Abschiede sind nie einfach. Vielleicht ganz besonders nicht dann, wenn man Menschen in kurzer Zeit sehr ins Herz geschlossen hat und die Aussicht auf ein Wiedersehen gering zu sein scheint. Unsere Autorin berichtet über das Ende ihres Auslangsjahres.
Hilflos halte ich Rebecca im Arm.
Ihre Schultern zucken und ich spüre ihre Tränen an meinem Hals. Umringt von
unseren Kommilitonen, während des letzten Kurs-Abendessens, ist Rebecca die
erste, die sich verabschiedet. Nicht nur für heute, sondern vielleicht für… immer.
Gestern haben wir unsere Master-Arbeiten abgegeben. Heute steht auf einmal
nichts mehr zwischen uns und der Freiheit. Uns und dem echten Leben. Uns und
dem Abschied.
Neun Monate waren meine 24
Kurskameraden der Mittelpunkt meines Lebens. Wir kommen aus 13 verschiedenen
Ländern und gehen zurück in mindestens genausoviele verschiedene Länder. Am
ersten Tag beäugten wir uns unsicher, ein wenig zurückhaltend. Zu viele Namen,
zu viele beeindruckende Geschichten. Yale, Princeton, Cambridge – ich brauchte
einige Zeit um diese Informationen zu verdauen und den richtigen Gesichtern
zuordnen zu können. Geschichte und Philosophie in München studiert zu haben,
klang da irgendwie nicht so spannend. Deshalb traute ich mich am Anfang kaum,
den Mund aufzumachen. Mit der Zeit merkte ich jedoch, dass meine Kommilitonen –
egal wie eindrucksvoll ihre Lebensläufe – die liebevollsten und witzigsten
Menschen sind, die ich jemals auf einmal kennengelernt habe.
Ich glaube, Auslandserfahrungen
werden als so wertvoll empfunden, weil von Anfang an klar ist, dass man sich
für einen bestimmten, genau abgesteckten Zeitraum ein Leben aufbaut, bevor man
es nach diesem Zeitraum wieder abbaut. Dieses Wissen macht jeden einzelnen
Moment wertvoll, denn immer ist da die Gewissheit, dass es das letzte Mal sein
könnte, dass man diese Straße entlanggeht, dieses Cafe betritt oder diesen
Menschen trifft. Deshalb werden Freundschaften schneller geknüpft und fühlen
sich dann schnell so innig an, dass der Gedanke, sich am Ende des Jahres
verabschieden zu müssen, kaum auszuhalten ist. Auch in München musste ich mich
nach meinem Abschluss von Freunden verabschieden. Jedoch gestaltete die
Aussicht, dass die meisten von ihnen irgendwie innerhalb Deutschlands bleiben
würden, dieses Ereignis weit weniger dramatisch. Keine Tränen, keine
minutenlangen Umarmungen. Oft reichte ein: bis-in-einem-Jahr-dann.
Wenn ich versuche, meinen
deutschen Freunden das Konzept eines einjährigen Masters zu erklären, ernte ich
große Augen. Zweimal acht Wochen Vorlesungen? Dreimal drei Stunden Prüfung?
Sieben Wochen für eine Masterarbeit? Und dann hat man einen Abschluss? Das
klingt nach akademischem Größenwahn. Ist es auch. Wiederholt hörte ich mich
sagen: „Weiß auch nicht, wer auf diese Idee gekommen ist. Macht eigentlich nicht
so viel Sinn.“
Natürlich ist es im Nachhinein
einfach, zu behaupten, es sei alles nicht so schlimm gewesen. Das Gedächtnis
schleift die schmerzvollen Kanten der Erfahrung ab. Noch weiß ich, dass
Studieren in Oxford hart war. Aber mittlerweile weiß ich auch, dass alles
irgendwie machbar war und darum ist es nun die „menschliche“ Seite, die den
größeren Schmerz verursacht. Und der wird nicht so schnell verfliegen wie die
Verzweiflung angesichts theoretischer Debatten und Wortlimits. Es sind die
Menschen, die fehlen werden. Der eigentliche „Größenwahn“ eines Auslandsjahres
liegt deshalb in der Tatsache, sich ein Jahr lang die Möglichkeit zu geben, ein
Leben aufzubauen, nur um es dann wieder abzubauen, ohne zu wissen, in wie viele
verschiedene Länder man wird reisen können, um Freundschaften aufrecht zu
erhalten. Aus diesem Grund fällt mir auch nichts ein, das ich sagen könnte, um
Rebecca zu trösten. Ich halte sie nur ganz fest. Sie und diesen Moment.
Text: Theresa Parstorfer
Foto: Privat