Fremdgänger: Mantra und Muffins

Wenn man als eingefleischte Münchnerin in die Welt zieht zum Studieren, erwartet einen immer der eine oder andere Kulturschock. Unsere Autorin versteht die allgegenwärtigen Klischees über die englische Küche nicht und verspeist freudig ein Stück Triple-Chocolate-Salted-Caramel-Kuchen

Ein Jahr England. Als ich vergangenen Sommer davon erzählte, erntete ich mitunter schon den ein oder anderen mitleidigen Blick. Nicht nur wegen des Brexits, nicht nur (aber auch) wegen des englischen Wetters, nein, erstaunlicherweise vor allen Dingen wegen des englischen Essens. „Und dann bist du ja auch noch Vegetarierin“, bekam ich des Öfteren zu hören. Oder alternativ:  „Oh, das englische Essen soll ja … gewöhnungsbedürftig sein.“

Stereotype Aussagen über nationale kulinarische Traditionen finde ich – um ehrlich zu sein – anstrengend. Als müsste man als Gast in einem fremden Land gezwungenermaßen jede Eigenheit, was Ernährung angeht, mitmachen. Als hätte man in England nicht die Möglichkeit, Nudeln und Tomatensoße zu kaufen, so wie alle Studenten das in München auch tun, um bei Klischees zu bleiben. Als wäre es eine Zumutung für jeden Deutschen, neun Monate lang auf echtes Brot und Sauerkraut verzichten zu müssen.

Natürlich, auch ich vermisse Laugengebäck und Mürbteig, aber nicht so sehr, als dass ich es nicht nach wie vor spannend und erfrischend finden würde, herauszufinden, welche Gerichte die traditionelle britische Küche nun tatsächlich umfasst. Wie ich feststellen darf, ist Oxford dafür nicht der schlechteste Ort, denn sowohl die Colleges als auch Departments, Cafés und Restaurants bieten vieles an, was vermutlich als typisch englisch verstanden wird. Mittlerweile rangieren dabei Scones mit Clotted Cream und Jam (wobei es regionale Streitigkeiten gibt, ob man nun zuerst die sündhaft fette Sahne auf den noch warmen halb salzig, halb süßen Muffin streicht, oder erst die Marmelade – ähnliches gilt für die Frage, ob zuerst die Milch oder zuerst der Tee in die Tasse kommt) schon recht weit oben auf meiner neuen Lieblingsessensliste. Gleiches gilt für Eton Mess (eine sahnige Creme mit Äpfeln und Beeren und Baiser) und auch das englische Frühstück (wenn auch vielleicht lieber erst als Mittags- oder gar Abendessen) mit Rühreiern, Bohnen, Tomaten und Pilzen.

Über Weihnachten kam es zwar zu leichter Enttäuschung, da die englischen Weihnachtsnaschereien wie Fruit Cake und Christmas Pudding, die zu 99 Prozent aus in Rum getränkten Rosinen und Orangeat bestehen, nicht wirklich mit Vanillekipferln und Bratäpfeln mithalten können. Abgesehen davon gehe ich nach wie vor gerne in den regulären Supermarkt und freue mich, wenn das Sortiment im asiatischen Regal nicht lediglich aus einer überteuerten Marke Kokosmilch und Sojasoße besteht, sondern ich die Qual der Wahl zwischen Reisnudeln, Fertig-Chapati und Sushi-Essig habe.

Auch was die Herausforderung meiner Nichts-was-mal-gelebt-hat-Einschränkung angeht, bieten sich in Oxford weit mehr Optionen als die zwei Antwortmöglichkeiten auf meine in Deutschland oft geäußerte Frage, ob ich denn den Salat mit Putenstreifen ohne Putenstreifen haben könnte: Vegetarisches Essen ist in Oxford unheimlich beliebt. Und das in Verbindung mit dem Trend zu hippen Cafés mit Fahrrädern an den Wänden, ökologischem Kaffee und selbstgebackenen Brownies, macht es wirklich mehr als einfach, gut zu essen und sich dabei so richtig hip zu fühlen.

Gerade stehe ich mit einer meiner Kommilitoninnen in eben einem solchen Café an der Theke und bestelle eine Tasse Tee und ein Stück Triple-Chocolate-Salted-Caramel-Kuchen. Der wie aus einem Katalog ausgeschnitten wirkende Barista reicht mir die Rechnung. Nicht umrechnen, sage ich mir leise. Das ist mein Mantra. Nicht umrechnen und dabei trotzdem an München denken. Denn: wenn ich wieder in Deutschland bin, wird mir sogar ein Stück Kuchen in Schwabing billig vorkommen.

Text: Theresa Parstorfer

Foto: Privat