Fremdgänger: Hochstapler an Elite-Unis

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Oxford, die Heimat des „Hochstapler-Syndroms“: Unsere Autorin hat das Gefühl, ihre Mitstudenten in Oxford machen sich mit noch mehr Zweifeln Gedanken über die Zukunft, als es die Studenten in München tun.

Ganz bestimmt werden wir alle arbeitslos sein. Obwohl wir einen Abschluss in Oxford gemacht haben. Ich warte gerade auf zwei Kommilitonen im Eingangsbereich meiner Fakultät, als ich ein wenig ungewollt das Gespräch einer Gruppe von Studierenden mit anhöre. Es geht um Stellenausschreibungen bei Internationalen Organisationen, NGOs, den Vereinten Nationen und der EU. „Ich stelle gerade fest, dass ich hoffnungslos unterqualifiziert bin für all diese Dinge“, sagt eine der Studentinnen und seufzt. Zustimmendes Gemurmel. Es folgt das notorische Googlen berühmter, erfolgreicher Weltenretter und deren Lebensläufe. So gut wie die werden wir niemals, so weit der allgemeine Konsens.

Recht schnell habe ich herausgefunden, dass Oxford die Heimat des „Imposter-Syndroms“, des „Hochstapler-Syndroms“ ist. Ein nicht geringer Anteil der Leute hier denkt, er sei zuallererst nicht gut genug, um überhaupt einen Platz an dieser Uni verdient zu haben. In einem zweiten, logischen Schritt sind wir davon überzeugt, „hoffnungslos unterqualifiziert“ zu sein für jeden potenziellen Beruf, den wir gerne ausüben würden, wenn wir das Studium abgeschlossen haben werden. Besonders dringlich werden diese Sorgen jetzt, da das zweite Trimester vorbei ist und die meisten Studierenden in einjährigen Masterprogrammen beginnen, sich Gedanken über die Zukunft zu machen. Hilfreich ist es dabei, dass unsere Oxford-Postfächer täglich von E-Mails überflutet werden – mit Einladungen zu Karriere-Messen, Jobangeboten und offiziellen Servicestellen der Universität, die bei der Erstellung eines professionellen Lebenslaufs unter die Arme greifen wollen.

Gedanken über die Zukunft machen sich Studenten in München genauso. Zweifel sind auch dort involviert. Zweifel, Abwägungen und Entscheidungen. Es mag tröstlich sein zu wissen, dass Studierende überall auf der Welt von den gleichen Sorgen und Unsicherheiten geplagt zu werden scheinen. Dennoch: Manchmal wünschte ich mir, meine Freunde in Deutschland in einem Gespräch mit den Studierenden hier in Oxford zusammenzubringen. Manchmal kommen mir die Sorgen, die hier geäußert werden, realitätsfern, um nicht zu sagen aufgesetzt vor.

Mag sein, dass es immer jemanden geben wird, der „besser“ ist als man selbst, auch wenn man es nach Oxford geschafft hat. Mag sein, dass es immer eine noch beeindruckendere Ausbildung gibt, und natürlich ist Erfolg auch immer abhängig von einem jeweiligen Ziel, das angestrebt sein mag. Es kann manchmal hilfreich sein, sich in Erinnerung zu rufen, was man schon erreicht hat und welche Möglichkeiten das mit sich bringt. Und dass es Menschen gibt, die von diesen Möglichkeiten vielleicht nicht einmal träumen können. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher: Wenn meine Freunde in München wüssten, wie unterqualifiziert sich viele Leute in Oxford fühlen, würde ich zu hören bekommen: „Was wollt ihr denn noch mehr als einen Abschluss an dieser Elite-Uni?“

Wahrscheinlich würde ich entgegnen: „Wisst ihr, Oxford ist auch nur eine Uni.“ Und: Die Ausbildung, die in Deutschland ermöglicht wird, ohne sich finanziell in dem Ausmaß verschulden zu müssen, wie das in England meistens der Fall ist, ist definitiv nicht weniger relevant für unseren späteren Beruf. Niemand von uns, der auch nur ein bisschen Leidenschaft, Ausdauer und Begeisterung mitbringt, wird am Ende seines Studiums ohne Arbeit dastehen. Da bin ich mir fast sicher. Aber ein bisschen Sorgen darf man sich doch noch machen, oder?

Text: Theresa Parstorfer

Foto: Privat 

Fremdgänger: Am Rand der Tanzfläche

Auf den Partys in München war unsere Autorin meist nicht unter den Tanzenden zu finden. In Oxford lässt sie im Angesicht des neuen Umfelds alle Hemmungen fallen und scheint sich auf der Tanzfläche

plötzlich richtig wohl zu fühlen.

Meine Feinstrumpfhose klebt an meinen Fußsohlen. Ich brauche einige Zeit, um den, wie sich herausstellt, sehr effektiven Klebstoff aus Alkohol, Dreck und Schweiß zu lösen, ohne den seidigen Stoff zu zerreißen oder das Gleichgewicht zu verlieren. Es ist kurz vor ein Uhr morgens und ich stehe auf einem Bein balancierend in meinem Zimmer. Eine horrende Zeit für alle Oxfordstudenten, die um spätestens acht Uhr morgens geduscht und angezogen den Kampf mit ihren reading lists aufnehmen wollen oder müssen. Trotzdem war ich heute auf einer Party. BOP heißen diese Partys hier. Akronym für Big Opening Party. Meistens gibt es ein Motto – alles schon da gewesen: von ABBA über Noah’s Ark bis hin zu Halloqueen (Achtung: Wortspiele immer gern gesehen). 

