Unsere Autorin sinniert darüber, wie sich ihr Verhältnis zu “zu Hause” in den letzten Monaten auf ihrem Auslandsaufenthalt in Oxford verändert hat. Und merkt, dass das Ganze ziemlich kompliziert ist.
Da ist Staub. Unter dem Schreibtisch in meinem Zimmer zu Hause in München, am östlichen Ende der S4. Ich liege auf meiner Yogamatte und strecke die Füße Richtung Zimmerdecke in eine Kerze. Ich atme tief durch. Nicht nur, weil man das so macht beim Yoga, sondern auch, weil ein Teil von mir gerne aufspringen und den Staubsauger aus der Abstellkammer holen würde.
Ich befinde mich auf kurzem Heimaturlaub. Eine Woche ist jedoch nicht lang genug und mein Programm zu voll, um den Staubsauger auspacken zu können. Ich denke darüber nach, was es eigentlich heißt, nur kurz auf Heimaturlaub zu sein und Häuslichkeit hintenan zu stellen. Ich habe nur das Nötigste an Kleidung in einen Rucksack gestopft, ich wasche kein einziges Mal Wäsche und ich muss mir eine neue Zahnbürste kaufen, weil im Bad keine mehr für mich vorgesehen ist. Spätestens als ich merke, dass ich mich schon wieder auf England freue, verwandelt sich das Bewusstsein, dass „zu Hause“ eben nicht mehr wirklich „zu Hause“ ist, in einen leichten ziehenden Schmerz, irgendwo zwischen meinem Blinddarm und meinem Magen.
Dieses Gefühl ist keineswegs ausschließlich mit einem Auslandsstudium verbunden, klar. Alle meine Freunde, die nach dem Abitur von „zu Hause“ weggezogen sind, haben diese Erfahrung schon vor Jahren gemacht. Nur weil ich immer wieder „zu Hause“ gelebt habe zwischen den unterschiedlichsten Auslandsaufenthalten, ist es für mich nach wie vor ein überraschender und sehr viel langsamerer Ablösungsprozess.
Oft betone ich, wie gern ich zu Hause gelebt habe, wie dankbar ich während meiner Studienzeit in München für die Tatsache war, dass ich am Abend in den Zug steigen und zu meinem Pferd, meiner Schwester und meinem ruhigen Zimmer kommen konnte. Zum ersten Mal spüre ich, dass sich das verändert hat. Nicht nur ist meine Schwester mittlerweile ebenfalls ausgezogen und mein Pferd zu alt, um geritten zu werden: Auch „ich“ zu sein, fühlt sich anders an, als ich den Rucksack dieses Mal „zu Hause“ in unserer Diele abstelle. Die überproportionale Verwendung von Anführungszeichen ist nur der semantische Ausdruck der Realisierung, dass wir irgendwann alle erwachsen werden und unsere Kinderzimmer zu klein und zu sehr mit einer Kindheit verbunden sind, in die wir nicht mehr zurückkehren können. Egal, wie verlockend sich eine solch nostalgische Rückkehr anfühlen mag in Momenten, in denen das Erwachsenenleben zu anstrengend wird. In meinem Fall, vor allen Dingen dann, wenn es mir zu viel wird, an einer fremden Universität in einem fremden Land, in einer fremden Sprache etwas über fremde Dinge zu lernen. Heimweh ist dennoch eine Rarität geworden und schon jetzt tut der Gedanke, in ein paar Monaten mein Zimmer in Oxford für immer von meiner Persönlichkeit befreien zu müssen, ebenso weh wie das Bewusstwerden, dass „zu Hause“ nach diesem Jahr auch nicht mehr „zu Hause“ sein wird, egal, wie oft ich dann Zeit haben werde, Staub zu wischen.
Text: Theresa Parstorfer
Foto: Privat