Bis die Bierdosen wackeln

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Große Auftritte bei Festivals, Release-Show in der Muffathalle, Musik für Fernsehwerbung: Die Kytes sind gerade auf der Erfolgsspur – für die Junge-Leute-Seite haben sie ein WG-Konzert in Obergiesing gespielt.

Von Theresa Parstorfer

Normalerweise würde Michael Spieler, Sänger der Münchner Band Kytes, das Publikum vor dem letzten Song ihres Konzerts auffordern, „die Bude einzureißen“. Das wäre an diesem Freitagabend jedoch tatsächlich sehr schade, denn die Wohnung am Tegernseer Platz, in der das erste Wohnzimmerkonzert der Kytes stattfindet, könnte gut auf dem Cover einer Einrichtungszeitschrift für junges Wohnen abgebildet sein. Altbau, verwinkelt, aber lichtdurchflutet, hohe Decken, helles Parkett, weiße Möbel – schlicht, stilvoll und unglaublich hip.

Verena Lederer, 23, und Marie-Therese Listmeier, 22, wohnen hier und Verena hat vor mehr als einem Monat das erste von der Junge-Leute-Seite der Süddeutschen Zeitung verloste WG-Konzert gewonnen. „Das ist natürlich total cool, ich hatte noch nie eine ganze Band in meinem Schlafzimmer“, sagt sie.

Die Musik der Kytes kannte sie davor schon – die vier jungen Männer aus München noch nicht. Aber gegen 22.30 Uhr, als die Band aufgehört hat zu spielen und langsam wieder Sauerstoff durch die geöffneten Fenster strömen kann, die während des Konzerts geschlossen bleiben mussten, hat sich Michael bereits eine Jogginghose der Gastgeberin ausgeliehen und unterhält sich lachend mit ihren Freunden.

Verenas Freunde bevölkern die beiden Schlafzimmer, den Gang und die Küche, in der liebevoll zubereitete Häppchen und die Getränke bereitstehen. Das Bier steht in der Dusche, sodass jeder, der kein Bier will, erst einmal den Toilettenbesuch ankündigen sollte, bevor er die Tür hinter sich schließt. Vier Paletten Dosenbier hat ein Harlachinger Brauerei-Start-up an diesem Abend vorbeigebracht. Die Gründer des jungen Unternehmens versorgen die Kytes auf ihren Touren mit dem in der „Garagen-Brauerei“ hergestellten Hellen.

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„Das ist natürlich total cool, ich hatte noch nie eine ganze Band in meinem Schlafzimmer“, sagt Verena Lederer (Foto oben).  Für das WG-Konzert der Kytes hat eine Münchner Start-up-Brauerei Getränke zur Verfügung gestellt – so was nennt man dann vermutlich Bierdusche. Fotos: Yunus Hutterer

Zwei Stunden zuvor: Das ohrenbetäubende Schrillen der Klingel will gar nicht mehr verstummen. Das ist keine Metapher. „Ach, das passiert manchmal“, sagt Verena und läuft barfuß in ihrer kurzen Lederhose und dem leicht bauchfreien, geblümten Oberteil die Treppe hinunter, um die Klingel zu reparieren, die sich manchmal verklemmt, wenn man zu fest draufdrückt.

Die Gäste werden immer zahlreicher und man drückt sich die Türklinke in die Hand. Auch das keine Phrase: Auf einmal hält Michael, der Sänger der Kytes, den inneren Griff der Tür in der Hand. Das passiert wohl manchmal. Schallendes Gelächter.

Timothy Lush, der Schlagzeuger, baut gerade die letzten Drums auf. Auf der größten steht „Not Blind Freddy“. Blind Freddy – so hießen die Kytes bis vor ein paar Jahren. Aber dann: neuer Name, neues Image, neuer Sound. Doch nach wie vor ganz viel Vertrauen von vier langjährigen Freunden in den gemeinsamen Wunsch, wirklich gute und erfolgreiche Musik zu machen.

Dass sich dieser Schritt gelohnt hat, zeigt sich an dem sich anbahnenden Erfolg der jungen Band: die Single „On the run“ von den Kytes läuft derzeit im Fernsehen als Hintergrund der Fernsehkampagne eines Mobilfunkanbieters. Im März standen die vier Musiker in Austin, Texas, beim SXSW 2016 auf der Bühne, dem größten Music-Showcase-Festival der Welt. Für den Rest des Jahres sind weitere 36 Konzerte geplant, unter anderem beim Melt! Festival, dem MsDockville und bei ihrem CD-Release-Konzert im Oktober in der Muffathalle.

Dass sich Michael Spieler, Timothy Lush, Kerim Öke und Thomas Sedlacek trotzdem nicht zu schade sind, ohne große Planung ein Wohnzimmerkonzert zu spielen, zeigt, was der wirkliche Charme der Band ist: Ohne Starallüren, unverfälscht und witzig machen sie ihr Ding – und das ist Gute-Laune-Musik irgendwo zwischen Indie-Pop und Rock mit überraschend vielfältigen, elektronischen Einflüssen, sodass sich die Musik nicht unbedingt in eine bestimmte Schublade stecken lässt.

An diesem Abend klingt das Ganze natürlich noch einmal ein bisschen anders. Nicht nur, weil da nur ein kleiner Verstärker in Verenas Schlafzimmer steht und dieser der Nachbarschaft zuliebe nicht auf volle Leistung aufgedreht wird und der elektronische Teil der Musik fehlt, sondern auch, weil die Band nicht ganz vollständig auftreten kann. Kerim, der zweite Gitarrist, ist krank geworden, und „ein Dude von vier Dudes ist dann doch ganz schön viel“, sagt Sänger Michael bei der Eröffnung des Konzerts. „Aber er wäre auch viel lieber hier“, beeilt er sich zu sagen. Wieder wird gelacht.

Zumindest für das Raumproblem ist die kleinere Besetzung beinahe ein Glücksfall, denn das Schlagzeug steht eng an den Schreibtisch gedrängt, für wildes Tanzen ist kaum Platz. Einen „Mini-Pogo“ bekommt das begeisterte Publikum dann aber doch hin, unterstützt von Michael selbst, sodass die Bierdosen neben den feinsäuberlich geordneten Lippenstiften in einem Karton auf dem weißen Schminktischchen bedenklich wackeln.

Bis zum Ende des Gigs fallen aber nur ein Bild von der Wand auf den Schreibtisch und ein paar von Verenas Ketten und Ohrringen auf den Boden. Zumindest nach der knappen Stunde Kytes-Genuss steht die „Bude“ noch – und ein Foto von dem Zimmer, dem Band-Equipment und den leeren Bierdosen würde sich gut machen auf dem Cover von „junges wildes Wohnen“.