Heute war James Bond dran – James BOP quasi. Und ich bin der Meinung, im langen, schwarzen Abendkleid und vor allem mit Zehn-Zentimeter-Stiletto-Absätzen, mit denen es ein Leichtes gewesen wäre, jeden potenziellen Angreifer zu erdolchen, mache ich einem Bond-Girl alle Ehre. Die Absätze waren dann aber auch der Grund, warum ich nach einer Stunde Tanzen doch auf Barfuß beziehungsweise Strumpfsockig umdisponiert und nun die Konsequenzen ob dieses Übermuts zu tragen habe: verklebte und verfärbte Fußsohlen und Feinstrumpfhose. So viel getanzt zu haben, dass ich mir tatsächlich die Schuhe ausziehen musste, ist jedoch an sich schon bemerkenswert, denn der Nerd, das bin normalerweise ich. Vor allem auf Partys. 

In München war ich immer ein bisschen zu steif, immer ein bisschen zu verkrampft, immer ein bisschen zu schüchtern. Und auf jeden Fall immer ein bisschen zu nüchtern, um als wirklich „cool“ im Münchner Sinne des Wortes gelten zu können. Damit hatte ich mich dort eigentlich schon ganz gut abgefunden. Ebenso wie mit dem Gefühl, dass die Partykultur in der bayerischen Landeshauptstadt in all den Jahren ein für mich nicht wirklich zugängliches Reich geblieben ist, so gern ich auch dazugehört hätte. Tanzen gehen blieb für mich immer mit dem Anspruch verbunden, irgendwo dazuzugehören und einem bestimmten Bild entsprechen zu müssen.

Oxford stellt diese Ordnung jedoch interessanterweise auf den Kopf. Während ich mich in München im Vergleich zu all den erfahrenen Club-Tänzern stets außen vor gefühlt habe, bin ich in Oxford auf einmal die Tanzflächen-Attraktion. Mag sein, dass sich die vielen Stunden Tanzunterricht mittlerweile doch auszahlen. Oder aber, ich lasse auf einmal jegliche Hemmung fallen, angesichts all dieser klugen Menschen, die tagsüber an den Problemen der Welt knobeln, während sie in der Nacht (oder sagen wir: am Abend) eher an unbeholfene Teenager auf den ersten Jugendtreffpartys erinnern, wie sie unsicher zu Radiomusik mit dem Kopf oder dem Fuß wippen. Vielleicht ist es eine Kombination aus beidem, noch zusätzlich verstärkt durch die Tatsache, dass mich mein Körper in diesen (seltenen) Momenten, in denen ich ihm eine Auszeit von all der Lernerei gönne, daran erinnert, wie befreiend die Dunkelheit der Nacht sein kann. 

Gerade kommt mein Mitbewohner mit strahlenden Augen auf mich zugetanzt, während ich dabei bin, durchgeschwitzt und strumpfsockig, aber verdammt glücklich, zu einem alten Chartsong auf und ab zu hüpfen. „Du weißt, wie man tanzen geht“, sagt er mit überraschter Anerkennung im Blick. Insgeheim bin ich dankbar für all die Jahre in München, in denen ich Zeit hatte, mir, mit dem Kopf und dem Fuß wippend, vom Rand der Tanzfläche abzuschauen, wie man tatsächlich tanzen geht.


Text: Theresa Parstorfer

Foto: Privat

Fremdgänger: Alles geregelt

Sind Deutsche generell regelgehorsamer? Unsere Autorin pfeift in Oxford inzwischen wie ihre Mitstudenten auf so manche rote Ampel und entdeckt dabei feine kulturelle Unterschiede zu ihrer Heimat. 

Die Ampel springt auf Rot. Ich trete in die Pedale und sause über die rote Ampel. Zeit ist kostbar und Ampeln sind eher eine Empfehlung. Zumindest in Oxford. Zumindest für Radfahrer. Außerdem bin ich spät dran für ein Seminar und es regnet. 

Oxford und München bezüglich ihrer Verkehrslage und Infrastruktur zu vergleichen, ist Quatsch. München ist eine Millionenstadt, Oxford darf mit seinen 152 000 Einwohnern durchaus als Provinznest bezeichnet werden. Spannend zu beobachten ist jedoch, wie sich die Dimensionen dieser kleinen Stadt in meiner subjektiven Wahrnehmung von Zeit und Raum verschieben. Nachdem ich drei Jahre lang ungefähr eine Stunde für den Weg zur Uni einplanen musste, konnte ich es nach meiner Ankunft hier in Oxford einfach nicht glauben, dass ich innerhalb von nur fünf Minuten mit dem Rad zu meiner Fakultät gelangen konnte – und deshalb prinzipiell immer mindestens zehn Minuten zu früh in jeder Vorlesung saß. Jetzt, nach vier Monaten, kommen mir jedoch bisweilen sogar diese fünf Minuten zu lang vor. Jede rote Ampel kommt da irgendwie ungünstig. 

