.

Sie versucht diese Anerkennung in Form von Lachern zu ernten, indem sie einfach nur sie selbst ist. Ein simples Rezept, möchte man meinen. „Ich glaube, die Leute fangen erst an zu lachen, wenn du hundert Prozent du selbst bist.“ Das bedeutet in Sarahs Fall: keine frauenfeindlichen Witze oder Scherze über Minderheiten. Stattdessen muss die Mama herhalten. Sarah erzählt von einer Bahnfahrt. Sie hatte ihr Handy nicht eingeschaltet, und da gab es für ihre Mutter nur einen Ausweg: eine Durchsage in ihrem Zug: „Sarah solle doch bitte ihr Handy einschalten, ihre Mutter kann sie nicht erreichen.“ Durch Anekdoten wie diese bekommt man in den sieben Minuten, die Sarah zur Verfügung stehen, das Gefühl, sie wirklich kennenzulernen.