Deshalb hat sich parallel zu meiner neuen Wahrnehmung von Entfernungen auch eine gewisse Resistenz gegen Verkehrsregeln entwickelt. Denn Oxfords Verkehrssystem ist verwirrend. Ganz davon abgesehen natürlich, dass hier alle Autos auf der falschen Seite fahren (!), verästeln sich Straßen an den unwahrscheinlichsten und denkbar ungünstigsten Stellen, Ampeln funktionieren nicht oder sind so unmöglich geschaltet, dass man sich oft in der Mitte der Hauptverkehrsader befindet und nicht mehr weiterkommt, Einbahnstraßen tauchen aus dem Nichts auf, Fahrradwege führen einmal über den Fußgängerweg und dann wieder auf der Straße entlang, und von Schlaglöchern und porösem Asphalt und Wanderbaustellen will ich gar nicht anfangen.

Die ersten Male, als ich zögernd ein paar Radfahrern folgte, wie sie bei Rot skrupellos weiterfuhren, musste ich an eines meiner Ethik-Seminare in München denken. Es ging um Thomas Hobbes, den Leviathan und um die Frage, ob Gesetze in einem Staat immer befolgt werden müssen beziehungsweise ob ziviler Ungehorsam auch mal richtig sein kann. Ich erinnere mich deshalb an diese eine Stunde, weil das Beispiel von Verkehrsampeln genannt wurde. Wenn keine negativen Konsequenzen aus meiner illegalen Straßenüberquerung resultieren, ist es dann in Ordnung, das Gesetz zu brechen? Oder unterminiert das die gesamte Idee eines legitimierten Souveräns? Als ich dann einmal auf einer Party, relativ zu Beginn des Jahres in Oxford, meine Bedenken ob zivilen Ungehorsams an roten Ampeln äußerte, erntete ich einige Lacher. „You don’t have the time to wait for a traffic light – just think of all the reading you could be doing in the accumulated time over the years, that you spent waiting for the light to turn green“, wurde mir gesagt. 

Und auch wenn das auf den ersten Blick oberflächliche Überlegungen sind, so sagt es doch vielleicht mehr über feine kulturelle Unterschiede aus. Sind Münchner und Deutsche generell regelgehorsamer? Oder inwieweit sagt es etwas darüber aus, wie überlegt und vernünftig Bürger (zumindest im Straßenverkehr) miteinander umgehen können, selbst wenn sie nicht auf das offizielle grüne Licht der Ampel warten? Soweit ich weiß, passieren in Oxford nicht verhältnismäßig mehr Unfälle als anderswo.

Text: Theresa Parstorfer

Foto: Privat

Fremdgänger: So kurvig wie die Lombard Street

Wenn man als eingefleischte Münchnerin in die Welt zieht zum Studieren, erwartet einen immer der eine oder andere Kulturschock. ‘Unheimlich kurvig, dafür mit den schönsten Blumen am Wegrand’ – So vergleicht unsere Autorin den American Dream mit unserem Streben nach einem möglichst geradlinigen Lebenslauf. 

Mit dem amerikanischen Traum ist es schon so eine Sache. Da war ich tatsächlich an meiner Traum-Uni gelandet und wollte jeden Eukalyptusbaum auf dem weitläufigen Campus mit den vielen Eichhörnchen umarmen. Bis ich dann zum ersten Mal vor dem VWL-Gebäude stand. Baufällig, nicht erdbebensicher, die meisten Hörsäle fensterlos.

Ich habe mich trotzdem in dieses Gebäude reingetraut, für den amerikanischen Traum muss man wohl flexibel sein. Drinnen: Forschungsseminare mit indischem Mittagessen inklusive und jeden Mittwoch Kekse für alle – das wäre doch auch was für die LMU! Dazu noch ein paar extra reservierte Parkplätze für Nobelpreisträger und wir könnten endlich wirklich mit den amerikanischen Unis mithalten.

Auch an Kurse mit acht Teilnehmern könnte ich mich glatt gewöhnen. Vor allem, wenn der Professor mit Leidenschaft Witze über Kollegen reißt, während er einen großen griechischen Buchstabensalat an die Tafel malt. Außerdem wird er sein Fahrrad hoffentlich bald auf einem der ganz besonderen Parkplätze für Nobelpreisträger abstellen, auch das sorgt für besondere Spannung. „Und jetzt zeige ich euch, wie manche Kollegen eine Studie aufziehen, wenn sie unbedingt weiterhin daran glauben wollen, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht diskriminiert werden“, sagt er in der letzten Vorlesung mit trockenem Unterton. So ein Einblick in die unterste Schublade der Wissenschaft ist selten. Aber umso lehrreicher.

Draußen auf dem Campus sind die Studenten im Grunde nicht spannender, wenn auch etwas nerdiger als die an der LMU. Football, das neue iPhone, der Taco Tuesday, wer mit wem und wie oft auf dem letzten Backpacking-Trip durch Europe, das nächste iPhone – alles beliebte Themen auf dem Campus. Bemerkenswert war das Motivationslevel. Wollen wir uns den ganzen Tag zusammen im Büro verbarrikadieren, um das Übungsblatt zu lösen? Na klar.

 Abseits der Uni habe ich Menschen getroffen, die so herzlich gerne bereit waren, mir ihr San Francisco zu zeigen: Den schönsten Blick auf die Golden Gate Bridge, das beste Sushi, den verblüffendsten Wald mitten in der Stadt oder die verrückteste Schwulenbar – all das hätte ich alleine wohl gar nicht entdeckt.

Doch neben 1000 Fotos haben sie mir auch eine neue Lebenseinstellung mit nach Hause gegeben. Denn der amerikanische Traum verträgt sich nicht mit dem in Deutschland so hoch gelobten geradlinigen Lebenslauf. Die kalifornische Unbekümmertheit will ich mir auf jeden Fall abgucken. Dazu die Fantasie des alten Freundes, der jedes Jahr eine halbe Million Weihnachtslichter in seinem Garten aufbaut. Und die Coolness des neuen Bekannten, der erst als Tontechniker, dann als Rollschuhverkäufer gearbeitet hat und jetzt Käseexperte ist.

Mittlerweile bin ich zurück in München und muss meine Tüten im Supermarkt wieder selbst packen. Aber ich weiß jetzt: Es läuft vielleicht nicht immer alles geradeaus im Leben, sondern – zum Glück – manchmal auch wie die Lombard Street in San Francisco. Unheimlich kurvig, dafür mit den schönsten Blumen am Wegrand.

Text: Katharina Hartinger

Foto: Privat

Fremdgänger: Mantra und Muffins

Wenn man als eingefleischte Münchnerin in die Welt zieht zum Studieren, erwartet einen immer der eine oder andere Kulturschock. Unsere Autorin versteht die allgegenwärtigen Klischees über die englische Küche nicht und verspeist freudig ein Stück Triple-Chocolate-Salted-Caramel-Kuchen

Ein Jahr England. Als ich vergangenen Sommer davon erzählte, erntete ich mitunter schon den ein oder anderen mitleidigen Blick. Nicht nur wegen des Brexits, nicht nur (aber auch) wegen des englischen Wetters, nein, erstaunlicherweise vor allen Dingen wegen des englischen Essens. „Und dann bist du ja auch noch Vegetarierin“, bekam ich des Öfteren zu hören. Oder alternativ:  „Oh, das englische Essen soll ja … gewöhnungsbedürftig sein.“

Stereotype Aussagen über nationale kulinarische Traditionen finde ich – um ehrlich zu sein – anstrengend. Als müsste man als Gast in einem fremden Land gezwungenermaßen jede Eigenheit, was Ernährung angeht, mitmachen. Als hätte man in England nicht die Möglichkeit, Nudeln und Tomatensoße zu kaufen, so wie alle Studenten das in München auch tun, um bei Klischees zu bleiben. Als wäre es eine Zumutung für jeden Deutschen, neun Monate lang auf echtes Brot und Sauerkraut verzichten zu müssen.

Natürlich, auch ich vermisse Laugengebäck und Mürbteig, aber nicht so sehr, als dass ich es nicht nach wie vor spannend und erfrischend finden würde, herauszufinden, welche Gerichte die traditionelle britische Küche nun tatsächlich umfasst. Wie ich feststellen darf, ist Oxford dafür nicht der schlechteste Ort, denn sowohl die Colleges als auch Departments, Cafés und Restaurants bieten vieles an, was vermutlich als typisch englisch verstanden wird. Mittlerweile rangieren dabei Scones mit Clotted Cream und Jam (wobei es regionale Streitigkeiten gibt, ob man nun zuerst die sündhaft fette Sahne auf den noch warmen halb salzig, halb süßen Muffin streicht, oder erst die Marmelade – ähnliches gilt für die Frage, ob zuerst die Milch oder zuerst der Tee in die Tasse kommt) schon recht weit oben auf meiner neuen Lieblingsessensliste. Gleiches gilt für Eton Mess (eine sahnige Creme mit Äpfeln und Beeren und Baiser) und auch das englische Frühstück (wenn auch vielleicht lieber erst als Mittags- oder gar Abendessen) mit Rühreiern, Bohnen, Tomaten und Pilzen.

Über Weihnachten kam es zwar zu leichter Enttäuschung, da die englischen Weihnachtsnaschereien wie Fruit Cake und Christmas Pudding, die zu 99 Prozent aus in Rum getränkten Rosinen und Orangeat bestehen, nicht wirklich mit Vanillekipferln und Bratäpfeln mithalten können. Abgesehen davon gehe ich nach wie vor gerne in den regulären Supermarkt und freue mich, wenn das Sortiment im asiatischen Regal nicht lediglich aus einer überteuerten Marke Kokosmilch und Sojasoße besteht, sondern ich die Qual der Wahl zwischen Reisnudeln, Fertig-Chapati und Sushi-Essig habe.

Auch was die Herausforderung meiner Nichts-was-mal-gelebt-hat-Einschränkung angeht, bieten sich in Oxford weit mehr Optionen als die zwei Antwortmöglichkeiten auf meine in Deutschland oft geäußerte Frage, ob ich denn den Salat mit Putenstreifen ohne Putenstreifen haben könnte: Vegetarisches Essen ist in Oxford unheimlich beliebt. Und das in Verbindung mit dem Trend zu hippen Cafés mit Fahrrädern an den Wänden, ökologischem Kaffee und selbstgebackenen Brownies, macht es wirklich mehr als einfach, gut zu essen und sich dabei so richtig hip zu fühlen.

Gerade stehe ich mit einer meiner Kommilitoninnen in eben einem solchen Café an der Theke und bestelle eine Tasse Tee und ein Stück Triple-Chocolate-Salted-Caramel-Kuchen. Der wie aus einem Katalog ausgeschnitten wirkende Barista reicht mir die Rechnung. Nicht umrechnen, sage ich mir leise. Das ist mein Mantra. Nicht umrechnen und dabei trotzdem an München denken. Denn: wenn ich wieder in Deutschland bin, wird mir sogar ein Stück Kuchen in Schwabing billig vorkommen.

Text: Theresa Parstorfer

Foto: Privat

Begleitbären in San Francisco

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Wenn man als eingefleischte Münchnerin in die Welt zieht zum Studieren, erwartet einen immer der eine oder andere Kulturschock. In Kalifornien sorgen Begleitbären für einen gefahrlosen Heimweg von der Universität. Doch auch sonst wird an der amerikanischen Westküste viel Wert auf Sicherheit gelegt.

Der Polizist fängt an zu brüllen. Im Hörsaal links hinter dem Dinosaurierskelett zucken 300 Studenten zusammen. „Seid gefälligst unerschütterlich!“ Das ist die Botschaft der universitätseigenen Polizeidienststelle an die internationalen Gaststudenten. Außerdem sollen wir bitte unbedingt anrufen, wenn wir uns unsicher fühlen. Nachts besser in Gruppen unterwegs sein.

Oder gleich mit einem Begleitbären. Ein Bär ist das Maskottchen der UC Berkeley und ein Begleitbär ist ein speziell ausgebildeter Student, der dich auf Anfrage kostenlos auf dem Weg über den Campus oder bis zur U-Bahn begleitet. Von Anbruch der Dunkelheit bis weit in die Nacht hinein. Einige der Begleitbären sind sogar Single. Und die meisten sehen ziemlich gut aus, auch damit wirbt die Uni für ihr Angebot.

Viele Studenten sind nach der ersten Schrecksekunde eher unbeeindruckt. Ein paar lachen. Auch Wochen später redet mancher noch amüsiert von der Sorge der Uni um uns. Denn am Campus ist es sonnig, friedlich, spaßig, herrlich. Bis zu der Woche mit den acht E-Mails.

Achtmal bekommen wir in dieser Woche eine E-Mail mit dem Hinweis auf einen vorangegangenen bewaffneten Überfall in unmittelbarer Campus-Nähe. Im Kneipenviertel, an der Einkaufsstraße, an meiner Bushaltestelle. Und bewaffnet, das heißt hier nicht, dass einer sein Taschenmesser rausholt. Bewaffnet heißt, dass er eine geladene Schusswaffe auf dich richtet. In dieser Woche war ich erschüttert. Wenn wir mal ehrlich sind, ist die größte Sorge an einem typischen Münchner Unitag, dass das Fahrrad geklaut werden könnte.
 Aber man gewöhnt sich an alles – vor allem an einem Ort, an dem du beim Stadtspaziergang ein Rentiergeweih tragen kannst und das nicht weiter auffällt. An dem hinter einer Straßenecke auf einmal die von der Sonne angestrahlte Golden-Gate-Bridge neben der markanten Skyline von San Francisco auftaucht. Dieser Anblick entschädigt für vieles. Denn er gibt mir das benebelnde Gefühl, dass die Welt wunderschön ist. Egal was gerade sonst noch so los ist, oder wer zum Präsidenten gewählt wurde, alles wird gut.

Außer man geht 50 Meter zu weit die Straße runter. Das ist zwei – wohlgemerkt: kalifornischen – Freunden und mir auf dem Weg von einem Konzert zur U-Bahn passiert. Gerade waren da noch elegant ausgeleuchtete Hotels. Plötzlich ist es dunkel, links von uns ein verlassener Parkplatz. Heroinabhängige liegen quer über dem Gehsteig. Wir sind im Tenderloin gelandet. Dem Viertel, das jeder auf der Stadtkarte schwarz durchstreicht, wenn er Touristen den Weg erklärt. Daheim in München rät man vielleicht davon ab, nachts um 3 Uhr einen Spaziergang um den Hauptbahnhof zu machen.

Zurück nach San Francisco: Eigentlich ist es gar nicht so schlimm. Also gehen wir tapfer an den Typen in den schwarzen Kapuzenpullis vorbei und stehen keine drei Minuten später im Stadtzentrum vor dem hell erleuchteten Einkaufszentrum und den putzigen Cable Cars. Unerschütterlich. Trotzdem, mit Begleitbär wäre das bestimmt anders gelaufen.

Text: Katharina Hartinger 

Foto: Privat

Fremdgänger: Klassisch flirten

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Wenn man als eingefleischte Münchnerin in die Welt zieht zum Studieren, erwartet einen immer der eine oder andere Kulturschock. Unsere Autorin tauschte Punk-Konzerte im Milla mit klassischen Choraufführungen in Oxford- und wundert sich, wie ähnlich sich die beiden Welten doch sind.

Die mächtigen Tore der Kirche öffnen sich. Eine Menschenmasse ergießt sich in die von Straßenlaternen und den Fenstern der anliegenden Häuser erleuchtete Gasse. Es ist Sonntagabend, der „Evensong“ im Merton College wurde gerade von einer letzten Hymne beendet, wer will, kann jetzt noch dem Priester die Hand schütteln und sich für den schönen winterabendlichen Ausflug in diese verzauberten Hallen bedanken. Mittendrin: ich mit zwei Freundinnen. Wir halten halb abgebrannte Kerzen in den Händen und sehen uns mit verträumten Augen an.

Ich erinnere mich, einen ähnlich seligen Gesichtsausdruck zuletzt auf dem Gesicht einer Freundin aus München gesehen zu haben, als wir nach dem Konzert einer Punkrock-Band in einer nicht ganz so großen Menschentraube aus dem warmgetanzten Milla in die Holzstraße geschwemmt wurden. Weit weg scheint das alles, zwischen all den schicken Wintermänteln, Tweet-Jackets und Pelzmützen der Menschen um mich herum. In Oxford wüsste ich nicht, wo ich in einem kleinen Club zu lauten Gitarrenriffs auf und ab hüpfen könnte. Ich bin mir sicher, diese Clubs gibt es irgendwo außerhalb der Reichweite ehrwürdiger College-Mauern – ich habe sie nur noch nicht gefunden. Dafür bin ich viel zu beschäftigt, die einfacher zu erreichenden kulturellen Höhepunkte abzuklappern. Denn wie sich herausstellt, schaffe ich es hier, innerhalb von sechs Tagen vier klassische Chorkonzerte zu besuchen. Jedes davon ist voll besetzt bis auf die hintersten Reihen, zu einem nicht zu verachtenden Anteil von Studenten. Auf Facebook lädt man sich nicht zu Partys im traditionellen Münchner Sinne ein, sondern zu Symphonien, Theaterstücken, Chören, Buchvorstellungen und Gedichtlesungen. 

Ich ertappe mich dabei zu bemerken, dass auch in kulturell anspruchsvollen Umgebungen – wie einem Konzertsaal oder gar einer Kirche – soziale Dynamiken ablaufen, die denen einer Nacht in der Münchner Club-Szene nicht unähnlich sind. In der Vorweihnachtszeit wurden die in den meisten Colleges regelmäßig abgehaltenen „Evensongs“ (ein anglikanischer Gottesdienst, bei dem es vor allen Dingen um die Musik geht) von „Carol Services“ (dabei geht es noch mehr und vor allem um weihnachtliche Kirchenmusik) ergänzt. Und als ich vor ein paar Wochen einen solchen besuchte, ebenfalls inklusive Kerzen und Weihrauch, begann mein Mitbewohner auf einmal, angeregt mit der langbeinigen dunkelhaarigen Engländerin zu flirten, die vor ihm saß. Sehr elegant, dachte ich mir. Und ich? Ich sitze im mittelalterlichen Kirchenschiff des Merton College und starre fasziniert auf das von einer schiefen Kerze im Kronleuchter über mir tropfende Wachs, als ich merke, wie süß der Typ mir gegenüber ist. Verstohlen schaue ich immer wieder zu ihm hinüber und bin mir fast sicher, dass er hin und wieder sogar zurückschaut. 

Ich werde nervös. Auf einmal ist die hölzerne Kirchenbank ziemlich unbequem. Kurzzeitig wünsche ich mir, ich wäre in München, in einem Club. Da gäbe es zumindest eine Bar, eine Tanzfläche und (zur Not) ein alkoholisches Getränk, hinter dem ich mich effektiv hätte verstecken können, während gleichzeitig zumindest potenziell die Möglichkeit bestanden hätte, mir ein Herz zu fassen und endlich hinüber zu gehen, um ihn anzusprechen. 

Ich schließe die Augen, ich denke zurück an jenen Abend im Milla. Ja, auch da gab es einen Typen auf der anderen Seite der Tanzfläche. Aber auch da hatte ich nicht den Mut, hinüber zu gehen.

Text: Theresa Parstorfer

Foto: Privat

Fremdgänger: “Shpatsel Brats” in Kalifornien

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Wenn man als eingefleischte Münchnerin in die Welt zieht zum Studieren, erwartet einen immer der eine oder andere Kulturschock. Unter all den neuen Eindrücken aus der großen, weiten Welt ruht aber die Sehnsucht nach der Heimat. Katharina studiert an der University of California, Berkeley, und wundert sich über die eigenartige Essenskultur der Amerikaner. 

Manchmal träume ich von einem Stück Käse. Es ist groß. Ich kann dicke Scheiben davon abschneiden und sie in aller Ruhe essen. Dann wache ich auf und bin in Kalifornien, wo ein mittelgroßes Stück Brie ein deutlich sichtbares Emmentaler-Loch ins Budget einer studiengebührengeplagten Studentin reißt. Alles, was keine hauchdünne, in Plastik eingewickelte Sandwich-Scheibe ist, würde preislich gesehen sogar die Händler auf dem Viktualienmarkt vor Neid käsebleich werden lassen.

Zum Glück bringen spendable Gäste gerne eine Käseplatte zu Festen aller Art mit, in deren Nähe ich mich dann möglichst unauffällig und ausdauernd aufhalte. Das wichtigste kulinarische Fest im Jahr ist Thanksgiving: Die Thanksgiving-Parade – im Grunde eine stundenlange Abfolge von Werbespots, aber die sind zugegebenermaßen sehr unterhaltsam – läuft im Fernsehen, während man sich die ersten Knabbereien gönnt. Gleichzeitig brät der Truthahn im Ofen und damit ausnahmsweise nicht in der Mikrowelle. Die Füllung, die oft komplett außerhalb des Geflügels zubereitet wird, duftet schon nach warmem Brot und Preiselbeeren. Sobald alles fertig und das Football-Spiel vorbei ist, essen alle Anwesenden mehr, als sie je für möglich gehalten hätten. Ich hatte vor meinem ersten Thanksgiving in Kalifornien so viele Klischees im Kopf – interessanterweise sind sie alle wahr.

Lachen muss ich dagegen über die gängigen „Amerikaner essen nur Fastfood“-Klischees, die sich ja hartnäckig halten, drüben in Deutschland. Die Auswahl an wunderbar authentischen mexikanischen, chinesischen, japanischen, einfach internationalen Restaurants ist gigantisch – da kann München von träumen. Klar, im Mittleren Westen sieht das wieder anders aus, aber Kalifornien kommt mir ziemlich oft wie das Schlaraffenland vor.

Auch deutsches Essen ist mittlerweile sehr beliebt in der Bay Area. Von „Shpatsel Brats“ und anderen deutschen Spezialitäten schwärmen meine amerikanischen Freunde. Ein deutsches Restaurant braucht hier auch unbedingt einen extravaganten Namen. Der ist aber schnell gefunden: Man nehme einfach irgendein – wirklich: irgendein – deutsches Wort, das entfernt mit Essen zu tun hat. Da hätte ich fast ein bisschen Lust, auch so einen Hipster-Laden aufzumachen: „Forelle im Vollrausch“ würde er heißen. Und während man in München Birkenstämme oder unbequeme Metallhocker ins moderne Restaurant schmeißt, könnte ich hier vielleicht mit karierten Tischdecken und unpraktisch-überdimensionierten Geranienkästen auf den Tischen punkten.

 Aber eigentlich ist exotische internationale Cuisine für den örtlichen Hipster auch schon ziemlich ausgelutscht. Da muss langsam etwas Neues her. Die simpelste Art der Innovation? Einfach alles, was davor sowieso schon da war, wird kreuz und quer wild kombiniert. Philippinischer Adobo-Burrito? Immer her damit. Mexikanisches Sushi? Der Laden ist voll. Oder in drei Wochen pleite, aber die Leute haben wenigstens darüber geredet.

Text: Katharina Hartinger

Foto: Privat

Fremdgänger: Muggel in der Winkelgasse

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Wenn man als eingefleischte Münchnerin in die Welt zieht zum Studieren, erwartet einen immer der ein oder andere Kulturschock. Unter all den neuen Eindrücken aus der großen, weiten Welt ruht aber die Sehnsucht nach der Heimat. Als Theresa sich Robe und Barett für ihr Auslandsstudium in Oxford besorgte, fühlte sie sich unweigerlich in die magische Welt Harry Potters versetzt

Da wäre nur noch die Sache mit dem Zauberstab. Wenn ich mich recht erinnere, ist das eines der letzten Dinge, die Harry Potter vor dem offiziellen Beginn seiner Zauberer-Karriere in Hogwarts, der weltbesten Schule für Hexerei und Zauberei, in der Winkelgasse in London kauft. Gewinkelt war auch die Gasse, die ich vor zwei Monaten entlang gelaufen bin. Getaucht in herrlichste, englische Herbstsonne. Gewappnet für den skurrilsten Shoppingtrip meines Lebens. Oder zumindest so halb gewappnet. Denn ein wenig eingeschüchtert war ich schon, von der Vorstellung, mir einen schwarzen Umhang aus Seide kaufen zu müssen und ein schwarzes … – ja, was ist das eigentlich, was die Studenten in den amerikanischen oder englischen Highschool- und Universitätsfilmen auf dem Kopf tragen und am Ende des Jahres in die Luft werfen?

Das ist Oxford. Undergraduates, so heißen die Bachelor-Studenten, bekommen kurze, schwarze Seidenmäntelchen, Graduates, also Masterstudenten wie ich, dürfen sich schon in über die Knie reichende Umhänge hüllen. Und bei den Doktoranden kommt dann noch allerlei Ärmel und Kragen und sogar ein bisschen Farbe dazu. Das „academic dress“ wird nicht nur anlässlich der Einführungs-Zeremonie und der Abschlussfeier, sondern auch zu allerlei festlichen Aktivitäten und Dinners und sogar den Prüfungen getragen. 

Auch an deutschen Universitäten waren bis vor ungefähr 50 Jahren Talare und Barette (so der Name der Hüte) fester Bestandteil des akademischen Alltags, eine Tatsache, die mir zu keinem Zeitpunkt meiner Universitätskarriere in München bewusst war. Mit dem Slogan „unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ schafften die ‘68er die Umhänge ab. Deshalb war der Erhalt meines ersten Uni-Abschlusses im vergangenen Sommer in München nicht viel feierlicher als ein Besuch im Prüfungsamt zwischen Arbeit und Bibliotheksrückgaben. Keine Robe, kein Barett, keine Zeremonie und auch kein Dinner, nur eine Mappe mit meinem Bachelor-Zeugnis.

In England hingegen hält man nach wie vor selbstverständlich – manchmal mit einem leichten Augenzwinkern, aber durchaus nicht ohne Stolz – an Traditionen, Zeremonien und vor allen Dingen schwarzen Umhängen fest. Mittlerweile neigt sich das erste „Term“ dem Ende zu, mittlerweile zucke ich nicht mehr zusammen, wenn in der immer früher einsetzenden Abenddämmerung ein Radfahrer mit wehenden schwarzen Rockschößen auf dem Weg zu einem Dinner an mir vorbeisaust, mittlerweile höre ich mich selbst regelmäßig fluchen, wenn ich schon halb aus der Tür und auf dem Weg zu einem solchen Dinner bin und merke, dass ich meinen „gown“ wieder einmal vergessen habe. 

Und dennoch: Nach wie vor denke ich mir nicht selten, dass Harry Potter sich ähnlich gefühlt haben muss, als er in den roten Zug auf Gleis 9 ¾ gestiegen ist, der ihn in ein Universum transportierte, in dem andere Sitten und Umgangsformen gepflegt, andere Sportarten betrieben werden, anderes Essen gegessen und nicht zuletzt andere Kleidung getragen wird.

Als ich an jenem Nachmittag am Anfang des Trimesters aus dem Laden in der gewinkelten Gasse zurück in die Sonne getreten war, um 35 Pfund ärmer, dafür ausgestattet mit einem Talar, einem Barett und einem schwarzen Krawattenbändchen, wünschte ich mir, ich könnte tatsächlich auch noch zu Mr. Ollivander gehen, um mir einen Zauberstab zu besorgen. Denn mir war klar, dass ich ein bisschen Magie, ein bisschen Glück oder gewogenes Schicksal würde brauchen können, um in diesem verzauberten Universum zurechtzukommen.

Text: Theresa Parstorfer

Foto: Privat

Fremdgänger: Richtig wichtig nichtig

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Wenn man als eingefleischte Münchnerin in die Welt zieht zum Studieren, erwartet einen immer der ein oder andere Kulturschock. Unter all den neuen Eindrücken aus der großen, weiten Welt ruht aber die Sehnsucht nach der Heimat. Unsere Autorin Katharina erzählt heute, warum sich der grantige Münchner auch einmal ein wenig Smalltalk aneignen sollte.

Der Smalltalk ist der Feind des Münchners. Diesen Eindruck habe ich jedenfalls vor meiner Abreise nach Kalifornien bekommen: Mehrheitlich ließen sich meine Freunde darüber aus, wie sehr es sie nerven würde, ständig mit Fremden über Nichtigkeiten zu plaudern, wie es der Amerikaner an sich eben tut. Oder wie der Münchner denkt, dass es der Amerikaner tut.

Neulich war ich dann im Supermarkt hier in Berkeley. Ich hatte mich endlich zwischen länglichen oder runden, grünen oder gelben Zucchini sowie Auberginen in den Varianten dunkellila oder helllila mit weißen Tupfen entschieden und stand an der Kasse. Der Kassierer bemerkte meine „SF Giants“-Baseball-Kappe und fragte mich, ob ich das Spiel der Baseballer aus San Francisco am Abend zuvor gesehen hätte. Hatte ich nicht. Ich hatte auch insgesamt nicht mehr als zwanzig Minuten irgendeines Giants Spiels in dieser Saison gesehen. Aber das macht ja nichts. Er erzählte mir von der peinlichen Pleite, wir machten Witze über den Pitcher und uns gegenseitig Mut, dass das mit den Playoffs doch noch klappen könnte. Es ist so simpel wie wundervoll. Jemand sagt etwas Nettes zu dir. Du sagst etwas Nettes zurück. Der andere Mensch lächelt, du lächelst, der Tag ist ein kleines bisschen besser. Man kann das oberflächlich finden, schließlich geht es in den seltensten Fällen um mehr Substanzielles als die beachtliche Größe der Wassermelone im Einkaufswagen des anderen. Oder man freut sich einfach darüber.

Eine Sache der Einstellung und der Gewöhnung. Wahrscheinlich würden viele Münchner Studenten auch glatt über ihre eigenen Ugg Boots stolpern, wenn ihnen jemand in der Mensa im Vorbeigehen ein Kompliment zuruft. Der ist bestimmt komisch. Oder gar gefährlich? Einfach nur freundlich – das ist hier die gängige Interpretation.

Aber diese Umstellung ist nicht nur für grantige Münchner hart. Auch einer meiner philippinischen Freunde war am Anfang eher eingeschüchtert von so viel Gesprächsbereitschaft. Heute ist das kaum zu glauben – denn niemand schafft es so gut wie er, dank charmanter Gesprächsführung besonders viele Gratisproben auf dem Farmers’ Market zu bekommen. Das ist dann quasi das nächste Level.

Und was ist die Königsdisziplin im Smalltalk? Für mich zweifellos der Small-Schrei. Der ist immer dann nötig, wenn du dem Busfahrer beim Aussteigen durch den vollbesetzten Bus hindurch ein „Dankeschön! Schönen Tag noch!“ zubrüllen willst. Das gehört hier zur Busfahrt genauso dazu wie der Drogenabhängige auf der Rückbank. Noch habe ich ein paar Monate, um die Tonlage zu perfektionieren.

Text: Katharina Hartinger

Photo: Privat